Textdaten
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Autor:
Illustrator: Carl Hermann Schmolze, Nikolaus Knilling
Titel: Dürings Erle
Untertitel: Eine Geschichte aus der Böhmischen Vorzeit
aus: Fliegende Blätter, Band 2, Nr. 31, S. 49–52; Nr. 32, S. 57–60.
Herausgeber: Kaspar Braun, Friedrich Schneider
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1846
Verlag: Braun & Schneider
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Erscheinungsort: München
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Quelle: UB Heidelberg, Commons
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[49]


Dürings Erle.
Eine Geschichte aus der Böhmischen Vorzeit.




Ihr Berge, stolze Berge, du schwarze Wäldernacht,
Ihr golderfüllten Ströme, ihr Au’n in grüner Pracht,
Ihr sanft gewölbten Hügel im blumigen Gewand,
Euch nenn’ ich, freudig rufend, mein schönes Vaterland.

Du Erde, heil’ge Stätte, du Grab so vieler Kraft,
Ihr Trümmer alter Baue, in Schutt dahingerafft;
Ihr Reste hohen Geistes, der jedes Herz entbrannt,
Euch nenn’ ich hochbegeistert mein großes Vaterland.

Den Stein am Boden küß ich, drauf einst mein Ahn’ gewallt,
Und in Ruinen wein’ ich, d’rin öd mein Wort verhallt;
Und d’rin in nächt’ger Stunde bei rauher Winde Weh’n,
Gekrönte bleiche Schatten durch morsche Hallen geh’n.

O klänge meine Harfe wie mächt’ger Donner Schall,
O brauste meine Stimme wie Sturm im Wiederhall;
Daß weitum rings erklänge der Ruhm der alten Zeit,
Des alten Sinnes Würde, der Thaten Herrlichkeit.


So begrüßt der begeisterte, von Vaterlandsliebe durchdrungene Dichter Karl Egon Ebert im Eingange seines romantischen Gedichtes Wlasta, Böhmen, sein Heimathsland, ein Land, das so reich ist an Sagen aus der alten Zeit, wie wenige andere Länder, ein Land, dessen Geschichte einem romantischen Gedichte gleicht, voll der zartesten wie der gewaltigsten Gestalten und der abenteuerlichsten Ereignisse und Erscheinungen. Die Sagen von Krok, von Libussa und Przemisl, von Wlasta und ihren Mägden sind aller Welt bekannt, und ihre Eigenthümlichkeit hat von jeher begabte Geister angelockt, in Dichtungen der verschiedensten Form dieselben wieder zu singen.

Dieß Gewebe von Sagen spinnt sich jedoch selbst in die Zeit, wo die Nachfolger Przemisl’s in Böhmen herrschten, noch fort, allein in einem von dem vorigen ganz verschiedenen Charakter, welchen man beinahe idyllisch nennen könnte. Hier begegnen wir Leuten, die Dörfer bauen, die Getreide säen, und Bäume pflanzen; reichen Männern, welche Städte gründen; anderen, welche Eisen graben und es bearbeiten lernen, oder aus dem Sande der Flüsse Goldkörner waschen. Wir sehen hier Hochzeiten, seltsame Leichenopfer und Prophetinnen, redende Thiere und allerlei Wunder.

Allein gegen die Mitte des neunten Jahrhunderts werden diese [50] friedlichen Bilder wieder verdrängt von dem Glanze der Waffen und dem Geräusche der Schlachten. Um diese Zeit saß Neklan zu Prag auf dem herzoglichen Stuhle. Die Aeltesten und Häupter des Volkes hatten ihn nach dem Tode seines Vaters, des Herzogs Krzesomysl, zu ihrem Fürsten und Herrn erwählt. Sie setzten ihn, mit einem fürstlichen Kleide angethan, und sein Haupt mit des Primislaus Mütze bedeckt, auf der Libussa Stuhl und riefen: „Neklan unser Fürst, Neklan unser Fürst und Herr.“ Drauf zogen sie ihre Mützen und Pechhüte von den Häuptern, verneigten sich tief und erzeugten ihm fürstliche Ehre. Die Aeltesten gelobten ihm in ihrem und der Jüngeren Namen Treue und Gehorsam, und begleiteten hierauf den neuen Herzog von dem Hofe des Wischerad bis in seine Gemächer. Am folgenden Morgen aber kamen die Lopoten, und führten eine überaus schöne Jungfrau zu ihm, welche Ponislawka hieß, und gaben sie ihm zum Weibe. Nun ward eine große Hochzeit gehalten und ein großes Gastmahl für das ganze Volk angerichtet. Am vierten Tage gingen die Festlichkeiten zu Ende; die Aeltesten empfahlen dem jungen Herzoge die Sorge für die Regierung, und darauf reisten sie heim, jeder zu seinem Hause oder in seine Landschaft.

