Der Hauptmann Felsenschneider und seine Gefährten

Textdaten
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Autor: Johann Andreas Christian Löhr
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Titel: Der Hauptmann Felsenschneider und seine Gefährten
Untertitel:
aus: Das Buch der Maehrchen für Kindheit und Jugend, nebst etzlichen Schnaken und Schnurren, Band 2, S. 91–108
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Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: [1820]
Verlag: Gerhard Fleischer d. Jüng.
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: Kinder- und Jugendbibliothek München und Commons
Kurzbeschreibung:
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[91]
13. Der Hauptmann Felsenschneider und seine Gefährten.

Es gab eben keine Kriege in Afrika und Asien mehr, wo der Hauptmann Felsenschneider sengen, brennen, stechen, hauen und nach Herzenslust eßen und trinken konnte.

Auf seinen Streifereien kommt er in einer Wüste zu der Grotte eines Derwisches, und sagt: „Heiliger Mann, hast du nicht etwa ein Paar hundert Nüße für einen hungrigen Magen?“

Die Ratten haben mit ihren guten Zähnen alle meine Nüße gefreßen und die Schalen übrig gelaßen. Doch liegt noch ein großes Stück Zwieback vor meiner Thür.“ Damit zeigte er auf einen Stein, der über sechs Fuß lang war.

„Ist das deine Speise? sagte der Hauptmann, so kenn ich dieß Backwerk wohl, und die Pyramiden sind davon zusammengebacken. Es ist freilich ein wenig schwer verdaulich; indeßen Hunger thut weh.“ Somit hieb er sich mittelst seines Säbels eine drei Finger starke Scheibe mit einem einzigen Hieb ab, zerbröckelt sie mit den Händen und zermalmt sie mit den Zähnen.

Der Derwisch bewunderte den Mann und seinen Säbel und dachte, den müße er sich zum Freunde machen, ruft den Hauptmann [92] herein und theilt einige große Ziegenkäse und den Schiffszwieback mit ihm, den er noch besaß. Man trägt beides in großen Stößen auf den Steintisch in der Grotte auf und setzt einige ungeheure Krüge dazu auf, worin Waßer mit Honig vermischt war.

Die Mahlzeit war mäßig, denn es hätten schwerlich über zwölf Personen davon gesättigt werden können, und der Derwisch ergreift nun den Krug und leert ihn auf einen Zug aus.

„Bruder, sagt der Hauptmann, du mußt bis auf die große Fußzehe hohl sein, und hast auch nicht ein einzigesmal abgesetzt!“

„Ach ich habe mich schon viel gebeßert, versetzte der Derwisch. Ich hieße Trinkaus, und hätte sonst wohl Ströme ausgetrunken, hätt ich das Waßer nur eben so sehr geliebt, als den Wein. Das Trinken hat mich aber eben zum frommen Manne gemacht. Ich war bei einem Freunde in Georgien, aus deßen Keller es mir so lieblich entgegen roch, daß ich hinabstieg. Da liegen etwa ein Dutzend kleine Fäßer voll Wein, nicht größer als die Orhofte. Ich fange davon an zu kosten, und trinke in Gedanken den Wein aus. Darüber kommt der Wirth herbei und behandelt mich wie einen Saufaus. Meine dumme Hitze überläuft mich und ich schlage den Mann todt. Hinterher that mir das sehr leid, und um den Todtschlag abzubüßen bin ich in die Wüste gegangen und ein Derwisch geworden, und treibe nebenbei ein Bißchen Pflanzen und Sternkunde.“

Nun erzählte der Hauptmann auch Einiges von seinen Thaten. Einmal, sagt er, habe er sogar die Hauptstadt eines ganzen Landes erobert, und das Land obendrein, aber Er selbst und sein Degen ganz allein, denn die feigen Hunde von Soldaten wären nur immer dann zur Hand gewesen, wo es zu Freßen und Saufen gegeben, allein niemals beim Fechten. „Als ich nun aber König geworden [93] war, fuhr er fort, fand sichs, daß ich über keinen einzigen Menschen zu herrschen hatte.“

„Wie? fragte Trinkaus, du wirst doch nicht Weiber und Kinder vertilgt haben?“

„Bei Gott ja!“ sagte der Hauptmann, ich vertilgte sie von grundaus, denn sie fluchten und schimpften mir, warfen Steine auf mich und hetzten die Hunde gegen mich an. Da hab ich im rasenden Grimm Alles niedergemacht.“

