CLXXXVII. Samaria Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Vierter Band (1837) von Joseph Meyer
CLXXXVIII. Peterwardein
CLXXXIX. Der Dom zu Burgos
  Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
[Ξ]

FESTUNG PETERWARDEIN an der DONAU
in Sirmien

[139]
CLXXXVIII. Peterwardein.




Ich stand im Begriff – so erzählt ein reisender Schwede – das türkische Gebiet zu verlassen. Ein großes Gebäude erhebt sich gerade auf der Grenze und steht halb auf österreichischem Grunde, halb auf wallachischem Boden. Zu beiden Seiten ziehen sich Pfahlzäune hin, an welchen ein paar tausend Kühe, Ochsen und Pferde entweder angebunden standen, oder von ihren Treibern hin- und hergeführt wurden. Ich ritt ein durch ein großes Thor. Das Innere des Raumes theilte eine lange Tafel. Es war gerade Markttag: auf der einen Seite standen die Walachen, größtentheils als Verkäufer; auf der andern ungarische und siebenbürgische Handelsleute, meistens Juden. Nach geschlossenem Handel ward das Geld auf den Tisch gezählt, das aus der Walachei kommende in Essig gelegt, das Vieh aber durch einen Teich getrieben und nach dieser Vorsichtsmaßregel von den Käufern nach Hause geführt. Auf gleiche Weise geschieht auf der ganzen türkisch-österreichischen Grenze der Verkehr zwischen den Landbewohnern, ohne daß Berührung oder Gefahr der Pestansteckung stattfindet.

Das Thal aufsteigend näherten wir uns der Contumazanstalt. Eine Schanze mit einer Batterie von einigen Kanonen bildet den ersten befestigten Punkt gegen die Walachei hin.

Diese Station, in einer Gebirgsgegend, von deren Höhen der Blick in das unabsehliche ungarische Flachland, welches die Theiß und die Donau wie zwei strömende Meere durchziehen, fällt, ist ein Glied des Sanitätscordons über Meer und Land, welchen Europa um das türkische Reich gezogen hat, um sich vor der Geißel der orientalischen Pest zu schützen. Das von Bären und Wölfen bewohnte Gebirge, welches den österreichischen Kaiserstaat, von der Donau bis zur russischen Grenze, von türkischem Gebiete scheidet, bildet eine natürliche, durch Militär-Cordons gesicherte Barriere, durch welche vier fahrbare Straßen führen. Die Quarantäne-Anstalten an denselben sind sich einander ziemlich gleich. Sie bestehen, außer den eigentlichen Contumazhäusern, aus einer Kapelle, einem Wirthshause, einem Hospitale, einer Waarenniederlage, einer Kaserne und den Wohnungen der Offizianten, unter denen sich immer auch ein Arzt, ein Apotheker und ein Wundarzt befinden.

Die Contumaz ist eine Haft besonderer Art und ihr ist Jeder, der, aus der Türkei kommend, österreichisches Gebiet betritt, ohne Rangunterschied unterworfen. Der Reisende wird zu einem der Contumazhäuser gewiesen: – hölzerner, mit Kalk getünchter, schlechter Baracken, welche isolirt stehen und deren jede mit einem hohen Pallisadenzaune umgeben ist. Innerhalb der Verpfählung angelangt, nähern sich ihm mehre Personen bis auf eine gewisse Entfernung. Ein Mann mit einem dicken Bund Schlüssel gibt ein Zeichen in’s Haus zu treten, und kaum ist der Fremde über die Schwelle, so wird die Thüre hinter ihm verschlossen. – Er hat dann Muße, sein Gefängniß [140] zu untersuchen. Eine Stube von 10 bis 12 Fuß in’s Gevierte, mit ein paar vergitterten Fenstern, die nie gesäubert worden, schmutzige Wände, eine schwarz beräucherte Decke, die mit Spinnweben verziert ist, sind Dinge, welche eben kein Uebermaß von Comfort versprechen. Ein plumper Tisch, dahinter eine Pritsche, machen das Mobiliar aus. Ein Walache trägt Bagage und Mantelsack herein, begleitet von dem Manne mit dem Schlüsselbund, der wie ein Kerkermeister aussieht. Vorsichtig bleibt dieser an der Thüre stehen, dem walachischen Diener seine Verrichtungen anweisend. Den Reisenden bedeutet er, daß er sich Niemanden nähern, Niemanden berühren dürfe. Der Aufwärter geht und kommt wieder mit einem Arm voll Betten, die er auf der Pritsche ausbreitet. Mit ihm erscheint der Arzt: meistens ein unwissender Mensch, der das elende Leben auf der Contumazanstalt dem Verhungern vorzieht. Auch er hält sich vorsichtig an der Thüre, thut in gebrochenem Latein einige Fragen und entfernt sich wieder; der Kerkermeister schließt die Thüre ab und der Reisende ist allein. Wohl mag er sich nun einbilden, er sey ein Verpesteter.

