Der Process Caumartin
In der Schwalbenstraße (rue des hirondelles) zu Brüssel liegt unter No. 11 ein Haus, das durch einen tragischen Auftritt, bei dem die Sängerin Kathinka Heinefetter mitwirkte, für die Künstlerwelt, wegen eines Processes, der daraus entstanden ist und in jeder Bedeutung des Ausdrucks, eine cause célèbre bildet, für die juristische Welt, und vermöge des dabei gestatteten Blickes in Kreise und Sitten, welche in der Regel dem fremden Auge als Privatverhältnisse verschlossen bleiben, für das ganze Publikum ein ungewöhnliches Interesse erlangt hat. Da der Auftritt selbst, die daraus entstandene juristische Frage und das ganze Sittengemälde nur durch eine genaue Kenntniß des Schauplatzes verständlich wird, so gibt die
Illustration eine Abbildung des Hauses, sowie der Stube von Fräulein Heinefetter nebst einem Grundriß ihrer ganzen Wohnung. Das Haus gehört Hrn. de Merr, der auch darin wohnt; die Etage, in der Fräulein Heinefetter’s Zimmer lagen, war an die Schauspielerin Julie Kinzinger, genannt Fräulein Lebrun, vermiethet. Beide, sowie Hrn. de Merr Dienstmädchen Celestine Josephe Surlerour erschienen als Zeugen in dem Proceß, bei dem der ganze Vorhang, welcher im Anfang den Auftritt verhüllte, allmälig aufgerollt wurde, und nach dessen Verlauf wir die Hauptzüge wiederholen, wie sie nach und nach hervortraten.
Am 12. April, Morgens um 8 Uhr, war der Sitzungssaal des Assisengerichts zu Brüssel mit Neugierigen gefüllt. Gegen 10 Uhr erschien eine Dame in Trauerkleidung, geführt von einem Advokaten in Amtstracht. Es war Frau v. Villeneuve, eine Schwester von Aimé Sirey, der in dem Zimmer von Kathinka Heinefetter seinen Tod gefunden. Mehre Verwandte Caumartin’s, der als Urheber von Sirey’s Tode angeklagt ist, sitzen auf Stühlen vor dem Platze der Geschwornen. Hr. Chair d’Est-Ange, Vorsteher der Kammer der Advokaten in Paris, nimmt neben dem Brüsseler Advokaten Vervoort den Platz der Vertheidiger ein. Nach 10 Uhr erscheint das Gericht: vier Appellationsräthe als Beisitzer und Hr. van Mons als Präsident. Der jetzige belgische Justizminister, Baron d’Atethan, nahm damals als Generaladvokat den Platz des Staatsanwalts ein und führte die Anklage.
Auf Befehl des Präsidenten wird der Angeklagte eingeführt. Es ist ein junger Mann von sehr sanften und feinen Gesichtszügen, ganz schwarz gekleidet, mit weißem Halstuch. Nachdem die Geschwornen ihre Plätze eingenommen haben, eröffnet der Präsident die Verhandlungen mit Befragung des Angeklagten, der sich „Augustin Eduard Caumartin, Appellationsgerichtsadvokat in Paris, 29 Jahre alt“ nennt, und läßt dann die vom Staatsanwalt [38] verfaßte Anklageschrift vorlesen. Ihre Angaben sind den bei der Voruntersuchung zu Protokoll gegebenen Aussagen der Zeugen entnommen, die von diesen jetzt mündlich wiederholt werden müssen. Nachdem die Vorlesung dieses Actenstücks beendigt, traten Sirey’s Vater und Sirey’s Witwe mit Entschädigungsansprüchen auf. Dann begannen die eigentlichen Verhandlungen mit dem Verhör des Angeklagten. Dieser sagte aus: Ich habe Fräulein Heinefetter vor ungefähr 2 Jahren in Paris kennen gelernt, eine Reise nach Deutschland mit ihr gemacht, sie nach Brüssel begleitet, mich thatsächlich von ihr getrennt, aber nicht mit ihr gebrochen, in ihrem Namen ihre Wohnung gemiethet, 7–8 Tage in Brüssel gelebt, Briefe mit ihr gewechselt, ihr am 9. November zum letzten Male geschrieben. Ich wollte mich verheirathen, die Einleitungsverträge waren am 17. November zu Paris abgeschlossen worden, darauf kam ich nach Brüssel, um mich ehrenhaft von Fräulein Heinefetter zu trennen, meine Briefe von ihr zurückzufordern und ihr die ihrigen nebst verschiedenen Sachen, die sie mir anvertraut hatte und die ich mit Anstand nicht länger behalten konnte, zurückzugeben. Des Briefaustausches wegen kam ich persönlich; die Sachen bestanden aus Silberzeug, Pretiosen und einem Schlüssel. Um 8 Uhr Abends traf ich in Brüssel ein, sah auf einem Anschlagzettel, daß Fräulein Heinefetter in einem Konzert singe, ließ mich vom Gasthof aus, wo ich abgestiegen war, dorthin fahren. Als ich ankam, wurde die letzte Pièce gesungen. Ich ließ Fräul. Heinefetter sagen, es warte ein Wagen für sie. Als ich sie jedoch in Begleitung eines Herrn kommen sah, den ich für den Schauspieler Laborde hielt (es war Sirey), verließ ich den Wagen, weil ich sie allein wiederzusehen wünschte. Ich nahm einen andern Wagen und ließ den Kutscher vorfahren, damit ich früher in Fräulein Heinefetter’s Wohnung ankomme, weil ich dachte, ihr Begleiter würde sie an ihre Thür bringen und dann verlassen. In ihrem Zimmer fand ich eine Tafel mit 8 Gedecken, konnte aber nicht mehr umkehren, weil die Gesellschaft mir auf dem Fuße folgte; Fräulein Heinefetter lud mich ein, mit zu essen, ich lehnte es ab, setzte mich an den Ofen und plauderte während des Essens mit der Schauspielerin Julie. Gegen Mitternacht gingen Fräulein Julie und zwei Herren weg, auch ich wollte aufbrechen, war gerade bereit und zog eben meine Handschuhe an, da stieß Sirey seinen von Hrn. Milord ihm dargereichten Hut mit den Worten: „Nein, das muß zu Ende gebracht werden!“ zurück, kam auf mich zu, stellte sich vor mich hin und sagte: „Sie sind hier überflüssig; das müssen Sie doch sehen; gehen Sie!“ Ich antwortete ihm: „Mein Herr, Sie wissen mehr als ich; ich weiß nicht einmal Ihren Namen!“ Er entgegnete: „Ich bin der Graf Sirey und bin Edelmann!“ „Wenn Sie Edelmann sind, sagte ich, so müssen Sie einsehen, daß hier nicht der Ort zu Erklärungen ist.“ Jetzt trat Hr. Milord zu Sirey und sagte: „Caumartin hat Recht! Laß uns fragen, wo er wohnt und morgen zu ihm gehen.“ Sirey antwortete rauh: „Du weißt nicht, was du sprichst!“ trat dicht vor mich hin, rief: „Sie sind ein Gassenbube!“ faßte meinen Rockkragen, schüttelte ihn und machte dabei beleidigende Bewegungen vor meiner Nase. Da verließ mich die Geduld und ich gab ihm eine Ohrfeige. Er trat zwei Schritte zurück, begann mich mit seinem Stock zu schlagen und rief: „Ah so, warte: das sollst Du sehen!“ Ich ging auf ihn zu, um ihn zu fassen, er trat weiter zurück und fuhr fort zu schlagen. Da sprang Hr. Milord zwischen uns und ich sagte zu Sirey: „Wie kann ein Edelmann sich so betragen; sehen Sie einmal wie Sie mich geschlagen haben; ich habe die Wahl der Waffen, denke ich; morgen denn, um 8 Uhr, Degen!“ Fräulein Heinefetter war von dem Lärm herbeigezogen, fiel aber an der Thür in Ohnmacht und wurde wieder in ihr Zimmer gebracht. Sirey folgte ihr dahin. Ich nahm meinen Hut, Stock und Ueberrock und rüstete mich zum Weggehen; da ich äußerst aufgeregt und sehr leidend war, sah ich aus dem Fenster, ob der Wagen, mit dem ich gekommen und den ich hatte warten lassen, noch da sei. Später erfuhr ich, daß die Bedienung ihn weggeschickt hatte. In demselben Augenblick kam Sirey wieder herein, eilte wüthend auf mich zu, nahm im Vorbeigehen ein Messer vom Tisch, kam mir näher und sagte: „Schlagen wir uns gleich!“ stach mich in die Lende, rief mit einem Fluch: „Wenn Du nicht aus der Thür gehst, werfe ich Dich zum Fenster hinaus!“ und drang immer näher auf mich ein. Ich hatte einen Stock in der Hand, den ich vor 3 Jahren bei meiner Abreise nach Italien gekauft, und hob diesen auf, um mich zu vertheidigen. Sirey griff nach dem Stock, riß die Scheide ab, und da er mich jetzt entwaffnet glaubte, stürzte er blindlings auf mich los. In diesem Augenblick verwundete ihn der Degen; ich sah es an seiner Bewegung. Sie können sich meine Aufregung denken, als ich Blut über seine weiße Weste rinnen sah! Ich rief um Hülfe, verlangte einen Arzt, und als die Damen eintraten, sagte ich ihnen: „ich habe ihn nicht getödtet; er hat sich auf mich gestürzt!“ Da man keinen Arzt holte, lief ich in meine Wohnung und bat den Wirth, mir den besten Arzt in der Stadt nachzuweisen. Man nannte mir Hn. Allard; ich eilte nach seinem Hause und riß an der Klingel. Endlich erschien er; ich schob ihn in den Wagen und ließ uns zu Fräulein Heinefetter fahren. Als wir ins Haus traten, rief der Eigenthümer mir zu: „Er ist todt! Machen Sie, daß Sie fort kommen!