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Illustrirte Zeitung, Nr. 3 vom 15. Juli 1843


Ansicht des Speisezimmers, worin Sirey getödtet wurde.

man ihm geschrieben hatte, die Schauspielerin de Roissy lebe bei ihm; die Hauswirthin dieser Schauspielerin, daß Sirey sie einmal erdrosseln gewollt und ein Arzt, daß er ihr Wunden geheilt hab, die Sirey ihr durch Fußtritte und Stockschläge beigebracht hatte; ein Schneider, daß Sirey ihn, statt zu bezahlen, mit einer Pistole bedroht; ein Leinwandhändler, daß Sirey ihn, statt zu bezahlen, wirklich geschlagen habe und dafür zu 100 Fr. Strafe, er selbst aber, weil er ihn Schwindler genannt, zu 25. Fr. Strafe verurtheilt worden; ein französischer Beamter, daß Sirey sich in Angouleme im Wirthshause mit einem Koch geschlagen, weil dieser ihm nicht rasch genug Bouillon brachte; und noch ein halb Dutzend Zeugen, daß sie ähnliche Auftritte erlebt oder mit angesehen hätten und daß bei den Arbeitern in einer Maschinenbauanstalt, bei der Sirey betheiligt gewesen, der Ausdruck „Wuth à la Sirey“ sprichwörtlich gewesen sei. Auch pflegte Sirey sich zu rühmen, daß er bereits 4 Offiziere im Duell getödtet habe. Baron de Lafontaine aus Lüttich und Baron de Favereau aus Grandham sagten aus, daß sie Caumartin auf der Reise in Italien kennen gelernt, den Stockdegen dort bei ihm gesehen, ihn höchst sanft und liebenswürdig gefunden und seine Freunde geworden seien. Der Nachweis, daß Sirey an einer Krankheit gelitten, welche sein Blut so reizbar gemacht, wurde auf den Antrag seiner Familie, die, wie ihr Anwalt sagte, blos deshalb mit Entschädigungsansprüchen aufgetreten sei, um Sirey’s Andenken gegen diese Bloßstellung zu schützen, vom Gericht nicht zugelassen. Hiermit endete der dritte Tag.

Am vierten Tage sollten Ankläger und Vertheidiger ihre Reden beginnen. Es erschien aber Fräulein Lebrun und bat um eine Confrontation mit Fräulein Heinefetter, weil diese in einem durch die Journale veröffentlichten Schreiben ihrer eidlichen Aussage widersprochen habe. Der Präsident des Gerichts erklärte die Confrontation für unnöthig, denn es liege nicht der mindeste Grund vor, ihre Aussage in Zweifel zu ziehen, und wenn Fräulein Heinefetter wirklich etwas dagegen einzuwenden gehabt, so hätte sie dies vor Gericht thun müssen. Dann nahm der Generaladvokat das Wort und begann mit der Bemerkung, daß sehr viele Mordthaten unter ähnlichen Verhältnissen und aus ganz gleichen Beweggründen stattfänden, weshalb auch Caumartin’s That um so weniger ungestraft bleiben dürfe, da seine Bildung und Lebensstellung die Begehung

Sitzungssaal des Assisengerichts in Brüssel.

eines solchen Verbrechens nur noch tadelnswerther mache. „Der Proceß, erklärte er, hat ein scheußliches Gemälde von Unmoralität enthüllt. Ich vermag keine Worte zu finden, die hart genug sind, um Fräul. Heinefetter’s Sittenlosigkeit und Habsucht gebührend zu bezeichnen. Auch will ich nicht weiter auf das Gewerbe der Gesellschaftsdame Kertz eingehen, denn diese treibt ein Gewerbe. Ebensowenig vermag ich die Schliche, die abscheulichen Kunstgriffe nach Verdienst zu würdigen, mit denen die Gesellschaftsdame Behr in Paris zwei junge Leute gegen einander aufzuregen und in Streit zu verwickeln suchte. Die Aussagen des Fräuleins Heinefetter und ihrer Gesellschaftsdamen waren lügenhaft.“ Aber auch Caumartin’s Betragen tadelte der Generaladvokat, und suchte dann die Behauptung, daß Sirey sich selbst aufgespießt habe, als unwahrscheinlich und die Meinungen der Aerzte als irrthümlich darzustellen, worauf der zum Schluß auf Caumartin’s Verurtheilung antrug. Da der Generaladvokat aus dem Schreiben, das Fräulein Heinefetter am 9. Nov. von Caumartin erhalten zu haben behauptet, darzuthun versucht hatte, daß Caumartin mit Verdruß und Eifersucht im Herzen nach Brüssel gekommen sei, so bewies der Advokat Chair d’Estange, der zur Vertheidigung Caumartin’s nach ihm das Wort erhielt, durch Vorlesung der beiden angeblichen letzten Briefe, welche Caumartin mit Fräulein Heinefetter gewechselt haben sollte, daß eine Vertauschung stattgefunden haben müsse, weil Fräulein Heinefetter unterm 5. November einen langen Brief voll von Zärtlichkeiten, Rückerinnerungen und Hoffnungen an Caumartin geschrieben habe, auf den dieser unmöglich unterm 9. November geantwortet haben könne, als ob er einen Absagebrief erhalten hätte.

