Seite:Illustrirte Zeitung 1843 03.pdf/6

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Illustrirte Zeitung, Nr. 3 vom 15. Juli 1843

verfaßte Anklageschrift vorlesen. Ihre Angaben sind den bei der Voruntersuchung zu Protokoll gegebenen Aussagen der Zeugen entnommen, die von diesen jetzt mündlich wiederholt werden müssen. Nachdem die Vorlesung dieses Actenstücks beendigt, traten Sirey’s Vater und Sirey’s Witwe mit Entschädigungsansprüchen auf. Dann begannen die eigentlichen Verhandlungen mit dem Verhör des Angeklagten. Dieser sagte aus: Ich habe Fräulein Heinefetter vor ungefähr 2 Jahren in Paris kennen gelernt, eine Reise nach Deutschland mit ihr gemacht, sie nach Brüssel begleitet, mich thatsächlich von ihr getrennt, aber nicht mit ihr gebrochen, in ihrem Namen ihre Wohnung gemiethet, 7–8 Tage in Brüssel gelebt, Briefe mit ihr gewechselt, ihr am 9. November zum letzten Male geschrieben. Ich wollte mich verheirathen, die Einleitungsverträge waren am 17. November zu Paris abgeschlossen worden, darauf kam ich nach Brüssel, um mich ehrenhaft von Fräulein Heinefetter zu trennen, meine Briefe von ihr zurückzufordern und ihr die ihrigen nebst verschiedenen Sachen, die sie mir anvertraut hatte und die ich mit Anstand nicht länger behalten konnte, zurückzugeben. Des Briefaustausches wegen kam ich persönlich; die Sachen bestanden aus Silberzeug, Pretiosen und einem Schlüssel. Um 8 Uhr Abends traf ich in Brüssel ein, sah auf einem Anschlagzettel, daß Fräulein Heinefetter in einem Konzert singe, ließ mich vom Gasthof aus, wo ich abgestiegen war, dorthin fahren. Als ich ankam, wurde die letzte Pièce gesungen. Ich ließ Fräul. Heinefetter sagen, es warte ein Wagen für sie. Als ich sie jedoch in Begleitung eines Herrn kommen sah, den ich für den Schauspieler Laborde hielt (es war Sirey), verließ ich den Wagen, weil ich sie allein wiederzusehen wünschte. Ich nahm einen andern Wagen und ließ den Kutscher vorfahren, damit ich früher in Fräulein Heinefetter’s Wohnung ankomme, weil ich dachte, ihr Begleiter würde sie an ihre Thür bringen und dann verlassen. In ihrem Zimmer fand ich eine Tafel mit 8 Gedecken, konnte aber nicht mehr umkehren, weil die Gesellschaft mir auf dem Fuße folgte; Fräulein Heinefetter lud mich ein, mit zu essen, ich lehnte es ab, setzte mich an den Ofen und plauderte während des Essens mit der Schauspielerin Julie. Gegen Mitternacht gingen Fräulein Julie und zwei Herren weg, auch ich wollte aufbrechen, war gerade bereit und zog eben meine Handschuhe an, da stieß Sirey seinen von Hrn. Milord ihm dargereichten Hut mit den Worten: „Nein, das muß zu Ende gebracht werden!“ zurück, kam auf mich zu, stellte sich vor mich hin und sagte: „Sie sind hier überflüssig; das müssen Sie doch sehen; gehen Sie!“ Ich antwortete ihm: „Mein Herr, Sie wissen mehr als ich; ich weiß nicht einmal Ihren Namen!“ Er entgegnete: „Ich bin der Graf Sirey und bin Edelmann!“ „Wenn Sie Edelmann sind, sagte ich, so müssen Sie einsehen, daß hier nicht der Ort zu Erklärungen ist.“ Jetzt trat Hr. Milord zu Sirey und sagte: „Caumartin hat Recht! Laß uns fragen, wo er wohnt und morgen zu ihm gehen.“ Sirey antwortete rauh: „Du weißt nicht, was du sprichst!“ trat dicht vor mich hin, rief: „Sie sind ein Gassenbube!“ faßte meinen Rockkragen, schüttelte ihn und machte dabei beleidigende Bewegungen vor meiner Nase. Da verließ mich die Geduld und ich gab ihm eine Ohrfeige. Er trat zwei Schritte zurück, begann mich mit seinem Stock zu schlagen und rief: „Ah so, warte: das sollst Du sehen!“ Ich ging auf ihn zu, um ihn zu fassen, er trat weiter zurück und fuhr fort zu schlagen. Da sprang Hr. Milord zwischen uns und ich sagte zu Sirey: „Wie kann ein Edelmann sich so betragen; sehen Sie einmal wie Sie mich geschlagen haben; ich habe die Wahl der Waffen, denke ich; morgen denn, um 8 Uhr, Degen!