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so wird auch eine Nation, deren Leben reich war an großen Thaten und auf den Kulturgang der Menschheit gesegneten Einfluß übte, durch ihr Unglück ein weit innigeres Interesse aufregen, als eine andere, deren Daseyn den Zwecken de Humanität hinderlich zu seyn scheint, oder in unrühmliches Dunkel gehüllt ist. Mit sehr verschiedenen Gefühlen sehen wir das Absterben eines Indianervolkes, mit andern die Ausrottung der Mammelucken, mit andern die Schlächterei der Tscherkessen, mit wieder andern des heldenmüthigen, lebensreichen Polens Martertod, und mit andern den Untergang des türkischen Halbmondes. Würde eine Thräne der Theilnahme fließen, eine außerhalb egoistischer Interessen geborne Klage laut werden, wenn morgen der Reichscoloß des Nordens in Trümmer fiele? – So ist es wahr, daß immer nur eine Hand das Mitleiden zur Hülfe ausstreckt, mit der andern es aber die Schale der Gerechtigkeit hält, der Unglücklichen Schuld oder Unschuld zu wägen.

Spanien, das Weltreich, lange leuchtend als Stern erster Größe, befindet sich schon zwei Jahrhunderte auf absteigender Bahn, und unsere Zeit, die so Vieles vergehen sieht, was einst groß war und herrlich, ist die berufene Zeugin seines Untergangs. Das furchtbare Drama, mit den Schlußscenen voll Brudermord und Gräuel, windet vor unsern Augen sich ab und die civilisirte Welt und ihre Mächtigen schauen drein und zischen Tadel, oder klatschen Beifall wie Römer einst beim Gladiatorenspiel. Keine Hand streckt sich aus, den Wahnsinnigen den selbstmörderischen Dolch zu entwinden. Eine feige, herzlose und selbstsüchtige Politik, die Schmach des Jahrhunderts, nährt vielmehr in dem unglücklichen Volke die Zersetzung aller sozialen Stoffe und seinen Uebergang in eine ungeheuere Masse fauler Gährung, aus welcher auch nicht ein einziges Element der geistigen Regeneration sich entwickelt. Gebe man nicht einem solchen sorgfältig unterhaltenen Auflösungsprozeß höhnend den Namen Revolution! Wahre Revolutionen sind, wie die wohlthätigen Krisen in schweren Krankheiten, volksrettender, nicht volksmörderischer Natur. Spanien ist so wenig in einer Revolution begriffen, wie ein Sterbender in der Genesung.

Doch lassen wir das Volk und betreten sein Haus. Herrliches Land, das auf des Schöpfers Werde als ein Eden hervorging und der Mensch mit den schönsten Werken seiner Hand geschmückt hat! Aus der Tiefe der Zeiten tritt dort das Alterthum in den verschiedensten Formen uns entgegen, und wir erkennen in zurückgelassenen Monumenten die Fußstapfen der berühmtesten Völker, welche sich einander, als Träger der Kultur, oder als Eroberer, in Spanien folgten. Roms und Karthagos Größe, des Orients Pracht, die Hoheit der christlich-germanischen Völker erhalten die Einbildungskraft des erstaunten Reisenden in steter Spannung; ihre glänzenden und mannichfaltigen Gestalten ziehen an ihm vorüber, wie die bunten Bilder in einem Guckkasten, und blenden sein Auge.

Cordova, den Geburtsort des Seneca und Lucan, einst die Königin unter Spaniens Städten, kleidet die Gegenwart in Lumpen; aber ihr Bettlergewand ist von Purpur. Des Schmuckes baar, arm, voller Schmutz