“ „Nein, antwortete ich, ich will mich nicht entfernen, ich würde sonst für einen Meuchelmörder gelten, ich werde mich zum Justizminister begeben.“ Ich stieg wieder in den Wagen und befahl dem Kutscher, mich dahin zu fahren; unterwegs in einer steilen Straße hielt er an; auf meine Frage, weshalb? antwortete er: „Es ist zu spät; man würde uns beim Minister nicht aufmachen!“ Da fiel mir ein, daß Sirey Franzose sei, wie ich und daß die Sache also in Frankreich zur Untersuchung kommen werde. Nun entschloß ich mich, zur Beruhigung meiner Familie nach Paris zu eilen, kehrte in meinen Gasthof zurück, holte meinen Koffer und sagte dem Kutscher: „Nach Mons!“ Nachdem wir einige Stunden gefahren waren, hielten wir in einer kleinen Stadt an, ein Gendarme zeigte uns die Post; als ich Pferde nach Frankreich verlangte, antwortete man mir: „Sie kommen ja aus der Richtung her!“ „Aber ich will nach Frankreich!“ sagte ich. „Da gehen Sie nach Antwerpen, dort finden Sie ein Dampfschiff!“ war die Antwort. Ich reiste hin, allein es war kein Dampfschiff da; nun setzte ich meine Fahrt nach Breda fort, da ich in Rotterdam ein Dampfschiff finden sollte. Als ich in Rotterdam ankam, war ich sehr leidend; der Gastwirth rief einen Arzt und mir wurde zur Ader gelassen; in der folgenden Nacht ging ich mit einem Dampfschiff nach Havre und von dort nach Paris ab. Mein erster Gedanke war, mich in Haft zu begeben. Ich ließ zwei Aerzte rufen, um meinen Zustand zu constatiren und schrieb an den Staatsanwalt. Dieser antwortete mir, er wisse von dem Vorfall nichts. Da schlug mein Freund Plouqoulm mir vor, mit mir nach Belgien zu gehen. Wir reisten ab. Als wir in Valenciennes ankamen, sagte Plougoulm: „Ich werde voraus reisen, um mich nach den Untersuchungsfristen zu erkundigen!“ Er kam wieder und rieth mir, noch auf eine Zeitlang zu meiner Familie nach Paris zurückzukehren. Dies that ich, stellte mich aber sogleich nach erhaltener Ladung dem belgischen Gerichte.
Nach dem Angeklagten wurde zunächst Sirey’s Freund und Begleiter, Milord de la Vilette, Sohn eines Gerichtsdieners, Milord, vernommen. Er hat sich, wie es in Frankreich jetzt so oft geschieht, durch einen Ortsnamen den Anschein eines Edelmannes gegeben. Seine Aussage lautete im Wesentlichen: Fräul. Heinefetter’s Gesellschaftsdame Kertz sagte mir: „Das ist Caumartin.“ Da nahm ich Sirey bei Seite und ermahnte ihn zur Vorsicht. Ich hörte Sirey zur Kertz sagen: „Meine gute Madame, ich bitte, sorgen Sie dafür, daß er bei Tisch nicht neben ihr zu sitzen kommt.“ Fräulein Heinefetter hörte dies, ging zu ihm und drückte ihm die Hand. Das Soupé dauerte zwei Stunden. Als Fräulein Heinefetter an der Thür in Ohnmacht fiel, brachte ich sie auf ihr Bett zurück. Sirey folgte mir und nachdem er einige Worte mit Fräulein Heinefetter gewechselt hatte, kehrte er allein in den Speisesaal zurück. Sobald ich seine Abwesenheit bemerkte, folgte ich ihm. Ich sah ihn mit Heftigkeit nach dem Ende des Saals hinstürzen, wo Caumartin auf und ab ging. Er sagte zu ihm: „Wenn Sie nicht gehen, werfe ich Sie zum Fenster hinaus!“ In demselben Augenblick drehte Sirey sich nach mir um und rief: „Er hat mich mit einem Dolchstich getödtet!“ Ich hatte nichts gesehen und glaubte es nicht, deshalb fügte er hinzu: „Da ist der Dolch!“ und zeigte auf den Stockdegen, den der Angeklagte in der Hand hatte. Ich hatte den Degen nicht ziehen sehen, allein als ich mit Fräulein Heinefetter hinausging, sah ich Caumartin ans Sopha treten und hörte eine Art Eisengeräusch. Ich dachte, da sei der Degen gezogen worden. Ich erkläre, daß ich nicht gesehen, wie die Verwundung stattgefunden hat. Ich erkläre, daß ich Caumartin weder mit dem Körper, noch mit dem Arm eine Bewegung machen sah und als ich in sein Gesicht blickte, sprach sich die größte Bestürzung darin aus. Ich glaube an ein Aufspießen. Ich erinnere mich, daß der Angeklagte während des Essens mit Fräulein Julie plauderte und mehre Fragen über Tagesereignisse in Paris beantwortete.
