Constantinopel vom Todtenacker Pera’s

CLXX. Chateau Chillon am Genfersee Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Vierter Band (1837) von Joseph Meyer
CLXXI. Constantinopel vom Todtenacker Pera’s
CLXXII. Nürnberg: – die Burg
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CONSTANTINOPEL

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CLXXI. Constantinopel
vom Todtenacker Pera’s.




„Ich sah Athens geheiligte Ruinen; Ephesus Tempel sah ich und war in Delphi; ich habe Europa durchstreift von
einem Ende zum andern und Asiens schönste Lander besucht: aber niemals erfreute mein Auge ein Anblick dem von
Constantinopel zu vergleichen.“ Byron’s Tagebuch.

Man an erwarte hier nicht eine ausführliche Beschreibung der alten Metropole des Orients, welche ich in einem früheren Theile[1] dieses Werkes schon einmal skizzirte. Jene findet ein jeder meiner Leser in zwanzig Büchern besser, als ich sie, beschränkte mich auch das Räumliche nicht, zu geben vermöchte. Nur ein Fragment vom Gesehenen will ich mittheilen, wie das nebige kleine Bild auch nur ein Bruchstück von dem großen Gemälde ist, das sich von den „sieben Thürmen“ an bis zum „goldenen Horn“ am Bosphorus dem entzückten Beschauer entfaltet.

Unser Stahlstich gibt die berühmte Ansicht vom sogenannten „kleinen“ Todtenfelde Pera’s aus, jedoch leider! nur theilweise. Sie umfaßt den größern Theil des Hafens und die jenseits desselben liegenden Quartiere, von der Stadtmauer bei Ejub an, bis in die Gegend des alten Serails. Es ist etwa die Hälfte der ganzen Vista.

Die Häuser zunächst rechts im Vordergrunde sind Wohnungen der Hafenbeamten; das entferntere größere, umgeben von hohen Mauern, ist der neue Pallast des Kapudan Pascha, des türkischen Flottenadmirals. Hinter demselben, auf der Anhöhe jenseits, glänzt, citadellenähnlich, die Kaserne Selims des Dritten. Es ist ein unermeßliches Viereck mit gewaltigen Thürmen an den Winkelspitzen und vertheidigt durch Mauern und Gräben. – Aus der Tiefe, fast in der Mitte des Bildes, zieht eine Rauchwolke auf. Im Stadtviertel, rechts von derselben, dessen Seite steil in’s Thal abfällt, erkennen wir den Fanar, den Wohnort des Patriarchen und der vornehmen Griechen; daher deren Name: Fanarioten. Dort war der Schauplatz der Gräuelscenen in dem erstern Stadium des griechischen Aufstandes; dort war es, wo die vom religiösen Fanatismus angefachte Rachsucht der Türken unschuldige Schlachtopfer zu Tausenden suchte und fand. Die verstümmelte Leiche des greisen Patriarchen hing man damals an Ketten auf über dem Thore seines eigenen Pallastes, und die jungfräulichen Reize der zarten Fanariotinnen [94] füllten drei Wochen lang alle Sklavenmärkte des Reichs. Die Hälfte der Bevölkerung ging unter in den Mordstürmen dieser schreckenvollen Zeit, und viele edle Griechengeschlechter erloschen für immer.

Neben der hohen Cypresse, rechts, ragt mit majestätischer Kuppel und schlanken Minarets über dichte Häusermassen eine Moschee: Sulimanieh ist’s, die gepriesene, nach St. Sophia die schönste der Hauptstadt. Weiter rechts, den Fanar überschauend, thürmt sich eine zweite auf: – ein rechtes Siegesdenkmal des Halbmonds über das christliche Kreuz. Mahomed der Zweite erbaute sie auf der Stelle, welche einer der ehrwürdigsten christlichen Tempel einnahm: die Kirche nämlich der zwölf Apostel. In derselben befanden sich die Begräbnißstätten der byzantinischen Kaiser. Die rohe Hand der Türken streute die Asche der Gesalbten in alle Winde, und in der nämlichen Gruft, welche die Gebeine des ersten Constantins einschloß, schläft jetzt der Eroberer von Constantins Stadt. –

Die Minarets, die sich zuäußerst am linken Rand des Bildes kenntlich machen, gehören Moscheen, theils auch der älteren Wohnung des Sultans an. Letztere ist gegenwärtig Kaserne. Noch eine gute halbe Stunde weiter dehnt sich in dieser Richtung die Häusermasse aus, und den imposanten Schluß bildet das Serail selbst, mit seinen Cypressenhainen, hohen Minarets und golden-schimmernden Kuppeln. Schade, daß die Phantasie des Lesers hier der bildlichen Darstellung zu Hülfe kommen muß.

Würde aber auch der Stahlstich die Ansicht ganz wieder geben, so wäre solche doch immer nur ein Fragment vom großen Ganzen; denn bei einer Totalansicht Constantinopels dürfen Pera, Galata und Terschana diesseits des Hafens, und Scutari auf der asiatischen Seite des Bosphorus nicht fehlen, Vorstädte, von denen jede größer ist, als manche Königsstadt Deutschlands. Eine solche Darstellung aber läßt sich nicht auf so kleinem Raum erwarten.