Textdaten
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Autor: Johann Andreas Christian Löhr
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Titel: Der gelbe Zwerg
Untertitel:
aus: Das Buch der Maehrchen für Kindheit und Jugend, nebst etzlichen Schnaken und Schnurren, Band 2, S. 430–446
Herausgeber: {{{HERAUSGEBER}}}
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: [1820]
Verlag: Gerhard Fleischer d. Jüng.
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Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Kinder- und Jugendbibliothek München und Commons
Kurzbeschreibung:
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[430]
32. Der gelbe Zwerg.[1]

Eine Königin hatte von vielen Töchtern nur eine einzige übrig behalten, die aber soviel werth war als hundert andere; das heißt, ihre Schönheit war so entsetzlich grausam schön, daß hundert der schönsten Prinzeßinnen auf Erden zusammen genommen so schön [431] nicht waren, als sie allein, und darum wurde sie mit Recht Wunderschön genannt.

Die Mutter machte ihr Töchterchen schon frühzeitig zu ihrem Abgott, und that dem schönen Kinde allen Willen, denn wenn es geweint hätte, so hätte es ja häßlich ausgesehen und hätte sich die Aeuglein roth weinen können. Da wurde denn das liebe Goldkind, welches der Mutter bald über den Kopf wuchs, eigensinnig, trotzig, schnippisch, gebieterisch, auffahrerisch und so wetterwendisch und launisch, daß es oft selbst nicht wußte, was es wollte. Dennoch sagten die Mutter und die Hofdamen, das Alles stehe ihm ganz unvergleichlich, aber in der Stadt, wo die Leute keinen Geschmack haben mochten, sagten sie überlaut, das sei Alles ganz unerträglich.

Mit der Zeit dachte die Mutter zuweilen selbst, wie die Leute in der Stadt, nur sagte sie es nicht laut, denn sonst hätte es das wunderschöne Kind sehr übel genommen, wäre böse geworden, und die Mutter hätte alsdann keine gute Stunde gehabt. Sie tröstete sie jedoch damit, daß sich Vieles wohl legen würde, wenn ihr Wunderschönchen erst so groß gewachsen wäre, daß sie einen Prinzen nehmen könnte. So groß wurde sie denn aber bald, und die Mutter ließ sie nun von hundert Malern abkonterfeien, welche die geschicktesten in der Welt waren, und jeder derselben mußte hundert Bildniße machen, welche die Königin an auswärtige Höfe, als echte Waare, versendete.

Kaum waren die Bildniße an den Königshöfen angekommen und nur ein einziges mal angesehen worden, so ging das Unheil los, denn viele Könige und Prinzen wurden närrisch, andere wurden ganz toll; einige wurden krank bis zum Tode, andere starben wirklich dahin wie Fliegen, und was nicht starb, das blieb am Leben und rannte in Schlafrock und Pantoffeln, durch dick und dünn, durch [432] Dorn und Hecken an Wunderschönchens Hof hin, fiel vor ihr nieder, betete sie an und sprach: „nimm mich! nimm mich, oder ich sterbe!“

Die Könige und Prinzen waren zu Tausenden angekommen, und gaben der Prinzeßin zu Ehren Feste, die viele Millionen kosteten; sie ließen so viel aufstreichen und geigen und pfeiffen, blasen und trompeten, daß zuletzt nicht mehr so viel Instrumente geliefert werden konnten, als verlangt wurden; sie ließen auch zum Lobe der Wunderschönheit so viele Gedichte machen, daß man von den Klingreimen allein zwei Winter hindurch die Feurung am Hofe und in der Stadt bestreiten konnte.

Die Prinzeßin ließ das Alles geschehen, aber sie wurde so wenig davon bewegt, daß sie nur ihren Hohn darüber hatte. Wenn die Liebhaber murren wollten, wies sie ihnen höflich die Wege und sagte: „Ihr könnt Euch ja fortscheeren;“ und wenn dieselben vor Herzeleid weinten, so lachte sie die Heulpeter hell aus.