Fräulein Heinefetter, „22 Jahre alt“, kam jetzt zum Verhör. Sie sprach sehr leise und antwortete meistens mit Ja und Nein. Die ersten Vorgänge des Abends erzählte sie wie Caumartin. Nachdem sie von ihrer Ohnmacht gesprochen hatte, fuhr sie fort: Als ich wieder zu mir gekommen war, hörte ich Sirey zur Madame Kertz sagen, es habe eine Ohrfeige stattgefunden. Ich fragte, wer die Ohrfeige gegeben. Sirey antwortete, „das that ich.“ Ich fürchtete, es möchte ein Duell stattfinden. Sirey sagte: „Er wird nicht wagen, sich zu schlagen. Es ist eine Memme!“ Da ich gleich, nachdem Sirey hinausgegangen war, neues Geräusch vernahm, trat ich wieder in den Speisesaal und hörte Sirey sagen: „Er hat mich getödtet.“ Caumartin hatte den Arm ausgestreckt und einen Degen in der Hand. Ich fürchtete Caumartin, weil er sehr heftig war. In Paris wollte er mich einmal erwürgen, weil ich davon sprach, Hrn. Steiner zu heirathen. Er sagte zwar nichts vom Erwürgen, aber er legte die Hand an seinen Hals. Caumartin wollte mich heirathen und hielt bei meiner Mutter um meine Hand an. Als er sah, daß nichts daraus werden könne, versprach er meiner Mutter, nicht wieder zu mir zu kommen. Einmal stieß er eine Thür ein, um zu mir zu kommen. Das war damals, als ich ihn nicht heirathen wollte. Auch mit Hrn. Steiner hatte er einen heftigen Auftritt. Dabei zog er denselben Stockdegen. Ich hatte diesen drei Monate bei mir und wollte ihn nicht zurückgeben. Ich glaube, ich sagte ihm, es sei eine verbotene Waffe. Als ich in den Speisesaal trat, waren Sirey und Caumartin ungefähr zwei Schritte auseinander. Hr. de Lavillette war vor mir eingetreten, weil er Sirey’s Heftigkeit fürchtete. Der war sehr heftig. Acht oder neun Tage vor dem Ereignisse schrieb ich zum letzten Mal an Caumartin. Drei Tage früher hatte ich den letzten Brief von ihm erhalten. Seit dem 9. Nov. habe ich ihm nicht geantwortet. Er war unzufrieden über mein Engagement in Brüssel und machte mir oft Vorwürfe, daß ich Paris verlassen hätte. Er begleitete mich nach Brüssel aber wider meinen Willen. Ich traf ihn am Postwagen; er hatte schon einen Platz bestellt. Eine Wohnung für mich in Brüssel suchten wir zusammen; als ich sie gefunden, miethete er. Er bezahlte sie zwar, aber ich hatte das Geld auf den Tisch gelegt und sagte ihm, er solle es nehmen, was er aber nicht wollte. Caumartin hat mir einmal gesagt, er habe auf dem Lande einen Menschen getödtet. Bei meiner Abreise aus Paris hatte ich allerdings einige Kleinigkeiten bei Caumartin gelassen, aber den Schlüssel zu meinem Zimmer nicht. Ob der mir jetzt vorgezeigte Schlüssel mein Pariser Stubenschlüssel ist, erkenne ich nicht. Die mir jetzt vorgezeigten Briefe habe ich sämmtlich geschrieben, sie stammen aber aus früherer Zeit. Caumartin hatte bei seiner Abreise aus Paris meinen Platz auf der Post nicht bestellt. Im Gasthofe, wo ich und Caumartin abgestiegen, speiste ich mit ihm zusammen. Caumartin kam alle Abend zu mir in meine Wohnung bei Fräulein Lebrun. – Caumartin’s Vertheidiger: „Und ging den Morgen wieder weg?“ der Präident des Gerichts: „Eine solche Frage …“ Caumartin’s Vertheidiger: „Ich muß darauf bestehen, Hr. Präsident; ich habe wichtige Gründe.“ – Ich wollte mich gut von ihm trennen. Daß Sirey verheirathet sei, wußte ich nicht. Als ich in das Konzert gehen wollte, fehlte mir ein Armband; er bot mir an, bei seinem Juwelier eins zu leihen; ich habe es später gekauft. Früher hatte er mir eine Nadel geschenkt. Caumartin fuhr ganz gewiß gegen meinen Willen mit mir nach Brüssel; daß noch Jemand im Wagen war und ich gewünscht hätte, Caumartin möge seinen Eckplatz aufgeben und sich in die Mitte setzen, entsinne ich mich nicht. Früher habe ich allerdings eigenhändige Stickereien für Caumartin nach Paris geschickt.