„Du bist gewiß bei einigen von unsern jungen Helden in der Schule gewesen, versetzte der Derwisch, die, wenn sie erst gesiegt haben, im allzugroßen Heldeneifer zu morden, zu sengen und brennen nicht aufhören können, weil sie einmal im Zuge sind. Oftmals lodert schon dann ihr Heldenmuth in Mord und Feuerflammen auf, wenn noch gar kein Feind da ist. Aber, mein Bruder, für einen Helden wie du bist, ziemt sich solche Hitze nicht mehr. Ich wüßte ein Stück Arbeit für dich, wo sich diese Hitze sehr abkühlen und viel Ehre gewinnen ließe.“

„Was ists für eine Arbeit?“ fragte der Hauptmann, und der Derwisch antwortete: „Es gilt ohne Armee eine Festung zu erobern, die weder Thore noch Mauren noch Gräben hat. Die Mühe, welche du dabei haben würdest, würde die Hitze ziemlich mildern.“

„Höre, mein heiliger Bruder, versetzte der Hauptmann, wenn du Wein in deinem Kruge gehabt hättest, so wüßte ich wohl, was ich denken sollte. – Ein Feldherr ohne Armee? – Eine Festung ohne Thore, Mauern und Graben?“

„Ja doch, ja! sagte der Derwisch; zehn Stunden von hier ist die Festung Kikelalah. Sie liegt auf einem sechszig Fuß hohen Felsen, der rund um ganz glatt behauen, und ganz senkrecht ist. Die [94] Einwohner sind lauter Soldaten und laßen sich in Körben, deren jeder zehn Mann faßt, von den Mauern herab, um auf zwanzig Stunden umher den Tribut einzutreiben. Die Festung steht unter dem Tyrannen Dickstab, den alle Welt fürchtet, und wenn du den wirst vertrieben haben, kannst du selbst nach deinem Belieben herrschen, so gut wie der, ohne daß dir Jemand darf drein reden.

„Bruder, sagte der Hauptmann, das will ich auch, – auf meine Ehre, ich will regieren, denn die Kunst scheint mir gar nicht schwer, und der Bursche, der Dickstab, muß von dem Neste herunter und du sollst sehen, wie ich arbeiten will. Nur etwas Armee möcht ich doch haben. Laß uns eine werben, es gibt ja des verlaufenen Gesindels noch genug in der Welt.“

„Ist nicht noth, erwiederte der Derwisch. Du sollst eine Armee von acht Marschällen haben, deren Jeder allein ein Reich umkehren könnte, und ich bin der geringste unter ihnen. Du siehst wohl ein, daß acht große Generale mehr sind denn acht große Heere. Du weißt ja, wo eine Schlacht ist gewonnen oder eine Festung erobert worden, so spricht alle Welt von der Einsicht und Tapferkeit des Obergenerals und kein Mensch von den Soldaten, aus welchen die Armee besteht. Du siehst also ein, daß diese ganz überflüßig ist.“

„Wohl denn, sagte der Hauptmann, so mache mich nur mit den Generalen bekannt.“

Der Derwisch vertröstete ihn auf den andern Morgen, und sagte, daß sie viel Geschick und Naturgabe hätten, nur den Verstand müße ihnen der Anführer leihen. Felsenschneider meinte, daß sie um so tauglichere Soldaten sein würden, je dümmer sie wären, denn sie würden desto beßer blindlings gehorchen. Er erkundigte sich aber nun auch, was für eine Art Mensch Dickstab sei!

[95] Der ist ein etwas riesiger Mann, antwortete der Derwisch, und ist von Kopf bis zu den Füßen in Stahl geharnischt, wobei er sich aber so leicht und schnell bewegt als ein Vogel. Er führt keine Waffe als eine hundertpfündige Keule von Erz, mit welcher er so leicht spielt, als sei es ein dünnes Bambusrohr. Mit diesem verdammten Dinge hat er uns zwei unserer Besten todt geschlagen, den Eisenarm, der mit jedem Faustschlag einen Mann niederstreckte, und den Stahlzahn, der mit seinen Hauern die Menschen wie Lerchen aufspießte.“

„Die sollen gerächt werden, sagte der Hauptmann; aber jetzt laß uns schlafen gehen.“

Als sie am andern Morgen spatzieren gehen wollten, kamen drei Männer. „Die sind von unsern Leuten, sagte der Derwisch, und heißt der Eine Schauescharf, denn auf vierzig Stunden weit sieht er die kleinste Nadel auf der Erde; der Andere heißt Zieltreffer, und wird in gleicher Entfernung einen Apfel nicht mit seinem Pfeile verfehlen; und der dritte, Spalteluft genannt, würde den Pfeil in fünf Minuten zurückbringen.

