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Autor: Friedrich von Bernhardi
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Titel: Das Heerwesen
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aus: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Erster Band, Viertes Buch, S. 3 bis 24
Herausgeber: Siegfried Körte, Friedrich Wilhelm von Loebell, Georg von Rheinbaben, Hans von Schwerin-Löwitz, Adolph Wagner
Auflage:
Entstehungsdatum: 1913
Erscheinungsdatum: 1914
Verlag: Reimar Hobbing
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Erscheinungsort: Berlin
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Das Heerwesen[1]
Von v. Bernhardi, General der Kavallerie z. D.


Geographische Lage und wirtschaftliche Entwickelung Deutschlands.

Die Geschicke Deutschlands werden wesentlich durch seine geographische Lage bestimmt. Im Osten brandet die Flut der slawischen Völker gegen seine offene Grenze. Im Norden ist der Ostsee die skandinavische Halbinsel, der Nordsee England vorgelagert. So werden die Ausgänge zum Weltmeer durch fremde Völker beherrscht. Im Westen begrenzen das feindliche Frankreich, im Nordwesten Holland und Belgien das Deutsche Reich; im Süden ist es durch hohe Gebirgszüge vom Mittelmeer geschieden und im Südosten stößt es an Österreich-Ungarn, das seinerseits von den südslawischen Völkern bedrängt wird, die zugleich zahlreich innerhalb seiner Grenzen wohnen. Solange es, seit dem Zerfall des Carolingischen Reiches, ein eigentliches Deutschland gibt, hat das deutsche Volk fortgesetzt nach den verschiedensten Richtungen hin kämpfen müssen, um sich feindlicher Angriffe zu erwehren und seine Grenzen zu erweitern. So ist unter Schwertschlag und Kampfgewühl, nach schweren Niederlagen und glänzenden Siegen das heutige Deutsche Reich entstanden; aber auch heute noch steht es unter dem Einfluß seiner geographischen Lage. Als Kaiser Wilhelm II. den Thron bestieg, war es allerdings der Staatskunst Bismarcks gelungen, die in ihr begründeten Gefahren wesentlich abzuschwächen. Mit Österreich und Italien war Deutschland durch ein Bündnis geeinigt, das bei feindlichem Angriff die gemeinsame Abwehr bezweckte, und mit Rußland bestand eine Vereinbarung, nach der sich beide Staaten, falls der eine von ihnen angegriffen würde, Neutralität zusicherten. Zugleich waren die Beziehungen mit England freundliche. So war es gelungen, Frankreich vorläufig zu isolieren. Der tiefe nationale Gegensatz zwischen Deutschen und Slawen war dadurch jedoch nicht beseitigt. Das Mißtrauen Rußlands gegen die deutsche Politik hatte zeitweise bedenkliche Formen angenommen, und nur allzubald sollte der zwischen beiden Reichen bestehende Gegensatz auch seinen politischen Ausdruck finden. Jedenfalls war es klar, daß Deutschlands Machtstellung vor allem auf seiner militärischen Kraft beruhe, die es seinen Verbündeten wertvoll und seinen Feinden furchtbar macht.

Zugleich hatte die Entwickelung des deutschen Volkes in kultureller und wirtschaftlicher Hinsicht seit den Einigungskriegen einen mächtigen Aufschwung genommen und [362] berechtigte zu dem stolzen Streben, nicht nur die errungene Machtstellung zu behaupten, sondern auch eine erweiterte Einflußsphäre und mit ihr eine steigende Weltgeltung zu gewinnen. Dieses Streben wurde zur Notwendigkeit, nachdem die Grundlagen einer Kolonialpolitik gelegt waren, und die rasche Volkszunahme den Wunsch nahelegte, Siedelungsgebiete zu gewinnen und den Export weiter zu steigern, um für die wachsenden Massen Arbeitsgelegenheit zu schaffen; es wies hinaus auf das Weltmeer und ließ die Notwendigkeit auch einer starken Rüstung zur See erkennen, zum Schutz des Handels und der kolonialen Betätigung.

Heeresentwicklung Hauptaufgabe des Staats.

So ergaben sich vom Anfang der Regierung Wilhelms II. an zwei gewaltige Aufgaben: der Ausbau des Heeres zur Behauptung der innereuropäischen Stellung und der Bau einer Flotte zur Geltendmachung der notwendigen Weltmachtbestrebungen. Beide Aufgaben ergänzten sich. Eine Weltpolitik war ohne starke Seerüstung nicht denkbar; aber anderseits mußte auch die stärkste Flotte erfolglos bleiben, wenn es den Gegnern Deutschlands gelang, es auf dem Lande niederzuringen und seiner europäischen Machtstellung zu berauben. So ergab sich denn als wichtigste Aufgabe des Staats eine Entwickelung der Heereskraft, die die Überlegenheit Deutschlands unter allen Umständen sicherstellte.

Der Kaiser fand im Volke zunächst wenig Verständnis für diese Gedankengänge. Die Einsicht, daß Deutschland einer Flotte bedürfe, brach sich erst sehr allmählich Bahn, und dem Ausbau des Landheeres setzte die Volksvertretung in vollendeter politischer Unfähigkeit und Kleinkrämerei einen zähen Widerstand entgegen. Der Kampf gegen die Auffassungen des Reichstages kennzeichnet fast während der ganzen Regierungszeit Wilhelms II. die allmähliche Entwickelung des Heeres. Später waren ihr auch die hohen Forderungen für die Seerüstung vielfach nachteilig, und manchmal gewann es den Anschein, als ob das Verständnis für die Tatsache fehle, daß ein genügend starkes Landheer die notwendige Grundlage für jede politische Betätigung, besonders aber für die Überseepolitik Deutschlands bilde.

Heeresvorlage 1890.

Als Kaiser Wilhelm II. die Regierung antrat, zählte das Heer ohne Offiziere, Beamte, Ärzte und Einjährig-Freiwillige 468 409 Mann. Es war in 15 Armeekorps und 2 bayerische eingeteilt und bestand aus 534 Bataillonen Infanterie, 465 Eskadrons, 364 Batterien, 31 Fußartillerie-, 19 Pionier-, 5 Eisenbahn- und 18⅓ Train-Bataillonen. Im Frühjahr 1888, als ein Krieg unmittelbar bevorzustehen schien, war die Dienstpflicht in der Landwehr bis zum 39. Lebensjahr verlängert und dadurch das Kriegsheer um etwa 700 000 Mann verstärkt worden. Diese Verhältnisse aber entsprachen keineswegs dem Grundsatz der allgemeinen Wehrpflicht und der Gerechtigkeit. Zahlreiche diensttaugliche Jünglinge konnten nicht eingestellt, im Kriegsfall mußten die alten gedienten Leute gegen den Feind geführt werden, während zahlreiche Jungmannschaft erst auszubilden war. Die als Ersatzreservisten eingezogenen Mannschaften dienten nur zehn Wochen, genossen also eine wesentliche Bevorzugung. [363] Das waren unhaltbare Zustände. Es wurde daher eine Heeresverstärkung um rund 80 000 Mann geplant, die im Frühjahr 1890 eingebracht werden sollte. Fürst Bismarck erklärte sich bereit, eine solche Vorlage vor dem Reichstage zu vertreten und auch durchzusetzen. Einige Änderungen wurden schon vorher vorgenommen. Aus überschießenden Truppenteilen wurden das 16. und 17. Korps gebildet; die Feldartillerie wurde nach Aufhebung der Generalinspektion den Generalkommandos unterstellt; aus den 4 Eisenbahnbataillonen wurde eine Brigade zu zwei Regimentern gebildet. Die Artillerieschießschule wurde in Feld- und Fußartillerie-Schießschule getrennt; zwei Kavallerieinspektionen wurden errichtet.

Mittlerweile hatte sich jedoch zwischen dem Kaiser und dem Reichskanzler ein tiefgehender Gegensatz gebildet, der dazu führte, daß Bismarck am 18. März seine Entlassung einreichte und gleich darauf Berlin verließ. Sein Nachfolger General v. Caprivi glaubte bei der bestehenden Zusammensetzung des Reichstages die geplante Militärvorlage nicht durchbringen zu können. Sie wurde daher auf das Wesentlichste beschränkt und schmolz auf eine Verstärkung des Heeres um 18 574 Mann zusammen. Nach dem Gesetz vom 15. Juli sollte die Armee bis zum Ende des bestehenden Septennats (31. März 1894) an Unteroffizieren und Mannschaften ohne Einjährig-Freiwillige, Lehr- und Versuchstruppen 468 983 Mann zählen und aus 538 Bataillonen Infanterie, 465 Eskadrons, 434 Batterien, 31 Fußartillerie-, 20 Pionier-, 5 Eisenbahn- und 21 Train-Bataillonen bestehen.

Damit war der ursprüngliche Zweck der Vorlage natürlich nicht erfüllt, und bald gestaltete sich auch die politische Lage derart, daß eine weitere Verstärkung der Armee im Interesse der Landesverteidigung unbedingt notwendig erschien.

Heeresvorlage 1892. Zweijährige Dienstzeit.

Der Vertrag mit Rußland, der für den Fall eines feindlichen Angriffs gegen uns dessen Neutralität sicherte, war 1890 abgelaufen. Er wurde von deutscher Seite nicht erneuert. Das erregte in Rußland, mit dem bereits starke Spannungen eingetreten waren, ein tiefes Mißtrauen gegen die deutsche Politik und machte den Weg für ein russisch-französisches Bündnis frei. Die politische Annäherung beider Staaten fand denn auch sehr bald statt. Im Juli 1891 traf ein französisches Geschwader in Kronstadt ein und wurde dort überschwenglich gefeiert, und im Herbst 1892 wurde der Abschluß eines russisch-französischen Vertrages bekannt. Damit ergab sich die Möglichkeit eines Krieges nach zwei Fronten, die eine wesentlich verstärkte Rüstung zur unbedingten Notwendigkeit machte. Doch glaubte die Regierung eine solche unter Beibehalt der dreijährigen Dienstzeit beim Reichstage nicht durchsetzen zu können; es wurde daher unter dem Zwange der Verhältnisse der Übergang zur zweijährigen Dienstzeit wenigstens für Fußtruppen und Feldartillerie beschlossen. Dafür sollte die Friedenspräsenzstärke um mehr als 80 000 Mann, d. h. auf 492 000 Gemeine erhöht, die Artillerie wesentlich vermehrt werden und auch für die Kavallerie, die Pioniere und die Verkehrstruppen waren einige Verstärkungen vorgesehen. Kadettenkorps, Unteroffizier- und Unteroffiziervorschulen sollten erweitert, die [364] Schießübungsgelder erhöht und Mittel für die Ausbildung der Offiziere des Beurlaubtenstandes der Feld- und Fußartillerie bereitgestellt werden.

