Der 1. Glaubensartikel/3. Ich glaube an Gott den Vater, Allmächtigen.

« 2. Es ist aber der Glaube eine gewisse Zuversicht des, das man hoffet, und nicht zweifeln an dem, das man nicht siehst. Hermann von Bezzel
Der 1. Glaubensartikel
4. Herr, lehre mich doch, daß es ein Ende mit mir haben muß und mein Leben ein Ziel hat, und ich davon muß. »
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3.


Ich glaube an Gott den Vater, Allmächtigen.


 So bekennen wir im ersten Glaubensartikel, und wer es recht versteht, weiß, daß in diesem einen Worte die ganze Fülle alles dessen enthalten ist, was die drei Glaubensartikel in herrlicher Weitschaft verkünden. Denn es ist nicht an dem, wie man manchmal liest und wie auch geistreiche Theologen behauptet haben, daß wir im ersten Glaubensartikel uns mit den Juden und Mohammedanern, im zweiten mit allen Christen und erst im dritten mit allen Evangelischen zusammenschließen. Diese Scheidung ist mehr geistreich als wahr. Wer die Worte recht versteht: ich glaube an den allmächtigen Vater – denn so soll es eigentlich heißen – weiß, daß Gott, sobald er Vater geheißen wird, der Vater unsers Herrn Jesu Christi ist, weiß auch, daß, sobald der Vater und der Herr Jesus genannt werden, sie mit dem Hl. Geist sich zusammenschließen, und weiß endlich, daß das Werk der Schöpfung zugleich das Werk der Erlösung und Weltvollendung ist. Denn Gott beginnt kein Werk ohne es zu heiligen und heiligt keines ohne es zu vollenden. Wer den Vater nicht hat, der hat auch den Sohn nicht (Joh. 5 23), und wer den Sohn nicht hat, der hat auch den Vater nicht, und wer den Vater und den Sohn nicht hat, der ist vom Hl.| Geist verlassen. Denn niemand kann Jesum einen Herrn nennen ohne durch den Hl. Geist, (1. Kor. 12 3.)

 Indem ich dies vorausschicke, möchte ich der Gemeinde zum Verständnis sagen, daß die alte Kirche bis zum 5. Jahrhundert gebetet hat: ich glaube an einen Gott, an den einzigen und wahren Gott, der vor allen Göttern der Heiden den wesentlichen Vorzug hat, daß jene erdichtet sind und er ist wahr, wirklich. Darum ist er der Einzige, der den Namen Gott verdient.

 Vielleicht fragst du, woher eigentlich der Name Gott stammt? Es ist wunderbar, daß man bis auf diese Stunde noch nicht weiß, woher unser Volk den Namen, der über alle Namen ist (Phil. 2 9), geholt hat. Obwohl man weiß, woher das Wort Mensch kommt: der Denkende, der Sinnende, der Meinende. Im Großen Katechismus Luthers steht: Gott heißt er, weil er alles Guten Inbegriff und Urquell ist. Und so hat es auch unser Johann Heermann gemeint, wenn er singt: O Gott, du frommer Gott! Und doch ist diese Erklärung, so sinnig sie ist und so gern ich sie den Kindern gegeben habe: Gott, das höchste Gut, der Inbegriff alles Guten, Schönen, Reichen, Reinen, nicht richtig. Andere haben gesagt, Gott kommt her von dem Worte, das im Altgotischen soviel heißt als: sich verbergen, der, dem es gefällt, im Dunkel zu wohnen, der in den Geheimnissen sein Zelt aufgeschlagen hat. Und auch diese Erklärung, so nahe sie vielleicht sprachlich das richtige| trifft, ist nicht tröstlich. Gewiß du bist ein verborgener Gott, aber du bist auch unser Heiland. (Jes. 45 15.) Und je verborgener er ist, desto mehr ringt die Seele darnach, daß er sich offenbare: Rede, damit ich dich sehe und laß dich vernehmen, damit ich dein gewahre! Nach der lateinischen Bezeichnung ist Gott der, der da setzet und es bleibt, der da stellt und es steht, der da ordnet und niemand kann es umstoßen, der da eilt und niemand kann ihn aufhalten. Und noch eine andere Erklärung seines Namens, die mir noch lieber ist, besagt, daß er Licht ist und in ihm ist keine Finsternis. (1. Joh. 1 5.) Vielleicht kommt das Wort Gott aber von dem alten Zeitwort got, der Angerufene, der allein das Gebet der Menschen erfährt und erhört. Schon das müßte uns in die Demut treiben, daß wir den Allergeliebtesten, den wir notwendiger haben als die Luft, die uns umgibt, nicht recht nennen können, daß wir immer wieder genötigt sind, an seine Offenbarung uns zu halten.