Der Derwisch hatte das kaum ausgesagt, so waren die Drei schon da, und er rühmte ihnen den herrlichen Anführer, welchen sie gefunden hätten, um an ihrem Feind Dickstab volle Rache zu nehmen. – „Aber, setzte er hinzu, kommt Ihr denn ohne Proviant?“

Da antwortete Zieltreffer; „Großbuckel bringt etwas Weniges mit. Er hat ein jähriges Kalb auf dem Rücken und unter dem Armen ein Paar Ohmen Wein. Er ist nur erst in einen Garten gegangen, um Gemüse und Sallat mitzunehmen und wird bald da sein.“

[96] Kaum war das Wort ausgesagt, so war Großbuckel mit seiner Last da, die er so leicht trug, als wär es ein Säckchen Federn gewesen.

„Sieh General, sagte der Derwisch, das ist unser Packwagen, der Großbuckel, uns Proviant zuzubringen, und die gemachte Beute fortzutragen, wäre sie auch noch so schwer.“

Der General bekam einen Gelust nach dem Kälbchen, und der Derwisch sagte: „Schauescharf, wo bleibt denn unser Koch?“

Schauescharf sahe sich umher. „Sieh da! sprach er, er ist hier ganz nahe, aber er vertreibt sich die Zeit, Wachteln zu fangen, die in großen Zügen über seinen Kopf hinfliegen, rupft sie und bratet sie mit seinem Athem.

Daß dich den Schuft! rief Trinkaus, so ungebührlich an einem Musterungstage an sein Vergnügen zu denken! daß dich! An einem solchen Tage muß der Soldat höchst ordentlich sein. Darnach mag er Bürgern und Bauern nach seinem Belieben thun, und schlemmen und zechen. Aber es ist wahrhaftig an der Zeit, daß wieder Mannszucht hergestellt werde, denn auch das Faulthier Immerschlaf ist nicht da, um Vergatterung zu schlagen.“

„Ha! sagte Schauescharf, der schnarcht dort im Schatten, daß die Bäume beben.“

Spalteluft bekam Befehl die Beiden eiligst herbeizubringen. Sie waren fast im Augenblicke da. Der Koch, Blasefeuer genannt, mußte nun das Kalb braten, welches Gutbuckel an den Spieß gesteckt hatte. Dazu hatte er nichts weiter nöthig als sanft mit seinem Munde zu blasen. Wenn er gewollt, hätte er auf diese Weise einen ganzen Erzgang in Fluß bringen können. Immerschlaf mußte Vergatterung schlagen. Er trommelte nur ganz sanft mit den [97] Fingern auf seinen Bauch, und es war, als ob zehntausend Trommeln im Gange wären.

Es fehlte an einer Schüßel, die Bratenbrühe aufzufaßen. Da haut der Hauptmann oder Obergeneral mit seinem Sonnensäbel von dem Steinzwieback vor des Derwisches Grotte eine tüchtige Scheibe ab, und bringt auch eine Vertiefung darin an. Ein Stück Granitfelsen mitten in der Grotte hinderte mit Bequemlichkeit Tafel zu halten, aber der Hauptmann hieb den Vorsprung des Felsens Stück für Stück ab, und jedes Stück glich einer marmornen Tischplatte, der nichts fehlte als die Politur.

Der Braten wurde indeßen durch das linde sinnige Blasen des Kochs gleichsam wie vergoldet. Hätte er stärker geblasen, so wäre derselbe verkohlt, aber Blasefeuer verstand die Kunst einen guten Bißen zu bereiten, und hatte sich schon vorgenommen, wenn es ihm einmal an einem Unterkommen fehle, Mundkoch in einem vornehmen Hause zu werden, wo er sich gewiß dreimal so gut stände, als der Lehrer der jungen Familie, zumal da er das Holz ersparte.