Die Mutter that ihr die sanftesten Vorstellungen und wies sie darauf hin, wie jung, wie schön, wie vornehm, wie mächtig, wie reich ihre Freier wären, aber damit richtete sie nichts aus. Sie wußte nicht mehr, was sie thun sollte, um den Stolz und den Eigensinn des Töchterleins zu brechen, und wollte daher eine Fee zu Rathe ziehen, welche in der Weisheit sehr gewaltig und berühmt war und die Fee der Einöde hieß. Aber sie behielt ihre Weisheit gern für sich selbst, und ließ sich daher rund um von Löwen bewachen. Wer nun nicht wußte, wie man mit den Löwen auskam, der konnte nimmermehr zur Höhle der Fee gelangen. Zum Glück aber wußte es die Königin.

Sie backte Kuchen von feinstem Waitzen- und Hirsenmehl, that gestoßenen Kandiszucker dazu, und Fett von Schildkröteneiern. [433] Die Kuchen legte sie in einen Korb, mit welchem sie sich unbemerkt und ganz allein auf den Weg machte. Weil sie aber des Gehens ungewohnt war und des Tragens auch, so setzte sie sich unter einen Baum nieder um ein wenig auszuruhen, schlief aber darüber sanft ein, und als sie wieder erwachte, war zwar der Korb noch da, aber die Kuchen waren allzumal fort.

Das Unglück wäre nun wohl so groß nicht gewesen, denn sie konnte ja nach Hause gehen und einen andern Kuchen backen, aber sie hörte schon von allen Seiten das Brüllen der herannahenden Löwen, die den Kuchen schon gerochen hatten.

Da überfiel sie ein solches Entsetzen, daß sie nicht aus der Stelle konnte und in der Todesangst sich nur fest an den Orangenbaum anklammerte, unter welchem sie geschlafen hatte.

Sie hörte über sich im Laube des Baumes rauschen, und als sie hinauf sahe, saß ein kleines Zwerglein, kaum einer Elle hoch, zwischen den Zweigen des Baums, das brach sich Orangen ab und speisete sie; der Zwerg aber sahe ganz gelb aus.

Als nun die Königin zu ihm hinauf sahe, sahe er schmunzelnd zu ihr hinunter und sagte: „Ach, Ihr seids, Frau Königin? Nun, nun! die Löwen seh ich schon kommen, und sie machen einen guten Schritt, und Ihr habt keinen Kuchen mehr; so werden sie Euch denn selbst freßen, denn die Bestien haben immer guten Appetit. – Indeßen ist Hülfe noch möglich, nur müßt Ihr mir Wunderschönchen zur Frau geben, denn so ein Persönchen such ich nun schon seit hundert Jahren zu Lande und zur See.“

Sie erschrack, als sie den Zwerg jetzt näher betrachtete, vor deßen Häßlichkeit, und noch mehr von dem immer lauter werdenden Brüllen der Löwen. In der Angst schwieg sie ganz.

[434] „Wie? sagte der gelbe Zwerg, Ihr besinnt Euch noch? – Seht dort auf den Hügel hin!“

Die Löwen erschienen eben auf der Höhe des nahen Hügels. Doppellöwen waren es, die zwei Köpfe, zwei Schwänze und acht Beine hatten, vierfache Reihen Zähne und vier fürchterliche Augen, die Haare aber waren feuergelb.

„Ihr sollt Wunderschönchen haben!“ stammelte die bebende Königin; aber der Zwerg antwortete schnippisch! „So? – Nun? – Nein, nun ist mir der Appetit nach ihr vergangen.“

Die Königin mußte nun den Zwerg auf das allerdemüthigste bitten, daß er die Prinzeßin nur annähme. Als sie das gethan und Er dazu genickt hatte, öffnete sich eine Thür im Orangenbaum, und die Königin sprang hinein, und der Baum schloß sich wieder. Es war aber in der That auch hohe Zeit, denn die Löwen waren ganz nahe, und sprangen der Königin nach, bekamen aber für dasmal nichts, weder Kuchen noch Menschenfleisch.