Der Vertheidiger wies ferner auf Sirey’s Heftigkeit hin und warf die Frage auf, ob es wahrscheinlicher sei, daß Jemand, den ein zweijähriger Besitz abgekühlt, oder ein neuer Liebhaber von Eifersucht hingerissen werde. Caumartin habe sich im Zustande der Nothwehr befunden und hätte den wüthend auf ihn eindringenden, ihn mit einem Messer verwundenden Sirey straflos niederstechen dürfen. Dies sei aber nicht geschehen, sondern Sirey habe sich selbst aufgespießt: eine Strafe des Himmels für einen Mann, der früher auf eine abscheuliche Weise seinen Neffen im Duell getödtet, aber damals frei ausgegangen sei. Diesen eindringlichen Gedanken und die Erinnerung an Sirey’s verlassene Frau und Kinder benutzte der Vertheidiger zu einem so rührenden Schluß, daß ein großer Theil der Zuhörer in Thränen zerfloß.

Am Abend desselben Tages fand eine zweite Sitzung des Gerichts statt. Der Generaladvokat wiederholte seinen Antrag auf Verurtheilung, die Sachwalter für Sirey’s Familie trugen auf Caumartin’s Verurtheilung in die Prozeßkosten an, welche sie als Schadenersatz annehmen zu wollen erklärten. Caumartin’s Advokat aus Brüssel schilderte die Milde und Ruhe des Angeklagten. Endlich legte das Gericht den Geschwornen die beiden Fragen vor, ob Caumartin schuldig sei, in der Nacht vom 19. zum 20. Nov. v. J. Aimé Sirey eine Wunde beigebracht zu haben, an der dieser gestorben, und ob er durch Schläge und schwere Beleidigungen dazu gereizt worden. Nach einer viertelstündigen Berathung erklärten die Geschwornen den Angeklagten einstimmig für nichtschuldig, worauf das Gericht ihn freisprach, aber zur Bezahlung aller Prozeßkosten verurtheilte.

Nach der Freisprechung Caumartin’s wurde demselben ein Brief eingehändigt, der an den „Meuchelmörder Caumartin“ adressirt war und ihm ankündigte, man werde ihn in Paris ermorden. Fräulein Heinefetter hat zwar nach diesen Enthüllungen nicht gewagt, in Brüssel wieder auf der Bühne zu erscheinen, wol aber mehre Versuche gemacht, durch Briefe, welche sie in den Journalen einrücken ließ, die öffentliche Meinung zu ihren Gunsten umzustimmen.

66.

Briefwechsel mit Allen für Alle.

Herr MR. Dr. F. in J. wird dringend ersucht, die versprochenen Illustrationen umgehend einzusenden.

Dem unbekannten O.  Unsere erste Nummer soll und kann keine Probenummer sein, denn wo Alles erst einzurichten war, kann nur ein Anfang vorliegen; aber wir dürfen nicht wünschen, darnach beurtheilt zu werden. Das Bild der Herzogin von Orleans ist gewiß nicht zu alt, allein der Gram und so tiefer Gram geht nicht spurlos vorüber.

An Herrn N. in G.  Ob wir Gedichte aufnehmen, welche nicht einer Erzählung einverleibt worden sind, wissen wir noch nicht.

X. Y. Z.  Ueber die Wahl der Vignette nächstens mehr in einem besondern Artikel.

Frau v. B.  Die gewünschten Portraits werden gegeben werden, sobald wir uns dieselben verschaffen können.


Empfohlene Zitierweise:
: Illustrirte Zeitung, Nr. 3 vom 15. Juli 1843. J. J. Weber, Leipzig 1843, Seite 40. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Illustrirte_Zeitung_1843_03.pdf/8&oldid=- (Version vom 16.9.2022)