Die Vorlage wurde jedoch vom Reichstage abgelehnt, obgleich sich die Heeresverwaltung bemüht hatte, alles so billig wie möglich einzurichten. Der neugewählte nahm sie dann mit geringer Mehrheit an, nicht ohne erhebliche Abstriche gemacht zu haben. Am 3. August 1893 erhielt sie Gesetzeskraft.

Die Vermehrung der Kavallerie war abgelehnt, ein Pionierbataillon gestrichen, der Mannschaftsbestand auf nur 479 229 Köpfe festgesetzt worden. Die Stellen der Offiziere, Sanitätsoffiziere, Beamten und Unteroffiziere sollten der Feststellung des Reichshaushaltsetats unterliegen. Die Übungen der Ersatzreserve kamen in Fortfall, um einer Überbürdung des Ausbildungspersonals vorzubeugen. Die Armee sollte fortan bestehen aus 538 Bataillonen Infanterie und 173 desgleichen Halbbataillonen, die im Kriegsfall zu ganzen Bataillonen ergänzt werden sollten, 465 Eskadrons, 494 Feldbatterien, 37 Fußartillerie-, 23 Pionier-, 7 Eisenbahn- und 21 Train-Bataillonen. Die Mannschaften der Kavallerie und reitenden Artillerie, die drei Jahre bei der Fahne blieben, sollten nur drei Jahre der Landwehr ersten Aufgebots angehören. Das Gesetz sollte Gültigkeit haben bis zum 31. März 1899. Damit vollzog sich der Übergang vom Septennat zum Quinquennat. Die Dauer der Festlegung wurde derjenigen der Legislaturperioden des Reichstages gleichgestellt.

Eine Überlastung des Volkes trat mit dem neuen Gesetz nicht ein. Trotzdem 1893 97 028 Mann dem Landsturm und 80 352 der Ersatzreserve überwiesen wurden, blieben doch 8350 Mann, 1894 sogar 14 022 Mann völlig tauglicher Leute überzählig. Die Ausgaben für Heer und Flotte aber betrugen nach Durchführung der Heeresvorlage 13,8 M. auf den Kopf der Bevölkerung, gegen 18,8 M. in Frankreich.

In den folgenden Jahren traten nur geringe Veränderungen ein. Die Fußartillerie wurde 1895 in zwei Inspektionen und vier Brigaden gegliedert. Im gleichen Jahre wurden beim Garde-, I. und XV. Korps Meldereiterdetachements aus Abgaben der Kavallerie gebildet, 1896 ein solches beim II. bayerischen Korps. Beim Train wurden zwei Bespannungsabteilungen (schwere Pferde) für die Fußartillerie aufgestellt, wie deren seit 1891 schon zwei versuchsweise bestanden. Am 1. April 1897 wurden aus den 173 Halbbataillonen 86 Vollbataillone gebildet, die im allgemeinen in Regimenter zu 2 Bataillonen und Brigaden zu 2 Regimentern formiert wurden. Diese Brigaden wurden in der Regel als fünfte den betreffenden Korps angegliedert. Diese Maßregel, die die Ausbildung erleichterte, hatte anderseits den Nachteil, daß die für die Aufnahme der Mobilmachungsmannschaften vorhandenen Rahmen wesentlich verringert wurden. Das machte für den Mobilmachungsfall eine vermehrte Neuaufstellung von Truppen nötig, war jedoch nicht zu umgehen. 1897 und 1898 wurden die Meldereiterdetachements – jetzt als Jäger zu Pferde bezeichnet – um drei vermehrt und erhielten die Stärke von Eskadrons. 1897 erfolgte die Aufstellung von drei neuen Bespannungsabteilungen. 1898 wurde die Stellung eines Generalinspekteurs der Kavallerie geschaffen und die Zahl der Inspekteure auf vier erhöht.

Am Ende des Jahres 1898 bestand die Armee aus 624 Bataillonen Infanterie, [365] 472 Eskadrons, 448 fahrenden und 46 reitenden Batterien, 37 Fußartillerie- und 23 Pionier-, 7 Eisenbahn-Bataillonen mit einer Betriebsabteilung, einer Telegraphen-Versuchskompagnie, 2 Luftschifferabteilungen und 21 Trainbataillonen mit 7 Bespannungsabteilungen. Die Luftschifferabteilung in Preußen war 1895 ein selbständiger Truppenteil geworden; die andere gehörte zur bayerischen Armee. Die Gesamtstärke betrug, ohne 9000 Einjährig-Freiwillige, 23 176 Offiziere, 557 436 Mann, 98 038 Pferde und 2542 Geschütze.

An Reservisten waren zur selben Zeit vorhanden 934 360 Mann, an Landwehr ersten Aufgebots 759 240 Mann und zweiten Aufgebots 751 500 Mann, zusammen 2 495 100 Mann, die infolge der Heeresverstärkung allmählich die Stärke von 3 246 000 Mann erreichen mußten.

Die weitere Entwickelung des Heeres vollzog sich unter fortgesetzten Kämpfen mit dem Reichstag, der von Parteiinteressen und wahltaktischen Rücksichten geleitet, ohne Verständnis für die großen politischen Fragen in kleinlicher Weise an den Vorlagen der Regierung nörgelte, die ihrerseits glaubte, sich angesichts der ablehnenden Haltung der Volksvertretung mit halben und Aushilfsmaßregeln begnügen zu müssen. Auch die großen Forderungen, die für den Ausbau der Flotte gestellt werden mußten, übten naturgemäß einen beschränkenden Einfluß auf die Ausgaben für das Heer und die Bewilligungsfreudigkeit des Reichstages.

Heeres-Vorlage 1898.

Als das laufende Quinquennat sich seinem Ende näherte, waren in den Jahren 1897 und 1898 sehr bedeutende Bewilligungen für die Flotte erfolgt. Sie erschienen notwendig, da Deutschland durch die Pachtung von Kiautschou und seine kolonialen Bestrebungen immer tiefer in die überseeische Politik hineingezogen wurde. Auch ließ sich erkennen, daß mit dem damals erlassenen Flottengesetz der Ausbau der Marine nicht abgeschlossen sein werde. Zwar erklärte die Regierung im Januar 1899, daß an eine Erweiterung des erlassenen Flottengesetzes zunächst nicht gedacht werde: immerhin liegt die Vermutung nahe, daß die Rücksicht auf den Flottenbau die neuen Forderungen für das Heer wesentlich beeinflußt habe.

Die Regierung forderte eine Erhöhung der Heeresstärke um 23 277 Mann vornehmlich zu Etatserhöhungen bei der Infanterie, eine starke Vermehrung der Artillerie und einige Neuformationen bei den übrigen Waffen, insonderheit den Verkehrstruppen. Sie erklärte sich bereit, die zweijährige Dienstzeit beizubehalten, falls das Ausbildungspersonal den gesteigerten Anforderungen dauernd gewachsen bliebe und die Anlage großer Übungsplätze beschleunigt werde, und forderte zugleich eine veränderte Organisation der Feldartillerie, die nunmehr schon im Frieden den Divisionen unmittelbar unterstellt werden sollte. Auch sollten drei neue Armeekorps gebildet werden; je eines in Preußen, Sachsen und Bayern.

Der Reichstag bewilligte zwar die Vorlage in ihren Hauptpunkten, strich jedoch 7000 Mann von der geforderten Stärke, bewilligte die geforderten 10 Eskadrons nur in Gestalt von Detachements reitender Jäger ohne Regimentsverband und sah von [366] einer Vermehrung der Unteroffizierstellen ab. Man rechnete darauf, sie durch Mannschaften ersetzen zu können, die freiwillig ein drittes Jahr dienten und dafür nur drei Jahre in der Landwehr ersten Aufgebots verbleiben sollten.

Am 25. März 1899 wurde nach heftigen parlamentarischen Kämpfen, die beinahe zur Auflösung des Reichstages geführt hätten, die Vorlage diesen Entschlüssen entsprechend Gesetz, das fünf Jahre lang bis zum 31. März 1904 in Geltung bleiben sollte. Danach sollte die Armee stark sein: 625 Bataillone, die mithin nur um eines vermehrt wurden, 482 Eskadrons, 574 Batterien, 38 Fußartillerie-, 26 Pionier-, 11 Verkehrs- und 23 Train-Bataillone, im ganzen 495 500 Gemeine. Die Vermehrung sollte bis 1903 erfolgen.

Das 18. Corps wurde in Frankfurt a. M., das 19. in Leipzig, das 3. bayerische in Nürnberg gebildet. Trotzdem behielten acht Armeekorps fünfte Brigaden, während anderseits zwei Divisionen keine Kavallerie hatten. Dagegen wurden im Lauf der nächsten Jahre 16 Maschinengewehrabteilungen gebildet, die der Heereskavallerie zugeteilt werden sollten. An Feldartillerie erhielt fortan jede Division eine Brigade zu zwei Regimentern, zwei Divisionen mußten sich vorläufig mit einem Regiment begnügen. Die aus den Fußartilleriebataillonen zu bildende schwere Artillerie des Feldheeres bestand aus Haubitz- und Mörserbatterien, diese zu vier, jene zu sechs Geschützen. Die Bespannungsabteilungen wurden auf zehn erhöht; die Verkehrstruppen einer Inspektion unterstellt. Bei der Eisenbahnbrigade, die aus drei Regimentern zu zwei Bataillonen bestand, wurde die Betriebsabteilung der Militärbahn verstärkt. Sodann wurden unter Fortfall der Telegraphenversuchs-Kompagnie drei Telegraphenbataillone mit Bespannungsabteilungen gebildet; die Militärtelegraphenschule wurde in eine Kavallerie-Telegraphenschule mit Bespannungsabteilung umgewandelt. Weiter wurde 1901 die Luftschifferabteilung auf ein Bataillon zu zwei Kompagnien mit Bespannungsabteilung verstärkt. Die für diese Neuformationen erforderlichen Mannschaften wurden durch Etatsverminderungen beschafft. Zur Beschleunigung der Mobilmachung wurden 1900 Bezirksoffiziere und Pferdevormusterungs-Kommissare angestellt.