Der Abend kömmt, die Schlüssel rasseln, die Thüre öffnet sich: herein tritt ein alter Schnurrbart, die Pfeife im Munde und einen ekelhaften sauern Essiggeruch von sich hauchend. Er hält eine Matratze im Arme, die er neben das Lager des Fremden hinwirft, sagend, er erscheine auf des Direktors Befehl, um ihn zu bewachen. Zwei Schreiber folgen, mit Papier und Schreibzeug, pflanzen sich an der Tafel hin und verlangen genaue Angabe des Kleiderverzeichnisses, protokolliren solches und gehen weg mit der Warnung, daß bei schwerer Verantwortlichkeit während der Quarantainezeit nichts davon entfernt, auch nichts gewaschen werden dürfe. Der Wächter fragt, ob der Reisende essen und trinken wolle. Bejaht er es, so bringt jener eine Flasche sauern Wein, ein großes Glas voll Raki (Zwetschenbranntwein) und irgend ein roh und schlecht zubereitetes Gericht, das er, ohne Tuch, auf den schmutzigen Tisch stellt. Selten wird der Reisende den sauern Wein trinken, wenn er gutes frisches Quellwasser haben kann; aber dieß ist gemeinlich nicht zu erlangen.

Alles vereinigt sich, um den Aufenthalt in der Contumaz unerträglich und wahrhaft kerkermäßig zu machen – schlechte Nahrung, Mangel aller Bewegung und aller gewohnten Bequemlichkeit: kein Wunder daher, daß es selten an Kranken fehlt. Selbst zum Gottesdienst dürfen in der ersten Woche der Contumazzeit die Eingesperrten nicht zusammen kommen. Nachdem die ersten 8 Tage überstanden sind, läßt zwar die rigoröse Behandlung etwas nach; aber jeder Berührung eines Andern, sey es auch nur eines Mitgefangenen, wird bis auf den letzten Augenblick streng abgewehrt.

Es ist begreiflich, daß das überall allmächtige Gold auch an diesen Orten der Verwünschung sich manches verschaffen kann, was der ärmere Reisende entbehren muß. Selbst Bücher leiht der Kerkermeister gegen schweres Geld, um die unerträgliche Langeweile zu tödten: – sie werden in einer am Ende einer Stange befestigten Büchse überbracht und bei der Zurücknahme dem Essigbade unterworfen. Im letzten Stadium der Contumaz ist wohl auch etwas mehr Freiheit und ein Spaziergang in einem erweiterten Bezirke erlaubt. – Für die Grenzbewohner ist natürlich ohnehin die Contumaz einfacher und kürzer. Gewöhnlich wird Alles, was den Tag über von Bauern die [141] Gränze einpassirt, in eine große Schuppe zusammengesperrt und nach 3 oder 5 schlimmen Tagen, während welcher sich jeder beköstigen und betten mag, so gut er kann, läßt man den Haufen, nachdem er summarisch geräuchert und mit Essig besprengt worden, weiter ziehen. Dringt aber die Pest nahe an die Gränzen vor, dann hört alle Kommunikation unter den Bewohnern auf.

Endlich gehen die drei langen Marterwochen zu Ende. Am letzten Morgen erscheinen Doktor und Apotheker mit Gehülfen, die sprühende Kohlpfannen tragen; jene werfen Salpeter handvollweiß darauf, und die Kerls marschiren um den auf Erlösung Harrenden herum wie Zauberer, ihn in ihrem höllischen Dampfe fast erstickend. Der Inspektor kömmt und zählt die vorher mit Pestessig besprengten Kleider und Wäsche, während ein Schreiber das Verzeichniß derselben laut abliest. Trifft Alles richtig zu, so werden sie in „grausiger Ordnung“ wieder in Koffer und Mantelsack gepackt. Der Inspector wechselt mit dem Arzte ein paar Fragen, tritt dann zu dem Reisenden und erklärt ihm in höflichem Tone: er sey rein. Er vernimmt es, wie das „Gnade!“ ein Verurtheilter. Aber nun erscheinen eine Anzahl Personen, zum Theil mit schmählichen Rechnungen, zum Theil mit trotzender, bittender Miene, Trinkgelder für geleistete und nicht geleistete Dienste erwartend; – für Alles muß bezahlt werden, und das Nachtlager auf der harten Pritsche kostet mehr als das Eiderdaunen-Bett eines Hotels in Paris.

Ein äußerst romantischer Weg führt von Xupanek an dem linken Ufer der schäumenden Cserna hin und dann durch das Bella-Recca-Thal nach Mehadia, einem schönen Flecken, in dessen Nähe merkwürdige Ueberreste einer Römerstraße, einer Wasserleitung und die Ruinen eines Castrums, aus der Zeit Trajans, sehenswerth sind. Die berühmten, schon den Römern bekannten Herkulesbäder liegen eine Meile von Mahadia entfernt in einem engen, von hohen, waldigen Bergen umschlossenen Thale, das von der Cserna durchströmt wird. Man findet hier, in diesem fernen Winkel Ungarns, alle Annehmlichkeiten eines fashionablen Kurorts, elegant eingerichtete Wohngebäude, vortreffliche Gast- und Traiteurhäuser, Versammlungssäle, Casino, Lesekabinets, Theater etc. etc. – und so reizende Parkanlagen und Spaziergänge, als in irgend einem Bade Deutschlands und der Schweiz. Die nahe Gebirgswelt zeigt sich im Schmucke der schönsten Alpenlandschaften: Wasserfälle, Gießbäche, Bergschluchten, Felsenhöhlen, und kleine stille Seen in heimlichen Gründen. Jenseits Mehadia wird der letzte Arm des Gebirgs überstiegen, und von seinem Kamm fällt der Blick auf die ungeheuere, sich bis Pesth erstreckende Ebene, die den Flächenraum von halb Preussen einnimmt. Unabsehlich streckt sie sich aus, von schimmernden Strömen wie von silbernen Heerstraßen durchzogen.