Die Tafel wurde angerichtet und Immerschlaf strich sich, sein Vergnügen auszudrücken, ganz sanft den Bauch, aber das machte so einen fürchterlichen Lärm, daß man ihn bitten mußte aufzuhören. „Hm! sagte er, was habt Ihr denn? Aller Spektakel in der Welt, und alles Treiben, Rennen, Laufen, Raßeln und Praßeln kommen ja von Magen und Bauch her.

Man aß und trank, und Trinkaus, eingedenk des Gelübdes ein frommer Mann zu werden, blieb bei seinem Honigwaßer, bis nach der Mahlzeit, wo er, gleichsam den Mund auszuspülen, so ein kleines Schlückchen Wein von etwa dreißig Kannen aus dem Kruge nahm.

[98] Während man tafelte, fanden sich noch zwei Vermißte ein, nämlich Greifwolke und Weitmacher. Trinkaus las ihnen den Text nicht schlecht, indeßen aus alter Kameradschaft bekamen sie doch noch zu eßen und zu trinken, nur mit der Verwarnung, künftig beßer Ordnung zu halten, denn der neue Hauptmann werde nicht Alles nur so hingehen laßen.

Als man aufgestanden war, sagte Trinkaus: „Wohlan, Kameraden, es ist nun wohl an der Zeit, daß wir uns über unsern gemeinschaftlichen Zweck ernstlich berathen, und vor allen Dingen darüber, was wir zum Abendeßen werden nöthig haben. Denn was kann man für Rath halten mit ausgehungerten Magen.

Schauescharf, Zieltreffer, Spalteluft, habt Acht. Sieh dich um, Schauescharf, wir müßen vierhundert Pfund Wildprett haben, denn wir haben diesen Mittag eine Hungermahlzeit gehalten, und zwar Wildprett von viererlei Sorten; aber zartes, liebster Freund, sehr zartes, meines schwachen Magens wegen.“

Schauescharf hatte bald erspäht, was verlangt wurde; Zieltreffer mußte eine Pike aufpflanzen und grade dahin zielen, wohin ihn Schauescharf anwies. „Wie weit?“ fragte Zieltreffer. „Funfzehn Stunden und dreißig Schritt“ war die Antwort. – Der Pfeil flog ab. – „Der Damhirsch liegt!“ rief Schauedurch.

„Nun, hieß es, Spalteluft, leg deine Babuschen an und bring uns das Wild. – Das geschahe auf der Stelle, und auf gleiche Weise wurde noch dreierlei Wild erlegt, eingebracht und von Gutbuckel abgestreift, ausgewirkt und an den Spieß gesteckt.

Trinkaus sieht indeßen den Brodsack nach, und findet nur noch hundert und siebzig Pfund Brodt. „Da wären wir schön angekommen, sagt er, wenn ich nicht nachgesehen hätte. – Schauescharf, sieh, wo frisches Brodt ist?“

[99] „Dreißig Stunden von hier, zu Waßer, ist ein ganzer Backofen voll, der noch vor Wärme raucht, und eben ist der Bäcker fortgegangen, um das Brodt abkühlen zu laßen;“ sagt Schauescharf.

„Spalteluft, hieß es, mache dich auf und schließe den Handel.“ Dieser war bald geschloßen. Das Brodt war in der Grotte, ehe es der Becker vermißte.

Die Gesellschaft hatte Durst. „Greifwolke, sagte der Derwisch, greif die oben hinziehende Wolke, nöthige sie ihren Vorrath herzugeben, obschon sie vielleicht etwas hageln möchte. Gefrornes ist ja ein Leckerbißen.“

„Greifwolke nimmt einen Knauel Seide aus der Tasche, und wirft es gegen die Wolke hinauf. Ein Faden davon fällt wieder aus der Wolke herunter, an welchem sich Greifwolke hinaufhaspelt, welchen ohnedieß noch der Wolkendunst sichtlich hinaufzuziehen scheint. Als er oben ist, quetscht und schnürt er die Wolke zusammen und nöthigt sie ihren ganzen Vorrath herzugeben, der in einem dichten und milden Regen zur Erde herabfällt und in Krügen aufgefangen wird.

Man löschte den Durst, aber Waßer erkältet den Magen und Regenwaßer obenein ist so weich und üblich. Der Hauptmann wünschte, man möchte das Waßer mit einigen Flaschen starken Dattelbranteweins verbeßern können.