Den Bewilligungen entsprechend zählte die Armee am 31. März 1904 24 374 Offiziere, 81 954 Unteroffiziere, 495 500 Gemeine, 105 885 Pferde und 3126 Geschütze ohne die Sanitätsoffiziere, Beamten und Einjährig-Freiwilligen.

Das jährliche Rekrutenkontingent hatten sich auf 243 621 Mann erhöht; trotzdem aber mußten noch 98 992 Mann dem Landsturm, 82 786 der Ersatzreserve überwiesen werden, von denen ein großer Teil zweifellos als dienstfähig bezeichnet werden konnte. Von der Durchführung der allgemeinen Wehrpflicht war man weit abgekommen. Dagegen war im Jahre 1900 eine Marinevorlage bewilligt worden, die einen planmäßigen Ausbau der Flotte innerhalb 16 Jahren vorsah bis zur Stärke von 38 Linienschiffen und 51 Kreuzern. Das zwang zu sehr erheblichen Ausgaben, und da die Expedition nach China, 1900–1901, ebenfalls bedeutende Summen verschlungen hatte, verzichtete die Regierung vorläufig auf die Einbringung einer neuen Militärvorlage und begnügte sich damit, das am 31. März 1904 ablaufende Gesetz um ein Jahr verlängern zu lassen.

[367]

Gesetz vom April 1905.

Erst im Winter von 1904–1905, als mit dem englisch-französischen Kolonialabkommen von 1905 auch die politische Annäherung beider Staaten bekannt geworden war und der Marokkostreit mit Frankreich sich anbahnte, wurde eine weitere geringe Verstärkung der Armee auf weitere fünf Jahr gefordert, die zweijährige Dienstzeit aber für die Fußtruppen, die fahrende Artillerie und den Train dauernd festgelegt.

Dem neuen Gesetz entsprechend sollte die Friedenspräsenzstärke bis zum Ende des neuen Quinquennats allmählich auf 505 839 Gemeine ohne Einjährig-Freiwillige erhöht werden, doch sollten 12 000 Ökonomiehandwerker, die durch Zivilhandwerker zu ersetzen waren, hierauf nicht in Anrechnung kommen. Außerdem wurde bewilligt die Neuaufstellung von 8 Bataillonen, 9 Kavallerieregimentern, 2 Fußartillerie-, 3 Pionierbataillonen und 1 Telegraphenbataillon. Die vorhandenen 17 Eskadrons Jäger zu Pferde und 6 Kompagnien Fußartillerie sollten hierbei in Anrechnung kommen.

Die bewilligten Bataillone wurden zu je zwei oder einem in den Jahren bis 1909, im letzteren Jahre aber 48 Maschinengewehrkompagnien provisorisch aufgestellt, da es nach den Erfahrungen des russisch-japanischen Krieges wünschenswert erschien, auch die Infanterie mit dieser Waffe auszustatten.

Bei der Kavallerie wurden bis 1909 5 Jägerregimenter, 1 (sächsisches) Ulanenregiment und 2 bayerische Chevaulegersregimenter errichtet; die bayerische Kavallerie zählte danach 12 Regimenter, von denen jedoch 5 nur 4 Eskadrons stark waren. Dafür wurden 1910 noch 1 (sächsisches) Husaren- und ein 6. Jägerregiment aufgestellt.

Bei der Feldartillerie wurden Beobachtungswagen eingeführt, was eine Erhöhung des Pferdeetats bedingte.

Bei der Fußartillerie wurde das Lehrbataillon der Schießschule auf 4 Kompagnien gesetzt. Im übrigen wurde diese Waffe derart formiert, daß 14 Regimenter zu 2 Bataillonen (zu je 8, 9 und 10 Kompagnien) und 4 Regimenter zu 3 Bataillonen und je 12 Kompagnien vorhanden waren; außerdem 1 Lehrbataillon und 1 Versuchskompagnie. Die Zahl der Bespannungsabteilungen wurde auf 14 vermehrt. Die Kompagnien wurden 1908 in Batterien umbenannt.

Bei den Pionieren erhielt 1905 das Gardebataillon 1 Versuchskompagnie, und es wurden von 1907–1909 beim 17., 7. und 18. Korps je ein Kommando der Pioniere und 1 Bataillon neu aufgestellt. Bei den Verkehrstruppen wurde 1907 ein 4. Telegraphenbataillon mit Bespannungsabteilung gebildet. Sämtliche Telegraphenbataillone erhielten bis zu dem genannten Jahre Funkerabteilungen. In Bayern wurde die Telegraphenkompagnie auf 1 Detachement von 2 Kompagnien mit Funkerabteilung gebracht. Neu gebildet wurde 1 Inspektion der Feldtelegraphie, der 2 Inspektionen der Telegraphentruppen unterstellt waren. Die Verkehrstruppen wurden um 1 Versuchskompagnie vermehrt, zu ihr trat 1907 als 2. Kompagnie 1 Kraftfahrabteilung. Eine solche wurde auch in Bayern aufgestellt. Das 3. bayerische Trainbataillon erhielt eine 3. Kompagnie.

[368]

Heeresstärke und Mannschaftsbestand 1910.

So zählte die Armee am 1. Oktober 1910 633 Bataillone, 510 Eskadrons, 574 Batterien, 40 Fußartillerie-, 29 Pionier-, 12 Verkehrs- und 23 Trainbataillone, ungerechnet die Lehr- und Versuchstruppen usw. Die Kopfstärke betrug ohne Sanitäts- und Veterinäroffiziere, Beamten, Einjährig-Freiwillige und Handwerker 25 494 Offiziere, 87 350 Unteroffiziere, 505 839 Gemeine, 114 162 Pferde, 3126 Geschütze und 384 Maschinengewehre.

Wie wenig die durch dieses Gesetz herbeigeführte Heeresverstärkung dem wirklich vorhandenen Mannschaftsbestande entsprach, beweist der Umstand, daß zwar das Rekrutenkontingent 1910 ohne 13 145 Einjährig-Freiwillige 252 462 Mann betrug, im gleichen Jahre aber 144 737 Mann als mindertauglich dem Landsturm und 80 262 als künftig tauglich der Ersatzreserve überwiesen werden mußten.

Dagegen wurde die Ausbildung dadurch gefördert, daß die Mannschaften des Beurlaubtenstandes in steigendem Maße zum Dienst herangezogen wurden. In Preußen allein wuchs die Zahl der zu Übungen herangezogenen Leute bis 1911 auf 375 659. Die Reservisten wurden meist zur Verstärkung der Kompagnien und zur Aufstellung fehlender dritter Bataillone verwandt, aus den Wehrmännern ersten Aufgebots aber wurden besondere Formationen gebildet; gegen Ende des Quinquennats Reserveregimenter, die auf den Truppenübungsplätzen zusammentraten.

Eine offenbare Schwäche der Organisation stellte der Train dar. Die im Mobilmachungsfall aufzustellenden Formationen konnten nur durch Heranziehung von Reservisten der Kavallerie gebildet werden und mußten den Charakter von Improvisationen tragen. Die Menge dieser Formationen stand in gar keinem Verhältnis zur Stärke der Trainbataillone und der vorhandenen Trainoffiziere. Es mußten bei jedem Trainbataillon aufgestellt werden: Proviant-, Fuhrpark- und Feldbäckereikolonnen, Feldlazarette, die Trains der Feldverwaltungsbehörden; ferner 1 entsprechend zusammengesetztes Reservebataillon, 1 Ersatzbataillon und die umfangreichen Etappenformationen. Auch bei der Aufstellung der Brückentrains und der Trains der Verkehrstruppen mußten die Trainbataillone mitwirken. Sie hatten demnach eine Riesenaufgabe zu bewältigen, und es erschien recht fraglich, ob die hierfür vorgesehene Friedensorganisation im Ernstfall genügen würde. Trotzdem waren in dieser Richtung wohl aus Ersparnisrücksichten keine Verbesserungen angestrebt worden.

Entwickelung der politischen Lage von 1905–1911.

Mittlerweile hatte sich die politische Lage wenig günstig entwickelt. Nachdem es England nicht gelungen war, Deutschland durch das Jangtse-Abkommen in eine antirussische Politik bezüglich der Mandschurei zu verwickeln, hatte es sich Frankreich genähert und mit diesem das schon erwähnte Abkommen geschlossen, indem es Marokko diesem Lande überließ, ohne auf die Rechte und Interessen Deutschlands Rücksicht zu nehmen. Zugleich stellte es Frankreich für den Fall eines Krieges aus Anlaß der Marokkofrage seine tätige Teilnahme in Aussicht. In Deutschland fühlte man sich Frankreich zu Lande zunächst noch gewachsen. Da zugleich durch den unglücklichen

[369] Verlauf des japanischen Krieges und die infolgedessen ausgebrochene Revolution Rußland aufs tiefste erschüttert, anderseits aber der Mangel einer ausreichenden Seewehr gerade bei den Beziehungen zu England deutlich hervorgetreten war, glaubte man in erster Linie die Entwickelung der Flotte berücksichtigen zu sollen. Das schien um so mehr geboten, als der russisch-japanische Krieg deutlich gezeigt hatte, welch hohe Bedeutung das Zusammenwirken von Heer und Flotte unter Umständen gewinnen konnte. Die Folge solcher Erwägungen war zunächst die dürftige Militärvorlage von 1905 gewesen; sie fanden dann weiteren Ausdruck in den Flottengesetzen von 1906 und 1908, die nicht nur eine weitere Vermehrung der Flotte und den Übergang zum Bau von Großkampfschiffen brachten, sondern auch die Herabsetzung des Lebensalters der Linienschiffe und damit eine Beschleunigung des Schiffbaues. Die hierdurch bedingten Kosten waren sehr bedeutende, und es erscheint daher erklärlich, daß man sich bezüglich der Heeresausgaben die größtmögliche Beschränkung auferlegte, um so mehr, da durch den Abschluß der Algecirasakte und das deutsch-französische Abkommen von 1909 eine unmittelbare Kriegsgefahr ausgeschlossen erschien. Auch die Annexion Bosniens und der Herzegowina, die die Möglichkeit eines kriegerischen Eingreifens Rußlands nahe gerückt hatte, war ohne europäische Erschütterung vorübergegangen. So wurde trotz der schweren Gefahren, die die europäische Lage in sich schloß, erst zu Beginn des Jahres 1911 eine neue Militärvorlage eingebracht, die sich infolge finanzieller Bedenken in den bescheidensten Grenzen hielt.