Bald sind die Höhen verlassen und man ist eingetreten in das ungarische Tiefland. Keine einzelne Häuser mehr, wie in der Moldau und Walachei; sondern weit aus einander liegende große Dörfer mit regelmäßigen Straßen; die Häuser einförmig, aus Lehmbacksteinen, mit Strohdächern, langweilig anzusehen. Keine großen Oekonomie-Gebäude hinter den Häusern: das Getreide liegt im Freien aufgeschichtet, des Ueberflusses Unwerth verrathend. Selten eine Obstpflanzung, oder ein Garten an einem Bauernhause, oder sonst etwas, was andeute, daß [142] die Menschen andere als thierische Bedürfnisse kennen. Männer und Weiber, in Schafpelze gekleidet, sind Leibeigene des hohen Adels dieses Landes, denen sie wie die unzähligen Schafheerden angehören, welche sie hüten. Wenn einer der gnädigen Eigenthümer eine öde Strecke auf seinen Besitzungen anbauen will, so nimmt er eine Anzahl Menschen und Thiere von einer cultivirten Stelle weg und versetzt sie dahin; er versieht sie mit aus Lehm bald hergerichteten Wohnungen, gibt dem Dorfe einen Namen, richtet ein paar Brunnen her und genießt dann die Früchte des menschlichen Fleißes. Die Woche gehört zur Hälfte dem Herrn, zur Hälfte dem Bauer; aber da die Tage der Feier und die der schlechten Witterung ihm zufallen, so hat er oft nur einen Tag für sich und von dem schmalen Ertrag bekommt noch der Geistliche Frucht- und Blutzehnt. Rentirt aber dem Herrn die Ansiedelung nicht genug, so läßt er den größern Theil der Bevölkerung aufbrechen und ein neues Colonistendorf gründen.

Je weiter man in der Ebene, der Theiß und Donau zu, vordringt, desto seltener und dürftiger zeigt sich der Anbau. Da, wo die beiden Strome sich vereinigen, strecken weite Sümpfe sich aus, welche Krankheiten, besonders das sogenannte ungarische Fieber, begünstigen und die Gegend ungesund machen. Man passirt die Theiß nahe bei ihrer Mündung vermittelst einer Fährte. Die beiden Ströme gewähren einen majestätischen Anblick. Spiegelglatt und klar wälzt sich die Theiß in fast halbstündiger Breite der noch mächtigern und prachtvolleren Donau zu. Das Land zwischen der Theiß und der Donau ist Sumpf und Einöde: der Weideplatz aber von ungeheuern Schafheerden angefüllt. Sie bestehen aus Merinos, welche erst seit wenigen Jahren hier eingeführt worden. Schäfer in Fellen mit wildem Blick und noch wildere Hunde bewachen sie. Von einem Sandhügel jenseits der Theiß erblickt man in 5stündiger Entfernung die Thürme von Peterwardein, das Neusatz, wie Ehrenbreitstein Coblenz, gegenüber liegt, und stolz von seinem Felsen auf die Donau hernieder schaut.

Peterwardein ist das Gibraltar Ungarns und die stärkste Festung der ganzen österreichischen Monarchie. Sie steht auf einem, auf drei Seiten von der Donau umspülten, 3 bis 400 Fuß hohen Felsen und enthält mit der untern Stadt, die zum Theil auf der niedrigern Landzunge gebaut und durch gewaltige Außenwerke vertheidigt ist, an 6000 Einwohner.

Peterwardein besitzt alle zu einem großen Waffenplatze gehörigen Anstalten: Kadettenschule, Militair-Hospital und ein weltberühmtes Zeughaus, mit dem Kriegsbedarf zur Ausrüstung einer Armee von 30,000 Mann. Eine Schiffbrücke verbindet die Festung mit der schönen Freistadt Neusatz, welche in der nahe bei ihr vortrefflich angebauten Ebene dicht am andern Ufer liegt. Noch vor 90 Jahren war der Raum, auf dem jetzt 3000 Häuser in schönen Straßen prangen, eine Viehweide! Die erste Ansiedelung fand nach Belgrads Eroberung durch die Türken statt. Sie zählt jetzt über 20,000 Einwohner, von welchen die orientalischen Christen 5 Kirchen, die Katholiken, Reformirten, Lutheraner und Juden jede dieser Partheien ein Gotteshaus besitzen.