“ Fräulein Heinefetter war von dem Lärm herbeigezogen, fiel aber an der Thür in Ohnmacht und wurde wieder in ihr Zimmer gebracht. Sirey folgte ihr dahin. Ich nahm meinen Hut, Stock und Ueberrock und rüstete mich zum Weggehen; da ich äußerst aufgeregt und sehr leidend war, sah ich aus dem Fenster, ob der Wagen, mit dem ich gekommen und den ich hatte warten lassen, noch da sei. Später erfuhr ich, daß die Bedienung ihn weggeschickt hatte. In demselben Augenblick kam Sirey wieder herein, eilte wüthend auf mich zu, nahm im Vorbeigehen ein Messer vom Tisch, kam mir näher und sagte: „Schlagen wir uns gleich!“ stach mich in die Lende, rief mit einem Fluch: „Wenn Du nicht aus der Thür gehst, werfe ich Dich zum Fenster hinaus!“ und drang immer näher auf mich ein. Ich hatte einen Stock in der Hand, den ich vor 3 Jahren bei meiner Abreise nach Italien gekauft, und hob diesen auf, um mich zu vertheidigen. Sirey griff nach dem Stock, riß die Scheide ab, und da er mich jetzt entwaffnet glaubte, stürzte er blindlings auf mich los. In diesem Augenblick verwundete ihn der Degen; ich sah es an seiner Bewegung. Sie können sich meine Aufregung denken, als ich Blut über seine weiße Weste rinnen sah! Ich rief um Hülfe, verlangte einen Arzt, und als die Damen eintraten, sagte ich ihnen: „ich habe ihn nicht getödtet; er hat sich auf mich gestürzt!“ Da man keinen Arzt holte, lief ich in meine Wohnung und bat den Wirth, mir den besten Arzt in der Stadt nachzuweisen. Man nannte mir Hn. Allard; ich eilte nach seinem Hause und riß an der Klingel. Endlich erschien er; ich schob ihn in den Wagen und ließ uns zu Fräulein Heinefetter fahren. Als wir ins Haus traten, rief der Eigenthümer mir zu: „Er ist todt! Machen Sie, daß Sie fort kommen!“ „Nein, antwortete ich, ich will mich nicht entfernen, ich würde sonst für einen Meuchelmörder gelten, ich werde mich zum Justizminister begeben.“ Ich stieg wieder in den Wagen und befahl dem Kutscher, mich dahin zu fahren; unterwegs in einer steilen Straße hielt er an; auf meine Frage, weshalb? antwortete er: „Es ist zu spät; man würde uns beim Minister nicht aufmachen!“ Da fiel mir ein, daß Sirey Franzose sei, wie ich und daß die Sache also in Frankreich zur Untersuchung kommen werde. Nun entschloß ich mich, zur Beruhigung meiner Familie nach Paris zu eilen, kehrte in meinen Gasthof zurück, holte meinen Koffer und sagte dem Kutscher: „Nach Mons!“ Nachdem wir einige Stunden gefahren waren, hielten wir in einer kleinen Stadt an, ein Gendarme zeigte uns die Post; als ich Pferde nach Frankreich verlangte, antwortete man mir: „Sie kommen ja aus der Richtung her!“ „Aber ich will nach Frankreich!“ sagte ich. „Da gehen Sie nach Antwerpen, dort finden Sie ein Dampfschiff!“ war die Antwort. Ich reiste hin, allein es war kein Dampfschiff da; nun setzte ich meine Fahrt nach Breda fort, da ich in Rotterdam ein Dampfschiff finden sollte. Als ich in Rotterdam ankam, war ich sehr leidend; der Gastwirth rief einen Arzt und mir wurde zur Ader gelassen; in der folgenden Nacht ging ich mit einem Dampfschiff nach Havre und von dort nach Paris ab. Mein erster Gedanke war, mich in Haft zu begeben. Ich ließ zwei Aerzte rufen, um meinen Zustand zu constatiren und schrieb an den Staatsanwalt. Dieser antwortete mir, er wisse von dem Vorfall nichts. Da schlug mein Freund Plouqoulm mir vor, mit mir nach Belgien zu gehen. Wir reisten ab. Als wir in Valenciennes ankamen, sagte Plougoulm: „Ich werde voraus reisen, um mich nach den Untersuchungsfristen zu erkundigen!“ Er kam wieder und rieth mir, noch auf eine Zeitlang zu meiner Familie nach Paris zurückzukehren. Dies that ich, stellte mich aber sogleich nach erhaltener Ladung dem belgischen Gerichte.

