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Angelo, – die heilige Jungfrau in Lebensgröße, – in deren Darstellung dieser große Maler des Riesigen, Geisterhaften und Furchtbar-Erhabenen gezeigt hat, daß dem wahren Genie nichts mißlingen kann, auch wenn es Gegensätze wagt.

Von spanischen Meistern ersten Ranges ist wenig hier zu finden.

Doch ist’s nicht die Kunst, auch nicht der nur an den Gallatagen der Kirche sichtbare Juwelenschatz ist’s, welcher die Bevölkerung von Burgos täglich in der Kathedrale versammelt. Eine Handvoll Asche und ein Häuflein Knochen, solche sind’s, welche die magnetische Kraft verbergen, die die schwerbewegliche Masse herbeizieht. Keine Kirche in Spanien rühmt sich eines größern Reliquienschatzes, als der Dom von Burgos: und keine Bevölkerung hängt fester am Glauben ihrer wunderthätigen Kraft. Es ist dieser Glaube so mit ihren Vorstellungen verwachsen, daß selbst unbedeutende Geschäfte des Lebens ohne Gebet zu einem Arm- oder Wirbelknochen eines Heiligen nicht verrichtet werden können. Deshalb trifft man in der Kathedrale täglich ganz Burgos an. Man muß zu allen Stunden hineingehen; denn zu allen Tageszeiten bietet sie neue und unerwartete Scenen dar. Die Kirche ist so groß, daß in acht der Kapellen (jeder Heilige hat eine besondere) zugleich Kirchendienst gehalten werden kann, ohne daß einer den andern im mindesten durch vernehmbares Geräusch störe. – Der frühe Morgen gehört dem Pomp der Messe an, der mit einem Luxus gefeiert wird, welcher mit der Pracht des Orts übereinstimmt. Scharf stechen die rothen und weißen Kleider der amtirenden Priester gegen die schwarzen, imposanten Kleider der Kanonici ab, und wenn man die lange, von 12 Chorknaben getragene Schleppe des Erzbischofs sieht, denkt man gewiß eher an einen Fürsten dieser Welt, als an den Jünger des Weisen, welcher nicht so viel sein nannte auf Erden, wo er sein Haupt hinlegen konnte. Gegen Abend, wenn die Strahlen der sinkenden Sonne den buntbemalten Scheiben der hohen Fenster einen goldnen Lokalton verleihen, der ein verklärtes Licht über den ganzen Raum verbreitet, naht die Lieblingsstunde des einsamen Gebets. Frauen, in ihre Mäntel eingehüllt, kommen und entfernen sich leisen Trittes, und vor den entlegensten Altären knieen die schlanken, verschleierten Gestalten und vergießen die Thränen geheimen Schmerzes zu den Füßen der wunderthätigen Schreine und Bildsäulen. Sobald die Dämmerung in’s Dunkel sich verliert, ändert sich abermals die Scene. Das Kommen und Gehen wird unruhiger; die schwankenden, bald zu süßer Wehmuth stimmenden, bald feierlich rührenden Flötentöne der Orgel scheinen zugleich zum Gebet und zur Liebe zu rufen. Dieß ist die Stunde der Intrigue und in das Schluchzen der Rührung mischen sich oft die Seufzer des Verlangens. –

Von der Gallerie des großen, mittlern Glockenthurms übersieht man die ganze Stadt und das umliegende Land. Burgos hat nicht den kahlen, öden Anblick der Städte in Aragonien und Neukastilien, die man von dem Genius der Wüste erbaut glauben sollte. Malerisch liegt es am Fuße eines in pittoresker Masse sich erhebenden

Empfohlene Zitierweise:
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Fünfter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1838, Seite 6. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_5._Band_1838.djvu/14&oldid=- (Version vom 9.10.2024)