Heereslage 1911.

Nach dem auf solcher Grundlage am 27. März 1911 zustandegekommenen Gesetz sollte die Armee bis zum 31. März 1916 um 9482 Mann verstärkt werden. Sie sollte zu diesem Zeitpunkt bestehen aus 634 Bataillonen, 510 Eskadrons, 592 Batterien, 48 Fußartillerie-, 29 Pionier-, 17 Verkehrs- und 23 Trainbataillonen. Die Zahl der Bespannungsabteilungen sollte auf 24 erhöht werden. Außerdem sollten bei der Infanterie 112 Maschinengewehrkompagnien errichtet werden unter Anrechnung der vorhandenen 48 provisorischen und von 5 Maschinengewehrabteilungen, aus denen Kompagnien gebildet werden sollten. Jeder Infanteriebrigade sollte in Zukunft 1 Maschinengewehrkompagnie zugeteilt sein. Bei der Feldartillerie sollten 2 Regimenter und 6 bayerische Batterien neu errichtet werden unter Anrechnung von 20 reitenden Batterien, die in fahrende umzuwandeln waren. Bei 21 Trainbataillonen sollte je eine neue Kompagnie gebildet, auch sollte die Organisation der höheren Trainbehörden neu geregelt werden. Größere Änderungen waren bei den Verkehrstruppen geplant. Die Inspektion war bereits am 1. April 1911 in eine Generalinspektion des Verkehrswesens umgewandelt und eine Inspektion des Militärluft- und Kraftfahrwesens errichtet worden. Am 1. Oktober wurden aus den Funkerabteilungen Funkerkompagnien gebildet; bei den Luftschiffern wurden unter Auflösung der Versuchskompagnie 2 neue Bataillone zu 2 Kompagnien errichtet; die Kraftfahrabteilung wurde in 1 Kraftfahrbataillon zu 3 Kompagnien umgewandelt. Die Eisenbahntruppen sollten künftig aus 1 Inspektion, 2 Brigaden, 3 Regimentern zu 2 Bataillonen, 1 neuen Bataillon, dem bayerischen Eisenbahnbataillon [370] und der Betriebsabteilung der Militärbahn zu 3 Kompagnien bestehen. Doch wurden diese Organisation und die übrigen durch das Gesetz vorgesehenen Maßnahmen am 1. Oktober nur zum Teil durchgeführt. Es blieben noch zu bilden: 1 Infanteriebataillon, 4 Maschinengewehrkompagnien aus 4 dergleichen Abteilungen, 38 fahrende Batterien unter Verwendung von 20 reitenden, 7 Fußartilleriebataillone unter Anrechnung von 3 bereits bestehenden provisorischen Bataillonen, die im Frühjahr 1911 aufgestellt worden waren, 10 Bespannungsabteilungen, 1 (bayerische) Pionierkompagnie, 1 Eisenbahn-, 1 Telegraphenbataillon und 22 Trainkompagnien. Das kam einer Kopfzahl von 460 Offizieren, 1300 Unteroffizieren und 8068 Mann gleich. Die Stärke der Armee betrug daher ohne Sanitäts- und Veterinäroffiziere, Beamte, Einjährig-Freiwillige und Handwerker: 25 880 Offiziere, 88 292 Unteroffiziere, 507 253 Gemeine, 118 246 Pferde, 738 Maschinengewehre und 3072 Geschütze.

Politische Krisis 1911.

Mittlerweile war im Sommer 1911 eine schwere politische Krisis eingetreten. Da Frankreich die bezüglich Marokkos bestehenden Verträge nicht achtete, sandte Deutschland zur Wahrung seiner Rechte ein Kriegsschiff nach Agadir und rief dadurch die Eifersucht Englands in die Schranken, das nunmehr drohend gegen Deutschland auftrat. Die deutsche Nation forderte einmütig eine kraftvolle Zurückweisung der gegnerischen Anmaßung; die Regierung aber wollte es wegen Marokkos nicht zum Kriege kommen lassen und schloß ein Abkommen mit Frankreich, dem es gegen eine mäßige Entschädigung im französischen Kongo und einige Handelsgarantien das scherifische Reich und damit einen gewaltigen Machtzuwachs völlig überließ.

Immerhin hatte die drohende Kriegsgefahr zu der Einsicht geführt, daß die durch das Gesetz von 1911 festgesetzte Heeresverstärkung der Gefahr der Lage nicht entspräche, und eine weitere Vermehrung der Streitkräfte erforderlich sei. Auch für die Flotte schien eine größere Schlagfertigkeit wünschenswert. So traten die Forderungen für das Heer und die Marine abermals in Wettbewerb und wirkten lähmend in beiden Richtungen. Bei der Marinevorlage handelte es sich allerdings im wesentlichen um eine Organisationsänderung; aber es wurde doch auch ein weiteres Linienschiff gefordert und die Zahl der zu bauenden Unterseeboote gesetzlich festgelegt. Eine beträchtliche Personalvermehrung war die notwendige Folge.

Heeres-Vorlage 1912.

Trotzdem sich die hierdurch bedingten finanziellen Ansprüche in verhältnismäßig bescheidenen Grenzen bewegten, und trotz der Kriegsdrohungen überlegener Feinde, die dem Sommer 1911 sein Gepräge gegeben hatten, glaubte die Heeresverwaltung auch dieses Mal wieder, sich mit verhältnißmäßig geringen Anforderungen begnügen zu können, die der Kriegsminister als ausreichend bezeichnete.

Es sollten zunächst 2 neue preußische Armeekorps aus größtenteils vorhandenen Truppenteilen errichtet und außerdem neu gebildet werden: 17 Infanteriebataillone, 6 Eskadrons, 41 Batterien, 4 Pionier-, 1 Verkehrs- und 2 Trainbataillone. Die Friedenspräsenzstärke [371] sollte bis 31. März 1916 um rund 29 000 Mann erhöht werden und 544 211 Mann betragen. Die Zahl der Maschinengewehrkompagnien wollte man verdoppeln, so daß jedes Infanterieregiment eine erhalten könne. Die Pionierbataillone sollten Scheinwerferzüge erhalten, die Verkehrstruppen durch Errichtung einer Fliegertruppe weiter ausgebaut werden. Die Stellen der Stabsoffiziere und Hauptleute sollten mit Rücksicht auf Mobilmachungs-Neuformationen vermehrt und 22 Landwehrinspektionen neu errichtet werden.

Unter dem Eindruck der Ereignisse von 1911 wurde diese Vorlage vom Reichstage im wesentlichen genehmigt und am 14. Juni 1912 Gesetz. Gestrichen wurden nur 15 Landwehrinspektionen, deren es nunmehr 10 gab, und die beantragte Vermehrung der Stabsoffiziere bei den kleinen Infanterieregimentern.

Ein Teil dieser Bewilligungen wurde bereits am 1. Oktober 1912 aufgestellt. Das 20. Korps wurde in Allenstein, das 21. in Saarbrücken errichtet. Bei der Infanterie wurden 1 Regiment zu 3 Bataillonen und 11 dritte Bataillone gebildet; 2 Maschinengewehrabteilungen wurden in Kompagnien umgewandelt. 2 preußische Feldartillerieregimenter zu je 6 Batterien wurden neu errichtet, und bei 6 bayerischen Regimentern je 1 neue Batterie. Die Fußartillerie formierte unter Verwendung der überschießenden Bataillone und Batterien 5 neue Regimenter. Das Lehrbataillon der Fußartillerie-Schießschule wurde zu 1 Regiment mit 2 Bataillonen erweitert; 10 Bespannungsabteilungen wurden neu aufgestellt. Die Pioniere wurden um 3 neue Bataillone und 15 Scheinwerferzüge, die Verkehrstruppen um 1 preußisches Telegraphenbataillon und 1 Fliegertruppe vermehrt. In Bayern wurden das Telegraphendetachement, sowie die Luft- und Kraftfahrabteilung zu je 1 Bataillon erweitert und 1 Fliegertruppe errichtet. Beim Train wurden 2 neue preußische Bataillone zu 3 Kompagnien, in Bayern eine noch fehlende Kompagnie aufgestellt.

So zählte die Armee zu Beginn des Jahres 1913: 647 Infanteriebataillone und 1 Lehrbataillon, 109 Maschinengewehrkompagnien, 13 Maschinengewehrabteilungen, 510 Eskadrons, 616 Feldbatterien, 47 Fußartilleriebataillone mit 183 Batterien und 22 Bespannungsabteilungen, 32 Pionier-, 18 Verkehrs- und 25 Trainbataillone zu 3 Kompagnien; 1 preußische und 1 bayerische Infanterie-, und je 1 Feldartillerie- und 1 Fußartillerie-Schießschule.