Nach Verlauf eines Jahres gebar die Herzogin Ponislawka ihrem Gemahle auf dem Schlosse Wischerad ein Söhnlein. Der Herzog Neklan war deshalb über die Massen erfreut, und sandte sogleich an seine Freunde und die Vornehmsten des Landes Boten aus, um dieselben zu einem Feste auf das herzogliche Schloß zu laden. Als sie gekommen waren, ging ihnen Neklan entgegen und empfing sie mit Ehren als seine lieben Gäste. Von diesem Feste, und weil der Herzog diejenigen, die dazu gekommen waren, so wohl empfangen hatte, gab man dem Knaben den Namen Hostiwit; denn Host heißt im Böhmischen Gast und wjati heißt willkommen.

Herzog Neklan war ein stiller Mann, der die Ruhe und den Frieden über Alles liebte, und Niemanden etwas zu leide that; ja er war so gar friedsam, daß er lieber Beleidigungen duldete, als daß er sie rächte, welches ihm Manche für Schwäche und Feigheit deuteten. Unter diesen war Wlatislaw, der Herzog von Soz, ein junger Mann von 26 Jahren, der war einer ganz andern Sinnesart als Neklan; ungestüm und wild, und voller Herrschbegierde, und hatte einen unstillbaren Durst nach Krieg und Eroberungen. Er verachtete den Herzog Neklan wegen seiner Zagheit, und faßte mit Zustimmung seiner Edelleute, die ihm ihre Hilfe zusagten, den Entschluß, denselben mit Krieg zu überziehen und ihm das Herzogthum Prag mit Gewalt zu nehmen. Er ließ deshalb Schwerter machen, berief alle Schildmacher und bestellte bei ihnen 2000 wohlgerändete Schilde, Pechwämmser und andere Rüstung, Sturmhüte von Farrenhäuten mit eisernen und stählernen Reifen verwahrt, ohne Zahl, so daß Jedermann sich deshalb verwunderte. Kaum waren diese Rüstungen vollendet, als die Sozer dem Herzog Neklan ins Land fielen, mehrere Schlösser eroberten, die Besatzungen ermordeten, und die Gebäude bis auf den Grund verbrannten und zerstörten. Neklan erschrack über diese Nachricht, und war äußerst betrübt darüber; allein er schien nicht den Muth zu haben, mit gewaffneter Hand seine bedrohten Unterthanen zu beschützen, und das ihm angethane Unrecht zu vergelten. Da traten die Wladyken und Edelleute, deßgleichen alle Einwohner der Städte zusammen, und gingen miteinander zu ihrem Herrn, dem Herzoge Neklan auf den Wischerad, um ihm ihre Noth und die Gefahr, in welcher das ganze Land sich befand, vorzutragen. Sie baten ihn, er möge doch auch ein Kriegsvolk zusammenbringen, um dem Wlatislaw begegnen zu können, und fügten hinzu, daß wenn dies nicht geschähe, derselbe sicherlich das ganze Herzogthum und den Herzog selbst verderben werde. Als Neklan dieses hörte, erschrack er heftig, doch konnte er sich so verstellen, daß er ein heiteres Gesicht machte, und den versammelten Häuptern sagte, daß er dieses nicht thun werde, sondern daß er dem Wlatislaw Geschenke schicken wollte, um ihn zufrieden zu stellen. – Die Edelleute wurden unwillig, als sie dieses hörten, ließen es jedoch aus Gehorsam gegen ihren Herrn geschehen. Neklan aber berief einige Edle, durch welche er dem Wlatislaw Geschenke zuschickte, und zwar einen Goldkuchen, der so groß war, daß er dem Wlatislaw an Schwere gleich gewogen wurde; überdies zehn ausgesuchte schöne Pferde, fünfzig Harnische und anderes Rüstzeug, welches alles meisterlich gearbeitet war.