Nach dem Angeklagten wurde zunächst Sirey’s Freund und Begleiter, Milord de la Vilette, Sohn eines Gerichtsdieners, Milord, vernommen. Er hat sich, wie es in Frankreich jetzt so oft geschieht, durch einen Ortsnamen den Anschein eines Edelmannes gegeben. Seine Aussage lautete im Wesentlichen: Fräul. Heinefetter’s Gesellschaftsdame Kertz sagte mir: „Das ist Caumartin.“ Da nahm ich Sirey bei Seite und ermahnte ihn zur Vorsicht. Ich hörte Sirey zur Kertz sagen: „Meine gute Madame, ich bitte, sorgen Sie dafür, daß er bei Tisch nicht neben ihr zu sitzen kommt.“ Fräulein Heinefetter hörte dies, ging zu ihm und drückte ihm die Hand. Das Soupé dauerte zwei Stunden. Als Fräulein Heinefetter an der Thür in Ohnmacht fiel, brachte ich sie auf ihr Bett zurück. Sirey folgte mir und nachdem er einige Worte mit Fräulein Heinefetter gewechselt hatte, kehrte er allein in den Speisesaal zurück. Sobald ich seine Abwesenheit bemerkte, folgte ich ihm. Ich sah ihn mit Heftigkeit nach dem Ende des Saals hinstürzen, wo Caumartin auf und ab ging. Er sagte zu ihm: „Wenn Sie nicht gehen, werfe ich Sie zum Fenster hinaus!“ In demselben Augenblick drehte Sirey sich nach mir um und rief: „Er hat mich mit einem Dolchstich getödtet!“ Ich hatte nichts gesehen und glaubte es nicht, deshalb fügte er hinzu: „Da ist der Dolch!“ und zeigte auf den Stockdegen, den der Angeklagte in der Hand hatte. Ich hatte den Degen nicht ziehen sehen, allein als ich mit Fräulein Heinefetter hinausging, sah ich Caumartin ans Sopha treten und hörte eine Art Eisengeräusch. Ich dachte, da sei der Degen gezogen worden. Ich erkläre, daß ich nicht gesehen, wie die Verwundung stattgefunden hat. Ich erkläre, daß ich Caumartin weder mit dem Körper, noch mit dem Arm eine Bewegung machen sah und als ich in sein Gesicht blickte, sprach sich die größte Bestürzung darin aus. Ich glaube an ein Aufspießen. Ich erinnere mich, daß der Angeklagte während des Essens mit Fräulein Julie plauderte und mehre Fragen über Tagesereignisse in Paris beantwortete.

Fräulein Heinefetter, „22 Jahre alt“, kam jetzt zum Verhör. Sie sprach sehr leise und antwortete meistens mit Ja und Nein. Die ersten Vorgänge des Abends erzählte sie wie Caumartin. Nachdem sie von ihrer Ohnmacht gesprochen hatte, fuhr sie fort: Als ich wieder zu mir gekommen war, hörte ich Sirey zur Madame Kertz sagen, es habe eine Ohrfeige stattgefunden. Ich fragte, wer die Ohrfeige gegeben. Sirey antwortete, „das that ich.“ Ich fürchtete, es möchte ein Duell stattfinden. Sirey sagte: „Er wird nicht wagen, sich zu schlagen. Es ist eine Memme!“ Da ich gleich, nachdem Sirey hinausgegangen war, neues Geräusch vernahm, trat ich wieder in den Speisesaal und hörte Sirey sagen: „Er hat mich getödtet.“ Caumartin hatte den Arm ausgestreckt und einen Degen in der Hand. Ich fürchtete Caumartin, weil er sehr heftig war. In Paris wollte er mich einmal erwürgen, weil ich davon sprach, Hrn. Steiner zu heirathen. Er sagte zwar nichts vom Erwürgen, aber er legte die Hand an seinen Hals. Caumartin wollte mich heirathen und hielt bei meiner Mutter um meine Hand an. Als er sah, daß nichts daraus werden könne, versprach er meiner Mutter, nicht wieder zu mir zu kommen. Einmal stieß er eine Thür ein, um zu mir zu kommen. Das war damals, als ich ihn nicht heirathen wollte. Auch mit Hrn. Steiner hatte er einen heftigen Auftritt. Dabei zog er denselben Stockdegen. Ich hatte diesen drei Monate bei mir und wollte ihn nicht zurückgeben. Ich glaube, ich sagte ihm, es sei eine verbotene Waffe. Als ich in den Speisesaal trat, waren Sirey und Caumartin ungefähr zwei Schritte auseinander. Hr. de Lavillette war vor mir eingetreten, weil er Sirey’s