CLXXXVIII. Peterwardein Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Fünfter Band (1838) von Joseph Meyer
CLXXXIX. Der Dom zu Burgos
CLXXXX. Die Falkenburg
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Die CATHÉDRALE in BURGOS
in Spanien

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CLXXXIX. Der Dom zu Burgos.




Der rohe Mensch ist der Sklave der Natur; der Künstler macht sie sich unterthan. Indem er ihr blos Objektivität einräumt, behauptet er ihr gegenüber, als Erscheinung, seine Selbstständigkeit, als Macht seine Würde, und mit edler Freiheit richtet er sich auf gegen seinen Gott. Die Gespensterlarve nimmt er ihm ab, welche den rohen Menschen ängstigt. Die finstere Höhle, welche der Indianer einem Gott-Ungeheuer gräbt, das mit der Stärke und dem Schrecken des Raubthiers die Welt verwaltet: in schöne Contouren zieht sie sich zusammen vor der griechischen Phantasie, und vor der christlichen Kunst verklärt sie sich zum Höchsten der Form, zum Symbole des Unendlichen und Unkörperlichen.

Es gibt keine erhabneren Aeußerungen der Herrschaft des menschlichen Geistes über die Materie, als die Wunder der gothisch-christlichen Baukunst. Alles an derselben hat eine symbolische, hieroglyphische Beredtsamkeit und Bedeutung. Hoch ragen die schlanken Säulenbüschel auf, immer mehre sich fest aneinander schmiegend, gleich den Säulen der heiligen Haine; und wie der Dom zum Himmel hinstrebt – in’s All, in das Unendliche, so soll der Geist des Menschen im Dome zum Allmächtigen sich erheben und durch Gebet und Betrachtung die Weihe zum höhern Leben empfangen. Keine Verzierung, weder eine innere, noch äußere, ist zufälliger Schmuck. Bis auf das Monstranzhäuschen, welches, von kostbarem Metall, den Tempel im Kleinen wiederholt, ist Alles religiöse Bildersprache – Alles Heiligthum.

Betrachte diese Kathedrale. Sie ist der Triumph der christlichen Kunst, und schon der Blick auf das kleine Bild erfüllt dich mit Bewunderung und Ehrfurcht; fordert dich auf, dein Gemüth zu sammeln aus der Zerstreuung des Irdischen, und dich zu bereiten zu Gebet und Andacht. Sie ist wahrhaftig ein Haus des Allerhöchsten. [4] Ganz Spanien, das an schönen Kirchen so überreiche, besitzt keinen herrlicheren Tempel. Schon zur Zeit des Columbus sang ein spanischer Dichter:

Burgos ist der Städte Krone,
Burgos’ Cid die Kron’ der Ritter,
Burgos’ Dom die Kron’ der Kirchen.

Armes Burgos! Was damals dich zierte und ehrte, ist auch heute noch dein Schmuck und dein Ruhm! aber du selbst, du alte Hauptstadt Kastilien’s! bist nur noch ein Schatten von Ehedem, ein Bettler, der im Königsmantel einhergeht. – Nichts Erhabneres, als der Anblick von Burgos aus der Ferne, dieses Waldes von prachtvollen gothischen Thürmen, die der Stadt das Ansehen geben, als wäre sie ein großer Pallast des lebendigen Gottes. Aber kömmt man in die Stadt selbst, wie grell ist der Gegensatz! Die Straßen sind unregelmäßig, größtentheils enge, schmutzig; viele sind ohne Pflaster; die Entvölkerung (von den 80,000 Einwohnern in den Tagen ihres Glanzes sind 7000 übrig!) fällt mit allen ihren Merkzeichen sogleich in die Augen. Selten begegnet man einem Vorübergehenden, und in den Hauptstraßen wächst Gras! Es gibt eine königliche Kammer für Manufakturen und Handel; aber der größere Verkehr und die Fabriken haben hier längst aufgehört, und jene mit Richtern und Assessoren reichlich versehenen Collegien füttern nichtsthuende Sinekuristen. Für das ewige Heil der Hand voll Bewohner wird durch 24 Kirchen und durch 22 Klöster und Abteien gesorgt! Die Klöster nehmen ganze Straßen ein, und die öftere Wiederkehr ihrer unabsehlich langen Fronten mit vergitterten und verschlossenen Fenstern und Thüren, in welchen, seit Aufhebung der religiösen Orden, keine menschliche Seele mehr haust, vermehrt die Einsamkeit. Vor der Unterdrückung der geistlichen Corporationen zählte Burgos über 900 Mönche. Man konnte sagen: die ganze Stadt sey ein großes Kloster. –

