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Desselben Tages lagerte sich Wlatislaw mit seinen Haufen bei dem abgebrannten Städtlein Budecz.

Am nächsten Morgen bestieg Wlatislaw einen erhöheten Ort, hielt in der Hand sein blankes Schwert und redete zu seinem Volke: „Nun wohlan ihr lieben Ritter und streitbaren Kriegsleute! Ihr wisset wohl, daß wir etliche Male dieses verzagte Volk besiegt und unsere Schwerter in seinem Blute gefärbt haben. Darum streitet männlich, denn ihr wollet dieser Tage den letzten Sieg erlangen. Ich aber schwöre euch bei der Götter Würdigkeit und bei meinem Schwerte, das in meiner Hand glühet, daß ich nicht einen von ihnen, so männlichen Geschlechtes ist, will leben lassen. Ja, ich will den Müttern ihre Knaben erwürgen und statt derselben junge Hunde an ihre Brüste legen. Und so will ich die unnützen blöden Nachbarn gänzlich ausrotten, und Euch reich machen mit ihrem Golde und Silber, und dies will ich Euch wahr machen, morgen, zu dieser Stunde.“



Unter dem Volke von Prag befand sich ein sehr beherzter und kriegserfahrner Mann, der Styr von Cheinow genannt. Diesen berief Herzog Neklan und vertraute ihm heimlicher Weise seines Herzens Blödigkeit und Verzagtheit, bat ihn, seinen blanken Harnisch anzulegen und statt seiner des Volkes Führer zu sein. Es war nur eine geringe Anzahl der Edlen gegenwärtig, und die Sache wurde so geheim gehalten als immer möglich war. Da fragte der Styr von Cheinow Herzog Neklan, „was er ihm für seine Mühe und Lebensgefahr geben wolle?“ Der Herzog antwortete ihm: Was er Billiges begehren würde, das solle ihm werden. Darauf sprach der Styr von Cheinow: „Wann ich wieder komme, so wirst du mir widerfahren lassen, was ich verdienet habe; werde ich aber statt deiner umkommen, so bitte ich, du wollest mir an der Stelle, wo ich falle, ein Grab machen lassen, das man in Cheinow sehen mag.“ Und dieses versprach ihm der Herzog. Da legte der Styr von Cheinow die glänzende fürstliche Rüstung an, setzte sich auf des Herzogs stattliches Roß und ritt mit etlichen vom Adel vom Wischerad herab bis auf das Feld von Brusky. Alsbald brachen die Prager Haufen auf und zogen dem Styr von Cheinow, ihrem Führer, nach, und er vor ihnen her mit fröhlichem Gemüthe.



Wie sie nun durch das Land dahin zogen, kamen sie an einem hohen Felsen vorüber, auf dem ein Weib stand, das ihnen mit heiserer Stimme zurief: „Folget meinem Rathe, so möget ihr einem großen Ungemache entgehen; denn wollet ihr den Sieg erlangen, so müßt ihr der Götter Willen erfüllen. Darum schlachtet ihnen zu Ehren eine Eselin, so werdet ihr ein ihnen angenehmes Opfer verbringen, das sie heute begehren.“ Als sie dieses hörten, tödteten sie eine Eselin, zerhieben dieselbe in viele tausend Stücklein und ein jeder Kriegsmann aß einen Bissen davon. Als dieses geschehen, fühlten sie in sich eine ungewohnte Unverzagtheit und setzten ihren Zug fort; gegen Abend gelangten sie auf den bezeichneten Kampfplatz, wo sie sich auf der Anhöhe ohnweit Turske lagerten und die Wachtfeuer anzündeten. –

(Schluß in nächster Nummer.)



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Kaspar Braun, Friedrich Schneider (Red.): Fliegende Blätter (Band 2). Braun & Schneider, München 1846, Seite 052. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Fliegende_Bl%C3%A4tter_2.djvu/56&oldid=- (Version vom 20.8.2021)