Nachdem Fräulein Heinefetter auf Befragen des Gerichts noch einmal beschrieben hatte, wie sie Caumartin den Arm mit dem Degen zurückziehen gesehen, ward die Sitzung des ersten Tages geschlossen. Am folgenden Tage begannen die Verhandlungen mit dem Verhör der Gesellschaftsdame Kertz, „47 Jahre alt.“ Ihre Aussagen nahmen viel Zeit weg, denn sie beantwortete jede Frage mit einer ausführlichen Erzählung. Nach ihrer Angabe begann die Bekanntschaft zwischen Caumartin und Fräulein Heinefetter im Februar 1841 zu Paris. Caumartin wollte Fräulein Heinefetter heirathen, seine Mutter verweigerte ihre Einwilligung, er sprach davon, sie gerichtlich ergänzen zu lassen; Hrn. Steiner, der sich ebenfalls um Fräulein Heinefetter bewarb, veranlaßte er zum Rücktritt; Madame Kertz war ihm stets zuwider, er drohte sie zu tödten und sagte, ein Mord, den er begangen, habe seiner Familie schon einmal 10,000 Fr. gekostet; sie glaubte es jedoch selbst nicht; auch Fräulein Heinefetter suchte Caumartin zu entfernen, reiste deshalb nach Deutschland, gab ihr Engagement in Paris auf, ging nach Brüssel, und Caumartin reiste wider ihren Willen und ohne ihr Vorwissen mit; in Paris „entführte“ Caumartin Fräulein Heinefetter mehrmals der Aufsicht ihrer Gesellschaftsdame; er war in Brüssel nie bis zum Morgen bei Fräulein Heinefetter. [39] „Ich frage Hrn. Caumartin selbst“, sagte Madame Kertz. „Ich habe Ihnen nicht zu antworten,“ antwortete dieser. „Sie dürfen den Angeklagten nicht befragen“, sagte der Präsident. Am Schluß ihres Verhörs erklärte Caumartin, ihre Aussagen seien voll Irrthümer; seine Vertheidiger zwangen sie zu dem Eingeständniß, daß Fräulein Heinefetter Sirey schon kannte, als sie zuletzt an Caumartin schrieb, obwohl sie das Gegentheil versichert; auch gestand Madame Kertz ein, daß Fräulein Heinefetter Caumartin’s Ankunft erwartet habe, denn die Schauspielerin Julie, die aus Paris gekommen, habe sie angekündigt und Fräulein Heinefetter, die gerade ausziehen gewollt, sei deshalb noch einige Tage in der ihr von Caumartin gemietheten Wohnung geblieben.
Die zweite Gesellschaftsdame, Fräulein Behr, eine Deutsche, „27 Jahre alt“, sagte aus, daß Sirey sie gebeten, Fräulein Heinefetter aus dem Zimmer zu halten, weil er mit Caumartin sprechen wolle. Ein Hr. Banhoobruck erklärte: Im September reiste ich mit der Post aus Paris nach Brüssel. Im Wartezimmer sah ich eine höchst elegante Dame ankommen. Gleich darauf erschien ein junger Mann, den sie zu erwarten schien und der ihr zärtlich die Hand drückte. Im Wagen saß er neben ihr und sie schienen in so gutem Einverständniß, daß ich sie für Neuvermählte hielt. Am Grenzzollamt erfuhr ich ihre Namen. Es waren Caumartin und Fräulein Heinefetter. Der Gesellschaftsdame bewies Hr. Caumartin wenig Aufmerksamkeit, denn bei Tische reichte er mir die Schüsseln, ohne sich um sie zu bekümmern. – Die Schauspielerin, bei der Fräulein Heinefetter wohnte, Julie Kinzinger, genannt Fräulein Lebrun, erklärte, als sie Caumartin’s Ankunft von ihrer Dienerin erfahren, habe sie gleich Streit gefürchtet. Die Dienerin habe später sie und sie selbst den Hauswirth gerufen und Beide seien gerade vor Fräulein Heinefetter’s Thür angekommen, als Caumartin wegeilte, um einen Arzt zu holen. Fräulein Heinefetter habe sich dann in ihr Zimmer geflüchtet und von Caumartin gesagt: „Ich möchte ihn ermordet sehen!“ worauf Fräul. Lebrun geantwortet: „Das ist ja schrecklich! haben Sie nicht genug an dem armen Sirey!“ Madame Kertz habe gesagt, es sei ein großes Unglück, da Sirey Fräulein Heinefetter grade einen Wagen kaufen wollen und ihr noch 400,000 Fr. gegeben haben würde; es wäre besser, wenn es Caumartin getroffen. Auf die Frage, ob Caumartin während seiner ersten Anwesenheit in Brüssel bis spät des Abends bei Fräul. Heinefetter geblieben, antwortete Fräulein Lebrun: „Freilich, so daß ich, um den Schein zu retten und damit man glaube, ich wisse nicht, was in meinem Hause vorgehe, Madame Kertz fragen ließ, ob Alle weg seien und das Haus verschlossen werden könne. Ich wußte vollkommen Bescheid und that dies blos der Diener wegen; es war aber nicht nöthig, denn die wußten es eben so gut wie ich.“ – Der Hauswirth, Hr. de Merx sagte aus, daß er eine lange Unterredung mit Hrn. Caumartin gehabt, der durchaus nicht abreisen wollen, weil er Sirey nicht ermordet, sondern dieser sich selbst aufgespießt habe. Endlich habe er Caumartin durch die Bemerkung zur Abreise bestimmt, daß er dies seiner Mutter schuldig sei. Hrn. de Merx’ Hausmagd sagte aus: Am 19. November klingelte es, ich öffnete die Thür; da trat Hr. Caumartin ein und fragte nach Fräulein Heinefetter; ich sagte, es sei Niemand zu Hause, er ging hinauf, ich schloß ihm das Zimmer auf; ich wollte Fräulein Lebrun benachrichtigen, da begegnete mir auf der Treppe Madame Kertz; ich sagte es ihr und auch Fräulein Heinefetter, die an Sirey’s Arm heraufkam; sie trat einen Schritt zurück und schien sehr überrascht; gleich darauf machte ich Feuer in ihrem Schlafzimmer; da war Milord und Sirey bei den Damen; Sirey ließ die Damen in den Speisesaal gehen und sagte ihnen, sie möchten dort nur ruhig sein; er blieb mit Milord allein und sagte zu diesem, er müsse ihm helfen, wenn es nöthig werde; Milord antwortete: „Man muß die Scheiben nicht einschlagen!“ worauf Sirey sagte: „Ich will sie nicht einmal springen machen!“ Zum Schluß wurde noch eine Anzahl von Kellnern, Kutschern und andern Personen vernommen, die zum Theil Caumartin an der Stirne verwundet und hinken gesehen.
