CLXXII. Nürnberg: – die Burg Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Vierter Band (1837) von Joseph Meyer
CLXXIII. Cordova: die Cathedrale
CLXXIV. Der Bieler Grund in der sächsischen Schweiz
  Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
[Ξ]

CORDOVA in SPANIEN

[99]
CLXXIII. Cordova: die Cathedrale.




Es ist kein Tod in der Schöpfung. Jede Zerstörung macht den Uebergang zu einem höhern Leben, und kann sich eine Kraft nicht mehr fortbilden in der ihr gegebenen Form, hat sie folglich ausgelebt, so ist ein Zerbrechen der Hülle nothwendig und wohlthätig zugleich.

Aber die weise und liebende Natur, welche will, daß sich jedes ihrer Geschöpfe seines Lebens freue, läßt selten ein langsames, qualvolles Hinsterben zu. Sie schuf darum tausend gewaltsame Tode, als eben so viele Mittel, den Uebergang der ewigen Kräfte in höhere Lebensformen zu erleichtern. Wer wollte nicht einsehen, daß solche rasche, gewaltsame Veränderungen nur Verkürzung der Trennungsschmerzen sind, folglich Zeichen der Liebe, mit welcher der Allgeist seine Geschöpfe umfaßt!

Diese zunächst dem Individuum beschiedene Welteinrichtung kommt auch den Völkern und Staaten zu gute. Nach dem Maße von Kräften, die ein Reich in sich vereinigt und solche Kräfte sich, unter gegebenen Umständen und Verhältnissen, wachsend entwickeln können, ist dem Staate seine Lebensdauer beschieden. Hat er den Gipfel seiner möglichen, eigenthümlichen Ausbildung in allen Beziehungen erreicht, dann, weil ein Stillstand nicht denkbar ist, hat mit dem nächsten Augenblick die Periode des Herabsteigens, die seines Verfalls begonnen; er sinkt allmählich in die Klasse der untüchtigen, oder nur noch passiv-nützlichen Werkzeuge, und sofort werden nach des Schöpfers weiser Einrichtung in jedem Staate schlummernde Kräfte der Selbstzerstörung frei und thätig, welche die Auflösung beschleunigen. Dauert dennoch der Auflösungsprozeß manchmal ein Jahrhundert und länger, so kann dieß nicht befremden, wenn wir bedenken, daß ein Leben von vielleicht mehren Jahrtausenden vorausging. Völker und Reiche haben eine zähe Lebenskraft, und ein plötzliches Hinraffen durch Schlagfluß und Mord gehört unter die Ausnahmen.

Das Gefühl der Theilnahme am Unglück Anderer liegt tief in jeder Menschenbrust. Aus dieser Quelle entspringt auch das lebendige Interesse, welches alle untergehenden Reiche und Nationen bei der Mitwelt finden. Zeit und Umstände geben diesem Interesse verschiedene Grade. Wie das Unglück des Großen, Edlen und Tugendhaften immer weit wärmeres Mitgefühl findet, als das eines gewöhnlichen, oder minder würdigen Menschen, [100] so wird auch eine Nation, deren Leben reich war an großen Thaten und auf den Kulturgang der Menschheit gesegneten Einfluß übte, durch ihr Unglück ein weit innigeres Interesse aufregen, als eine andere, deren Daseyn den Zwecken der[WS 1] Humanität hinderlich zu seyn scheint, oder in unrühmliches Dunkel gehüllt ist. Mit sehr verschiedenen Gefühlen sehen wir das Absterben eines Indianervolkes, mit andern die Ausrottung der Mammelucken, mit andern die Schlächterei der Tscherkessen, mit wieder andern des heldenmüthigen, lebensreichen Polens Martertod, und mit andern den Untergang des türkischen Halbmondes. Würde eine Thräne der Theilnahme fließen, eine außerhalb egoistischer Interessen geborne Klage laut werden, wenn morgen der Reichscoloß des Nordens in Trümmer fiele? – So ist es wahr, daß immer nur eine Hand das Mitleiden zur Hülfe ausstreckt, mit der andern es aber die Schale der Gerechtigkeit hält, der Unglücklichen Schuld oder Unschuld zu wägen.

Spanien, das Weltreich, lange leuchtend als Stern erster Größe, befindet sich schon zwei Jahrhunderte auf absteigender Bahn, und unsere Zeit, die so Vieles vergehen sieht, was einst groß war und herrlich, ist die berufene Zeugin seines Untergangs. Das furchtbare Drama, mit den Schlußscenen voll Brudermord und Gräuel, windet vor unsern Augen sich ab und die civilisirte Welt und ihre Mächtigen schauen drein und zischen Tadel, oder klatschen Beifall wie Römer einst beim Gladiatorenspiel. Keine Hand streckt sich aus, den Wahnsinnigen den selbstmörderischen Dolch zu entwinden. Eine feige, herzlose und selbstsüchtige Politik, die Schmach des Jahrhunderts, nährt vielmehr in dem unglücklichen Volke die Zersetzung aller sozialen Stoffe und seinen Uebergang in eine ungeheuere Masse fauler Gährung, aus welcher auch nicht ein einziges Element der geistigen Regeneration sich entwickelt. Gebe man nicht einem solchen sorgfältig unterhaltenen Auflösungsprozeß höhnend den Namen Revolution! Wahre Revolutionen sind, wie die wohlthätigen Krisen in schweren Krankheiten, volksrettender, nicht volksmörderischer Natur. Spanien ist so wenig in einer Revolution begriffen, wie ein Sterbender in der Genesung.