Tief haben die priesterlichen Sitten hier Wurzel geschlagen und noch ist ihr Gepräge unverwischt. – Du siehst keine lachende Miene auf den Gesichtern der Vorübergehenden; die meisten haben den Ausdruck eines stupiden Ernstes, der die Langeweile und Gedankenlosigkeit als Gott verehrt. Hier ist keine der Vergnügungen zu finden, an die der Fremde in jeder größern Stadt gewöhnt ist. In Burgos gibt es keine Bälle, keine Salons, keine Unterhaltung und keine Intelligenz. Bleich und matt schleichen die Nachkommen des großen Cid durch ein Leben, dessen Thatenlosigkeit den Namen schändet, auf den sie stolz sind. Sie haben die Erinnerung an’s Große nicht verloren; aber der Sinn und die Begeisterung dafür scheinen ausgestorben zu seyn.

Doch, wenden wir das Auge weg von dem Nachtgemälde der Stadt und kehren es der Kathedrale zu, die uns an diesem Orte wie eine himmlische Erscheinung vorkommt! Dieser wundervolle Bau, durch dessen hohe Pforten die [5] Bevölkerung von Burgos sich wie das Blut durch das Herz bewegt, ist zugleich der Centralpunkt des hiesigen Lebens.

Die Zeit der Erbauung der Basilika fällt in das 13., 14. und 15. Jahrhundert. 250 Jahre unermeßlichen Fleißes und überschwenglicher Kunst reichten hin, ein Werk harmonisch zu vollenden, dessen tiefe Zweckmäßigkeit und hoher Ernst des Plans; dessen kühne und wohlverstandene Anordnung und unendlicher Ideenreichthum in Schmuck und Verzierung, eben so sehr mit Bewunderung erfüllen, als die Größe der Masse Erstaunen abnöthigt. Der Wunderbau, welcher aussieht, als wäre er von der Hand eines Benvenuti Cellini aus leichter Filagränarbeit zusammengefügt, bildet doch eine Steinmasse so groß, daß sie nur von wenigen christlichen Kirchen übertroffen wird. Des Doms Länge mißt 320 Fuß, die Breite 216, und die Höhe der beiden das Portal überragenden Thürme ist nicht weniger als 170 Ellen. Auf der Mitte des Kreuzes erhebt sich der Hauptthurm mit acht Pyramiden. Ueber den zwei Eingängen des Kreuzarms ist, 120 Fuß über dem Boden, eine Gallerie zwischen zwei, mit hohen durchbrochenen Pyramiden dekorirten Pfeilern, so daß das ganze Gebäude eigentlich zwölf Thürme zählt. Sie sind alle ohne Kern und jeder wird von acht schmalen, sich im Knopfe vereinigenden und schließenden Rippen gebildet, welche wieder durch leichte, in Zweigen, Blumen und tiefsinnigen Verzierungen ausgebreiteten Horizontalrippen mit einander verbunden sind. Aus jedem Knopfe tritt eine Blume. Sinniger Gedanke des Meisters, mit den Symbolen der Unschuld sey das Gotteshaus zu krönen!