Die Königin war nun in dem Orangenbaum, in welchem es wunderlich aussahe. Sie kam auf ein Feld, wo nichts stand als Dornensträucher und Distelstauden. Ein Sumpfgraben mit Modergeruch zog sich fast ganz um das Feld herum, und aus einer kleinen schmutzigen Hütte trat der krummbeinige Zwerg in Holzschuhen hervor. Das Kerlchen hatte eine schmutzige gelbe Jacke an, einen Kahlkopf, Lappenohren, Schweinsäugelein und quittengelbes Gesicht, und war übrigens guter Laune.

„Willkommen hier, liebe Schwiegermutter, sagte er. Es freut mich, daß Ihr selbst den kleinen Palast sehet, wo ich mit meinem Schönchen wohnen will. Er ist nicht allzugroß, aber er hat Platz für uns Beide, zumal da ich selbst mich mit wenigem Raum begnüge. Die Gegend ist pläsirlich, und mein Schönchen soll sich [435] einen Esel halten, wenn sie etwa spatzieren reiten will, denn Disteln sind ja genug da. Die fetten Frösche im Graben gewähren ihr ein eben so nahrhaftes als gesundes und leichtes Eßen und das Waßer in demselben hat einen angenehmen Geschmack und ist erquickend. Ihr seht, wie gut sie es haben wird, zumal da ich sie nie verlaßen, und mit meiner immer heiteren Laune recht aufgeräumt machen will.“

„O Wunderschönchen! O Schicksal! O Jammer! O Elend! O Quaal!“ rief die Königin; fiel in Ohnmacht und fand sich, als sie wieder zu sich kam, so munter und wohlbehalten in ihrem Bette, daß sie die ganze Geschichte für einen lebhaften Traum erklärte. Als sie aber ihr Nachtzeug besahe, welches zwar höchst fein, aber quittengelb und von ganz eigenem ihr gänzlich unbekannten Zuschnitt war, da wurde ihr ganz unheimlich zu Muthe. Sie wurde unruhig, ängstlich, stumm und in sich verschloßen, und fiel zuletzt so tief in das melancholische Fach, so in eine Art Schwermüthigkeit, meine ich, daß sie auch nicht mehr eßen und trinken mochte vor lauter tiefsinnigen Gedanken. Die Hofleute fragten sich untereinander: „Was mag denn der fehlen?“ aber beantworten konnte es Keiner. Wir aber wißen, daß Alles eigentlich von der fatalen, grausamlichen Schönheit der Prinzeßin herkam, die zuletzt auch alle Prinzen in Tiefsinn und Schwersinn brachte, obwohl sie von Kindesbeinen an daran gar nicht gewöhnt waren.

Die Prinzeßin war, wenn man ihre Fehler abrechnete, eine Person von sehr vortrefflichem und gefühligem Herzen – sie hatte Gemüth, und mithin ward sie von dem Zustande der Mutter sehr affizirt – angegriffen gleichsam.

Sie wollte durchaus wißen, was der Mutter fehle, wie derselben zu helfen stehe, und auch, ob sie selbst durchaus heirathen solle, [436] und beschloß die Fee der Einöde um Rath zu fragen. Sie hatte ebenfalls solche löwenbesänftigende Kuchen gebacken, wie ihre Mutter, legte sie in den Korb und ging damit fort.

Als sie unter den Orangenbaum kam, lachten und lockten sie einige wunderliebliche Orangen an. Sie setzte ihr Körbchen nieder, brach einige ab, und erquickte sich damit. Als sie nun aber weiter wollte, waren Korb und Kuchen fort. Sie ängstigte sich darüber und weinte. „Was weinst Du, schönes Kind? fragte sie das gelbe Zwergmännchen, welches vor ihr stand, ohne daß sie wußte, wie? – Sie antwortete: „Sollt ich denn nicht weinen, da mein Korb mit dem Kuchen fort ist, den ich so nothwendig brauche um bösen Geschöpfen das Maul zu stopfen?“