Es blieben dagegen von den bewilligten Truppen noch zu bilden: 4 Bataillone und 109 Maschinengewehrkompagnien, 6 Eskadrons (5 preußische, 1 bayerische), 17 Batterien, 9 Fußartilleriebataillone, 1 Pionierbataillon, 1 Kommando der Pioniere, 6 Scheinwerferzüge, 1 Eisenbahnbataillon, 1 Kraftfahrkompagnie, 21 Trainkompagnien und 2 Trainkommandos. Ein Teil dieser Truppen sollte unter Vermehrung der Scheinwerferzüge auf 11 im Jahre 1913 gebildet werden.

Wie wenig es gelungen war, die Durchführung der allgemeinen Dienstpflicht zu erreichen, erhellt aus dem Umstände, daß 1905 0,849 %, im Jahre 1910 dagegen nur 0,838% der stark gewachsenen Bevölkerung zur Einstellung gelangten. Auch die Organisation des Heeres zu einem gewissen Abschluß zu bringen, war bisher nicht geglückt. Die Armeekorps sollten normalerweise bestehen aus je 2 Divisionen zu 2 Infanterie-, [372] 1 Kavallerie- und 1 Artilleriebrigade, 1 Jäger-, 1 Pionier- und 1 Trainbataillon. Auch nach der Durchführung des Gesetzes von 1912 behielten jedoch 6 Armeekorps 5. Infanteriebrigaden; 18 Regimentern fehlten die 3. Bataillone; 4 bayerischen Kavallerieregimentern die 5. Eskadrons. Auch war ein Kavallerieregiment zu wenig vorhanden und Jäger gab es überhaupt nur 18 Bataillone. Bei mehreren Korps waren Bekleidungsämter nicht eingerichtet. Auch waren noch manche andere Lücken zu schließen. Der Train blieb nach wie vor ungenügend organisiert, vielen Pionierbataillonen fehlten die Scheinwerferzüge. Auch eine einigermaßen gleichmäßige Formation der Fußartillerie war nicht erreicht.

Wenn somit in mancher Hinsicht die Armee damals als unfertig bezeichnet werden mußte, so befand sie sich andererseits, was Ausrüstung und Bewaffnung anbetraf, durchaus auf der Höhe moderner Anforderungen. Das ist auch heute noch der Fall.

Bewaffnung.

Die Infanterie ist mit einem Gewehr Modell 98 ausgerüstet, das als eine wesentliche Verbesserung des Gewehres 88 gelten kann. Bei einem Kaliber von 7,9 mm und zweckmäßiger Packladung führt es ein spitzes S-Geschoß und erreicht eine Anfangsgeschwindigkeit von 885 sm, die teils durch die Form und Leichtigkeit des Geschosses, teils durch eine relativ starke Ladung und ein verbessertes rauchschwaches Pulver erreicht worden ist. Kein Gewehr einer anderen Armee ist dieser Waffe überlegen. Kavallerie und Fußartillerie sind mit einem Karabiner gleicher Konstruktion und fast gleicher Leistungsfähigkeit, die Kavallerie ist außerdem mit Stahlrohrlanzen bewaffnet; die Feldartillerie erhält eine Selbstladepistole mit einem Neunpatronenmagazin im Griff und einer Tragweite von 1500 m bei nur 21,7 cm Länge. Das eingeführte Maschinengewehr, nach dem System Maxim, ist als Selbstlader konstruiert und ermöglicht eine Feuergeschwindigkeit von 600 Schuß in der Minute.

Bei der Feldartillerie wurden nach Einführung des rauchschwachen Pulvers 1889 zunächst einige Verbesserungen an dem vorhandenen Material vorgenommen. Beim Schrapnell wurde der Doppelzünder eingeführt, bald darauf die Sprenggranate, die sich jedoch wenig bewährte; 1892 kamen eine selbsttätige Seilbremse und die Richtfläche hinzu, die das Schießen aus verdeckten Stellungen erleichterte, 1893 ein neues leistungsfähigeres Schrapnell. Mittlerweile war die Frage des Schnellfeuergeschützes eine brennende geworden; es kam dabei vornehmlich auf die Beseitigung des Rücklaufs an. Dieser Zweck konnte entweder dadurch erreicht werden, daß der Rücklauf der Lafette durch einen Sporn gehemmt wurde oder durch eine Vorrichtung, vermöge deren das Rohr auf der unteren Lafette beim Schuß zurückgleiten und selbsttätig wieder vorgeführt werden konnte. In Frankreich entschied man sich für das letztere System, in Deutschland zunächst für das erstere. Es wurde ein entsprechend konstruiertes Geschütz, Modell 1896, eingeführt. Auch wurden die Richtmittel wesentlich verbessert. Bald jedoch sah man sich veranlaßt, zu dem zweiten System überzugehen, zugleich nach dem Vortritt Frankreichs Schutzschilde für die Bedienungsmannschaften einzuführen und [373] das Geschütz 1896 in diesem Sinne umzuändern. Das neue Geschütz, das allen modernen Anforderungen entsprach, wurde bis 1907 eingeführt. Die Feuergeschwindigkeit beträgt 20 Schuß in der Minute. Neben der Feldkanone führt die Armee die Feldhaubitze, ein Schnellfeuergeschütz von 10,5 cm Kaliber, das bei bedeutender Durchschlagskraft und steilem Einfallwinkel für Wirkung gegen feldmäßige Eindeckungen und Ziele hinter Deckungen konstruiert ist. Außerdem aber liefert es einen brauchbaren und wegen des größeren Kalibers sehr wirksamen Flachbahnschuß und ist daher vielseitig verwendbar. 1907 wurde diese Haubitze für Rohrrücklauf umgeändert und mit Schutzschilden versehen. Auch gelangte bei ihr das „Feldhaubitzgeschoß 05“ zur Einführung, das infolge eigentümlicher Zünderkonstruktion als Schrapnell und Granate verwendet werden kann. Jede Division soll neuerdings eine Haubitzabteilung erhalten. Eine weitere Beschleunigung des Feuers wurde durch die Einheitspatrone erreicht, bei der Geschoß und Kartusche verbunden sind. Auch wurden 1909 Beobachtungswagen und Fernsprechgerät bei der Artillerie eingeführt.

Die schwerere Artillerie des Feldheeres hatte schon 1899 zum Teil neues Material erhalten. Sie setzte sich aus Haubitz- und Mörserbataillonen zusammen, jene zu 24 Geschützen in 4, diese zu 8 Geschützen in 2 Batterien. Als Flachbahngeschütz führte sie eine 12 cm Kanone. Der Mörser hatte ein Kaliber von 21 cm, die Haubitze von 15 cm. 1907 erhielt auch sie ganz moderne Rohrrücklauf-Geschütze, die schwere Feldhaubitze 02 (Kaliber 14,97 cm) und die 10 cm Kanone 04. Durch Einführung von Radgürteln kamen die Bettungen in Fortfall.

Die beiden genannten Geschütze wurden auch in der Belagerungsartillerie verwendet, die 1909 statt der veralteten 15 cm Kanone ein 13 cm Geschütz erhielt. Sie führt außerdem 15 cm Ringkanonen, 21 cm und 28 cm Mörser und 5 cm Schnellfeuerkanonen. Bei der Festungsartillerie findet sich das mannigfachste Material, da hier alle noch brauchbaren Geschütze zur Verwendung kommen, die anderwärts, auch in der Marine, ausgeschieden wurden. Besonders schwere Geschütze – Kanonen und Haubitzen – werden bei der Küstenartillerie verwendet, da diese den Kampf mit den feindlichen Panzerschiffen aufnehmen, also teilweise wenigstens panzerbrechend wirken muß. Auch Ballonabwehrkanonen sind neuerdings eingeführt worden. So steht Deutschland, was das Artilleriematerial anbetrifft, wohl an der Spitze aller großen Militärstaaten.

Festungsbau.

Die gewaltige Entwickelung der Artillerie hat auch auf den Festungsbau einen bestimmenden Einfluß ausgeübt. Seit Mitte der 80er Jahre mußte man zu Beton- und Stahleindeckungen greifen, um gegen die Geschoßwirkungen Deckung zu erlangen. Die Profile wurden verringert, um die Werke der Sicht zu entziehen, Artillerie- und Infanteriestellungen wurden getrennt und endlich wurden bei Neuanlagen die großen Forts durch zusammenhängende Gruppen mehrerer kleinerer Werke ersetzt. Nur die Panzerkuppeln für Sturmgeschütze und Beobachtungsstände liegen heute auf der Brustwehr, die der Kampfgeschütze im Innern der Werke unter der Brustwehrkante, wenn es Haubitzen, über sie erhoben, [374] wenn es Kanonen sind. Bei den großen Festungen ist die Verteidigung ganz und gar in den Fortsgürtel gelegt, die Stadtumwallungen kommen daher in Fortfall. Ob die letztere Maßregel sich bewähren wird, bleibe dahingestellt. Das kann nur die Zukunft lehren. Im übrigen sind in den letzten Jahren die verschiedensten Ansichten maßgebend gewesen. Viele Festungen sind aufgehoben, zahlreiche neue Werke gebaut worden; erst neuerdings ist es gelungen, ein festes Prinzip in die Landes- und Küstenbefestigung zu bringen.

Militär-Verkehrswesen.

Einen gewaltigen Aufschwung hat in den letzten Jahren das Militärverkehrswesen genommen. Das Eisenbahnnetz ist nach strategischen Rücksichten ausgebaut, und die neuesten Erfindungen der Technik sind dem Heere dienstbar gemacht worden. Das Hauptmittel zur Nachrichtenübersendung bildet der elektrische Telegraph, der in neuester Zeit nicht mehr an Leitungen gebunden ist, sondern auf drahtlosem Wege arbeitet. Funkerabteilungen werden den höheren Behörden und der vorgeschobenen Kavallerie beigegeben; auch mit den Luftschiffen kann man durch Funkspruch Verbindung halten. Daneben bleibt der Leitungstelegraph in Kraft, und auch Fernsprechgerät wird im Heere verwandt. Lichtsignale kommen unter günstigen Bedingungen zur Anwendung.