Schauedurch hatte bald einige ziemlich weite Flaschen entdeckt, die in der Entfernung von zehn Stunden auf den Altan hingesetzt waren, um an der Sonne den darin enthaltenen Lebensgeist recht destilliren zu können, und Spalteluft holte sie sogleich. – „Ha! sagte Trinkaus, hätte der nur die Kräfte von Gutbuckel, so wäre er der nützlichste Kamerad unter uns Allen.“ Auch der General Felsenschneider war in guten Appetit gekommen, und wünschte zum [100] Abendnachtisch einige Feigen von der besten Sorte aus Afrika. Spalteluft mußte sich sogleich aufmachen, um Afrikas Gärten ein wenig zu durchstöbern, erhielt aber zugleich Befehl, in einer halben Stunde wieder da zu sein, indem man seiner vielleicht noch weiter bedürfen möchte.

Noch ein Mann aus der hohen Generalität war dem Obergeneral unbekannt. Dieß war Weitmacher, der eben mit kreuzweis übereinander geschlagenen Armen da saß, gleichsam tief sinnend.

Der Obergeneral begehrte Auskunft über das Thun dieses Mannes, aber der Derwisch vertröstete ihn auf heute Abend, wo er denselben werde arbeiten sehen.

Die Braten waren im besten Braten, aber Spalteluft war noch nicht wieder da: Schauescharf mußte sich umhersehen, und rief auf einmal: „Seht den Schlingel; er hat mehr Feigen in den Magen als in den Korb gesammelt, und ist auf dem Korbe eingeschlafen. Die Araber der Wüste streifen eben in der Nähe umher, und werden ihn nicht nur den Korb nehmen, sondern auch die Babuschen, in welchen seine Schnellläufigkeit steckt. Dann haben wir ihn gehabt. – Zieltreff, oben auf dem Aste des Baumes, unter dem er schläft, sitzt ein Vogel. Schieß ihn herab, damit er durch den Fall des Vogels aufgeweckt werde.“

Zieltreffer ließ sich Richtung und Entfernung angeben. Die letzte betrug fünf und siebenzig Meilen. Schauescharf sieht dem Schuße nach und sagte: „Der Vogel ist herab, und der Schläfer ist erwacht.“ Zwei Minuten drauf war derselbe mit den Feigen da.

Nachdem man zu Abend gegeßen hatte, wurde Weitmacher gerufen das Zelt aufzuschlagen, weil es sich für Kriegsleute, die in einer Unternehmung begriffen wären, nicht zieme in der Grotte zu schlafen.

[101] Weitmacher hatte einen kleinen Beutel an dem Gürtel hängen, von der Größe eines Hünereies. Er war mit vier dünnen Schnuren zusammengeschnürt, an deren Ende ganz feine Stahlnadeln hingen. Jetzt schnürt er den Beutel auf und bläst hinein, worauf derselbe sogleich die Größe einer ziemlichen Melone erhält. Nachdem er noch einmal hineingeblasen, kann er schon den Kopf hineinstecken, und indem er fortbläst, erweitert sich der Raum so sehr, daß der ganze Körper hineingeht. Endlich steht, durch fortgesetztes Blasen, ein Zelt da, welches Platz für zwanzig Mann hat. Die Stahlnadeln waren zu starken eisernen Zeltpflöcken geworden, und das Zelt wurde mit Piken unterstützt.

Der Hauptmann verwunderte sich sehr, aber wie stieg seine Verwunderung, als er erfuhr, daß Weitmacher sein Zelt so weit ausdehnen könne, daß dreißigtausend Menschen darunter Platz hätten.

In dem Augenblick, als das Zelt aufgeschlagen war, hört man einen Lärm wie von tausend Trommeln, den Immerschlaf hervorbrachte, indem er seine Backen ganz leise strich. Dieß war der Zapfenstreich.

Nachdem man Alles aufgezehrt hatte, wurde Rath gehalten. Man kam überein, den Dickstab dadurch aus seinem Felsenneste hervorzulocken, daß man das Land rings umher verheeren und ihn mit seinen Soldaten in Hungersnoth bringen wolle. – Man stellte hierauf Wache aus, und schlief unter dem Zelte ein. Immerschlaf schlief einige tausend Schritte weit davon, denn sein bloßes Athmen tönte wie ein rollender Donner, und wenn er etwa nur mit zurückgezogenem Athem einige Töne angab, so waren es Trompetentöne von solcher Stärke, daß Jeder davor erbebte.