Es gab ein Wort das andere, und so erfuhr denn der Zwerg bald, was er ohnedieß schon wußte. Unter andern klagte sie ihm ihre Noth, daß sie heirathen sollte, und hätte noch keinen Prinzen gefunden, der ihrer würdig wäre. Sie wiße nun nicht, was sie thun solle? „Was ist denn da zu besinnen? versetzte er, da Euch die Mutter schon versprochen hat.“

„Versprochen? Mich? Die Mutter? Ohne mich zu fragen? erwiederte sie heftig; nein, das wagt sie nicht; das darf sie nicht wagen. Wer wäre denn der, den sie gewählt hat für mich?“

„Prinzeßin, sagte Zwergmännchen, indem er sich mit überholdseeligen Gebehrden vor ihr knieend niederließ: ich bin der Glückliche, auf welchen ihre Wahl gefallen ist, und hoffe Euch nicht zu mißfallen.“

„Du vollends!“ sagte die Prinzeßin.

„Ja! antwortete der Zwerg. Indeßen muß es grade nicht sein. Jedoch nehmt Euch in Acht, daß sich die Löwen nicht aufs innigste mit Euch vermählen, die dort eben herankommen.“

[437] In großen Sätzen und brüllend kamen die Löwen daher, und in der Angst rief die Prinzeßin: „Ich nehme dich, allerliebster Zwerg; ich nehme dich, aber rette mein Leben.“

„Dich vollends! antwortete höhnisch der Zwerg; – laß dich noch lieber freßen.“

Knieend und mit gefalteten Händen bat sie ihn, sie zu retten und als Frau anzunehmen. Sie verhieß alle Zwerge der Welt zu heirathen, wenn sie ihr Leben nur erhalte. – „So nehme ich dich denn,“ sagte der Zwerg, indem sie, der ganz nahen Löwen wegen, bewußtlos niedersank.

Sie fand sich auf ihrem Zimmer im Bette, als sie die Augen aufschlug, mit der feinsten Wäsche angethan und mit einem Ring an dem Finger, der aus einem einzigen gelben Haare gemacht war, und so dicht anschloß, daß sie ihn mit aller Mühe nicht abziehen konnte.

Jetzt wurde nun die Prinzeßin ganz in sich gekehrt und alles Bitten und Fragen der Mutter brachte nichts aus ihr heraus. Ach, sie hätte jetzt lieber irgend einen der verschmäheten Prinzen genommen, als den gelben Zwerg, obgleich sie keinen von denselben lieb hatte, aber sie wußte nicht, wie sie es mit guter Art anfangen sollte.

Ihr Glück half ihr. Es kamen die Landstände und drangen darauf, daß sie sich zum Wohle des Landes vermählen sollte. Um des Zwerges loszukommen that sie, als ob sie die Nothwendigkeit der Forderung einsähe und wählte den schönen, mächtigen und reichen König der Gold und Silberminen, der nahe daran gewesen war, vor heftiger Liebe den Verstand zu verlieren, aber diese Wahl rettete seinen Verstand, seinen Scharfsinn, seinen Witz, seine Gemüthlichkeit und sein Leben. Was die andern Prinzen betrifft, so gingen sie nach dieser Wahl fast allesammt kaput. Sechs und dreißig [438] steckten sich Steine in die Taschen und sprangen ins Waßer; sieben und zwanzig stießen sich mit ihren Degen durch den Leib, daß sie starben; fünf und vierzig suchten bei fremden Fürsten Kriegsdienste und stellten sich mitten in den Kugelregen vor die Batterien hin, die zweitausend sechshundert Jahr nachher erfunden wurden, zu welchem sie aber das Pulver nicht erfunden hatten; acht und neunzig krochen nach Hause kläglich und mühselig zurück und starben am Aechzen, Stöhnen, Herzweh und andern dergleichen miserabeln Krankheiten. Mit Einem Worte, Alle kamen ganz elendiglich um, und es wurde damals eine große Verzweiflung unter den Leuten in allen Landen, denn sie wußten nun nicht, wie sie regiert werden sollten, weil ihre Prinzen nun Heidi gegangen waren.