 Darum sage ich zum ersten: Gott ist Person.

 Vielleicht denkt jemand bei sich, das sei ein leeres Wort. O mein Christ, gerade die moderne Auffassung, welche die Person Jesu Christi zwar nicht leugnet aber verflacht und der Göttlichkeit beraubt, steht in Gefahr, nicht mehr persönlich denken zu können. „Gott ist alles, was mich umgibt. Gott ist die Luft, die ich atme,“ sagt der Moderne... „Gott ist die Rose, die mir entgegenblüht; Gott ist die Welle, die an mir vorbeizieht; Gott| ist der Sonnenstrahl, der mein Antlitz labt; Gott ist die finstere Nacht, die mir den Schlaf gönnt; Gott ist der Frühling, der neues Leben bringt; Gott ist des Herbstes Ernst, der mir die Ernte schenkt.“ Das allgemeine Wort von einem Gott, der alles ist, nur nichts faßbar, hat etwas sehr Poetisches. Aber so gewiß die Sünde nicht poetisch, sondern der Schrecken des Lebens ist, so gewiß brauche ich nicht Poesie über Gott – die kann empfindsamen Gemütern überlassen werden. Ich brauche einen, mit dem ich rede: Du! und der mir antwortet: Ich! Was hilft es dir, wenn ich sage: Siehe in diesem Raume ist die Barmherzigkeit anwesend, und du kannst sie nicht fassen? Was tröstet es den Armen, wenn ich ihm die Bildnisse barmherziger Männer und Frauen zeige und spreche: Es umgibt dich die Geschichte der Barmherzigkeit! und niemand tritt aus dem Rahmen heraus, um ihm die Tränen zu trocknen und die edlen Bilder geben ihm kein Brot? Die Leute wissen nicht, welchen Raub sie an der Seele nicht bloß des Menschen, sondern der Menschlichkeit begehen, wenn sie Gott in Begriffe, Gefühle, Gedanken auflösen. Von jener Dienerin eines großen Malers wird erzählt, daß sie, um sein bestes Werk von Staub zu reinigen, Scheidewasser nahm. Der Staub ging allerdings von dem Gemälde weg, aber die Farbe auch und das Bild löste sich in ein buntes Gemenge auf. So machen es die, welche, um den Begriff Gott recht rein zu erhalten, mit dem ätzenden Wasser ihres Verstandes das göttliche| Bild auflösen. Was bleibt dir dann? – Mein Christ, du weißt, daß er gesagt hat: Rufe mich an in der Not, so will ich dich erretten! (Ps. 50 15.) Und weiter: Fürchte dich nicht, ich bin mit dir! (1. Mos. 26 24.) Und darum sage ich euch und mir die frohe Botschaft: der Gott, der alles erfüllt, ist eine Persönlichkeit; eine Persönlichkeit, mit der ich reden darf wie ein Kind mit seinem Vater, die ich aufhalten darf: Halt stille, ich will den Saum deines Kleides berühren! Ich brauche einen, der ein Ohr hat für meine Schmerzen und ein Verständnis für ihre Not. Was hilft es mich, wenn ich weiß, die ganze Luft ist von Gott erfüllt, wie die Sonne die Luft erzittern läßt von ihren Strahlen am Sommerhochtag, und die Strahlen enteilen und verstehen mich nicht, und die Sonne sinkt und erhört mich nicht, und das Licht weicht und tröstet mich nicht! Ich brauche einen, zu dem ich sagen kann: du bist unser Vater und unser Erlöser, von altersher ist das dein Name. Abraham weiß von uns nicht und Israel kennt uns nicht, aber du bist unser Vater! (Jes. 63 16.)
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 Gott ist Person, das ist die größte Kraft. Denn die Person ist Herr über Raum und Zeit. In dem Moment, in dem du nur für die Minute da wärest, in der du dich eben befindest, wärest du keine Person mehr, sondern eine Null. Aber du hast ja das Recht, über die Vergangenheit zu gebieten. In einer Minute kannst du dich in die Vergangenheit zurückversetzen, alle vergangenen Dinge wieder deiner Erinnerung vergegenwärtigen.| Die Vergangenheit zwingt dich: du wirst älter, vielleicht auch klüger. Aber du zwingst sie viel, viel mehr. Sie muß dir dienen: deine Eltern, Geschwister, längst Verblichene treten in dein enges Zimmer; du bist voll von Erinnerungen. Die Persönlichkeit aber, welche die Vergangenheit in die Gegenwart zwingt, läßt uns auch über die Zukunft gebieten. Wer kann es dir wehren, dir auszumalen, wie es einmal sein wird, wenn du das gelernt und jenes erreicht, das gemieden und jenes gerettet hast? Du malst dir die Zukunft aus; sie muß dir dienen. Und weil du über die Zeit Herr bist, bist du Person.