Am dritten Tage begannen die Verhandlungen mit dem Verhör des 24jährigen Steiner aus Paris. Dieser erzählte: Als ich eines Abends von Fräulein Heinefetter nach Hause ging, traf ich Caumartin. Er bat mich um eine Unterredung und sagte mir, er bewerbe sich um Fräulein Heinefetter, diese liebe ihn und er ersuche mich, meine Besuche bei ihr einzustellen. Ich antwortete, wenn es so stehe, verspreche ich ihm dies. Wir blieben bis 2 Uhr Morgens beisammen und drückten uns beim Abschiede freundlich die Hand. Als ich nach Hause kam, fand ich einen Brief von Madame Kertz, worin diese mir mittheilte, Caumartin führe beleidigende Reden über mich und erwarte mich am folgenden Tage um 4 Uhr bei Fräulein Heinefetter. Wir trafen uns wirklich dort, gingen lebhaft auf einander zu, es entstand ein Wortwechsel und es gab selbst Thätlichkeiten, aber von Dolch und Degen war nicht die Rede. Madame Kertz reizte offenbar Caumartin gegen mich und mich gegen Caumartin auf. Ein anderer Herr, der auch zugegen war, sagte: „Das ist eine Infamie! Es ist ein Hinterhalt, in den Sie alle Beide gelockt sind!“ Caumartin äußerte: „Es ist Schmutz und man will Blut hinein mischen!“ Am Abend kam Madame Kertz mit dem Degen zu meinem Vater und forderte ihn auf, Caumartin zu verklagen. Mein Vater sagte, in dergleichen mische er sich nicht. Mir sagte Madame Kertz, wenn ich Caumartin verklage, wolle sie gegen ihn aussagen und auch Fräulein Heinefetter sei sehr bereit dazu. Ich antwortete ihr, Caumartin habe sich wie ein Ehrenmann benommen und ich denke nicht daran, ihn zu verklagen. Fräulein Behr sagte mir, Fräulein Heinefetter sei ein herzloses Geschöpf und verdiene nicht mit einem rechtschaffenen Manne in Verbindung zu stehen. Steiner übergab dem Gericht einen deutschen Brief, in welchem Madame Kertz ihm ankündigte, daß Caumartin beleidigende Reden über ihn führte und ihn um 4 Uhr Nachmittags zu Fräulein Heinefetter bestellte. Caumartin erklärte, ihm habe Fräulein Behr einen gleichlautenden französischen Brief gegen Steiner geschrieben. „Der Auftritt in Paris, sagte er, war ein Vorspiel des Auftritts in Brüssel. Man reizte Hrn. Steiner gegen mich, wie später den unglücklichen Sirey. Auch in Paris standen die Damen erst dabei und als sie uns in Streit gebracht, eilten sie fort, wie in Brüssel.“ Madame Kertz wurde mit Steiner confrontirt und überführt, daß sie früher mit Unwahrheit ausgesagt hatte, Caumartin habe einen Stockdegen gegen Steiner gezogen und diesen verwundet. Darüber sagte Caumartin: „Der Gerichtshof und die Herren Geschwornen haben vielleicht bemerkt, daß ich mich enthielt, irgend eine Frage oder Bemerkung an Fräulein Heinefetter zu richten, als diese verhört wurde. Ich befinde mich in einer zarten, verlegenen Stellung. Ich spreche mit aller möglichen Zurückhaltung, aber habe mich gegen eine Anklage zu vertheidigen. So viel will ich sagen: mein Stockdegen stand bei Fräulein Heinefetter, weil ich spät da war und ihre Wohnung ganz einsam lag.“ Der Advokat Chair d’Estange fügte hinzu: die Straße Labruyère, wo Fräulein Heinefetter in Paris wohnte, ist öde und noch nicht ganz bebaut.“ Der Arzt, den Caumartin in der Nacht holte, sagte aus, daß dieser geäußert: „Es ist ein gräßliches Unglück! Zwei achtbare Familien werden eines elenden Weibes wegen zur Verzweiflung gebracht.