Der glückliche Bräutigam, der bei dem Tode der andern Prinzen erst zum rechten Leben kam, ließ seine Gold- und Silberflotten kommen, deren Schiffe das ganze Meer so sehr bedeckten, daß keine Seeschwalbe zwischendurch fliegen konnte. Die Prinzeßin fing an den Gewählten immer mehr lieb zu haben, und der Hochzeitstag wurde angesetzt, an welchem es glänzend hergehen sollte.

Es wäre auch glänzend und herrlich hergegangen, wären nicht zwei dumme Truthähne gekommen, die an einer alten Schachtel zogen, hinter welcher ein altes Weib mit ihrer Krücke hinkte, die eine rothe Sammtkappe auf, und eine altmodische Kontusche an hatte.

Die Alte hob ihren Krückenstab gegen die Königin und gegen die Prinzeßin auf und sagte drohend: „Hoh! Frau Königin! Hoh! Jungfer Prinzeßin! Wollt Ihr denn meinem guten Freunde, dem gelben Zwerge, Euer Versprechen nicht halten? – Fürchtet Ihr nicht, daß es Euch übel bekommen möchte? – Bei meiner Kappe, den Zwerg sollt Ihr nehmen, Jungfer Prinzin, denn Ihr habt es ihm versprochen und Eure Mutter hat Euch ihm auch zugesagt.“

[439] Mutter und Tochter waren sehr betroffen, als sie sich so entdeckt sahen, aber der König der Gold- und Silberminen, ein kühner und heldenmäßiger Herr, wollte dem Handel ein Ende machen, erhob sich gewaltig gegen das alte Weib und drohete der armen Hinkebein mit seinem scharfen Säbel das Garaus zu spielen, wofern sie nicht Reißaus nähme.

Aber da erhob sich ein anderes, eben so heldenmüthiges Herz. Der Schachteldeckel zersprang mit lautem Knallen und prallte bis an die Decke hinauf, und der gelbe Zwerg, auf einer großen, kohlschwarzen Katze reitend, trat zwischen der Alten, welche die Fee der Einöde war, und zwischen dem wüthenden König, der auf alle Reden des Zwergs gar nicht hörte, sondern von Morden, Hauen, Stechen, Luftsprengen und Zerhacken wüthige Redensarten führte.

Der Zwerg schäumte vor Wuth, der Katzenrappe bekam die Sporen, fing fürchterlich an zu heulen und machte so gewaltige Sprünge, daß ihm Jedermann auswich, nur nicht der König, der dem Zwerg mit kaltblütigem Grimm auf den Pelz rückte. Dieser zog ein breites Schlachtschwerdt hervor und forderte mit hohen Reden den König zum Zweikampfe auf dem Schloßhofe heraus.

Kaum standen die Helden auf dem Kampfplatze, so, daß sie einander im Auge das Weiße sehen konnten, so wurde die Sonne dunkel und blutroth und eine furchtbare Nacht verfinsterte Alles. Zischende Blitze unterbrachen die Nacht, die Donner rollten, die Winde heulten, die Uhus schrien, und die Welt wollte erbebend untergehen. Die beiden Hähne, welche den Zwerg gezogen hatten, waren große Riesen geworden und spien Feuerströme auf den jungen Helden, welcher aber so viel Faßung und Muth behielt, daß die Prinzeßin, welche nebst ihren Hofdamen von dem Balkon herab, [440] mit vor die Augen gehaltenen Händen zusahe, davon gerührt wurde und den Prinzen immer lieber gewann.

Warum nun die beiden Helden mit ihren Schwerdtern nicht auf einander ein und zuhieben, davon steht nichts in den alten Chroniken geschrieben; Folgendes aber steht darin geschrieben.

Die Fee erschien in Gestalt einer Furie auf dem Balkon; feurige, zischende Schlangen waren ihr Haupthaar, ihr Reitthier war ein geflügelter Greif mit grausamlichen Krallen und Schnabel, und in der Hand führte sie eine Lanze, mit welcher sie, mir nichts, dir nichts, Wunderschönchen durch und durch stieß, daß sie hinfiel und blutete.