 Doch du gebietest auch über den Raum. Das wäre keine Person, die nur das Plätzlein ausfüllt, auf dem eben der müde Leib ausruht. Das ist eine Null, ein Lebewesen, aber keine Person. Das Tier füllt auch den Platz aus, der ihm gegeben, es lebt, ist aber keine Person. Der Mensch kann in jeder Minute über den Raum gebieten. Wer wehrt mir, daß ich, während ich an meinem Schreibtisch sitze, im Geist in Amerika weile? Ja, wie will ich denn beten, wenn ich nicht weit über Raum und räumliche Dinge hinüber zu Gott mich erhebe?

 Manche Menschen freilich sind nur des Raumes mächtig, den sie inne haben. Das sind die armen Leute, die an die Scholle gebunden sind, und die, weil sie nicht in die Höhe kommen, auch nicht in die Tiefe gründen. Da sie aber doch eine Ausdehnung nehmen müssen, so| verflachen sie. Und der oberflächliche Mensch ist eben der, der von dem Raum abhängig ist, auf dem er weilt, von dem Genuß seiner Wohnung, von der Speise, die er zu sich nimmt, von dem Schauspiel, das an ihm vorüberzieht, von den Torheiten, über denen er den Himmel verliert und die Hölle verdient.

 Aber bist du Herr über Raum und Zeit, so rächen sich beide an dir; sie rächen sich für deine Herrschaft. Wenn du schwerkrank darniederliegst und kannst kein Glied mehr rühren und andere müssen dich tragen, heben, betten wie ein hilfloses Kind: das ist die Rache, die der Raum an den Menschen nimmt. Und wenn du von dem Schmerz des Augenblicks ganz hingenommen bist, und wenn die Zeit der Rüstigkeit zu Ende geht und du spürst es, daß es nimmer so ist, wie in früherer Zeit, und die Kirchhofblumen immer eindringlicher für dich blühen und zu dir reden vom Ende, merkst du, das ist die Rache der Zeit.

 Gott ist Person, weil er über Raum und Zeit ebenso gebietet wie ich. Aber er ist die Person, weil Zeit und Raum nicht über ihn gebieten. Das ist mein Trost, daß ich sagen kann: du kennst die Zeit, in der ich lebe, mit ihrer Angst und ihren ungelösten Fragen, mit ihren Rätseln, die niemand deutet, mit ihren Zeichen, die niemand versteht. Du bist aber Herr der Zeit; an dir stürmt sie vorüber und du bleibst ewig jung und frisch. An deinen Füßen ziehen die Wogen des Geschichtsmeeres vorüber, aber sie können dich nicht berühren.| Du bist über aller Zeiten Wandel erhaben. Wie unsere Väter auf dich hofften und nicht zuschanden wurden, so werden, wenn von unserem Staube kein Atom mehr da ist, andere Geschlechter kommen und sagen: Mein Gott, mein Vater!