Als die Gesandten nach Wlatislaws Stadt gekommen waren, gingen sie zum Herzoge. Sie sahen ihn auf seinem Stuhle sitzen, mit so finsterer Miene, daß sie alle vor ihm erschracken; doch faßten sie sich ein Herz, und entboten ihm Herzog Neklans Gruß, legten die Geschenke zu seinen Füßen, und baten ihn, dieselben gütlich anzunehmen und mit ihrem Herzoge in Frieden zu leben. Wlatislaw schwieg eine gute Weile stille, endlich antwortete er und sprach: „Euer Herzog handelt sehr unbedächtig, indem er mir diese Geschenke schicket, denn dieß reizet mich nur mehr gegen ihn. Bringet daher diese Sachen eurem Herrn wieder, saget ihm, daß ich ihm dafür danke, und bemerket ihm, daß er Sorge tragen soll, daß ich, wenn ich kommen werde, keinen Mangel finde in seiner Schatzkammer. Ihr aber eilet von hinnen, damit ihr anstatt eurer Geschenke nicht eure Köpfe hier lassen müsset.“

Die Abgesandten entsetzten sich über diese Antwort, und ohne von dem Fürsten Abschied zu nehmen, eilten sie nach Prag und brachten ihrem Herrn die Botschaft. Als der Herzog Neklan dieses Alles vernommen hatte, entfärbte sich sein Angesicht vor Angst, und die Edlen und das Volk sagten: „wir haben einen feigen Herzog!“

Herzog Wlatislaw hatte sich zwar gegen Neklan gerüstet, um das Herzogthum von Prag zu erobern, allein für diesmal mußte er denselben in Frieden lassen, denn die Deutschen fielen vom Niedergange her mit einem großen Heere in sein Herzogthum. Die Felder wurden verheert, die Dörfer geplündert und ausgebrannt. Das Landvolk flüchtete sich in die Gebirge und [51] Wälder. Wlatislaw hatte alle Hände voll zu thun, sich ihrer zu erwehren; allein er widerstand ihnen wie ein fester Thurm acht Jahre hindurch, und zwar so ritterlich, daß die Deutschen, ohne etwas mehr, als daß sie das Land verwüstet hatten, ausgerichtet zu haben, wieder heimziehen mußten.

Durch das Glück, womit er den Deutschen widerstanden, muthig gemacht, richtete Wlatislaw seine Blicke wieder auf Prag und seinen Herzog. Er gebot daher, daß sich all sein Volk an einem bestimmten Tage auf einer großen Wiese versammeln sollte. Er selbst aber setzte sich auf einen sehr hohen Stuhl, um all sein Volk übersehen zu können, und fragte nun mit lauter Stimme: „ob sie ihm getreulich helfen wollten, er gedenke dem Neklan eine Schlacht zu liefern, ihn zu vertilgen und ihm sein Herzogthum zu nehmen.“ Und sie schrien Alle wie aus einem Munde: „Sie wollten ihm beistehen, allezeit, und Neklans Land erobern, er solle nur selbst nicht säumen.“ Als er diese Antwort vernommen, dankte er ihnen und hieß sie Alle wieder heimziehen.



Nun ließ sich Herzog Wlatislaw ein großes Schwert schmieden. Als dasselbe fertig war, ließ er es im ganzen Lande herum tragen und dabei ausrufen, daß sich Jedermann ein solches Schwert sollte machen lassen, weder länger noch kürzer. Und welcher Mann oder Bursche auf’s künftige Jahr dieses Schwertes Länge haben würde, der solle, sobald der Herzog einen Krieg würde ausrufen lassen, mit diesem Schwerte erscheinen, und überdies in einem Pechwamms oder Harnisch, einem eisernen Hute, Tartschen, Pfeilen und Handbogen; und welche Raubvögel hätten, als Habichte, Sperber, Raben und Falken, die sollten sie mit sich führen, denn sie würden von ihrer Feinde Fleisch gespeist und mit ihrem Blute getränkt werden.

Hierauf sandte Wlatislaw einige wohlberedte, kluge Männer, mit wilden Angesichtern und grimmigem Aussehen zum Neklan, mit dem Befehle, ihm zu sagen, daß Wlatislaw ihm folgende drei Stücke entbiete:

Erstens.     Wenn Neklan ihm sein ganzes Herzogthum abtreten wolle, so würde er es in Güte annehmen.

Zweitens.     Lade er ihn ein, persönlich einen Zweikampf mit ihm zu bestehen, und wer den andern überwinden würde, der sollte Herr sein über beide Herzogthümer.