Von großer Bedeutung für die Armee sind ferner die Kraftfahrzeuge, sowohl für den Personenverkehr als auch für den Nachschub der Heeresbedürfnisse. Zu letzterem Zweck wurden Lastzüge konstruiert. Gegen Prämien werden sie von industriellen und Handelsgesellschaften im Frieden unterhalten und stehen im Kriege zur Verfügung. Auch das Fahrrad und das Motorrad werden im Nachrichtendienst verwendet. Eine außerordentliche Entwickelung hat endlich die Luftschiffahrt erfahren. Verwendet werden entweder große lenkbare Luftschiffe oder Flugmaschinen. Sie dienen hauptsächlich Erkundungszwecken, können aber auch zum Schleudern von Sprenggeschossen benutzt werden. Die Flugmaschinen sind Eindecker oder Doppeldecker; die Luftschiffe werden teils nach dem starren Prinzip des Grafen Zeppelin, teils als halbstarre, teils als unstarre Parsevalluftschiffe konstruiert. Jedes dieser Systeme hat seine Vorzüge und Nachteile. Neuerdings werden Luftschiffe wie Flugmaschinen zur Abwehr und zum Angriff mit Waffen ausgerüstet. Diese Entwickelung ist zwar noch in den Anfängen, dennoch aber läßt sich schon jetzt übersehen, daß sich Kämpfe in der Luft abspielen werden, und die Luftschiffahrt in den Kriegen der Zukunft eine bedeutende Rolle spielen wird.

Bekleidung und Ausrüstung.

Auch bei der Bekleidung und Ausrüstung der Truppen sind wesentliche Fortschritte zu verzeichnen. Vor allem wichtig ist die Einführung grauer Felduniformen, um zu erreichen, daß die Truppen im Gefecht sich möglichst wenig vom Gelände abheben. Auch Fahrzeuge und Geschütze bekamen den feldgrauen Anstrich. Gepäck und Ausrüstung des Mannes wurden erleichtert. Auch die blanken Waffen wurden verschiedentlich geändert. Ferner erhielten alle Truppenteile Fahrräder zum Meldedienst; die [375] Infanterie und die Pioniere wurden mit Küchenwagen ausgerüstet, von denen jede Kompagnie einen erhalten soll. Bei der Kavallerie wurde ein neuer Armeesattel eingeführt; es führt ferner jedes Regiment jetzt zwei leichte Brückenwagen und einen Telegraphenwagen mit, nachdem die anfänglich eingeführten schwerfälligen Faltbootwagen wieder abgeschafft worden sind. Kleinere Uniformänderungen und Einführung verschiedener Abzeichen können hier nicht näher berührt werden.

Auch hat es der Raum nicht gestattet, auf die verschiedenen Etatsänderungen, die Vermehrung und Verteilung der Munitionskolonnen, sowie auf die Ausgestaltung der Behörden und Mobilmachungsvorbereitungen näher einzugehen. Nur kurz sei auf einige wesentliche Punkte hingewiesen.

Die Zahl der Armeeinspektionen war auf 7, die der Pionierinspektionen auf 4 erhöht worden. Die Anzahl der Bezirkskommandos allmählich auf 303 vermehrt.

Organisation der Behörden.

Auch innerhalb der Organisation des Kriegsministeriums waren mannigfache Veränderungen eingetreten. Als die wichtigste kann wohl die 1898 erfolgte Errichtung einer Feldzeugmeisterei bezeichnet werden, die an Stelle des allgemeinen Kriegsdepartements die Aufsicht über Beschaffung, Anfertigung und Verwaltung der Streitmittel sowie über das hierbei beschäftigte Personal übernahm und dadurch das Ministerium bedeutend entlastete; diesem verblieb die Bestimmung über die Einführung neuer Waffen. Der Feldzeugmeisterei wurden unterstellt die Inspektion der technischen Institute der Infanterie und Artillerie, die Artilleriedepot-Inspektionen mit 4 Artilleriedepot-Direktionen, die Traindepot-Inspektion mit anfangs 4, jetzt 2 Traindirektionen und den Traindepots, endlich die Inspizienten der Waffen und des Artilleriematerials. In Bayern und Sachsen wurden ähnliche Anordnungen getroffen. Das Remontewesen wurde im ganzen Reich geregelt und erweitert; Unteroffizierschulen und Unteroffiziervorschulen wurden vermehrt. Von besonderer Wichtigkeit endlich für die gesamte Ausbildung war die Beschaffung großer Truppenübungsplätze, deren zurzeit 24 im Deutschen Reich vorhanden sind; sie dienen zugleich als Artillerieschießplätze. Von Grund aus neu gestaltet wurde das Militärgerichtswesen. Auch das Sanitäts- und Veterinärwesen erfuhr verschiedene grundsätzliche Änderungen. Auf alle diese Dinge näher einzugehen, verbietet der Raum. Dagegen muß wenigstens kurz der Entwickelung des Generalstabs Erwähnung geschehen, in dem sich neben dem Kriegsministerium das gesamte Leben der Armee wie in einem Brennpunkt konzentriert, in dem die geistigen Kräfte des Heeres zu praktischer kriegerischer Betätigung herangebildet werden. Er hat in den letzten 25 Jahren eine wesentliche Erweiterung erfahren, die teils durch die Neuformationen bedingt war, teils aber auch durch die großen Wandlungen und Neuerrungenschaften des Kriegswesens, die den genannten Zeitabschnitt kennzeichnen, und durch die zum Teil großartige Entwickelung der Heere anderer Staaten.

Schon im Jahre 1889 wurden statt des Generalquartiermeisters drei Oberquartiermeister ernannt, denen 1894 der Chef der Landesaufnahme als vierter zugesellt [376] wurde. Die Zahl der Abteilungen wurde allmählich – abgesehen von zwei kriegsgeschichtlichen – bis auf zehn vermehrt. Daneben bestanden die trigonometrische, topographische und kartographische Abteilung, die dem Chef der Landesaufnahme unterstehen. Zur Erleichterung des Aufmarsches wurden Eisenbahnkommissare geschaffen, und die Linien bis auf 26 vermehrt. 1898 wurde der Nebenetat beseitigt, und die ihm angehörenden Offiziere größtenteils dem Hauptetat überwiesen, um den Mehrbedarf an Generalstabsoffizieren im Mobilmachungsfall decken zu können. Da auch die Oberquartiermeisterstellen vermehrt wurden, war der Bestand des Generalstabes im Herbst 1912 folgender: Unter dem Chef des Generalstabes der Armee mit 2 Adjutanten wirkten 6 Oberquartiermeister, 39 Chefs und 217 sonstige Offiziere des Generalstabes, 1 Chef und 18 Offiziere als dem Generalstab zugeteilt, 19 Offiziere in der Eisenbahnabteilung, die nicht Generalstabsoffiziere sind, 124 Offiziere, die zum Generalstab und 11, die zur Landesaufnahme kommandiert sind, 10 inaktive Offiziere und 22 Linienkommandanten.

Von diesen Offizieren gehört ein Teil dem Truppengeneralstab, ein anderer dem Großen Generalstab an. Die Vorbildung zum Generalstab erfolgt auf der ebenfalls erweiterten Kriegsakademie, die allerdings den Charakter einer freien Akademie mehr und mehr verloren hat und zu einer fachmännischen Generalstabs-Vorbereitungsschule geworden ist.

Der sächsische und der bayerische Generalstab haben sich in ähnlichem Sinn entwickelt wie der preußische.

Wenn im vorstehenden äußeres Wachstum und Organisation der Armee in großen Zügen geschildert wurden, so muß nun auch ihre Kampfweise und geistige Entwickelung beleuchtet werden, um ein einigermaßen zutreffendes Bild von dem Wesen des Heeres zu erhalten.

Fechtweise und Ausbildung.

Die Fechtweise hat – vornehmlich infolge des modernen Waffenwesens – bei allen Waffen tiefgreifende Veränderungen durchgemacht, die in zahlreichen neuen Reglements zum Ausdruck gekommen sind.

Bei der Infanterie erschien ein solches bereits im Herbst 1888, das den modernen Verhältnissen Rechnung trug und im Jahre 1906 nach dem mandschurischen Kriege durch ein neues ersetzt wurde, das mit zahlreichen Abänderungen aus dem Jahre 1909 noch heute in Geltung ist. Auch die verschiedenen aufeinanderfolgenden Schießvorschriften aus den Jahren 1889, 1893, 1899 und 1905 suchten den veränderten Waffenverhältnissen, besonders nach Einführung des Gewehrs 1898 und der S-Munition, Rechnung zu tragen, und dem Gefechtsschießen die nötige Beachtung zu verschaffen, ohne die sorgfältige Ausbildung im Einzelschießen in Frage zu stellen.

Das Wesen der modernen Taktik geht dahin, den gesteigerten Leistungen der Feuerwaffen gegenüber die Verluste dadurch zu verringern, daß die Truppe sich innerhalb der Feuerzone nur in Schützenlinien oder in vielen kleinen Marschkolonnen, die leicht im Gelände Deckung finden, bewegt. Frühzeitig wird sie daher aus der Marschkolonne entfaltet und zum Gefecht entwickelt. Doch muß natürlich die Einheitlichkeit [377] des taktischen Willens in dieser Auflösung gewahrt werden. Das sucht man durch eine streng durchgeführte Disziplin der Schützenlinien und dadurch zu erzielen, daß nicht nur die niederen Chargen, sondern auch die Mannschaften zu selbständigem Handeln im Sinne des Gefechtsgedankens und zum Verständnis der Gefechtsaufgaben erzogen werden. Jede moderne Taktik, die Erfolg versprechen soll, muß eine individualistische sein. Das geistig höherstehende Volk wird demnach stets eine gewisse Überlegenheit gewinnen, und die Erziehung in der Schule bildet somit die Grundlage der späteren militärischen Ausbildung. Das sollte bei uns noch in höherem Maße berücksichtigt werden, als es heute geschieht.