 Das ist das Große, was das Herz schwellen läßt: ich bin nicht wie ein Tropfen im Weltmeer, auf dem die Sonne einen Augenblick fällt, und der Tropfen taucht ins Meer hinab und es ist vorbei; sondern der Herr aller Zeiten hat meine Zeit in seinen Händen: Meine Zeit steht in deinen Händen; du hast mich erlöst, du treuer Gott. (Ps. 31 16, 6.) – Und das ist das Große, daß Gott auch den Raum beherrscht und durchwaltet, in dem mein armes Leben sich vollzieht. Siehe, spricht er, ich will mit dir sein und dich behüten, wo du hinziehst. (1. Mos. 28 15.) Bettete ich mir in die Hölle, siehe, so bist du auch da. Nähme ich Flügel der Morgenröte, und bliebe am äußersten Meere, so würde mich doch deine Hand daselbst führen und deine Rechte mich halten! (Ps. 139 8–10.) Mit einem Wort: Gott ist nicht nur Person – das bin ich auch – sondern Gott ist die Persönlichkeit.

 Und das ist das Wundersame, daß diese alles umfassende, alles überragende, alles überwaltende Persönlichkeit für mich da ist, für mich allein. Denn wenn ich bete, dann gehe nicht ich bloß in mein Kämmerlein, sondern ich nötige Gott mit meinem Kämmerlein vorlieb zu nehmen. Wenn ich bete, tritt eine| Selbstsucht in mein Leben, die erlaubt, ja geboten, ja nicht nur geboten, sondern auch notwendig ist. Denn ein Gebet, das nicht Gott gleichsam zwingt, ein Anliegen, das nicht so dringend vorgebracht wird, als gäbe es außerdem überhaupt kein anderes Anliegen mehr, ist von keinem Wert.

 So danke ich es ihm jetzt im Staub und, wenn er Gnade gibt, einst in der Verklärung, daß er der Einzige ist, der ewig spricht: Ich! Und daß er zugleich der Einzige ist, der mich zeitlich sprechen läßt: Du! Denn alle Menschen, auch die geliebtesten, zu denen ich Du gesagt und denen ich mein Herz erschlossen habe, die gehen alle dahin. Wie viele stehen an Gräbern, sprechend: Ich hätte dir noch so viel zu sagen und du hörst mich nimmer. Aber er ist der Einzige, der von meinen ersten Lebenstagen an, wo ich ihn schauernd ahnte, bis zu meinem letzten, wo ich in Schrecken zittere und doch in Hoffnung scheide, mich zu sich sagen läßt: Du! Der Philosoph Fichte hat den Geburtstag seines ältesten Sohnes an dem Tag begangen, wo er „ich“ sagen konnte. Kleine Kinder reden ja lange von sich in der dritten Person und lernen weit eher „du“ als „ich“ sagen. Ein feiner und lehrreicher Gedanke; denn Erwachsene sagen immer erst ich, dann erst du. Wenn das Kind anfängt zu denken, sagt es du; wenn es anfängt in Sünden zu geraten, sagt es ich.

 Aber das ist göttliche Harmonie, daß mein Ich in seiner Sünde und Unbedeutendheit und sein Du in| seiner Reinheit und Allmacht sich so zusammenschließen, und daß er, der Allgenugsame, sprechen mag: Gib mir, mein Kind, dein Herz! (Spr. 23 26.) Er weiß, was er verlangt: ein törichtes, trotziges, verkehrtes und verzagtes, ein kindisches, stürmisches, leeres und loses Herz. Er sagt nicht: dein reines, edles, reiches, geadeltes Herz, er sagt schranken- und bedingungslos: Gib mir, mein Kind, dein Herz! Und schüchtern, er, die einzige Urpersönlichkeit, schüchtern fährt er weiter: und laß deinen Augen meine Wege wohlgefallen! Deinen Augen meine Wege! Ja, wenn er sagen würde: Laß meinen Augen deine Wege wohlgefallen, das verstünde ich. Ihr sollt heilig sein; denn ich bin heilig, der Herr, euer Gott! (3. Mos. 19 2.) So sagt er aber nicht. Sondern die einzige ewige Persönlichkeit neigt sich so zu dir, o armer Mensch, daß sie spricht: Laß deinen Augen, den blöden, kurzsichtigen, stumpfen und blinden, laß deinen Augen meine Wege wohlgefallen!
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 So nehmt es in euer Herz: Er ist Persönlichkeit! In der Stunde, in der mir jemand beweisen würde, daß Gott nicht Person ist, würde mich die Verzweiflung umarmen. In der Stunde, in der euch der Gott eurer Väter dadurch geraubt wird, daß man euch seine Person entzieht, wäre es besser, ihr wäret nie geboren. (Matth. 26 24.) Aber in der Stunde, in der es durch meine Seele mit tausendfachen Harmonien zieht: Ich bin der Herr, dein Gott, der dich aus dem Diensthaus| geführt hat! (2. Mos. 20 2). In der Stunde jauchzt alles in mir: Gott hat mich nicht verlassen. Vater und Mutter verlassen mich, Arbeit und Mühe scheiden von mir, Ehre und Erfolg weichen und wanken; was mir lieb war, das wird mir zum Überdruß, was mir wert schien, verliert den Glanz. Aber du bist es, der mein Leben mit Glanz erfüllt, du bist der Herr!