Als der König das sahe, wollte er der Geliebten zu Hülfe eilen, aber der Zwerg mit seinem Katzenpferde war schneller, riß Wunderschönchen aus den Armen der Hoffräulein, und flog mit ihr über das Dach hinweg und davon, und der König stand so unbeweglich da, als wäre er versteint, aber er kam bald wieder in Bewegung, denn eine unsichtbare Macht führte ihn ebenfalls durch die Luft fort. Somit waren sie nun Beide fort, der Geliebte und die Geliebte.

Die Fee war es, welche den König fortgeführt hatte, denn sie war beim ersten Erblicken deßelben durch Liebe zu ihm in lichterlohe Flammen gesetzt und gedachte ihn zu heirathen. Da sie ihn nun zur Gegenliebe glaubte vorbereiten zu müßen, indem sie selbst in ihrer natürlichen Gestalt ein häßlich altes Schätzchen war, so trug sie ihn in ein finsteres, tiefes und großes Erdloch, wo Schlangen und Unken drinn waren und große Ketten an den Wänden befestigt, mit welchen der König umschlungen wurde.

Als derselbe erst ein wenig zu sich gekommen war und nun sahe, wo er sich befand, erschien ihm die Fee in der reizendsten Gestalt und bedauerte ihn über sein Schicksal. Er sahe wohl, daß er mit der [441] Fee der Einöde zu thun hatte, denn er kannte sie an den Greifenklaun, die sie niemals verbergen konnte, welche Gestalt sie auch annahm. Er that aber nicht, als ob er sie erkenne, und täuschte sie durch glatte Worte. „Er merkte wohl, sagte er, daß ihn die Fee der Einöde aus Liebe entführt und hieher gebracht habe, und es werde ihm nicht schwer werden sie wieder zu lieben, zumal da sie als Fee so mächtig sei; aber das ist nicht recht, setzte er hinzu, daß sie meinem Feinde, dem Zwerg, beigestanden hat und mich hier eingekerkert hält. Sollt ich mich auch aus Liebe zu ihr verzehren müßen, so werd ich ihr dennoch nicht die mindeste Spur davon verrathen, so lange sie mich hier gefangen hält.

Die Fee ließ sich hintergehen, entdeckte ihm, wer sie sei, und führte ihn auf einem Wolkenwagen weit in den Lüften fort. Auf dieser Luftreise kamen sie über ein Schloß, deßen Mauern hellpolirte Stahlwände waren, welche solche mächtige Brennspiegel bildeten, daß, was auf zehntausend Schritte sich näherte, sogleich zu Asche verbrannt wurde. Wie ward dem Prinzen ums Herz, als er in dem Garten dieses Schloßes sein allerliebstes Wunderblümchen fand, welches in einem Gebüsche an einem Bache saß und weinte. Gern hätte er sich zu ihr hinabgestürzt, nur war es ihm ein wenig zu hoch. Die Prinzeßin hatte ihn aber auch gesehen und weil die Fee sich so gar ausnehmend schön gemacht hatte, dachte sie, er sei ihr ungetreu geworden, und liebte ihn nun noch heftiger, zumal da sie schon seit gestern achtzehn Jahr alt war.

Der König ließ sich nicht abmerken, daß er die Prinzeßin erblickt hatte. Er kam mit der Fee auf einer Blumenwiese an, voll schattiger Bäume und kühlender Quellen, und im Hintergrunde [442] derselben stand ein herrlicher Palast, vor welchem sich der Wolkenwagen niederließ. Chöre schöner Mädchen kamen ihnen singend und spielend entgegen, und führten den König in ein herrliches Zimmer.