“ Drei Gerichtsärzte, welche Sirey’s Obduction vorgenommen, erklärten übereinstimmend, daß die Wunde nach ihrer Lage, und ihrer zerrissenen Ränder wegen durch Aufspießen, nicht durch einen Stich verursacht scheine. Ein Arzt aus Paris, der Caumartin nach der Rückkehr behandelt, bestätigt dessen Verwundung an der Stirne, sowie auch, daß er eine Art Messerstich am Schenkel gehabt habe. Nachdem dann auch Fräulein Behr mit Steiner confrontirt und verschiedener Widersprüche überführt war, wurden selbst die Untersuchungsbeamten über frühere jetzt in Abrede gestellte Angaben der Damen vernommen. Dann begann das Verhör der Entlastungszeugen, auf deren Vernehmung die Vertheidiger jedoch größtentheils verzichteten, weil, wie der Advokat Chair d’Estange sagte, die Belastungszeugen selbst schon Entlastungszeugen gewesen seien. Ein Arzt aus Rotterdam bestätigte ebenfalls Caumartin’s Verwundung am Schenkel. Ein Notar aus Paris sagte aus, daß er kurz vor dem Unfall einen Ehevertrag zwischen Caumartin und einer Dame entworfen habe, daß der Vater dieser Dame auch jetzt noch geneigt scheine, die beabsichtigte Heirath zu genehmigen, daß Caumartin einen äußerst sanften Charakter habe und Aehnliches. Dagegen erklärte ein Friseur, daß Sirey ihn schlagen wollen, weil er eine Schauspielerin de Roissy getadelt; der Direktor des Hospitalwesens, daß Sirey ihm eine Ohrfeige, wofür er zu 100 Fr. Strafe verurtheilt worden sei, gegeben habe, weil er beim Herausgehen aus dem Theater im Gespräch mit einem Freunde dieselbe de Roissy getadelt und Sirey dies zufällig gehört habe; der Theaterdirektor mehre Auftritte ähnlicher Art; ein Schriftsteller Siret, daß Sirey mit Extrapost nach Brüssel gekommen, in der Nacht zu ihm eingedrungen und ihn mit einer Pistole bedroht, weil
man ihm geschrieben hatte, die Schauspielerin de Roissy lebe bei ihm; die Hauswirthin dieser Schauspielerin, daß Sirey sie einmal erdrosseln gewollt und ein Arzt, daß er ihr Wunden geheilt hab, die Sirey ihr durch Fußtritte und Stockschläge beigebracht hatte; ein Schneider, daß Sirey ihn, statt zu bezahlen, mit einer Pistole bedroht; ein Leinwandhändler, daß Sirey ihn, statt zu bezahlen, wirklich geschlagen habe und dafür zu 100 Fr. Strafe, er selbst aber, weil er ihn Schwindler genannt, zu 25. Fr. Strafe verurtheilt worden; ein französischer Beamter, daß Sirey sich in Angouleme im Wirthshause mit einem Koch geschlagen, weil dieser ihm nicht rasch genug Bouillon brachte; und noch ein halb Dutzend Zeugen, daß sie ähnliche Auftritte erlebt oder mit angesehen hätten und daß bei den Arbeitern in einer Maschinenbauanstalt, bei der Sirey betheiligt gewesen, der Ausdruck „Wuth à la Sirey“ sprichwörtlich gewesen sei. Auch pflegte Sirey sich zu rühmen, daß er bereits 4 Offiziere im Duell getödtet habe. Baron de Lafontaine aus Lüttich und Baron de Favereau aus Grandham sagten aus, daß sie Caumartin auf der Reise in Italien kennen gelernt, den Stockdegen dort bei ihm gesehen, ihn höchst sanft und liebenswürdig gefunden und seine Freunde geworden seien. Der Nachweis, daß Sirey an einer Krankheit gelitten, welche sein Blut so reizbar gemacht, wurde auf den Antrag seiner Familie, die, wie ihr Anwalt sagte, blos deshalb mit Entschädigungsansprüchen aufgetreten sei, um Sirey’s Andenken gegen diese Bloßstellung zu schützen, vom Gericht nicht zugelassen. Hiermit endete der dritte Tag.
