CLXXI. Constantinopel vom Todtenacker Pera’s Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Vierter Band (1837) von Joseph Meyer
CLXXII. Nürnberg: – die Burg
CLXXIII. Cordova: die Cathedrale
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Die BURG in NÜRNBERG

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CLXXII. Nürnberg: – die Burg.




Im Herzen Deutschlands, zwischen den Wasserscheiden des Mains und der Donau, breitet sich das Frankenland aus, ein Land voll fruchtbarer Ebenen, graßreicher Gründe und gutmüthiger, lebensfroher Menschen. Belebte Straßen ziehen dort nach einem uralten Mittelpunkt des deutschen Handels und Fleißes, einer Wiege deutscher Kunst und Art: vordem einer Republik und immer einer Stadt ohne ihres Gleichen. Florenz ähnlich spricht jeder Platz und jedes Haus von großen Tagen, und noch gegenwärtig umfaßt Nürnbergs Gewerb- und Kunstfleiß die ganze Erde.

[95] Schon in einer Entfernung von mehren Stunden, von den Hügelketten her, welche die weite, sandige, holz- und kornreiche Ebene, in welcher Nürnberg den Mittelpunkt bildet, umgeben, erkennt man die altehrwürdige Stadt mit ihren colossalen Mauerthürmen und ihrer alles überragenden stolzen Akropolis. An Großartigkeit des Ansehens geht sie allen Reichsstädten voran, und nur von Prag wird sie an Reiz und Pracht des Alterthums übertroffen.

Ist der Reisende von den westlichen Höhen in die Ebene herabgestiegen, so verbirgt sich die Stadt hinter dunkeln Wäldern, und erst bei Fürth zeigt sie sich wieder, und da in voller Schöne. Fürth ist ungefähr eine gute Stunde von Nürnberg. Vor einigen Jahrhunderten verbannte ein Beschluß des Raths alle Nürnberger Juden – sie zogen hierher und erhoben ein schmutziges Dorf zur großen freundlichen Tochterstadt, welche jetzt die erste Eisenbahn Deutschlands mit der einst so unduldsamen Mutter verbindet. Was für eine Unähnlichkeit zwischen Ursache und Wirkung! Ohne die Vertreibung der Juden kein Fürth, und ohne Fürth vielleicht noch lange Jahre hin keine Eisenbahn in Deutschland! – –

Von Fürth trägt das Feuer-Roß mit der Schnelligkeit des Flugs vor die Thore der ehrwürdigen Stadt, die mit ihren rothen Dächern und zahllosen Thürmen aus einem trüben Dunstkreise der Ungeduld entgegen zu eilen scheint. Der Dampfwagen legt die Strecke in 8 Minuten zurück. Ehe man recht weiß, wie einem geschehen, sieht man sich schon in Nürnbergs Mauern.

Wer noch keine alte Stadt gesehen hat und in die Straßen von Nürnberg tritt, dem breitet sich eine ganz neue wunderliche Welt aus. Wie in einem Guckkasten die bunten Bilderbögen, drehen sich lebhafte Farben, roth, grün, blau, in wunderlichem Gemisch durch einander. Nichts Einerlei, keine Spur von Beschränkung und Vorschrift. Der Fremde sieht Patrizierpalläste neben des Handwerkers kleiner Wohnung und schmale, alte Häuserchen mit vorspringenden Giebeln und Erkern stehen nachbarlich vertraut neben dem Prachtgebäude des reichen Kaufmanns oder Fabrikherrn. Selbst das Unregelmäßige, Winkliche der Gassen fällt nicht unangenehm auf: denn es erhöht das Malerische derselben, und das Gepräge der Freiheit tragend, hat’s auch geistig eine anziehende Seite.

