Textdaten
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Autor: Johann Andreas Christian Löhr
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Titel: Dornröschen
Untertitel:
aus: Das Buch der Maehrchen für Kindheit und Jugend, nebst etzlichen Schnaken und Schnurren, Band 2, S. 446–451
Herausgeber: {{{HERAUSGEBER}}}
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: [1820]
Verlag: Gerhard Fleischer d. Jüng.
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Kinder- und Jugendbibliothek München und Commons
Kurzbeschreibung:
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[446]
33. Dornröschen.

Eine Königin hätte sogern, ach sogar allzugern ein Kind gehabt, und bekam doch keins, so sehr sie sich auch eins wünschte. Da wurde sie ganz traurig und weinte und sagte: „Was hilft uns nun unser schönes Königreich, da wir es keinem eigenen Kinde hinterlaßen können?“

Als sie so einmal an einem klaren Bach unter schönen Bäumen hinging und sah große und kleine Fische im hellen Waßer spielen und sich jagen, und sahe die Vöglein ihre Jungen füttern, die über das Nest herauskuckten und pipten, da sagte sie recht traurig: „Ach, die Vöglein haben ihre Kinderchen und die Fische auch, aber ich – ich habe kein Kind!“

„Sollst eins haben! Sollst eins haben!“ rief ein Vöglein vom Baume herab.

„Eine Tochter! Eine Tochter! rief ein Krebs, der den Kopf aus dem Waßer heraussteckte.

„Uebers Jahr! Uebers Jahr!“ rief eine Stimme, die sich nicht sehen ließ. Da wurde die Königin recht froh, und alle Leute im Schloße hatten es gut bei ihr; o! wie gut!

[447] Und als das Jahr um war, bekam die Königin eine Tochter, die nannten sie Röslein. Da war nun große Freude im ganzen Lande, und der König gab ein Fest, zu welchem er alle Feen, die im Lande waren, einladen ließ, deren zwölf waren. Die begabten das Kind mit schönen Gaben, nur die zwölfte begabte es nicht gleich, weil sie sich erst auf etwas recht Gutes besinnen wollte.

Als die Feen bei Tische saßen und aßen, jede auf einem goldenen Teller, da schnurrte es und burrte es zum Fenster hinein, als ob eine ganze Armee Maikäfer kämen, und es trat eine Fee herein, die sahe recht häßlich aus, weil sie so zornig aussahe.

„Ach, das gibt ein Unglück, sagte der König; die haben wir vergeßen. Die ist rachsüchtig, weil sie so empfindlich ist.

Da wollten sie ihr einen Platz am Tische geben, hatten aber keinen Goldteller mehr. Da setzten sie ihr drei silberne Teller hin, und die Königin holte ihr einen Strauß von Diamanten, und legte denselben vor ihre Teller hin. Die Fee aber sahe recht hämisch aus und sagte: „Ihr habt mich verachtet, weil Ihr mich nicht eingeladen habt; ich verachte Euch und Eure Speisen und Diamanten auch – ich brauche sie nicht; aber ich sage Euch, ehe Eure Tochter funfzehn Jahr alt sein wird, soll sie sich an einer Spindel stechen und todt hinfallen.“ Damit zog sie schnurrend wieder fort.

Es waren Alle gewaltig erschrocken, aber die zwölfte Fee sagte: „Beruhigt Euch. Es ist gut, daß ich mich mit meiner Gabe nicht übereilt habe.“

Sie trat an die Wiege des Kindes und sagte: „Du wirst dich stechen und todt hinfallen, aber du wirst nicht todt bleiben, sondern erweckt werden zu seiner Zeit.“

Der König ließ Alles, was nur einer Spindel ähnlich sahe, im ganzen Schloße aufsuchen und fortschaffen, und das Kind wuchs [448] lustig auf und wurde sehr schön. Das war gut! Aber es wurde auch sehr liebenswürdig, weil es gütig, freundlich und sanft war; das war noch viel beßer. Man sahe das liebe Kind nur gern an; man that Alles, was man ihm an den Augen abmerkte, und alle Leute sagten, unser kleines Prinzeßchen ist ein Engel.

Schon war die Prinzeßin eine Weile ins funfzehnte Jahr gegangen und ihre Aeltern waren im Garten, als sie im Schloße umherging, welches sie oft that und mit allen Leuten gar freundlich sprach. Da kam sie an eine Thurmthüre, die sie offen fand, da sie vorher dieselbe immer mit großen Riegeln verschloßen gefunden hatte. Sie muß doch wißen, wie es in dem Thurme aussieht und geht hinein, steigt eine Treppe hinauf und wieder eine und dann noch einige, kommt dann zu einer kleinen Thür, die sie mit dem daran steckenden Schlüßel öffnet. Da trat sie in eine kleine Stube, in welcher ein kleines reinliches Mütterlein saß und spann. Das hatte sie noch nie gesehen, darum gab sie recht acht und sagte: „Ob ichs denn auch wohl könnte?“ – „Ja, liebes Prinzeßchen, sagte freundlich das Mütterlein, das könnt Ihr nicht wißen, bis Ihr es nicht versucht habet.“ Die Prinzeßin wollt es versuchen, nahm die Spindel, stach sich damit in den Finger und versank sogleich in einen Todesschlaf.