Am andern Morgen hielt der General Musterung und fand Alles in schönster Ordnung. Hierauf mußte sich Schauescharf umsehen, [102] und entdeckte Mancherlei, was aber dem Herrn General eben nicht anstand, indem er keinen Gebrauch davon zu machen wußte. Weil man den Vormittag fasten mußte und auf dem Zuge sich nicht aufhalten konnte, so war sein Hauptabsehen auf eine schon fertige Mittagsmahlzeit für ihn selbst und seine Mannschaft gerichtet.

Das Glück wollte dem General wohl. Schauescharf entdeckte in einem zehn Stunden entfernten volkreichen Flecken die Zurüstungen zu einem gewaltig großen Hochzeitmahl. – „Gut, sagte der General, sie sollen es zurüsten, wir aber wollen es schmausen. Blasefeuer soll auf gut soldatisch den Flecken, mit Ausnahme des Hochzeithauses, nach den Regeln der neuen Kriegskunst in Brand stecken, obwohl uns das eigentlich zu nichts helfen kann; aber man muß doch sehen laßen, welche Helden wir sind, und wenn der Schrecken erst vor uns her geht, haben wir desto leichteres Spiel. Uebrigens treiben wir unsere Kurzweil, wie es sich fügen will. – Ich, für meinen Spaß, werde mich der Braut bemächtigen und werde den Leutchen mein Recht dazu mit meinem Degen schon hinlänglich beweisen. Ihr Uebrigen ergötzt Euch nach Belieben. Es soll mir eine Hauptlust sein, wenn sie nun Alle wimmern, jammern und heulen.“

Man setzte sich in Marsch. Zwei Stunden vor dem Flecken mußte Spalteluft noch einmal Umschau im Hochzeithause halten. Er brachte im Augenblicke die Nachricht, daß man es hier nur mit Götzendienern zu thun haben werde, die in diesem Augenblicke vor ihren Götzenbildern einen jungen Stier mit vergoldeten Hörnern schlachteten, deßen Fleisch erst in einigen Stunden gahr sein könne.

[103] „Tausend, sagte der General, da haben wir desto mehr Fug und Recht nach Herzenslust zu wüsten, denn wir müßen doch unsern Eifer gegen die Götzendienerei an den Tag legen. Nicht so, Derwisch?“

Als man bei dem Hochzeithause angelangt war, geht Felsenschneider hinein. „Was, sagt er, man richtet hier Hochzeit aus; man setzt sich zu Tische ohne mein Wißen?“

Die Leute entsetzten sich. „Himmel, riefen sie, wir sind verloren! Das ist der Tyrann! das ist der Dickstab.“

„Ihr Lumpenpack, rief Felsenschneider; Ihr lügt! Was hats da zu tyrannen. Ich bin ja der Bräutigam des schönen Kindes da, und es soll keinen andern Mann haben als mich.“ Damit wollte er sich der Braut bemeistern.“

Jetzt fängt ein tüchtiger Faustkampf an. Man ergreift Beile, Meßer, Prügel, Stühle und anderes Geräthe und fällt über den Räuber her, der tüchtige Püffe und Ohrfeigen austheilt, jedoch sein Sonnenschwerdt aus Schonung noch nicht ziehen will. – Mit einemmal fing Immerschlaf an zu niesen, und warf durch Gewalt dieses Niesens, von welchem selbst das Haus schwankte, Alles zu Boden, oder zum Hause hinaus und die Braut selbst war mit davon geflogen und hatte sich alsdann versteckt. Der General lachte.

Indeßen hatte Blasefeuer so gut gearbeitet, daß man im ganzen Orte Feuerlärm machte. Immerschlaf mußte nun Vergatterung schlagen und Alle setzten sich zu Tische.

Die Leute im Orte hatten ein Kommando von Dickstabs Soldaten geholt, welches in der Nähe stand. Es betrug funfzehn wehrhafte Mann. Da dieses hörte, daß diese Räuber gar nicht furchtbar wären, und nur Einer davon ein Schwerdt habe, auch von den Leuten des Orts gewiß würden bewältigt worden sein, hätte nicht [104] Einer darunter eine so malitiöse Niese gehabt, so bekam es einen großen Muth, und brach ins Hochzeithaus mit gezogenen Säbeln ein. Der Anführer will auf Immerschlaf einhauen, der aber niest blos noch einmal, und der Anführer vergaß: „wohl bekomms!“ zu sagen, denn er überschlug sich wie ein Purzelmann von Holunder Mark, und als er wieder auf seinen Füßen stand, spaltet ihm der General den Kopf. Ein Anderer wurde in der Mitte durchgehauen; der Dritte verlor die Achsel mit dem Arm, ein Vierter ein Paar Beine, u.s.w. Da nahmen die übrigen mit viel Kriegslist und Gegenwart des Geistes Reißaus, und vertrauten ihren Beinen, weil die Arme zu ihrem Heil nicht hatten zureichen wollen.