Drittens.     Wenn er aber Lust hätte, mit einer bestimmten Anzahl Kriegsleuten, von welcher Art er wolle, ihm zu begegnen, so wäre er auch damit zufrieden.

Im Falle er von diesen drei Artikeln keinen annehmen wolle, so sollte er gewärtig sein, daß er ihn mit all seinem Volk überziehen, vertilgen, und das Herzogthum Prag mit seinen Anhängern und Leuten besetzen würde.

Neklan war über diese Botschaft äußerst bestürzt, berief seine Wladiken, und bat sie um Rath, ihm zu helfen, was dem Wlatislaw zu antworten sei. Diese beriethen sich unter einander und gaben den Gesandten folgende Antwort: Für´s erste sei er nicht bedacht, ihm sein Herzogthum gutwillig abzutreten, denn es zwinge ihn keine Noth dazu, und eine solche Handlung würde Jedermann, ja Wlatislaw selbst, ihm als eine Thorheit anrechnen. Für’s zweite, mit Wlatislaw persönlich zu kämpfen, sei gleichfalls nicht vonnöthen, und er begehre weder ihres Herzogs Tod, noch sein Fürstenthum. Für’s dritte, mit einer gleichen Anzahl Volks sich zu schlagen, bedünke ihm auch unziemlich zu sein. Denn wenn gleich zehn Prager zehn Sozer erschlügen, so könnte dieses vielleicht weniger ihrer Mannheit als dem Glücke zugeschrieben werden. Will daher Euer Herr, der Wlatislaw, das Prager Herzogthum feindlicher Weise überfallen, so wird ihm unser Herr, der Herzog Neklan, nicht nur als ein beherzter Mann begegnen, sondern auch ihn und euch Alle aus dem Lande treiben.

Die Gesandten hörten diese Antwort, zogen davon und erzählten sie getreulich ihrem Herrn, aber dieser ward darüber so ergrimmt, daß er sich vor Wuth mit seinen eignen Händen die Kleider vom Leibe riß.

Als nun der Frühling gekommen war, versammelte Wlatislaw seine Völker auf dem Felde, so Bosdiechow genannt wird. Dann sandte er einen Boten zu Neklan mit der Ladung, daß er seiner am 10. Mai auf dem Felde von Turske Pole warten sollte.

Der stille unbeherzte Neklan erschrack, als er den Boten kommen sah und seine Werbung hörte, wie gewöhnlich, ganz unmäßig. Er suchte wie immer Zuflucht bei seinen Räthen, und der Bote erhielt zur Antwort: „Wlatislaw solle nur kommen, Neklan würde ihm selbst mit seinem eigenen Schwerte das Haupt abschlagen.“

Aber Neklan gebot allen seinen Edelleuten, Bürgern und Bauern, daß sie sich bereit halten sollten. Da rüsteten sie sich sämmtlich in ihren Harnischen, Pechwämmsern und Helmen, mit Schwertern, Schilden, Pfeilen und Bogen und anderer Rüstung auf’s zierlichste, und lagerten sich den 8. Mai auf der Ebene über dem Orte Brusky. Und allesammt schwuren dem Herzoge zu, daß sie standhaft und männlich fechten wollten.

[52] Desselben Tages lagerte sich Wlatislaw mit seinen Haufen bei dem abgebrannten Städtlein Budecz.

Am nächsten Morgen bestieg Wlatislaw einen erhöheten Ort, hielt in der Hand sein blankes Schwert und redete zu seinem Volke: „Nun wohlan ihr lieben Ritter und streitbaren Kriegsleute! Ihr wisset wohl, daß wir etliche Male dieses verzagte Volk besiegt und unsere Schwerter in seinem Blute gefärbt haben. Darum streitet männlich, denn ihr wollet dieser Tage den letzten Sieg erlangen. Ich aber schwöre euch bei der Götter Würdigkeit und bei meinem Schwerte, das in meiner Hand glühet, daß ich nicht einen von ihnen, so männlichen Geschlechtes ist, will leben lassen. Ja, ich will den Müttern ihre Knaben erwürgen und statt derselben junge Hunde an ihre Brüste legen. Und so will ich die unnützen blöden Nachbarn gänzlich ausrotten, und Euch reich machen mit ihrem Golde und Silber, und dies will ich Euch wahr machen, morgen, zu dieser Stunde.“