Wunderlich und charakteristisch sehen die hohen rothen Dächer aus, die meistens mit Thürmchen und altmodischen Wetterfahnen geziert sind, welche jeder Windstoß knarrend und schwirrend bewegt. Schönausgezierte Fenster und Thüren, geschnitzte Tragbalken, wunderliche Karyatyden, Basreliefs von Säulen und Figuren, alte Erker mit Sculpturen in gothischem und byzantinischem Styl, zum Theil von der kostbarsten Arbeit, fesseln das kunstliebende Auge bei jedem Schritte. Wappen in Stein und Metall prangen über den Thoren; in Nischen zwischen den Fenstern und Postamenten, oder an den Ecken zwischen den Stockwerken, stehen Statuen von Schutzheiligen, oder sind Bildwerke in Basrelief, manche von den besten Meistern der classischen Zeit eingemauert. Wie in der Natur, so erscheint auch an diesen alten Wohnungen der Reichsbürger Unregelmäßigkeit als das Grundprinzip aller Freiheit. An demselben Hause sind oft die Fenster von dreierlei Größe, die bald nah, bald weit von [96] einander stehen, Thüren, Erker, Thürmchen, alle mit verschiedenen Verzierungen. Ueberall sieht der unbeschränkte Wille der Bauherren als das SUPREMA LEX heraus. Solche Mannigfaltigkeit schützt den Reisenden vor der Langeweile, die ihn so oft anwandelt, wenn er nach der Schnur gebaute Städte unserer Zeit zu beschauen geht, in denen ein Haus und ein Platz dem andern ähnlich sieht, wie ein Soldatenrock dem andern. Besatz und Aufschläge mögen variiren: aber das Ding und der Schnitt bleiben in allem Wesentlichen doch das nämliche.

Die meisten der alten Nürnberger Häuser sind nur unten von Stein, in den obern Theilen von Holz und Fachwerk erbaut; aber die zu Tage liegenden, kunstvoll überschnitzten Balken verdrängen keineswegs die Vorstellung von Dauer und Stattlichkeit. Sie sind gewöhnlich nur von einer Familie bewohnt, denn man liebt dort Geräumigkeit und Unabhängigkeit. Dieser Sinn macht, daß Nürnberg, trotz der so sehr gesunkenen Bevölkerung (von einst 150,000 auf 36,000) doch kein unbewohntes Haus besitzt und er schützt es vor Verfall.

Es wird dem Fremden ganz mittelalterlich zu Muthe, wenn er in ein solches altes Haus tritt. Mühsam drückt er das schwere Thor auf und kommt in einen dunkeln, großen Raum. Die ausgeschnitzte breite Treppe führt zu einem Söller hinauf, die den ersten, wie eine zweite Gallerie über jenen den zweiten Stock, von innen einfaßt. Das steinerne Geländer ist, wie bei den Söllern vor den Rittersälen alter Burgen, von gothischer Arbeit; zierlich geschnitzte Säulen tragen die Decken. Gartenkübel mit Feigenbäumchen und Lorbeersträuchen stehen auf der Ballustrade, und umher liegendes Spielzeug verräth, daß hier die Kinder des Hauses einen privilegirten Tummelplatz haben. Aus der Mitte der Gallerie tritt auch wohl ein Erker weit hinaus und ein Tisch in demselben, überdeckt mit häuslicher Arbeit, zeigt an, daß hier die Hausfrau waltet, die Spiele der Kleinen zu zügeln. Da wird auch wohl gespeist von der Familie an heitern Mittagen und Abenden. – Im Hofe plätschert in zierlicher Einfassung ein Springbrunnen, Arbeitsgeräthe hängt an den Wänden umher, mitunter eine alte verrostete Waffe. Die Zimmer, hoch und geräumig, sind alterthümlich ausgetäfelt und noch häufig mit kunstreich gewirkten Tapeten behangen. Glasschränke stehen an den Wänden und in ihnen kostbare Gefäße aus der guten altfränkischen Zeit: – buntes Porzellan, venetianische, feine Deckelgläser, Humpen und Becher mit Sinnsprüchen und Familienwappen. Große, glänzend gebohnte Schränke und zierlich ausgelegte Kommoden, hohes nußbraunes Getäfel, bunte, mosaikartig ausgeplattete Hausehren, geräumige, von spiegelblank geputztem Kupfer- und Messinggeschirr funkelnde Küchen, kunstreich geschnitzte Tische und Stühle weisen, mit dem Aeußern des Hauses im Einklang, auf frühere Zeiten zurück, wo hier ein reicher Kaufherr, oder ein hochgebietender in einträglichen Aemtern stehender Patrizier, Haus und Hof hielt. Und Viele leben noch jetzt in der alten Sitte fort, heimisch nur in dem heimlichen Raum des Höfchens, und allenfalls eines schönen Obstgartens vor dem Thore. Aber freilich ist auch hier lange schon nicht mehr allenthalben das Alte! Der alte städtische Reichthum ist größtentheils dahin, und mit dem Versiegen der Quellen seines hohen Wohlstandes, – der reich dotirten von Geschlecht auf Geschlecht forterbenden Aemter, – ist der Stolz des Patriziers gebrochen. Schlicht und bescheiden wandelt dieser unter seinen Mitbürgern, und [97] er, dessen Ahnen einst mit der Miene der Herrscher als Haupt der Republik zu Rathe saßen, dient jetzt gehorsam dem Staate, als wäre jene Zeit nicht gewesen, die ihn turnierfähig machte.