Das Innere des Doms, obschon der Dünkel der neuern Kunst und des verdorbenen Geschmacks manches verändert und entstellt hat, ist des grandiosen Aeußern würdig. Keine Hand breit Raum ist ohne Verzierung, und doch ist dieser unendliche Reichthum keineswegs ermüdend, oder läßt den Gedanken an Ueberladung zu. Die Mannigfaltigkeit in den Formen, sowohl des Schnitzwerks von Holz, als der Figuren von Stein, ist so groß als die Zartheit ihrer Ausführung. Auf eine wunderliche, oft rührende Weise mischt sich das Groteske in die Darstellungen der ernstesten Gegenstände der Religion und des Lebens, eine Eigenthümlichkeit, der man, als Element der mittelalterlichen christlichen Kunst, in den bedeutendern Schöpfungen derselben allwärts begegnet.

Ich schweige von den Schätzen, welche in diesem Gebäude bewahrt liegen; von den Heiligen-Bildsäulen aus Silber, den mit Edelsteinen verzierten goldnen Kirchengefäßen, Meßgewändern, Kleidern der Madonna und ihrer heiligen Frauen etc. etc. – Der Erzbischof, der, nach dem von Toledo, die erste geistliche Würde im Reiche verwaltet, ist der Hüter des Schatzes: – aber was das Dekret der Cortes nicht vermochte, den todten Schatz heben, das wird die Anarchie, sobald sie, der wenigen Fesseln baar, ihre höllische Mission in dem unglücklichen Lande vollendet.

Nicht so groß als der Reichthum an Juwelen, Gold und Silber, ist der an Malereien in dieser Basilika. Doch enthält sie einige Hauptwerke der Kunst: eine Magdalena von Raphael und ein wunderschönes Bild von Michel [6] Angelo, – die heilige Jungfrau in Lebensgröße, – in deren Darstellung dieser große Maler des Riesigen, Geisterhaften und Furchtbar-Erhabenen gezeigt hat, daß dem wahren Genie nichts mißlingen kann, auch wenn es Gegensätze wagt.

Von spanischen Meistern ersten Ranges ist wenig hier zu finden.

Doch ist’s nicht die Kunst, auch nicht der nur an den Gallatagen der Kirche sichtbare Juwelenschatz ist’s, welcher die Bevölkerung von Burgos täglich in der Kathedrale versammelt. Eine Handvoll Asche und ein Häuflein Knochen, solche sind’s, welche die magnetische Kraft verbergen, die die schwerbewegliche Masse herbeizieht. Keine Kirche in Spanien rühmt sich eines größern Reliquienschatzes, als der Dom von Burgos: und keine Bevölkerung hängt fester am Glauben ihrer wunderthätigen Kraft. Es ist dieser Glaube so mit ihren Vorstellungen verwachsen, daß selbst unbedeutende Geschäfte des Lebens ohne Gebet zu einem Arm- oder Wirbelknochen eines Heiligen nicht verrichtet werden können. Deshalb trifft man in der Kathedrale täglich ganz Burgos an. Man muß zu allen Stunden hineingehen; denn zu allen Tageszeiten bietet sie neue und unerwartete Scenen dar. Die Kirche ist so groß, daß in acht der Kapellen (jeder Heilige hat eine besondere) zugleich Kirchendienst gehalten werden kann, ohne daß einer den andern im mindesten durch vernehmbares Geräusch störe. – Der frühe Morgen gehört dem Pomp der Messe an, der mit einem Luxus gefeiert wird, welcher mit der Pracht des Orts übereinstimmt. Scharf stechen die rothen und weißen Kleider der amtirenden Priester gegen die schwarzen, imposanten Kleider der Kanonici ab, und wenn man die lange, von 12 Chorknaben getragene Schleppe des Erzbischofs sieht, denkt man gewiß eher an einen Fürsten dieser Welt, als an den Jünger des Weisen, welcher nicht so viel sein nannte auf Erden, wo er sein Haupt hinlegen konnte. Gegen Abend, wenn die Strahlen der sinkenden Sonne den buntbemalten Scheiben der hohen Fenster einen goldnen Lokalton verleihen, der ein verklärtes Licht über den ganzen Raum verbreitet, naht die Lieblingsstunde des einsamen Gebets. Frauen, in ihre Mäntel eingehüllt, kommen und entfernen sich leisen Trittes, und vor den entlegensten Altären knieen die schlanken, verschleierten Gestalten und vergießen die Thränen geheimen Schmerzes zu den Füßen der wunderthätigen Schreine und Bildsäulen. Sobald die Dämmerung in’s Dunkel sich verliert, ändert sich abermals die Scene. Das Kommen und Gehen wird unruhiger; die schwankenden, bald zu süßer Wehmuth stimmenden, bald feierlich rührenden Flötentöne der Orgel scheinen zugleich zum Gebet und zur Liebe zu rufen. Dieß ist die Stunde der Intrigue und in das Schluchzen der Rührung mischen sich oft die Seufzer des Verlangens. –