Der König hatte den Plan die Fee dahin zu bringen, daß sie mit ihrem Freunde, dem gelben Zwerg, bräche, in der Hoffnung, es würde alsdann Wunderschönchen erlöst werden. Darum log er ihr Liebe und erhob ihre Schönheit. Sie glaubte ihm um so williger, weil sie sich liebenswürdig und schön hielt, aber gegen den Zwerg konnte er sie nicht aufbringen, „denn, sagte sie, er ist mein ältester Freund und so mächtig als ich.“

Nach einiger Zeit erhielt der König die Erlaubniß am Gestade des Meeres sich zu ergehen. Entkommen konnte er ihr nicht, denn ein großer reißender Strom umzog die Wieseninsel dem größesten Theile nach. Der übrige Theil stieß ans Meer, welches sie daselbst so wild und stürmend gemacht hatte, daß kein Fahrzeug sich heranwagen konnte.

Eines Tags sitzt der König in seinen trübseligen Gedanken am Meeresufer und klagt den Wellen sein Leid und preist ihnen Wunderschönchens Schönheit. „Ach, ruft er, ihr stürmischen, brausenden, sausenden Wellen, könntet ihr mich von der alten, häßlichen Runkunkel, von der garstigen Meerkatze erlösen, ich wollte euch umarmen und die schönsten Gedichte auf Euch verfertigen laßen – aber ihr sollt mich, selbst wider euren Willen, erlösen, denn ehe ich mich mit dem häßlichen Runzelfell vermähle, vermähl ich mich lieber mit euch, und stürze mich in euer naßes Grab.“

Also klagte und tobte der arme König, und nicht vergeblich. Die Wellen hatte sein ungeheurer Schmerz gerührt. Es rauschte im [443] Schilfe, welches zwischen zwei Felsenklippen stand, und es tritt ein Meerfräulein von großer Schönheit über dem Waßer hervor. Ihr Oberleib war mit ihrem goldgelben langen Haupthaar bedeckt, der Unterleib aber war ein langer Fischschwanz.

„Mich sendet das Meer zu dir, sagte das Fräulein, dich zu erretten und dich zu deinem treuen Wunderschönchen zu bringen, welches den garstigen Zwerg nicht mag.“

Die Meerjungfer brach ein großes trocknes Schilfrohr ab, blies es dreimal an und sagte: „Schilfrohr, liebes Schilfrohr, liege hier auf dem Sande am Strande, und gehe nicht fort, bis die Fee dich abholt.“

Auf einmal bekam das Schilfrohr Gestalt und Kleidung des Goldminenkönigs, und lag blaß und abgezehrt am Ufer, als sei er vom Meere ausgeworfen. Das Meerfräulein nahm nun den König auf seinen Fischschwanz und brachte ihn in kurzer Zeit wohlbehalten an das Schloß des Zwerges, denn an der Meerseite hatte der Zwerg die furchtbaren Stahlspiegel nicht angebracht. „Wunderschönchen, sagte seine Retterin, sitzt wieder an dem Bache, wo du sie zuletzt sahest und sehnt sich nach dir. Ehe du zu ihr gelangen kannst, werden dich noch manche Feinde aufhalten wollen, aber nimm diesen Demantsäbel; er ist gut gegen Alles; leg ihn nur nicht aus der Hand und lebe wohl.“ Sie gab ihm den Degen, und seegelte zurück, denn sie war neugierig zu wißen, was die Fee beginnen würde.

Es war ihr der Liebhaber zu lang geblieben, darum ging sie ihn zu suchen und heimzuführen, damit er nicht etwa in feuchter Abendluft einen Schnupfen davon tragen möchte. Sie fand ihn bald, aber todt – todt ausgestreckt auf dem Strande. Sie erhob ein gräßliches Geschrei, vor welchem das Meer selbst entsetzt zurückfuhr. [444] In Verzweiflung und Wuth des Schmerzes warf sie sich über den kalten Leichnam her, und wusch ihn mit ihren Thränen. Dann fuhr sie noch wüthender auf und erwürgte funfzig Stück von den kostbaren Jungfrauen, die sie begleitet hatten, so leicht als wären es junge Rebhüner gewesen. Sie waren das Todtenopfer für den Geliebten. Dann rief sie zwölf Feen, mit welchen sie ein Grabmal bauete, wohin sie den Leichnam legten.