Unter dem Volke von Prag befand sich ein sehr beherzter und kriegserfahrner Mann, der Styr von Cheinow genannt. Diesen berief Herzog Neklan und vertraute ihm heimlicher Weise seines Herzens Blödigkeit und Verzagtheit, bat ihn, seinen blanken Harnisch anzulegen und statt seiner des Volkes Führer zu sein. Es war nur eine geringe Anzahl der Edlen gegenwärtig, und die Sache wurde so geheim gehalten als immer möglich war. Da fragte der Styr von Cheinow Herzog Neklan, „was er ihm für seine Mühe und Lebensgefahr geben wolle?“ Der Herzog antwortete ihm: Was er Billiges begehren würde, das solle ihm werden. Darauf sprach der Styr von Cheinow: „Wann ich wieder komme, so wirst du mir widerfahren lassen, was ich verdienet habe; werde ich aber statt deiner umkommen, so bitte ich, du wollest mir an der Stelle, wo ich falle, ein Grab machen lassen, das man in Cheinow sehen mag.“ Und dieses versprach ihm der Herzog. Da legte der Styr von Cheinow die glänzende fürstliche Rüstung an, setzte sich auf des Herzogs stattliches Roß und ritt mit etlichen vom Adel vom Wischerad herab bis auf das Feld von Brusky. Alsbald brachen die Prager Haufen auf und zogen dem Styr von Cheinow, ihrem Führer, nach, und er vor ihnen her mit fröhlichem Gemüthe.



Wie sie nun durch das Land dahin zogen, kamen sie an einem hohen Felsen vorüber, auf dem ein Weib stand, das ihnen mit heiserer Stimme zurief: „Folget meinem Rathe, so möget ihr einem großen Ungemache entgehen; denn wollet ihr den Sieg erlangen, so müßt ihr der Götter Willen erfüllen. Darum schlachtet ihnen zu Ehren eine Eselin, so werdet ihr ein ihnen angenehmes Opfer verbringen, das sie heute begehren.“ Als sie dieses hörten, tödteten sie eine Eselin, zerhieben dieselbe in viele tausend Stücklein und ein jeder Kriegsmann aß einen Bissen davon. Als dieses geschehen, fühlten sie in sich eine ungewohnte Unverzagtheit und setzten ihren Zug fort; gegen Abend gelangten sie auf den bezeichneten Kampfplatz, wo sie sich auf der Anhöhe ohnweit Turske lagerten und die Wachtfeuer anzündeten. –

[57]

[57] Der Morgen des 10. Mai brach an und spiegelte sich tausendfach in den glänzenden Harnischen und blitzenden Waffen der Schlachthaufen des Herzogs von Soz, die zierlich gerüstet langsam in die Ebene heranzogen. Als der Styr von Cheinow sie daher kommen sah, sprach er den Seinigen Muth ein, und rief ihnen zu: „Meine allerliebsten Brüder! sehet, wie stolz und übermüthig sich jene gegen uns gerüstet haben. Auf, ermuntert Euch und seid Männer; die Tapferkeit ist eine sichere Mauer und die Götter sind dem Kühnen gnädig. Gedenket an das Loos, das sie Euch und Euren Weibern und Euren Kindern bereiten wollen! Um das abzuwenden, wollen wir Alles daran setzen, und sie allesammt bis auf den letzten Mann erschlagen. Sie wollen aus Hoffart mit uns fechten, wir aber wollen um unser Vaterland und unser und unsrer Kinder Leben streiten. Auf, laßt uns das Prager Herzogthum verteidigen und heute das Sozer erwerben.“

Wlatislaw aber rückte ohne Aufenthalt vorwärts gegen die Prager, und als er sah, daß sie sich nicht von der Stelle verwendeten, ließ er die Seinigen halten, stellte sich vor sie, und sprach zu den Rittern, die zunächst um ihn waren: „O die armen Leute und verzagten Herzen, ich habe Mitleiden mit ihnen. Sehet, wie sie es nicht wagen, uns in der Ebene zu begegnen. Mir scheint, sie werden die Flucht nehmen, wenn wir ihnen näher kommen. Wir werden leichte Arbeit haben. Tretet sie mit den Füßen und verunreiniget nicht eure Schwerter mit dieses verzagten Volkes Blute. Wir wollen sie davon schrecken; auf, lasset eure Vögel fliegen.“

Und als er dies gesagt hatte, ließen sie ihre Vögel fliegen, und es war nicht anders, als wenn die Sonne von einer dunkeln Wolke verfinstert würde.