Von der Gallerie des großen, mittlern Glockenthurms übersieht man die ganze Stadt und das umliegende Land. Burgos hat nicht den kahlen, öden Anblick der Städte in Aragonien und Neukastilien, die man von dem Genius der Wüste erbaut glauben sollte. Malerisch liegt es am Fuße eines in pittoresker Masse sich erhebenden [7] Felsenhügels, den die uralte Königsburg der Beherrscher Altkastiliens krönt. Der klare Arlanzon trennt die eigentliche, von Mauern und Gräben umgebene Stadt von den Vorstädten. So weit das Auge reicht, ist eine lachende Gegend, Reichthum an Grün, kraftvolle Vegetation und – ein seltener Anblick in Spanien – majestätischer Baumwuchs. Sorgfältige Kultur darf man freilich nicht erwarten; aber auch nicht deren widrige Wirkung. Denn blickt die Hand des Menschen, welche die Natur der Regel unterwirft, zu sehr hervor, dann ist’s um einen Theil des Malerischen einer Landschaft schon geschehen. Die phantastische Freiheit in Spanien steht ihr immer besser an, als ihr geschmigeltes Wesen in Holland. – Die Dörfer liegen weit aus einander; dichter zusammen aber rücken Klöster und Villas, meistens ansehnliche Gebäude, in reizender, eine freie Aussicht beherrschender Lage. Ihre weißen Giebel und die hohen, schön geformten Glockenthürme durchbrechen und überragen die dunkelgrünen Blättermassen, mit denen sie, wie von heiligen Hainen umgeben sind; hie und da breiten sich einige einzelnstehende, riesengroße Kiefern fächerartig aus, wie Palmen des Südens. Die Aussicht reicht gegen Abend hin, durch das breite Flußthal, bis zum 20 Stunden fernen Valenzia; nordöstlich aber ist sie beschränkt und geschlossen durch die nahe Sierra, die Wasserscheide zwischen Ebro und Duero, von welchen Strömen jener sein Wasser dem mittelländischen, dieser dem atlantischen Ocean zusendet.

Wendet man den Blick von der Gegend auf die Stadt zurück, so verliert sich das Auge in einem Labyrinthe enger Straßen und Häusergiebel und Thürme, deren Zahl unglaublich ist. Selten ruhen die Glocken: – und wenn an Sonn- oder Festtagen das gellende Geläute aller zugleich die Gläubigen zur Messe ruft und die Klöster der Nachbarschaft in den Chorus mit einfallen, dann wird’s eine Musik, die kein menschliches Ohr ertragen kann. Schweigen sie aber, – dann ist’s Todtenstille in diesen Höhen, kein dumpfes Gesumse, Leben und fröhlich schaffende Thätigkeit verrathend, dringt aus dem Chaos herauf und die Ruhe der Seligen scheint über Stadt und Gegend gebreitet. –