 Und zum Zweiten: die Urpersönlichkeit Gottes ist selig. Natürlich, sagt ihr, daß Gott selig ist, wissen wir. Er wohnt in ewigem Reichtum, er ist aller Dinge Fülle. Aber er ist noch mehr. Die Seligkeit Gottes ist seine Allgenugsamkeit. Das ist das Geheimnis: Er braucht dich nicht, aber er will dich. Manche Schwärmer lehren: Gott wäre ohne mich weniger. Wenn er mich nicht hätte, wenn meine Seele nicht heimkäme, würde er arm sein; also braucht er mich, nicht ich ihn. Das ist satanischer Hochmut und nicht christliche Demut. Gott braucht niemand von uns, niemand und nie, aber er will uns gebrauchen. Der Himmel und aller Himmel Himmel können ihn nicht erhöhen (1. Kön. 8 27), bereichern, wie sollte ich das können? Und doch spricht er: Kommet zu mir! (Matth. 11 28.) Die Seligkeit Gottes ist die Folge seiner Persönlichkeit. Er hat alles und ist alles und vermag alles und braucht mich nicht und bedarf meiner nicht und keines Menschen, aber er will mich. Man hat gefragt: Warum hat er die Welt geschaffen? und hat die Antwort gegeben: weil er sie braucht. Schiller sagt einmal:

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Freudlos war der große Weltenmeister,
Darum schuf er Welten, schuf er Geister,
Zeugen seiner Herrlichkeit.

 Das war vor hundert Jahren der Glaube und der hebt wieder an: daß Gott den Menschen geschaffen hätte um seiner selbst willen, damit er ihm die Öde der Erde vertreibe und die Eintönigkeit des Lebens versüße. Wozu brauche ich denn zu beten, wenn ich weiß: er kann ohne mich nicht sein? Was brauche ich dann heilig zu leben, wenn ich weiß: er muß mich ja doch haben? Niemand betrüge mich mit vergeblichen Worten! Ihr merkt es, welch ein Gift in solchen Sätzen liegt. Nein, er braucht mich nicht. Während auf Erden der Streit ist, ist bei ihm lauter Licht. Während hier die Gegensätze bis aufs Blut sich befehden, ist bei ihm eitel Friede. Während auf Erden sich alles in Widerspruch bewegt und das Eine vom Tode des Andern lebt, und das Andere am Leben des Einen stirbt, ist er in vollem Genügen.

Menschliches Wesen, was ist’s gewesen?
In einer Stunde geht es zugrunde.
Alles vergehet, Gott aber stehet,
Ohn alles Wanken; seine Gedanken,
Sein Wort und Wille hat ewigen Grund.

 Er braucht dich nicht. „Mich hat deines Dienstes nicht gelüstet; mich hast du mit dem Fett deiner Opfer nicht gesättigt. Ja, mir hast du Arbeit gemacht mit| deinen Sünden, und hast mir Mühe gemacht mit deinen Missetaten. (Jes. 43 23. 24.)