Als nun die Feinde tapfer auf der Flucht waren, wurden sie auch eben so tapfer verfolgt. Greifwolke läßt hageln; Blasefeuer bläst ihnen nach und hätte sie alle zu Asche gebrannt, wären sie nur still gehalten; Immerschlaf niest ihnen nach, und von den acht oder neun, die entkommen waren, überschlugen sich die Meisten erst, ehe sie weiter laufen konnten. Selbst der Derwisch Trinkaus, der immer sein heiliges Buch, den Koran, in der Hand führte, schlägt mit diesem Heiligthum Einigen kühnes Muthes hinter die Ohren, denn er wußte wohl, daß sie sich nicht zur Wehre setzen würden. Die armen Flüchtlinge blieben am Ende doch allesammt auf dem Platze, denn Felsenschneiders Klinge verschonte keinen Einzigen.

Nun erst konnten sie recht vergnügliches Mahl halten, in Fisch, Braten und Wein, zumal da sie daßelbe mit der Erzählung ihrer ruhmwürdigen Thaten würzen konnten, die der kluge General mit großer Belobung anerkannte. Um sich für ihre Verdienste zu belohnen, tranken sie des Weins so viel, daß sie neben dem Tisch in süßen Schlaf versanken. – Der Heldenthaten waren für diesen Tag genug!

[105] In den nächsten Tagen wütheten und tobten, verheerten und zerstörten, lärmten und schwärmten, und schwelgten sie eßend und trinkend, gar hoch und sehr, und trafen sie etwa auf ein kleines Kommando Soldaten, so gings demselben wie dem ersten. Immerschlaf nieste und trompetete die Soldaten um und um, und der General und die nun auch mit Säbeln bewehrte Armee, brauchten den ohnmächtig zu Boden liegenden Feinden nur die Köpfe abzuhauen. Im Lande war Alles in Verzweiflung, aber die Siegreichen waren es beinahe auch. Sie hatten zu viel und sehr gesiegt, und fanden Niemand mehr, den sie sieden, kochen und braten konnten, damit er ihnen Gesottenes und Gebratenes zurichtete, denn alle Welt war mit den Verräthern davon geflohen.

Dickstab achtete indeß der Klaglieder wenig, die ihm von seinen Unterthanen in die Ohren geschrien wurden, denn er, Er, der mildgnädige Herr, wie er sich nennen ließ, hatte ja noch Alles, was sein Herz erfreuete. Indeßen hatte jedoch ein erfinderischer Kopf ein Mittel ausgesonnen, solch einen grimmen Feind mit Vortheil zu bekämpfen. Er hatte nämlich die längst vergeßenen Turn und Gymnasien – nein! gymnastischen Anstalten wieder hervorgesucht, und insonderheit die Kunst der Balearen oder die edle Schleuderkunst, in welcher er Unterricht gab; eine Kunst, die er nebst manchen Balg- und Raufkünsten den Knaben abgesehen, und nun in seiner Anstalt geimpft und veredelt hatte.

Zum Unglück entdeckte Schauescharf die Unternehmungen des erfinderischen Kopfes, und in eben dem Augenblicke, da er den Mund aufthat, seinen Schülern die hohen Vorzüge und den mannichfaltigen Gebrauch, dieser Kunst anzupreisen, flog ein Pfeil von Zieltreffers Bogen ihm in den geöffneten Mund, und Mann und Kunst waren miteinander zugleich todt.

[106] Nun wollte es doch dem Tyrannen selbst zuletzt an die Kehle gehn, und er berief einen alten schlauen Sterndeuter zu sich, der einzig und allein seinen geheimen Rath ausmachte. Dickstab dachte, ein einziger guter Kopf sei beßer, als hundert hirnlose. Er setzte demselben Alles auseinander, was geschehen war und was zu besorgen stand.