Da sprach der Styr von Cheinow: „Meine lieben Ritter, im Falle es sich begebe, daß ich auf der Wahlstatt sterben müßte, so bitte ich, lasset mich auf dieser Höhe begraben, und machet mir ein Grab, das eine Zeitlang währen kann. Denn es will mich bedünken, daß ich heute viel Sozer erlegen und ihren Herzog Wlatislaw selber erschlagen muß.“

Mittlerweile waren die Schlachtreihen der Sozer die Anhöhe bis auf die Hälfte herangerückt und beide Heere nahe aneinander. Da ersah sich der Styr von Cheinow seinen Vortheil und schrie mit lauter Stimme den Seinigen zu: „Nun, meine lieben Gesellen, schlaget getrost drein!“ und mit diesen Worten sprengte er unter die Feinde. Die Prager folgten ihm nicht anders, als die Bienen ihrem Weisel. Also stürmten sie die Anhöhe herab in die Reihen der Sozer, und warfen nieder, was ihnen in den Weg kam. Da erhob sich unter dem Volke ein Geschrei und das Geplätze der Schwerter und Getümmel und Stampfen der Schlachtroße. Der Staub stieg und umhüllte die Streitenden mit einer Gewitterwolke, durch die wetterleuchtend die Schwerter blitzten. Die Schlacht währte lange ohne Glück, die Paniere wurden naß und schwer von rothem Blute; ringsum Mord und Todesnoth. Der Sieg schwankte.

[58] Und unter dem Haufen der schönsten Reisigen und gewappneten Kriegsleute ersahe der Styr von Cheinow einen Mann von schöner Gestalt in einem zierlichen Harnisch, welcher einen vergoldeten Helm auf seinem Haupte hatte und auf den die Andern Achtung gaben. Er erkannte deshalb wohl, daß es Wlatislaw sein müsse und gedachte ihm beizukommen. Aber seine Ritterschaft beschützte ihn so gut, daß der Styr wohl in zwei Stunden nicht an ihn kommen konnte. Der Styr aber focht nicht anders, als wenn er mit der Sense Gras mähte und fällte mehr als hundert Sozer nieder, bis er sich an den Herzog hingearbeitet hatte.

Aber Wlatislaw entwich vor ihm, sich hinter Andre zu verbergen. Da schrie ihn der Styr von Cheinow an: „Ich sehe dich gar wohl, du blutgieriger Tyrann, du bist derselbe, der du deine Vögel füttern wolltest mit unsern Leibern; ich will bald mein Schwert mit deinem Blute tränken und die fliegenden Vögel speisen mit deinem Fleische.“ Und somit drang er auf ihn ein, hieb ihm seinen Schild entzwei, und mit dem andern Streiche spaltete er ihm den Kopf sammt dem Helm voneinander, daß er von dem Streitroß todt auf die Erde herab sank. Bald machten sich viel der Sozer über den Styr her, schossen, hieben und stachen auf ihn los und brachten ihn in Noth. Die Prager beschützten ihn aufs beste, allein vergebens.

An diesem Ort lag ein großer Haufen der Ermordeten, auf diesen fiel der Styr von Cheinow auch nieder und starb. Wer ihn aber tödtlich verwundet, kann Niemand eigentlich sagen.




Noch ward mit grimmiger Erbitterung gefochten, da lief einer der Sozer über das Feld nach dem Walde zu. Bald noch einer; bald folgten mehrere flüchtig. Von Herzog Neklans Volk blieb viel auf der Wahlstatt, aber die Sozer wurden fast Alle erschlagen, mit Ausnahme Weniger, die sich durch die Flucht retteten.




Am folgenden Morgen wurden der Freunde und Feinde Leichen auf der Wahlstatt begraben. Aber dem Styr ward auf Neklans Befehl an dem höchsten Orte, von wo man Cheinow sehen konnte, bei einer Eiche ein Grab bereitet, köstlich und herrlich. Und nach mehr als einem halben Jahrtausende grünte die Eiche noch, und das Volk nannte sie nicht anders, als die Eiche des starken Ritters.

Nun zog Neklan mit seinem Kriegsvolk in das Herzogthum Soz, um die Städte und Schlösser desselben einzunehmen. Aber er fand keinen Widerstand, denn beinahe alle streitbare Mannschaft war in der Schlacht von Turske erschlagen worden. Die Einwohner gingen ihm allenthalben entgegen, und baten ihn, er möge seinen Zorn nicht über sie ergehen lassen und nicht sein eigenes Fürstenthum verderben, denn sie wollten keinem andern Herrn, als ihm sich ergeben.