Doch lassen wir das Volk und betreten sein Haus. Herrliches Land, das auf des Schöpfers Werde als ein Eden hervorging und der Mensch mit den schönsten Werken seiner Hand geschmückt hat! Aus der Tiefe der Zeiten tritt dort das Alterthum in den verschiedensten Formen uns entgegen, und wir erkennen in zurückgelassenen Monumenten die Fußstapfen der berühmtesten Völker, welche sich einander, als Träger der Kultur, oder als Eroberer, in Spanien folgten. Roms und Karthagos Größe, des Orients Pracht, die Hoheit der christlich-germanischen Völker erhalten die Einbildungskraft des erstaunten Reisenden in steter Spannung; ihre glänzenden und mannichfaltigen Gestalten ziehen an ihm vorüber, wie die bunten Bilder in einem Guckkasten, und blenden sein Auge.

Cordova, den Geburtsort des Seneca und Lucan, einst die Königin unter Spaniens Städten, kleidet die Gegenwart in Lumpen; aber ihr Bettlergewand ist von Purpur. Des Schmuckes baar, arm, voller Schmutz [101] und Elend, erinnert doch noch manches Denkmal und manche Einrichtung an seine Glanzzeit, an jene Zeit, zu welcher in der Stadt der Kaliphen Gelehrsamkeit, Künste und Wissenschaften gepflegt wurden und blüheten, während die Nacht der Barbarei und Unwissenheit auf dem christlichen Europa lag.

In der Fernsicht ist Cordova immer noch herrlich, und der Lage nach, im schönsten Thale Andalusiens, hingestreckt am Kühlung athmenden, klaren Guadalquivir, rückwärts geschützt von der Sierra, welche ihre romantischen Szenerien bis nahe an die Thore rückt, ist es beneidenswerth. Seine schöne Lage ist jedoch auch das Einzige, was ihm die Zeit unverkümmert ließ. Mohamed’s Volk, dem 2 Welttheile einst zu enge gewesen, und das von seinem Throne in Cordova über Europa zu herrschen sich vornahm, ist zurück gebannt in die heimathlichen Wüsten, wo Europa jetzt das Vergeltungsrecht ausübt. Andern Herren gehorcht die Erde; die Wissenschaften und Künste haben andere Asyle gesucht; Reichthum und Ruhm, Herrschaft und Staatskunst dienen einem andern Glauben, und das heutige Cordova, das christliche, an Umfang eine der größten, ist zu einer der verfallendsten und ödesten Städte des spanischen Landes herabgesunken.

Schon in ihrer nächsten Umgebung verschwindet der poetische Zauber der Fernsicht, und man bekömmt eine traurige Vorstellung von Dem, was ihr Inneres zu schauen gibt. Eine wunderliche, unheimliche Mischung wilder und halbkultivirter Natur macht sich überall bemerklich, und elende, neuere Hütten neben großartigen, alterthümlichen Ruinen liegen wie Bettler an den Pforten verlassener Palläste.

Imposant ist die südliche Einfahrt, am Kay hin. Wie schön der Hafen, ein weites, im Halbzirkel gebautes Bassin, groß genug, um 80 Schiffe fassen zu können, ein Werk, das uns mit einem Blick sagt, daß Cordova einst auch als Handelsstadt bedeutend gewesen! Jetzt ist die größere Hälfte ausgefüllt mit Koth und Schlamm, und die andere ist nutzlos: denn selten wiegt sich eine armselige Barke auf dem Busen des Guadalquivir. Der Kay, der sich bis zur thurmgepanzerten, altmaurischen Brücke fortsetzt, hat schöne Visten über Strom und Thal hin zu den blauen Fernen der Sierra. Dunkel schattende Alleen zierten sonst diese Promenade, und eine Menge Springbrunnen erfrischten die Luft; aber jene sind längst verschwunden und diese sind wasserleer und verfallen. Statt des Wogens einer unzählbaren und reichen Bevölkerung sieht man hier selten Menschen: etwa angelnde Müssiggänger und ein paar schlafende Bettler.

Vom Kay aus überblickt man einen großen Theil der Stadt, die sich als ein Chaos von Gebäuden darstellt. Ein paar noble Thürme strecken ihre Häupter heraus; entschiedener als diese aber fesselt ein großes Viereck die Aufmerksamkeit. Ehrfurchtgebietend ragt es hervor, und aus seinem Mauergürtel steigen ein Dom und ein schlanker Glockenthurm auf. Dieß unermeßliche Gebäude ist die Moschee des Abdorrahman.