In demselben Augenblick verfiel Alles im Schloße in festen Schlaf; der König und die Königin, die aus dem Garten zurück waren, schliefen ein; die Bedienten und die Kammermädchen schliefen mitten im Herumlaufen und Plaudern ein; der Koch, welcher dem Küchenjungen eben nach den Haaren griff und ihn raufen wollte; die Küchenmagd, die das abgebrühete Hun rupfen wollte, die Pferde in den Ställen, die Hunde auf dem Hofe, die Fliegen an den Wänden, die Mäuse in den Löchern, der schnurrende Bratenwender und [449] der Dreifuß auf dem Heerde, ja selbst das Küchenfeuer und die Tauben in der Bratpfanne – kurz Alles schlief ein. Das war einmal ein Schlaf!

Aber um das Schloß fing sich schnell eine Dornenhecke an herumzuziehen und die Dornhecke wuchs höher und immer höher, bis endlich über das Schloß hinaus, weil Unkraut immer am schnellsten groß wird.

Viel Prinzen wußten, daß ein gar schönes und liebliches Röslein im Schloße war, und kamen und wollten es befreien, wollten die Dornhecken mit dem Schwerdte zerhauen oder sich durchdrängen, aber das half nichts. Blutig gefetzt kehrten sie wieder zurück und manche sollen sogar in den Dornhecken kläglich umgekommen sein. Seit der Zeit nun hieß die Prinzeß Röslein nur Dornröslein.

So stand das Schloß und das Dorngehäge wohl hundert Jahr und noch länger, und wußte Niemand mehr, was in dem Schloße vorgegangen war, als ein einziger alter Mann im Lande, dem es sein Großvater erzählt hat, und der in der Nähe des Schloßes wohnte. Dieser erzählte einem Königssohne, der einmal vorbeizog und ein wißbegieriger und heldenmüthiger junger Herr war, was sich begeben hatte, und wie es den Prinzen gegangen sei.

„Das muß ich doch selbst sehen, sagte der junge Held, und will mich daran versuchen.“

Er ging nach dem Schloße zu, aber eine Dornenhecke fand er nicht, sondern nur lauter Blumen, die in schönen Kreisen das Schloß umgaben, und vor welchen er sich gar nicht fürchtete. Hätten sie ihm einen Widerstand geleistet, so hätte er sie mit seinem Säbel durchgehauen und sich einen Weg gebahnt zu Dornröslein hin. Aber Blumen sind ja nicht blos schön, sondern auch sanft. Darum wichen sie aus, als er herankam, und ließen ihm offenen Weg.

[450] Er schritt hindurch, und als er hindurch war, wurden die Blumen hinter ihm sogleich wieder zu Dornhecken, darum vielleicht, daß kein anderer Prinz ihm etwa des lieblichen Rösleins wegen nachschliche, denn er war der Rechte, der es erlösen sollte.

Als er ins Schloß kam, schlief Alles noch so, wie es eingeschlafen war, König und Königin, Diener und Dienerinnen, Pferde und Hunde, Katzen mit der athmenden Maus im Maule, Koch und Küchenfeuer, gebratene und nicht gebratene Tauben, – schliefen und schniebten mit dem Athem laut und stark, und wo er hinging, da lags im Schlaf, sanft und süß und stille und nichts hörbar als der Athem.

„Ja! sagte der Prinz, wenn ich nur wüßte, wie ich die wieder aufwecken könnte, denn in einem natürlichen Schlafe liegen sie doch gewiß nicht. – Und wo ist denn das schöne Röslein; das möcht ich doch gar zu gern sehen, zumal wenn sie so herzensgut ist, als der alte Mann gesagt hat, weil das eben das Schönste an der Schönheit ist, wie ich glaube.“

So hatte er mancherlei Fragen, worauf er aber keine Antwort erhielt, besahe sich Alles, hielt seine Selbstgespräche, daß alle Welt so ruhig und fromm da läge, und Keins dem Andern Leides thue, und kam auch zu kleinen Kindern, die hatten ihre Püppchen im Arm und hatten sie an ihr Herz gedrückt und lächelten im Schlafe, und fand kleine Hundchen, die an der Mutter sogen und mit ihr schliefen. – Ja dergleichen fand der Prinz viel, aber Dornröslein fand er nicht, und wanderte in dem geräumigen, weiten Schloße weiter und immer weiter.

Er kam zuletzt in den alten Thurm, der noch immer offen stand, er stieg die Treppen hinauf, er kam in das Stübchen, wo Dornröschen umgesunken war und schlief. Er knieete neben dem holden [451] Kinde nieder und sahe es recht an. „Ach, sagte er, bist du so hold, so gut, so freundselig, als du schlafend aussiehst, so solltest du meinem Herzen recht werth sein, wärest du auch so wunderschön nicht.“

Es war, als flüsterte es ihm ein: „Küße! küße leise und zart ihre holdseligen Lippen!“

Da beugte er sich nieder und berührte ihre Lippen leise und sanft, und Dornröschen rieb sich die Augen und sahe ihn lächelnd an; die Kinder erwachten und liebkoseten den Puppen; die Hundchen fingen an um ihre Mütter zu spielen; die Katze machte einen Krummbuckel, mit ausgereckten Talpen sich drehend; das Feuer knisterte und schlug Flammen; die Tauben praßelten im Tiegel; der Koch sahe den Küchenjungen freundlich an, zog die Hand, die ihn raufen wollte, zurück, reichte sie ihm und sagte: „guten Morgen, Matthies; nun wollen wir recht kochen, denn wir waren ein Bißchen eingenickt.

Alles war erwacht; Alles war Liebe und Friede und Freundlichkeit, und der Prinz und Dornröslein wurden von den glücklichen Aeltern gesegnet, und heiratheten sich.