 Er ist der Allgenugsame, der Allselige. Und nun nimmt diese allgenugsame Größe, der, von dem, zu dem, in dem alle Dinge sind (Röm. 11 36), der von niemand erkannt worden ist und in dessen Art niemand sah, dem niemand etwas zuvor gab (Röm. 11 35), dieser allgenugsame Gott nimmt mich in seinen Dienst. Was ist der Mensch, daß du sein gedenkest, und des Menschen Sohn, daß du dich seiner so annimmst? (Ps. 8 5.) Hier beginnt die tiefe Dankbarkeit. Wenn du mich nicht mehr brauchen wolltest, – und obgleich täglich die Menschen mich mit Liebe überschütteten und mit Dank mich umrauschten, es wäre doch ein leeres, elendes, nutzloses Leben. Aber wenn du mich brauchst, werden die ärmsten Stunden königlich reich, die niedrigsten Dienste majestätische Vorrechte und königliche Gerechtsame; und die arme Bettlerin und der Straßenkehrer, die der hochmütige Blick kaum streift, werden erlauchte Majestäten ihres Gottes.

 Mein Meister rufet mich, er will mich brauchen. Was ist das für ein wundersamer Gott, der aller Dinge Fülle hat, vor dessen hl. Wort die Trauben schwellen und köstlichen Wein geben – und der dann spricht: Gehet hin in meinen Weinberg! (Matth. 21 28.) Was ist das für ein Gott, dem die Ernte entgegenreift und der die ganze große Welt zur Ernte hin sich zeitigen heißt, und der dann spricht: Arbeitet in meiner Ernte!| Was ist das für ein Gott, der zu der einzelnen Seele sagt: Siehe, ich will dich, der Meister ist da und ruft dich! (Joh. 11 28.) Und du klagst über deinen geringen Dienst und sprichst: Wenn ich nur so wäre wie der und die. Du neidest törichte Dinge und bist dabei mit einem Diadem geschmückt, von dem du noch nie eine Perle beachtet hast. Ein Diener Gottes bist du! Mein Christ, das sind alle jene erlauchten Persönlichkeiten droben in den Dachkammern, im vierten oder fünften Stock der Großstadthäuser, zu denen nie ein Pfarrer seinen Weg findet, die nie von einer Dienerin der Barmherzigkeit besucht werden, deren elende Dachlucke aber eine Aussicht hat nach dem Jerusalem, das droben ist. (Gal. 4 26.) Das sind die armseligen Existenzen, bei deren Ende der Armensarg schnell gezimmert, an deren Grab eine kurze Formel schnell gelesen ist, die aber den Ruf ihres Königs vernommen haben: Siehe, ich sende dich! Der Allgenugsame tritt in dieser Stunde vor deine Seele und spricht: Willst du es nicht mit mir versuchen? Er könnte dich zwingen; du müßtest ihm frönen, bis der letzte Schweißtropfen auf deiner Stirn vertrocknet ist; er könnte dich sklavisch knechten an Leib und Seele. Und er wirbt um dich und bittet dich, und wenn du ihn zurückweist, kehrt er traurig von dir, um in der nächsten Stunde noch einmal zu kommen und dir zu sagen: Gib mir dein Herz! –
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 Er ist Person, darum rufe ich ihn: Du! Er ist der Allgenugsame und dennoch will er mich. Wir geben ihm| nichts und er dankt uns. Wir leisten ihm nichts und er rettet uns. Wir können ihn nicht bereichern und er belohnt uns. Ei, spricht er, du frommer und getreuer Knecht, gehe ein zu deines Herrn Freude! (Matth. 25 21.) Und dieser allgenugsame Gott ist zum dritten der ewige und unveränderliche Gott!

 Die alten Heiden haben Launen ihrer Götter gekannt und gefürchtet. Sie haben von der umwölkten Stirn des Göttervaters gefabelt und von der ewig lichten Stirn ihrer Göttin geträumt. Und Dichter sprechen von den Tücken des Schicksals und der Willkür des Zufalls und reden von einem freundlich lächelnden Himmel und den günstigen Launen des Geschicks. So bist du, armer Mensch, nur abhängig von Launen, die den einen erheben und liebkosen, den andern verwerfen und verspotten? Bist du Beute einer lächelnden Willkür, die mit dir eine Weile spielt und dich dann wegwirft, die dir Hoffnungen ins Herz senkt, um sich bald an deiner Enttäuschung zu erquicken?