Der Sterndeuter antwortete: „Ich weiß bereits Alles und habe an Abhülfe gedacht. Die seltsamen Kräfte dieser Menschen sind magisch, und können nur durch recht kleine Mittel entkräftet werden, die um so beßer sind, je natürlicher sie sind. Gegen Immerschlafs Gelärm ist Baumwolle in den Ohren recht gut. Blasefeuern muß man ins Maul spritzen, um sein Feuer auszulöschen. Schauescharfs Talent kann in der Nähe nichts mehr schaden; Zieltreffers Pfeil geht nicht durch Stahl; der Laufer Spalteluft ist wenig schädlich und kann leicht aufgefangen werden; Greifwolkens Kunst hängt an einen Faden, den man zerschneiden kann; Trinkaus ist gar nicht zu fürchten, wo es nichts zu saufen gibt, und eben so wenig Weitmacher und Starkbuckel, die Beide nur zum Gepäcke gehören. Aber zu fürchten ist Felsschneider mit seinem Sonnenschwerdt – ein greulicher Mensch, der niemals Gutes gethan hat, weil die Gestirne ihm übel mitgespielt haben. Er würde selbst deine Keule von Erz zerhauen. Das soll ihm aber nichts helfen, denn ich kenne das Mittel ihn zu Schanden zu machen, wenn du mit deinen Leuten dich nach meiner Angabe bewaffnen und mir folgen willst.“

„Das versteht sich, sagte Dickstab; laß Alles einrichten, wie es dir gut scheint; ich billige es, wie seltsam es auch aussehen möge.“

[107] In wenigen Tagen war Dickstabs Armee, aus dreihundert Mann bestehend, in Stand gesetzt; und da Alles fertig ist, laßen sich diese in Körben aus der Festung herunter. Sie waren allesammt in Stahl geharnischt und stellen sich in drei Reihen auf, Dickstab als Anführer voran.

Schauescharf berichtet Alles und sagt aus, daß Dickstab mit einem Dinge behelmt sei, das wie ein Küchentopf aussähe, und sein Schild sei fünf Finger dick. Felsschneider freut sich den Feind in der Ebene zu haben, und beide Heere stehen einander bald nahe genug entgegen. Dickstabs Leute im ersten Gliede haben blanke Schwerdter; im andern Gliede sind sie mit Scheeren, im dritten mit Spritzen bewaffnet.

Als sie einander nahe genug sind, hält Felsschneider erst nach Art der uralten Helden eine Anrede an den König Dickstab, worin er ihn des Küchentopfs wegen, mit vieler Höflichkeit einen Prinzen der Küchenjungen nennt, und ihn auffordert den ersten Streich zu führen.“ Dickstab nennt seinen Gegner einen Fleischerjungen und Straßenräuber, lehnt großmüthig die Ehre des ersten Streichs ab, und fordert ihn auf selbst denselben zu wagen. Dazu läßt sich Felsschneider nicht zweimal auffordern, holt aus und führt einen gewaltigen Hieb auf den Kopf; aber der Hieb prallt so entsetzlich von dem Topfhelm ab, daß des Generals Faust heftig erschüttert wird. Er führt den zweiten Hieb gegen das Schild, und die Klinge des Sonnenschwerdtes zerspringt. Felsschneider sieht, daß er auf einen hohlen Kürbis und auf ein Schild von Käse gehauen hat. Nun soll Blasefeuer helfen, aber alle Spritzen sind auf seinen Mund gerichtet; sein Feuer erlöscht und er gibt blos einen erstickenden Dampf von sich. Zieltreffers Pfeile knicken an den Stahlharnischen ab; Greifwolke hat ein ganzes Heer von Wolken mit Hagel zusammen [108] geballt, aber man schneidet den Faden seines Knauels entzwei, und der Hagel stürzt in großen Maßen auf des Generals Leute herab. Nun soll Immerschlaf helfen, und macht auch ein furchtbares Gelärm, aber der Feind mit der Baumwolle in den Ohren höret wenig davon, aber Felsschneiders Leute ergreifen vor Schrecken die Flucht. Er selbst wird umzingelt, und fällt unter einigen Keulenstreichen Dickstabs; Blasefeuer erstickt in seinem eigenen Rauche; Immerschlafs Bauch platzte vor großer Anstrengung; die Uebrigen aber kamen alle wohlbehalten davon; am ersten Spalteluft, der die schnellsten Füste hatte.