Hierauf setzte sich Neklan auf den herzoglichen Stuhl zu Soz und fragte nach Wlatislaw’s Hausgesinde. Da wurde ihm gesagt, daß derselbe ein Söhnlein von fünf Jahren hinterlassen habe, Namens Zbislaw, welcher aber nicht hier sei, sondern bei einem alten Weibe in dem Dorfe Bitozewes verborgen werde. Neklan befahl, daß der Knabe vor ihn gebracht werde. Und als das Kind gekommen war, trat es vor den Herzog in aller Ehrfurcht [59] und beugte das Knie vor demselben. Neklan fühlte ein väterliches Mitleid mit dem verwaisten Kinde, und fragte, wer Wlatislaw’s getreuester Diener gewesen wäre. Da antwortete einer aus den Umstehenden: „Das war der Wende Düring, dieser ist des Wlatislaw’s liebster und getreuester Diener gewesen, ihm hat der Herzog sein Kind anvertraut und er hat es auferzogen.“ Da ließ Neklan den Düring vortreten und sprach zu ihm: „Ich bitte dich, du wollest des Wlatislaw, des Vaters dieses Kindes eingedenk sein, denn wie ich höre, hat er dir viel Gutes gethan. Deßwegen nimm diesen Knaben, den ich hiemit deiner Sorgfalt übergebe, wohl in Acht, halte ihn als einen jungen Fürsten und sei des Kreises Postelberg Vorsteher und Verwalter.“ Düring nahm diese Ehre mit Dank an und versprach sich so zu verhalten, wie der Herzog befohlen.

Nun kehrte Neklan wieder nach dem Prager Herzogthum zurück, wo er von seinen Wladyken freundlich und freudig empfangen wurde. Und die Bergleute brachten ihm große Geschenke an Golde. Denn das Böhmerland gab dazumal Gold und Silber in so reicher Fülle, daß eher Mangel an Brod war als an Golde. Bald darnach hielt der Herzog auf dem Berge Widowle eine Versammlung alles Volkes aus beiden Herzogthümern, um sich über des Landes Wohlfahrt zu berathen. Und ehe man wieder auseinander ging, befahl der Herzog allem Volke, die Aecker fleißig zu bauen, zu pflügen und zu säen, damit kein Mangel an Brod entstünde, denn wegen vergangenen Krieges waren die Aecker unbebaut liegen geblieben und das Brod theuer. Auch befahl er, daß man in den Gold- und Silberbergwerken fleißig bauen und dem Goldwaschen ebenfalls obliegen sollte, damit der Wohlstand des Landes emporblühen möge. Und die Bauern und Goldwäscher und die Bergleute versprachen sich so zu verhalten.





Als nun im ganzen Lande Ruhe und Frieden zurückgekehrt war, geschah es eines Tages, daß die Fischer von Postelberg zu Düring, ihrem Landvogte traten, und ihm sagten, wie unter dem Eise, denn es war im Winter, an einem Orte sehr viele Fische zusammengekommen seien. Da befahl er, daß man Wunnen machen und unter dem Eise fischen sollte. Aber Düring hatte ein Böses in seinem Herzen. Er berief den jungen Herzog, der jetzt sieben Jahre alt geworden war und den Neklan seiner Obsorge empfohlen hatte, und führte ihn aufs Eis, nicht weit von dem Orte, wo die Fischer waren; und als sie zu der Wunne kamen, hieß er ihn da hineinsehen und sprach: „Zbislaw, liebes Herrlein, sieh’ doch, welche Menge kleiner Fischlein darin sind.“ Der Knabe knieete nieder, neigte sein Haupt, um hinein zu sehen; da zog der Verräther eine Hellebarde unter dem Mantel hervor und hieb dem Kinde den Hals entzwei. Weil er aber ihn nicht so getroffen, daß der Kopf ganz herunter war, so schnitt er ihn vollends mit dem Messer ab. Als die Fischer diese Greuelthat sahen, erschracken sie, ließen Fische und Netze liegen und liefen davon. Düring aber wickelte das Haupt des Kindes in ein schönes Tuch, nahm dasselbe und trug es nach Prag, in der Hoffnung, er würde seiner ritterlichen That wegen vom Herzog Neklan ein herrliches Geschenk empfangen. Und als er auf den Wischerad kam, fand er den Herzog mit seinen Wladyken und Aeltesten im Rathe sitzen, und er trat vor sie und fing also an zu reden: „Ehrenreicher Fürst, du weißt wohl, daß oftmals ein Fünklein, welches im Hause verwahrloset wird, nicht allein ein Feuer veranlassen und das Haus verbrennen kann, ja nicht allein das Haus, darin es verschlossen war, sondern auch andere Häuser und ganze Städte. Es ist ein altes Sprichwort: Wer dem Feuer zuvorkommen will, der wehre, ehe es zum Dache hinausfährt. Diesen Funken habe ich, durch ein göttliches Eingeben, ausgelöscht, und zuerst dich, berühmter Fürst, und dann Euch, ihr Herren, mit dem Winken meiner Hellebarde vor Gefahr gesichert. Deßhalb mögest du Fürst, als das Haupt, und ihr Herren, als die Glieder dieses Landes, erwägen, welche Geschenke und Gaben ich verdient habe. Ein Unverständiger möchte meine That vielleicht schändlich nennen; aber ihr, als die Weisen, werdet dieses nicht sagen. Es ist euch wohl Allen im Gedächtniß, wie Wlatislaw euch Alle ausrotten und euren Weibern statt euren Kindern junge Hunde an die Brüste legen wollte. Wenn sein Sohn ein männlich Alter erreicht hätte, glaubt ihr, daß er für seines Vaters Tod nicht Rache genommen haben würde? Aber nunmehr möget ihr das Herzogthum Soz in Frieden regieren und ruhig auf beiden Ohren schlafen.“