Am vierten Tage sollten Ankläger und Vertheidiger ihre Reden beginnen. Es erschien aber Fräulein Lebrun und bat um eine Confrontation mit Fräulein Heinefetter, weil diese in einem durch die Journale veröffentlichten Schreiben ihrer eidlichen Aussage widersprochen habe. Der Präsident des Gerichts erklärte die Confrontation für unnöthig, denn es liege nicht der mindeste Grund vor, ihre Aussage in Zweifel zu ziehen, und wenn Fräulein Heinefetter wirklich etwas dagegen einzuwenden gehabt, so hätte sie dies vor Gericht thun müssen. Dann nahm der Generaladvokat das Wort und begann mit der Bemerkung, daß sehr viele Mordthaten unter ähnlichen Verhältnissen und aus ganz gleichen Beweggründen stattfänden, weshalb auch Caumartin’s That um so weniger ungestraft bleiben dürfe, da seine Bildung und Lebensstellung die Begehung
eines solchen Verbrechens nur noch tadelnswerther mache. „Der Proceß, erklärte er, hat ein scheußliches Gemälde von Unmoralität enthüllt. Ich vermag keine Worte zu finden, die hart genug sind, um Fräul. Heinefetter’s Sittenlosigkeit und Habsucht gebührend zu bezeichnen. Auch will ich nicht weiter auf das Gewerbe der Gesellschaftsdame Kertz eingehen, denn diese treibt ein Gewerbe. Ebensowenig vermag ich die Schliche, die abscheulichen Kunstgriffe nach Verdienst zu würdigen, mit denen die Gesellschaftsdame Behr in Paris zwei junge Leute gegen einander aufzuregen und in Streit zu verwickeln suchte. Die Aussagen des Fräuleins Heinefetter und ihrer Gesellschaftsdamen waren lügenhaft.“ Aber auch Caumartin’s Betragen tadelte der Generaladvokat, und suchte dann die Behauptung, daß Sirey sich selbst aufgespießt habe, als unwahrscheinlich und die Meinungen der Aerzte als irrthümlich darzustellen, worauf der zum Schluß auf Caumartin’s Verurtheilung antrug. Da der Generaladvokat aus dem Schreiben, das Fräulein Heinefetter am 9. Nov. von Caumartin erhalten zu haben behauptet, darzuthun versucht hatte, daß Caumartin mit Verdruß und Eifersucht im Herzen nach Brüssel gekommen sei, so bewies der Advokat Chair d’Estange, der zur Vertheidigung Caumartin’s nach ihm das Wort erhielt, durch Vorlesung der beiden angeblichen letzten Briefe, welche Caumartin mit Fräulein Heinefetter gewechselt haben sollte, daß eine Vertauschung stattgefunden haben müsse, weil Fräulein Heinefetter unterm 5. November einen langen Brief voll von Zärtlichkeiten, Rückerinnerungen und Hoffnungen an Caumartin geschrieben habe, auf den dieser unmöglich unterm 9. November geantwortet haben könne, als ob er einen Absagebrief erhalten hätte.
Der Vertheidiger wies ferner auf Sirey’s Heftigkeit hin und warf die Frage auf, ob es wahrscheinlicher sei, daß Jemand, den ein zweijähriger Besitz abgekühlt, oder ein neuer Liebhaber von Eifersucht hingerissen werde. Caumartin habe sich im Zustande der Nothwehr befunden und hätte den wüthend auf ihn eindringenden, ihn mit einem Messer verwundenden Sirey straflos niederstechen dürfen. Dies sei aber nicht geschehen, sondern Sirey habe sich selbst aufgespießt: eine Strafe des Himmels für einen Mann, der früher auf eine abscheuliche Weise seinen Neffen im Duell getödtet, aber damals frei ausgegangen sei. Diesen eindringlichen Gedanken und die Erinnerung an Sirey’s verlassene Frau und Kinder benutzte der Vertheidiger zu einem so rührenden Schluß, daß ein großer Theil der Zuhörer in Thränen zerfloß.
Am Abend desselben Tages fand eine zweite Sitzung des Gerichts statt. Der Generaladvokat wiederholte seinen Antrag auf Verurtheilung, die Sachwalter für Sirey’s Familie trugen auf Caumartin’s Verurtheilung in die Prozeßkosten an, welche sie als Schadenersatz annehmen zu wollen erklärten. Caumartin’s Advokat aus Brüssel schilderte die Milde und Ruhe des Angeklagten. Endlich legte das Gericht den Geschwornen die beiden Fragen vor, ob Caumartin schuldig sei, in der Nacht vom 19. zum 20. Nov. v. J. Aimé Sirey eine Wunde beigebracht zu haben, an der dieser gestorben, und ob er durch Schläge und schwere Beleidigungen dazu gereizt worden. Nach einer viertelstündigen Berathung erklärten die Geschwornen den Angeklagten einstimmig für nichtschuldig, worauf das Gericht ihn freisprach, aber zur Bezahlung aller Prozeßkosten verurtheilte.
Nach der Freisprechung Caumartin’s wurde demselben ein Brief eingehändigt, der an den „Meuchelmörder Caumartin“ adressirt war und ihm ankündigte, man werde ihn in Paris ermorden. Fräulein Heinefetter hat zwar nach diesen Enthüllungen nicht gewagt, in Brüssel wieder auf der Bühne zu erscheinen, wol aber mehre Versuche gemacht, durch Briefe, welche sie in den Journalen einrücken ließ, die öffentliche Meinung zu ihren Gunsten umzustimmen.