Den Sieg erwartet unser Reglement im Angriff wie in der Verteidigung von der Erkämpfung der Feuerüberlegenheit. Hier scheint mir eine gewisse Gefahr unserer Bestimmungen zu liegen, denn die Geschichte lehrt, daß Angriffssiege im allgemeinen trotz der Feuerüberlegenheit des Verteidigers erfochten worden sind. Bei der Gleichheit der Waffen ist es ja auch ganz natürlich, daß der gedeckt liegende und in Ruhe schießende Verteidiger bessere Schießresultate erzielen muß als der bewegliche ungedeckte Angreifer. Angriffssiege werden errungen teils durch numerische Überlegenheit, teils und vornehmlich aber durch moralisches Übergewicht und entschlossenen Willen zum Siege trotz aller Verluste. Fordert man aber von der Angriffsinfanterie die Erkämpfung der Feuerüberlegenheit, so kann dadurch die Energie des Angriffs gebrochen werden.

Um so richtiger ist es, daß unsere Bestimmungen das größte Gewicht auf ein Zusammenwirken der Artillerie mit der Infanterie legen.

Auch in dieser Waffe hat eine reiche taktische Entwickelung stattgefunden. Die neueingeführten Geschütze, Treibmittel, Geschosse und Richtmittel zwangen wiederholt zum Erlassen neuer Reglements und Schießvorschriften. Ferner war man bestrebt, die taktischen Formen nach Möglichkeit zu vereinfachen, das Schießverfahren zu verbessern und die Zusammensetzung der Batterien möglichst zweckmäßig und gefechtsmäßig zu gestalten. Wichtig war in dieser Hinsicht besonders der Wegfall der zweiten Staffeln bei den Batterien und die Einführung leichter Munitionskolonnen, die der Truppe unmittelbar angegliedert wurden. Auch sind neuerdings die reitenden Batterien zu 4 Geschützen formiert worden. Besonderer Wert wurde in steigendem Maße auf die Ausnutzung des Schrapnellschusses und auf das indirekte Feuer gelegt; taktisch auf das Zusammenwirken mit der Infanterie. Das Artillerieduell als Selbstzweck trat mehr und mehr in den Hintergrund; Hauptaufgabe wurde die Bekämpfung der feindlichen Infanterie, wodurch der eigenen Infanterie das Vorgehen nach Möglichkeit erleichtert werden soll. Alle dementsprechenden Verbesserungen und Änderungen kommen allmählich in den Reglements von 1889, 1892, 1899 und 1907, welch letzteres 1911 infolge mehrfacher Neueinführungen verbessert wurde, sowie in verschiedenen Schießvorschriften zum Ausdruck. Solche wurden 1890, 1899 und 1907 erlassen; letztere wurde 1911 teilweise neu bearbeitet.

Die Fußartillerie hat eine analoge taktische Entwickelung durchgemacht, und 1908 das heute noch gültige Reglement erhalten. Als schwere Artillerie des Feldheeres [378] ist es ihre wesentlichste Aufgabe geworden, im Verein mit der Feldartillerie die feindliche Artillerie niederzukämpfen und den Einbruch der Infanterie in die feindliche Stellung vorzubereiten. Die Beweglichkeit, die sie allmählich erlangt hat, befähigt sie, dieser Aufgabe gerecht zu werden.

Auch die Ausbildung der Artillerie hat erhebliche Fortschritte gemacht. Der erste Schritt hierzu war die Trennung der Schießschule in eine Feld- und Fußartillerieschießschule und deren allmähliche Erweiterung. Hier werden jetzt alle jungen und alle zu Batterieführern geeigneten Offiziere ausgebildet; ferner sind Lehrkurse für Offiziere des Beurlaubtenstandes eingerichtet. Auch der vielfache Wechsel der Schießplätze fördert die Ausbildung, und endlich finden seit 1895 bei der Feldartillerie Geländeübungen statt als Einleitung für die Manöver.

Am schwersten ist es der Kavallerie geworden, sich von den alten ruhmreichen Traditionen loszureißen und den Anforderungen des modernen Gefechts anzupassen. Die Attacke ist nicht mehr ihre Hauptaufgabe; der Schwerpunkt liegt heute auf der operativen Beweglichkeit; im Gefecht aber ist der Kampf zu Fuß völlig gleichberechtigt mit dem eigentlichen Reiterkampf. Das liegt an der Entwickelung des heutigen Waffenwesens. Ob die für den Kriegsfall vorgesehenen Kavalleriedivisionen zu 24 Eskadrons und in ihrem Rahmen die Brigaden stark genug sind, steht dahin. Dagegen ist ihre Leistungsfähigkeit durch Zuteilung von Pionieren, reitender Artillerie und Maschinengewehren, sowie durch die Ausrüstung mit dem vorzüglichen Karabiner 1898 wesentlich erhöht. Lange hat die Waffe unter der Dreitreffentaktik, dem mißglückten Versuch, die mißverstandene friederizianische Taktik modernen Verhältnissen anzupassen, gelitten und sich taktisch in einem toten Formalismus bewegt. Das Reglement von 1895 brachte zwar verschiedene zweckmäßige Vereinfachungen aber keine grundsätzliche taktische Änderung. Auch das Gefecht zu Fuß wurde noch nicht genügend betont, obgleich eine Reihe von Schießvorschriften den Schießdienst wesentlich hob. Erst im Jahre 1909 gelang es, die Treffentaktik für den Reiterkampf zu beseitigen, durch flügelweise Verwendung der Kommandoeinheiten zu ersetzen und ein modernes Reglement zu schaffen, dem freilich noch mancherlei Schwächen anhaften. Auch die Ausbildung der Kavallerie leidet unter dem Umstande, daß größere Übungen selbständiger Kavalleriekörper nicht jährlich für die ganze Reiterei stattfinden, während doch im Kriege gerade diese Tätigkeit fast ausschließlich gefordert wird. Bei dem strebenden Geiste, der die Waffe beseelt, ist sie heute bemüht, den Formalismus noch weiter abzustreifen und das operative Element in der Führung vorwalten zu lassen, ohne Rücksicht auf Tradition und persönliche Neigung. Material und Ausrüstung sind vorzüglich, und die Reitausbildung steht auf hoher Stufe. Sie wird auf dem Militärreitinstitut in Hannover und der Reitschule in Paderborn mit Erfolg gepflegt. Eine weitere Reitschule in Soltau soll 1913 gebildet werden. Die neue Reitinstruktion von 1912 entspricht den weitestgehenden Anforderungen.

Felddienstordnung.

Auch bei den anderen Hilfswaffen hat eine nach modernen Gesichtspunkten geleitete Entwickelung stattgefunden. [379] Überall sind die Gefechtsvorschriften in die Reglements aufgenommen worden; die Bestimmungen aber, die für das sonstige Verhalten im Felde nötig sind, für Marsch, Ruhe, Vorposten, Aufklärung, Verschleierung, Verhalten vor und in Festungen und anderes mehr sind in der „Felddienstordnung“ zusammengestellt.

Die 1887 in diesem Sinne herausgegebenen Vorschriften mußten mit der allmählichen Entwickelung des Heeres und den zahlreichen Neueinführungen, besonders bei der Artillerie, den Verkehrstruppen, im Luftschifferwesen und im Pionierdienst wiederholt geändert und erweitert werden, bis endlich im Frühjahr 1908 die zurzeit gültige Felddienstordnung erschien. Diese hat durch Vereinfachung der Vorschriften und Beseitigen alles Schematischen der Persönlichkeit erweiterten Spielraum verschafft und besonders für Vorposten, Aufklärung, Verschleierung, Marschanordnung, Bagagen, Munitionskolonnen und Trains durchaus zweckmäßige und einfache Bestimmungen getroffen. In einem besonderen Abschnitt sind die Vorschriften für die Manöver enthalten, in denen die gesamte Ausbildung gipfelt. Sie erstreben ein möglichst kriegsgemäßes Verhalten aller Teile, und sehen neben Brigade-, Divisions-, Korps- und Kaisermanövern besondere Übungen im Festungskriege, Pionier- und Nachrichtendienst usw. sowie für die Kavallerie vor. In ihnen wird vor allem der offensive Geist gefördert und groß gezogen. Neuerdings liegt der Hauptwert auf den Übungen großer Truppenmassen.

Strategische Heerführung.

Haben auf dem Gebiete der Taktik und der Ausrüstung zahlreiche tiefgreifende Veränderungen des Kriegswesens stattgefunden, so mußten das gewaltige numerische Anwachsen der Heere und die vielen neuen Hilfsmittel der Kriegführung auch die strategische Heerführung beeinflussen.

Noch Moltke rechnete damit, daß das Heer sich im wesentlichen aus dem Mitteln des Kriegsschauplatzes ernähren könne, und scheute sich daher nicht, mehrere Armeekorps auf eine Straße zu setzen, um vielseitige Entwickelungsmöglichkeiten zu schaffen und starke Massen auf engen Räumen verwenden zu können. Als er 1888 aus dem Amte schied, trat Graf Waldersee an seine Stelle, ein genialer Soldat, der im Vollgefühl seines eigenen Könnens sich auf eine wissenschaftliche Systematisierung der Strategie nicht einließ, aber das Urteil seiner Untergebenen durch stets wechselnde Aufgaben und Verfahrungsweisen zu bilden und überall das Zweckmäßige zu betonen suchte, das in jeder Lage verschieden sein könne. Erst dem Grafen Schlieffen, der ihn 1891 in seiner hohen Stellung ablöste, war es beschieden ein gewisses strategisches System für die modernen Massenheere zu entwickeln; er hat das unstreitbare Verdienst, in den verschiedensten Richtungen klärend gewirkt zu haben.