[102] Wir gehen, sie zu besehen. Ein alt-römisches Thor, welches der Brücke gegenüberliegt, führt von dieser Seite in die Stadt. Das erste, was uns auffällt, ist ein Säulencoloß, ähnlich der Antoninssäule in Rom. Auf deren Spitze strahlt eine vergoldete Statue, die des Engels Raphael, des Schutzheiligen der Stadt. Die Straße am Thore ist großartig und die Wohnungen sind in gutem Stande, und wir sind schon geneigt, einen Theil unserer schlimmen Vorstellungen als irrig zu verabschieden, als uns ein Blick in die Seitengäßchen eines Andern belehrt. Ueberhängende, dem Einsturz drohende Häuser dort, lange Gartenmauern, Schutthaufen und wenige Menschen. Je weiter man in das Innere der Stadt vordringt, je öder wird es. Bald glaubt man sich an einen Ort versetzt, der eine harte Belagerung mit Seuchen und Pest überstanden hat. Man sieht altergraue Palläste, die durch Masse und schöne Portale imponiren und große Plätze schmücken, auf denen das Gras Schuh hoch wächst und über Schutthaufen Unkraut rankt. Die Menge geschlossener Klöster, deren unabsehliche Façaden hier ganze Straßen einnehmen, vermehren den melancholischen Eindruck. Es finden diese prachtvollen, weitläufigen Gebäude hier so wenig wie irgendwo in Spanien Käufer, und ihr neuer Herr, der Staat, läßt sie verfallen. In einigen Jahrzehnten werden die Klöster aller spanischen Städte größtentheils nur noch Ruinen seyn.

In düstere Betrachtungen versunken, schreiten wir durch eine, aus einer dicken Quadersteinmasse gebrochenen Pforte, und erst nachdem uns vom Führer bedeutet worden ist, daß wir uns im Vorhofe der großen Moschee befinden, schauen wir verwundernd auf. Der erste Eindruck ist nicht erheiternd. Finster starren rundum graue Mauern empor, Trümmer von herabgestürzten Zinnen und Gesimsen liegen auf dem grünlichen Boden umher und in den Ecken des Hofes reicht überwachsener Schutt bis zur Hälfte des untern Stocks. Aus den leeren Fensteröffnungen weht hie und da ein Strauch und langhalmiges Gras. Die Wände sind fast ohne Zierrath, und die wenigen vorhandenen sind verstümmelt oder verwittert.

Erst wenn man weiter in das Innere des unermeßlichen Gebäudes gekommen ist, wird man es den davon gehegten Erwartungen entsprechender finden. Schlanke Thore führen in von zierlichen, dünnen Säulen gestützte Bogengänge und in hohe, mit Kuppeln überdeckte Räume, deren magisches Licht von oben hereinfällt. Leider ist vom arabischen Schmucke derselben wenig mehr übrig, und die christlichen Eroberer haben an dem Wunderwerke so lange und so vielerlei geändert und verbaut, daß der ursprüngliche Plan kaum mehr zu erkennen ist. Den mittleren Theil der Moschee hat man zur christlichen Cathedrale gemacht, die, so prachtvoll sie auch ist, sich doch hier ganz am unrechten Ort befindet und keinen Ersatz für die Zerstörung gibt, deren Anlaß sie war. Die schlanken, gothischen Fenster, die christlichen Symbole und der reiche Bilderschmuck nehmen sich befremdend aus neben den, den untern Raum zierenden maurischen Arabesken, und die schweren Deckengewölbe lasten erdrückend auf den leichten, arabischen Arkaden. Letztere sind ganz aus kostbarem, vielfarbigem Marmor, und die dazu verwendeten [103] Säulen, über 600, kamen größtentheils aus Aegypten und Kleinasien. – Bei Errichtung der Cathedrale mauerte man einzelne Abtheilungen der Moschee zu, ein Umstand, dem die Nachwelt die vollkommene Erhaltung des schönsten Denkmals des arabischen Kirchenstyls verdankt, welches in Europa vorhanden ist. Die berühmte „Kapelle Mohameds“ ist im Jahre 1815, als man bei Ausbesserung der Cathedrale eine schadhafte Backsteinmauer wegnahm, entdeckt worden. Säulen und Wände derselben sind von dem schönsten Alabaster, alle Ornamente golden, Decken und Fußboden köstliche Mosaik. Sie ist so vortrefflich erhalten, als wäre das 1000jährige Werk ein Werk von gestern, und gibt den Maßstab für eine Vorstellung von Dem, was vor der christlichen Eroberung dieß Gebäude gewesen ist, welches bei den Bekennern des Korans nach der Moschee von Mekka als das Heiligste auf Erden galt.

Die Erbauung der Moschee fällt in das 9te Jahrhundert. Abdorrahman, der große Chalif, errichtete sie auf den Ruinen eines römischen Tempels, den Julius Cäsar gründete. Der Masse nach gehört sie zu den größten Gebäuden der Welt; ihre Länge mißt nahe an 600, ihre Breite 450 Fuß, und von der Peterskirche in Rom wird sie nur an Höhe übertroffen.



Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: de