Durch ein Labyrinth sich windender und kreuzender Straßen gelangen wir zum Markte. Hier halten uns die Stände der Gärtner und Landleute auf, letztere ein kernichter Menschenschlag, dessen malerische Tracht mit der reinlichen, netten der Nürnberger Bürgermädchen und Dienstmägde angenehm absticht. Dort und auf dem Trödel- und Fischmarkte ist es, wo der derbe Nürnberger Volkswitz sich in voller Freiheit übt, und ein Campe oder Adelung fänden da an eigenthümlichen Redensarten und Schimpfwörtern gewiß eine unerschöpfliche Ausbeute.

„Nürnberger Witz und Tand
Sind durch die Welt bekannt,“

ist ein altes Sprüchwort, und manche unserer Leser erinnern sich wohl noch der Nürnberger Schimpfe, einer Art Bilderbögen, auf welchen der hiesige Hall-Damenwitz mit einem Anfluge Hogarth’schen Geistes veranschaulicht war.

Dem bunten Menschengewimmel entronnen, ruht der Blick mit Bewunderung an dem schönsten Denkmale aus Nürnbergs großer, üppiger Zeit – auf dem schönen Brunnen, der das eine Ende des Marktplatzes ziert. Wie von Filagrinarbeit steigt dieß unbegreifliche Werk der Steinmetzenkunst, in gothischer schlanker Thurmgestalt an hundert Fuß hoch auf, unzählig sind die in den Verzweigungen angebrachten Statuen von Königen, Helden, Gottesstreitern u. s. w., und alle von der kostbarsten Arbeit. Von da eilen wir in die von Dürers unsterblichem Pinsel verzierten Säle des Rathhauses, wandern durch die herrlichen Kirchen zu unserer lieben Frauen, von Sankt Sebaldus und St. Lorenz, wo uns die Werke Peter Vischers bezaubern, des größten deutschen Erzgießers, und Adam Kraft’s, des Bildhauers, von dem man sagte, daß er die Kunst verstanden, die Steine weich zu machen und in Formen zu drücken. Von da zum Hause Dürer’s, zu seinem neuerrichteten Denkmal und zum Grabe des großen Meisters, auf den Johanneskirchhof, wo die Freundschaft gerechtes Lob in Erz grub. Und nun bergan zur Burg! Kühn und ehrfurchtgebietend thront sie auf dem Scheitel eines Sandsteinfelsens, der steil aus der Ebene emporsteigt, und überragt mit ihren mächtigen Thürmen die übrigen Gebäude der Stadt, wie ein Riese ein Heer von Zwergen. Wunderlich schön, ja fast phantastisch, schauen diese steinernen Colosse, die mit den Felsen zusammengewachsen scheinen, herab, Zeugen vergangener Jahrtausende und von hundert verschwundenen Geschlechtern. Vergeblich rüttelte an ihnen die Hand der Zeit und siegreich trotzten sie den Stürmen des Kriegs: denn Nürnbergs Schloß ist niemals erobert worden, auch dann nicht, wenn die Stadt in die Gewalt der Feinde fiel und, wie einst geschah, die Brandfackel sie gänzlich verzehrte.