Heftigkeit fürchtete. Der war sehr heftig. Acht oder neun Tage vor dem Ereignisse schrieb ich zum letzten Mal an Caumartin. Drei Tage früher hatte ich den letzten Brief von ihm erhalten. Seit dem 9. Nov. habe ich ihm nicht geantwortet. Er war unzufrieden über mein Engagement in Brüssel und machte mir oft Vorwürfe, daß ich Paris verlassen hätte. Er begleitete mich nach Brüssel aber wider meinen Willen. Ich traf ihn am Postwagen; er hatte schon einen Platz bestellt. Eine Wohnung für mich in Brüssel suchten wir zusammen; als ich sie gefunden, miethete er. Er bezahlte sie zwar, aber ich hatte das Geld auf den Tisch gelegt und sagte ihm, er solle es nehmen, was er aber nicht wollte. Caumartin hat mir einmal gesagt, er habe auf dem Lande einen Menschen getödtet. Bei meiner Abreise aus Paris hatte ich allerdings einige Kleinigkeiten bei Caumartin gelassen, aber den Schlüssel zu meinem Zimmer nicht. Ob der mir jetzt vorgezeigte Schlüssel mein Pariser Stubenschlüssel ist, erkenne ich nicht. Die mir jetzt vorgezeigten Briefe habe ich sämmtlich geschrieben, sie stammen aber aus früherer Zeit. Caumartin hatte bei seiner Abreise aus Paris meinen Platz auf der Post nicht bestellt. Im Gasthofe, wo ich und Caumartin abgestiegen, speiste ich mit ihm zusammen. Caumartin kam alle Abend zu mir in meine Wohnung bei Fräulein Lebrun. – Caumartin’s Vertheidiger: „Und ging den Morgen wieder weg?“ der Präident des Gerichts: „Eine solche Frage …“ Caumartin’s Vertheidiger: „Ich muß darauf bestehen, Hr. Präsident; ich habe wichtige Gründe.“ – Ich wollte mich gut von ihm trennen. Daß Sirey verheirathet sei, wußte ich nicht. Als ich in das Konzert gehen wollte, fehlte mir ein Armband; er bot mir an, bei seinem Juwelier eins zu leihen; ich habe es später gekauft. Früher hatte er mir eine Nadel geschenkt. Caumartin fuhr ganz gewiß gegen meinen Willen mit mir nach Brüssel; daß noch Jemand im Wagen war und ich gewünscht hätte, Caumartin möge seinen Eckplatz aufgeben und sich in die Mitte setzen, entsinne ich mich nicht. Früher habe ich allerdings eigenhändige Stickereien für Caumartin nach Paris geschickt.

Nachdem Fräulein Heinefetter auf Befragen des Gerichts noch einmal beschrieben hatte, wie sie Caumartin den Arm mit dem Degen zurückziehen gesehen, ward die Sitzung des ersten Tages geschlossen. Am folgenden Tage begannen die Verhandlungen mit dem Verhör der Gesellschaftsdame Kertz, „47 Jahre alt.“ Ihre Aussagen nahmen viel Zeit weg, denn sie beantwortete jede Frage mit einer ausführlichen Erzählung. Nach ihrer Angabe begann die Bekanntschaft zwischen Caumartin und Fräulein Heinefetter im Februar 1841 zu Paris. Caumartin wollte Fräulein Heinefetter heirathen, seine Mutter verweigerte ihre Einwilligung, er sprach davon, sie gerichtlich ergänzen zu lassen; Hrn. Steiner, der sich ebenfalls um Fräulein Heinefetter bewarb, veranlaßte er zum Rücktritt; Madame Kertz war ihm stets zuwider, er drohte sie zu tödten und sagte, ein Mord, den er begangen, habe seiner Familie schon einmal 10,000 Fr. gekostet; sie glaubte es jedoch selbst nicht; auch Fräulein Heinefetter suchte Caumartin zu entfernen, reiste deshalb nach Deutschland, gab ihr Engagement in Paris auf, ging nach Brüssel, und Caumartin reiste wider ihren Willen und ohne ihr Vorwissen mit; in Paris „entführte“ Caumartin Fräulein Heinefetter mehrmals der Aufsicht ihrer Gesellschaftsdame; er war in Brüssel nie bis zum Morgen bei Fräulein Heinefetter.

Empfohlene Zitierweise:
: Illustrirte Zeitung, Nr. 3 vom 15. Juli 1843. J. J. Weber, Leipzig 1843, Seite 38. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Illustrirte_Zeitung_1843_03.pdf/6&oldid=- (Version vom 14.9.2022)