Von dem Gedanken ausgehend, daß alle auf einer Straße marschierenden Truppen an einem Tage zum Gefecht müßten aufmarschieren und täglich von rückwärts verpflegt werden können, stellte er bei der großen Marschtiefe moderner Armeekorps als Grundsatz auf, daß man auf jede Marschstraße nur ein Korps setzen dürfe. Zugleich aber war er darauf bedacht, den Willen, den Feind in der Schlacht zu vernichten, zum [380] klarsten Ausdruck zu bringen. Er fand die Lösung dieser Aufgabe in der Umfassung der feindlichen Flügel unter gleichzeitigem Angriff gegen die Front. Mit der Vervollkommnung der Waffen glaubte er die Möglichkeit gegeben, Kräfte in der Front zu sparen, um die Entscheidung suchenden Flügel zu verstärken. Bei allen seinen theoretischen und praktischen Kriegsübungen und auch als Kritiker historischer Geschehnisse hat er diesen Gesichtspunkt festgehalten. In weiten Kreisen der Armee hat diese Auffassung Fuß gefaßt. Dagegen machen sich auch Stimmen geltend, die bei aller Anerkennung der Wahrheiten, die Schlieffen gelehrt hat, doch vor der ausschließlichen Anwendung seiner Grundsätze warnen. Sie weisen darauf hin, daß gleichzeitiger Angriff in Front und Flanke Überlegenheit voraussetze und damit dem schwächeren Heer überhaupt die Möglichkeit genommen werde, angriffsweise zu verfahren. Auch die siegreiche Umfassung verbürge nur dann den Sieg, wenn ihr Erfolg sich auf der ganzen Kampflinie geltend machen könne, bevor eine Entscheidung in der Front gefallen sei, was bei sehr langen Fronten offenbar nicht immer der Fall sein würde. Man müsse daher mehr Pfeile in seinem Köcher haben, als bloß den Umfassungsgedanken. Mag man nun diesen Bedenken eine gewisse Berechtigung zusprechen oder nicht, so steht doch fest, daß Graf Schlieffen die Operationslehre wesentlich gefördert und die Grundlage für die Weiterentwickelung der modernen Strategie in gewissem Sinne geschaffen hat.

Arbeit in der Armee.

In der Armee selbst leidet die freie wissenschaftliche Tätigkeit unter der gesteigerten Last des praktischen Dienstes und unter der Fülle der geforderten fachwissenschaftlichen Kenntnisse. Sie lähmen die schöpferische Kraft des eigenen Gedankens, wie sie sich nur aus tiefer Allgemeinbildung ergeben kann. Stark und lebendig hat sich trotzdem der Geist des Vorwärtsstrebens, der Initiative und des offensiven Gedankens in der Armee erhalten und bildet die unerschütterliche Grundlage großer Zukunftsleistungen. Niemals ist vielleicht mehr in der Armee gearbeitet worden, wie in den letzten 25 Jahren, und in dieser Arbeit selbst liegt eine segenbringende Kraft.

Die größte Hingabe und Aufopferung vermag jedoch in der Politik wie auf dem Schlachtfelde die reale Macht immer nur bis zu einem gewissen Grade zu ersetzen, und so konnte wohl auch kein Klarsehender sich der Erkenntnis verschließen, daß die Entwickelung der Armee, wie sie sich unter dem Druck des Reichstages gestaltet hatte, der politischen Lage und den Machtmitteln unserer vermutlichen Gegner keineswegs entsprach.

Umschwung der öffentlichen Meinung.

Mittlerweile war auch in der öffentlichen Meinung ein bedeutungsvoller Umschwung eingetreten. Der Verlauf des Marokkostreits und das schließliche Abkommen mit Frankreich im Jahre 1911 hatten den Stolz des deutschen Volkes auf das Tiefste verletzt. Nun erkannte man, daß die vorhandenen Machtmittel nicht genügten, um den Staaten der feindlichen Tripleentente gegenüber der deutschen Politik Nachdruck zu verleihen. Jetzt war es die öffentliche Meinung, die die Rückkehr zur allgemeinen [381] Wehrpflicht forderte und an den Heeresvorlagen von 1911 und 1912 scharfe Kritik übte.

In dieser Stimmung fand das deutsche Volk die Balkankrisis von 1912. Der Zusammenbruch der europäischen Türkei und das gewaltige Anwachsen der slavischen Balkanstaaten ließen erkennen, daß in einem europäischen Kriege das uns verbündete Österreich niemals mehr in der Lage sein würde, seine Gesamtkräfte gegen Rußland einzusetzen, sondern stets Truppen an der Balkangrenze werde stehen lassen müssen. Dadurch wurden die Machtverhältnisse zwischen dem Dreibunde und dem Dreiverbande zu ungunsten des ersteren völlig verschoben, und unter dem Druck dieser Verhältnisse entschloß sich nun auch die Regierung zu einer ausgiebigen Heeresverstärkung nicht nur, sondern auch zu einem weiteren Ausbau der Landesbefestigung besonders an der Ostgrenze.

Heeres-Vorlage 1913.

Im Frühjahre 1913, 100 Jahre nach der glorreichen Erhebung Preußens gegen die napoleonische Gewaltherrschaft und im 25. Jahre der Regierung Kaiser Wilhelm II. wurde eine neue Militärvorlage eingebracht und vom Reichstage im wesentlichen angenommen, die die klaffenden Lücken der Heeresorganisation wenigstens einigermaßen schließen, und die personellen Kräfte der Nation in erhöhtem Maße der militärischen Kraftentfaltung dienstbar machen sollte.

Das neue Gesetz bestimmt, daß die 1911 und 1912 erfolgten Bewilligungen, die in einer Reihe von Jahren allmählich in Kraft treten sollten, bereits am 1. Oktober 1913 durchgeführt würden. Außerdem aber sollen 63 000 Rekruten jährlich mehr eingestellt werden, um hauptsächlich zur Erhöhung der Etats bei allen Waffen Verwendung zu finden. Es sollen ferner neugebildet werden: Bei 18 Infanterieregimentern die noch fehlenden 3. Bataillone, Radfahrer- und Maschinengewehrkompagnien bei den 18 Jägerbataillonen, 6 Kavallerieregimenter und vier in Bayern noch fehlende Eskadrons, 3 neue Regimenter Fußartillerie und 1 württembergisches Bataillon, 11 Pionierbataillone, wodurch die Trennung in Feld- und Festungspioniere ermöglicht wird, 13 neue Verkehrstruppenbataillone, unter denen sich 5 Flieger- und 2 neue Luftschifferbataillone befinden sollen, schließlich für den Train 1 Bataillon und 20 Kompagnien. Auch neue Bespannungsabteilungen für die schweren Batterien des Feldheeres sollen gebildet werden. Um den Unteroffizierersatz zu sichern, sollen die Unteroffiziere wesentlich besser gestellt, es sollen zwei Unteroffiziervorschulen neu geschaffen, in Preußen und Sachsen die Unteroffizierschulen und -vorschulen verstärkt werden. Für die Reserveformationen werden schon im Frieden eine ganze Anzahl von Offizieren bereitgestellt. Mit Rücksicht auf den erhöhten Bedarf an Offizieren sollen die Kadettenanstalten vergrößert, eine neue Kriegsschule soll errichtet werden. Notwendig wird eine Vermehrung des Beamtenpersonals für allgemeine und besondere Verwaltungszwecke, Rechtspflege und Seelsorge. Die Sanitätseinrichtungen und Übungsplätze sollen erweitert werden. Im ganzen beläuft sich die Vermehrung auf 4000 Offiziere, 15 000 Unteroffiziere, 117 000 Gemeine und 27 000 Pferde, und es sollen in Zukunft vorhanden sein: 669 Bataillone Infanterie, [382] 550 Eskadrons, 633 Batterien, 55 Fußartillerie-, 44 Pionier-, 31 Verkehrstruppen- und 26 Trainbataillone mit 661 176 Gemeinen. Die Durchführung aller dieser Maßnahmen soll bereits am 1. Oktober 1913 erfolgen, nur bei den Spezialwaffen muß sie auf eine Reihe von Jahren verteilt werden. Es soll ferner die Beschaffung von Kriegsmaterial beschleunigt, Königsberg und Graudenz sollen zu großen Waffenplätzen umgestaltet werden. Bedeutende Mittel werden für den Ausbau der Luftflotte bereitgestellt. Die Übungen des Beurlaubtenstandes werden vermehrt.

So sieht das Militärgesetz von 1913 eine großzügige Heeresverstärkung vor und ist mit Erfolg bemüht, die Unterlassungen der früheren Jahre wettzumachen. Immerhin wird der leitende Gedanke der ganzen Vorlage, die allgemeine Wehrpflicht nach dem Stande der Bevölkerung auszubauen, noch nicht erfüllt, denn es bleibt auch jetzt noch ein erheblicher Prozentsatz Wehrfähiger dem Waffendienst fern. Nicht genügend verstärkt ist vor allem der Train, dessen hohe Bedeutung für die moderne Kriegführung wohl noch unterschätzt wird. Auch die Gesamtorganisation kann nicht als abgeschlossen bezeichnet werden, da die höheren Verbände für zahlreiche überschießende Truppenteile fehlen. Neuaufstellungen von solchen werden sich in Zukunft nicht vermeiden lassen, da eine allzu große Erhöhung der Friedensetats bei der zweijährigen Dienstzeit eine zweischneidige Maßregel ist, indem sie den Prozentsatz der Rekruten in der Kriegstruppe allzusehr erhöht.

Ausblick in die Zukunft.

So bildet das Gesetz keinen Abschluß der Heeresentwickelung, wohl aber eine gesunde Grundlage für den Weiterbau der Zukunft und einen starken und kraftvollen Ausdruck für den politischen Machtwillen des Staats. In hohem Maße erhöht es, gegen den bisherigen Zustand, die taktische Kraft des Heeres und wird auf den verschiedensten Gebieten fördernd auf das Leben der Armee einwirken. Erfreulich ist besonders, daß endlich das deutsche Volk selbst sich von der Notwendigkeit militärischer Machtentfaltung überzeugt hat und hoffentlich auch in Zukunft bereit sein wird, die Mittel für Weiterrüstungen zu gewähren.

Dann können wir mit Zuversicht hoffen, daß das deutsche Heer, wenn es berufen wird, für Deutschlands politischen Willen das Schwert zu ziehen, des alten Ruhmes würdig fechten und dem deutschen Volke freie Bahn erkämpfen wird, für seine Zukunft als Weltmacht und erste Kulturmacht der Welt.


  1. Die Zahlenangaben sind größtenteils dem ausgezeichneten Buch des Oberstleutnant a. D. Freiherrn v. Osten-Sacken „Kaiser Wilhelm und sein Heer“ entnommen.