Auf dieser Burg haußten die Kaiser des Reichs gar häufig, und Manches in derselben deutet noch auf die Herrlichkeit der alten Zeit. Sehr merkwürdig ist sie auch als Wiege der Größe des Hauses Hohenzollern, das, als es vom Kaiser im Jahre 1210 zur erblichen Würde eines Burggrafen von Nürnberg erhoben wurde, hier seinen [98] Wohnsitz aufschlug. Ein solcher Burggraf war damals ein Kaiser und Reich verantwortlicher Obervogt für die Verwaltung der Reichsgüter eines gewissen Distrikts, ein erblicher Reichsbeamter, wie die meisten Großen und Fürsten damaliger Zeit es gewesen. Erst nach Jahrhunderten bekam ihre Stellung zum Reichsoberhaupte eine veränderte Bedeutung. Kaiser Karl der Vierte machte die Burggrafen von Nürnberg zu Reichsfürsten, und die bisher verwalteten Krongüter huldigten ihnen als die neu geschaffenen Fürstenthümer Anspach und Bayreuth. Der bedrängte Kaiser Sigismund endlich setzte dem so schnellen Emporkommen des Geschlechts die Krone auf, indem er es mit der Kurmark Brandenburg (1417) belieh. Seinem Felsennest entflog der schwarze Adler, der nämliche, der jetzt, ausgewachsen, seine dunkelfarbigen Schwingen über die Hälfte des Vaterlandes breitet.

Und hier zieht es mich fast gewaltsam zu tiefsinnigen Betrachtungen über den Wechsel der menschlichen Dinge hin, denen ein Wortgewand wohl anstehen würde, in das sie zu kleiden mir aber versagt ist. Denke Keiner, ich vermeinte, über den Untergang des Alten zu klagen. Es ist ja das Recht der Gegenwart, auf den Katakomben der Vergangenheit zu wandeln, und naturgemäß rankt grünes, blühendes Leben über Gräbern sich am freudigsten auf. Wird doch auch das Neue vergehen, wie das Alte vergangen, wenn seine Stunde geschlagen! Drum keine Klage um dich, alter, lieber, todter, doppelköpfiger Reichsadler; – QUIESCE IN PACE.

Deine alte Burg aber, deren Räume noch immer gastlich und freundlich erhellt sind, um deren Zinnen noch immer die Tauben flattern, und auf welcher noch immer Störche und Schwalben nisten und die Sträuche ranken, welche der zarte Griffel Dürer’s so heimlich und lieblich in seinen Bildern verewigt hat, sie wird in ihrer Metamorphose unsere Enkel in spätern Jahrhunderten noch erfreuen. Statt der Gewalt lärmenden, kriegerischen Pomps zog der Kunst stiller Friede herein, und ihre unsterblichen Werke bedecken deren Wände würdiger, als einst vergängliches, glänzendes Rüstzeug. Es dient nämlich die Veste jetzt zur Aufbewahrung eines Gemäldeschatzes, welcher kostbare Juwelen deutscher Kunst umfaßt. Ueberaus herrlich sind einige Tafeln Dürers, vor Allem sein Karl der Große und Kaiser Sigismund im Krönungsornate, kolossal, in ganzer Figur. Carolus Magnus ist eine Gestalt von fast überirdischer Hoheit; ein Wesen, gleichsam aus einer andern, höhern Menschenwelt. Nicht minder herrlich sind die vier Apostel, über deren Originalität München mit der Dürerstadt seit Jahrhunderten rechtet. Nürnberg behauptet von jeher, sein Magistrat, der die Tafeln an Max von Bayern verkauft, habe die Copien untergeschoben und die Originale behalten. Außer den Werken Dürer’s zieren die Schloßgallerie viele von Wohlgemuth, dem Lehrer unsers Albrecht, von Martin Schön, Hans Schäuffelin, Hans Kulmbach, G. Penz, Lucas Kranach und andern großen Meistern. Sie giebt in ihrer Gesammtheit eine Uebersicht der deutschen Kunst von der ersten Dämmerungszeit an bis an das Ende jener Epoche, welche wir wohl, – was auch diffentirende Stimmen der Gegenwart dazu sagen mögen, – immer als diejenige zu betrachten haben werden, in welcher sie das Höchste erstrebt und erreicht hat.