Unser Prinz aber mit seinem Demantschwerdt war, während ihn die Fee beisetzte, frisch und munter wie ein Eichkätzchen, und muthig wie ein Löwe, und suchte sein Schönchen. Es rückten Greife, Drachen und ungeheure Fledermäuse gegen ihn an; es kamen ihrer sechs in greulicher Gestalt auf Krokodilen daher gejagt und schoßen lauter Spieße aus den Rachen auf ihn; es traten Riesen mit Schuppenpanzern und Stahlkeulen auf, aber mit seinem Degen hatte er leichte Arbeit; er schwang ihn nur, so lief der größeste Theil der Ungethüme davon, einige aber, die Stand halten wollten, wurden mitten entzwei gehauen.

Als er glaubte, alle Abentheuer wären bestanden, kamen zwei Dutzend junge Mädchen, allesammt schöner als die Morgensterne, und wollten ihn mit Blumenketten aufhalten, die sie ihm über den Weg zogen. „Halt, schöner König, sagten sie; die Wache für diese Gegend ist uns übertragen, und wo wir unsere Schuldigkeit versäumten, wär es unser Unglück und deines. Auch wirst du ja gegen uns schwache Mädchen kein Held sein wollen.“

Der König wußte fürwahr nicht, was er thun sollte, denn die armen Dinger schienen ihm so unschuldig und so hübsch, aber heimlich rief es ihm in die Ohren: „Haue zu, sonst ist es dein Unglück.“ Da hieb er tapfer die Blumenketten, die oftmals stärker als Eisenketten feßeln, entzwei, die Mädchen flohen und in zwei Augenblicken [445] war er bei seiner geliebten Prinzeßin. Er umarmte sie und sie umarmte ihn wieder, aber die Gedankenlosigkeit, in welche ihn dieses Umarmen versetzt hatte, ließ ihn den Diamantsäbel aus der Hand fallen. Schnell hüpfte der Zwerg hinter einem großen Kohlkopfe, wo er sich versteckt gehalten hatte, hervor, und bemächtigte sich des Säbels, deßen Tugend er kannte. In ihrem Entzücken merkten sie es nicht einmal; hätte aber auch nichts mehr geholfen, wenn sie es gemerkt hätten.

Mit einigen hergemurmelten Worten rief der Zwerg zwei große Riesen herbei, die den König feßelten. Der Zwerg drohete dem König mit dem Tode, wofern er nicht der Prinzeßin sogleich entsage und diese auf der Stelle ihm ihre Hand gäbe; aber, gesegnete Mahlzeit, das thaten sie nicht. Sie wollten lieber todt mit einander leben, als lebend, getrennt von einander das ganze Leben lang todt sein.

Da wurde der Zwerg wild, nahm den Diamantsäbel und stach dem König ins treue Herz, daß derselbe todt hinfiel. Jetzt drohete der Zwerg der Prinzeßin sie auch zu herzstechen, wenn sie ihn nicht nähme. Sie aber sagte, indem sie dem Zwerge den Säbel schnell aus der Hand riß: „Du häßlicher, garstiger Zwerg, das sollst Du nicht, denn ich will mich schon selbst erstechen und mit meinem Prinzen vereinen. Da bat der Zwerg: „O Du Allerschönste, das thue doch nicht an Dir und an mir.“ Nein, sagte sie, an mir will ich es auch nicht thun, aber an Dir. Also hieb sie den Zwerg über die Glatze, daß er todt hinfiel. Nun waren zweie kaput. Jetzt hätte sie sich selbst gern auch ein Leides gethan und das zarte Herz durchbohrt. Sie wußte aber nicht, ob das recht sein möchte? Sie ging daher an den Hof ihrer Mutter, an welchem noch einige Prinzen, die mit zu den närrischen gehörten, tiefsinnig umhergingen und sie [446] suchten. Einer davon kam bei ihrem Anblick wieder zu paßabeln Verstand. Den nahm sie, und blieb glücklich am Leben.

Das war das Ende von dieser Mord-, Jammer-, Thränen- und Wundergeschichte.


  1. Verbeßerungen S. 471: st. Nr. 30 l. Nr. 32.