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einander stehen, Thüren, Erker, Thürmchen, alle mit verschiedenen Verzierungen. Ueberall sieht der unbeschränkte Wille der Bauherren als das SUPREMA LEX heraus. Solche Mannigfaltigkeit schützt den Reisenden vor der Langeweile, die ihn so oft anwandelt, wenn er nach der Schnur gebaute Städte unserer Zeit zu beschauen geht, in denen ein Haus und ein Platz dem andern ähnlich sieht, wie ein Soldatenrock dem andern. Besatz und Aufschläge mögen variiren: aber das Ding und der Schnitt bleiben in allem Wesentlichen doch das nämliche.

Die meisten der alten Nürnberger Häuser sind nur unten von Stein, in den obern Theilen von Holz und Fachwerk erbaut; aber die zu Tage liegenden, kunstvoll überschnitzten Balken verdrängen keineswegs die Vorstellung von Dauer und Stattlichkeit. Sie sind gewöhnlich nur von einer Familie bewohnt, denn man liebt dort Geräumigkeit und Unabhängigkeit. Dieser Sinn macht, daß Nürnberg, trotz der so sehr gesunkenen Bevölkerung (von einst 150,000 auf 36,000) doch kein unbewohntes Haus besitzt und er schützt es vor Verfall.

Es wird dem Fremden ganz mittelalterlich zu Muthe, wenn er in ein solches altes Haus tritt. Mühsam drückt er das schwere Thor auf und kommt in einen dunkeln, großen Raum. Die ausgeschnitzte breite Treppe führt zu einem Söller hinauf, die den ersten, wie eine zweite Gallerie über jenen den zweiten Stock, von innen einfaßt. Das steinerne Geländer ist, wie bei den Söllern vor den Rittersälen alter Burgen, von gothischer Arbeit; zierlich geschnitzte Säulen tragen die Decken. Gartenkübel mit Feigenbäumchen und Lorbeersträuchen stehen auf der Ballustrade, und umher liegendes Spielzeug verräth, daß hier die Kinder des Hauses einen privilegirten Tummelplatz haben. Aus der Mitte der Gallerie tritt auch wohl ein Erker weit hinaus und ein Tisch in demselben, überdeckt mit häuslicher Arbeit, zeigt an, daß hier die Hausfrau waltet, die Spiele der Kleinen zu zügeln. Da wird auch wohl gespeist von der Familie an heitern Mittagen und Abenden. – Im Hofe plätschert in zierlicher Einfassung ein Springbrunnen, Arbeitsgeräthe hängt an den Wänden umher, mitunter eine alte verrostete Waffe. Die Zimmer, hoch und geräumig, sind alterthümlich ausgetäfelt und noch häufig mit kunstreich gewirkten Tapeten behangen. Glasschränke stehen an den Wänden und in ihnen kostbare Gefäße aus der guten altfränkischen Zeit: – buntes Porzellan, venetianische, feine Deckelgläser, Humpen und Becher mit Sinnsprüchen und Familienwappen. Große, glänzend gebohnte Schränke und zierlich ausgelegte Kommoden, hohes nußbraunes Getäfel, bunte, mosaikartig ausgeplattete Hausehren, geräumige, von spiegelblank geputztem Kupfer- und Messinggeschirr funkelnde Küchen, kunstreich geschnitzte Tische und Stühle weisen, mit dem Aeußern des Hauses im Einklang, auf frühere Zeiten zurück, wo hier ein reicher Kaufherr, oder ein hochgebietender in einträglichen Aemtern stehender Patrizier, Haus und Hof hielt. Und Viele leben noch jetzt in der alten Sitte fort, heimisch nur in dem heimlichen Raum des Höfchens, und allenfalls eines schönen Obstgartens vor dem Thore. Aber freilich ist auch hier lange schon nicht mehr allenthalben das Alte! Der alte städtische Reichthum ist größtentheils dahin, und mit dem Versiegen der Quellen seines hohen Wohlstandes, – der reich dotirten von Geschlecht auf Geschlecht forterbenden Aemter, – ist der Stolz des Patriziers gebrochen. Schlicht und bescheiden wandelt dieser unter seinen Mitbürgern, und