 Sobald mich solche Gedanken bedrängen, sucht meine Seele das Kreuz! Wenn er mir wirklich die Hoffnung ins Herz gesenkt hätte, um sich an meiner Verzweiflung zu weiden, wenn er mir die Freude gegönnt hätte, um mich an ihrer Entbehrung zu töten, dann wäre dieses schweigende Kreuz nicht der Erde entwachsen, und der, der die Hände ausbreitet um die Mühseligen und Beladenen an sich zu ziehen aus lauter Güte wäre nicht mein Heiland.

|  Der persönliche und allgenugsame Gott ist auch der ewige und unveränderliche, der da ewig denselben Sinn trägt. Weil er Licht ist, über das kein Schatten zieht, und Glanz, den keine Finsternis trübt, darum ist er auch Liebe, die nicht rastet, bis sie gefunden hat, und nicht ruht, bis sie getröstet hat.

 Aber ich höre dich einwenden: Wenn sein Sinn unveränderlich ist, was rätst du mir dann das Gebet, das Bitten? Sein Entschluß steht doch fest. Höchstens das Dankgebet hat dann noch einen Sinn!

 Das unveränderliche, ewige Wesen deines Gottes gleicht nicht der unverständigen Art deines Sinnes, sondern ist die Unveränderlichkeit der ewigen Liebe, welche deine Gedanken und deine Bitten in ihren Plan einordnet und sie erhört. Das wäre Veränderlichkeit Gottes, wenn er einmal die Liebe zu sein aufhörte. Aber das ist nicht Veränderlichkeit Gottes, wenn ihm dein Elend reut. Das wäre Veränderlichkeit, wenn er einmal dir verböte, zu ihm zu beten, nachdem er doch geboten: du sollst mein Antlitz suchen! (Ps. 27 8.) Aber das ist nicht Veränderlichkeit, daß er seine Gedanken von den deinen bestimmen läßt, nicht weil er muß, sondern weil er will. Es ist nicht Veränderlichkeit Gottes, daß das kleinste Kind, das sein Gebet und seine Bitten kaum überdenkt, mit an Gottes Weltregierung teil hat. Das ist nicht ein Traum frommer Schwärmer sondern: du bist ein Gott, der Gebete erhört (Ps. 65), und doch bleibest du, wie du bist. (Ps. 108 28.)

|  Es gibt auf Erden nichts Unveränderlicheres als die Mutterliebe und darum hat Gott seine Liebe mit der einer Mutter verglichen: Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet. (Jes. 66 13.) Kann auch ein Weib ihres Kindleins vergessen? Und ob sie desselbigen vergäße, so will ich doch dein nicht vergessen! (Jes. 49 15.) – In unserer Erinnerung lebt das Bild der Mutter als das einer unveränderlichen Güte. Daß sie manchmal ihre Worte und ihre Weisung änderte, weil sie unser kindliches Bitten sah und hörte, weil Kindesbitte und Mutterherz sich verstanden – war das Schwäche? War es veränderlich, wenn sie einen Rat, den sie mir gestern gab, um der eingetretenen andern Verhältnisse willen heute zurücknahm? Nein, das war Treue! Daß sie meine kleinen Dinge und Anliegen in ihr großes, reiches Leben hereinnahm, war nicht Laune, das war der Mutterliebe unveränderliche Größe.

 Und wenn es bei sündigen Menschen so ist, wie viel mehr muß es so bei Gott sein! Er ist darum unveränderlich, weil er sich von mir bestimmen läßt; denn er hat es mir zugesagt, daß ich alle meine Anliegen auf ihn werfen dürfte (Ps. 55 23), daß er mich erhört zu seiner Zeit.

 So, mein Christ, hat der ewige und unveränderliche Gott dir das Vorrecht gegeben, daß er dir zuruft: Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte vergehen nicht! (Matth. 24 35.) Und auf diese wunderbare| Offenbarung, die ein Menschenleben mit Sonne und Licht durchflutet, habe ich keine andere Antwort, als die schüchterne, die ein Kind aussagt, die gewaltige, an der ein Mann sich verzehren kann:

 Ich glaube an Gott den Vater, Allmächtigen.

Amen.