Seite:Meyers Universum 4. Band 1837.djvu/240

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.

die Menschen andere als thierische Bedürfnisse kennen. Männer und Weiber, in Schafpelze gekleidet, sind Leibeigene des hohen Adels dieses Landes, denen sie wie die unzähligen Schafheerden angehören, welche sie hüten. Wenn einer der gnädigen Eigenthümer eine öde Strecke auf seinen Besitzungen anbauen will, so nimmt er eine Anzahl Menschen und Thiere von einer cultivirten Stelle weg und versetzt sie dahin; er versieht sie mit aus Lehm bald hergerichteten Wohnungen, gibt dem Dorfe einen Namen, richtet ein paar Brunnen her und genießt dann die Früchte des menschlichen Fleißes. Die Woche gehört zur Hälfte dem Herrn, zur Hälfte dem Bauer; aber da die Tage der Feier und die der schlechten Witterung ihm zufallen, so hat er oft nur einen Tag für sich und von dem schmalen Ertrag bekommt noch der Geistliche Frucht- und Blutzehnt. Rentirt aber dem Herrn die Ansiedelung nicht genug, so läßt er den größern Theil der Bevölkerung aufbrechen und ein neues Colonistendorf gründen.

Je weiter man in der Ebene, der Theiß und Donau zu, vordringt, desto seltener und dürftiger zeigt sich der Anbau. Da, wo die beiden Strome sich vereinigen, strecken weite Sümpfe sich aus, welche Krankheiten, besonders das sogenannte ungarische Fieber, begünstigen und die Gegend ungesund machen. Man passirt die Theiß nahe bei ihrer Mündung vermittelst einer Fährte. Die beiden Ströme gewähren einen majestätischen Anblick. Spiegelglatt und klar wälzt sich die Theiß in fast halbstündiger Breite der noch mächtigern und prachtvolleren Donau zu. Das Land zwischen der Theiß und der Donau ist Sumpf und Einöde: der Weideplatz aber von ungeheuern Schafheerden angefüllt. Sie bestehen aus Merinos, welche erst seit wenigen Jahren hier eingeführt worden. Schäfer in Fellen mit wildem Blick und noch wildere Hunde bewachen sie. Von einem Sandhügel jenseits der Theiß erblickt man in 5stündiger Entfernung die Thürme von Peterwardein, das Neusatz, wie Ehrenbreitstein Coblenz, gegenüber liegt, und stolz von seinem Felsen auf die Donau hernieder schaut.

Peterwardein ist das Gibraltar Ungarns und die stärkste Festung der ganzen österreichischen Monarchie. Sie steht auf einem, auf drei Seiten von der Donau umspülten, 3 bis 400 Fuß hohen Felsen und enthält mit der untern Stadt, die zum Theil auf der niedrigern Landzunge gebaut und durch gewaltige Außenwerke vertheidigt ist, an 6000 Einwohner.

Peterwardein besitzt alle zu einem großen Waffenplatze gehörigen Anstalten: Kadettenschule, Militair-Hospital und ein weltberühmtes Zeughaus, mit dem Kriegsbedarf zur Ausrüstung einer Armee von 30,000 Mann. Eine Schiffbrücke verbindet die Festung mit der schönen Freistadt Neusatz, welche in der nahe bei ihr vortrefflich angebauten Ebene dicht am andern Ufer liegt. Noch vor 90 Jahren war der Raum, auf dem jetzt 3000 Häuser in schönen Straßen prangen, eine Viehweide! Die erste Ansiedelung fand nach Belgrads Eroberung durch die Türken statt. Sie zählt jetzt über 20,000 Einwohner, von welchen die orientalischen Christen 5 Kirchen, die Katholiken, Reformirten, Lutheraner und Juden jede dieser Partheien ein Gotteshaus besitzen.