Als er dies gesprochen, zog er unter seinem Mantel das Tuch hervor, wickelte es auf und legte das blutige Haupt des Knaben Zbislaw auf dem Tische nieder. Der Herzog wie alle Wladyken entsetzten sich ob diesem empörenden Anblicke so sehr, daß sie von ihren Sitzen auffuhren und die Blicke hinwegwendeten. Der Herzog aber sprach mit vorgehaltenen Händen und abgewandtem Angesichte:

„O du Uebelthäter, nimm dein Geschenk mit dir, daß wir es nicht ansehen dürfen. Habe ich dir doch befohlen, daß du ihn in guter Hut halten und nicht tödten sollest. Ich habe dir deßhalb Gutes erwiesen und dich zum Landvogte des Kreises Postelberg gemacht. Aber ich sehe wohl, daß dem Verräther alle Wohlthaten zu wenig sind. Meinst du Bösewicht, daß ich dasselbe nicht auch hätte thun können, und wenn ich dies gewollt, so hätte ich es nicht unbillig thun mögen, als er mein Feind war. Aber dir gebührte es nie, deinen Herrn zu ermorden. Weil du aber gehoffet, wegen dieser deiner Schandthat Geschenke von mir zu erhalten, so gebe ich dir aus den drei folgenden die Wahl: Entweder stürze dich von diesem Felsen [60] Wischerad hinunter und brich dir den Hals, oder ersteche dich mit deinem Schwerte, oder erhenke dich selbst als dein eigener Henker.“

Als Düring dieses hörte, sprach er mit Seufzen: „O welch’ bösen Rath hat mir mein Herz gegeben. Mein Traum hat mir verheißen, daß ich viele Güter in Böhmen erwerben werde. O daß ich so schändlich sterben soll!“ Er wählte sich unter den drei gebotenen Geschenken das letzte.



Alsbald nahmen ihn die Nachrichter, führten ihn herum, und ließen ihm die Wahl unter den Bäumen, daß er sich an demjenigen, der ihm am besten gefalle, erhenke. Aber der Düring ging lange umher und sah die Bäume an, aber gefallen wollte ihm keiner. Endlich stieg er auf eine Erle, knüpfte lange daran, bis ihm eine Schlinge gelang und erhenkte sich. Diese Erle aber hieß stets die Dürings-Erle. Sie soll unterm Wischerad, an dem Orte gestanden sein, wo jetzt die St. Adalbert-Kirche steht.

Im folgenden Jahre starb auch Herzog Neklan. Sein Leib ward neben dem seines Vaters Krzesomysl begraben. Das Volk beweinte ihn sehr, zündete auf seinem Grabe ein großes Feuer an, ging um dasselbe herum und schrie: „Ihr unsterblichen Götter, gebet uns wieder einen Fürsten, der uns zum Siege führt und unser Land beschützt.“ Sie schnitten das Haar von den Bärten, warfen es in’s Feuer und klagten sehr um ihren entschlafenen Herrn.