Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Tuvora, Franz
Band: 48 (1883), ab Seite: 162. (Quelle)
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Tuvora, Joseph (Zeitungsschreiber, geb. zu Neutra in Ungarn 1811, gest. in Wien 16. Juni 1871). Ueber seine Abkunft und Jugendzeit fehlen nähere Nachrichten, denn im Fragmente seiner Selbstbiographie, das unter dem Titel: „Ein politisches Lebensschicksal aus Alt-Oesterreich“ in Häfner’s „Constitution“ erschienen ist, beginnt er erst mit seinem sechzehnten Jahre, indem er erzählt, daß er zu dieser Zeit Vorliebe zur Diplomatie gefaßt habe, aber mit seinem Ansinnen, sich derselben widmen zu wollen, schnöde zurückgewiesen worden sei. Zur Diplomatie, habe man ihm auf sein Begehren erwidert, gehöre Reichthum und Geburt, er in seinen Verhältnissen möge sich nach einer Stellung umschauen, die ihm möglichst bald Brod verschaffe. „Seit jenem Augenblicke“, schreibt er, „schwur ich diesem System Haß“. Er lieferte, nun eine Zeit lang Theater-Recensionen für die Bäuerle’sche [163] „Theater-Zeitung“, dichtete Localpossen, wie „Die Reise nach der blauen Insel“ u. a., hetzte sich durch ein „ganz und gar harmloses Unternehmen“, betitelt „Die Mücken“ (Wien 1841, bei Hirschfeld), Polizei und Censur an den Hals, sandte dann ernstere Aufsätze über vaterländische Zustände und Verhältnisse in Biedermann’s „Deutsche Monatschrift“, außerdem zahllose Correspondenzen, drei- bis viertausend! an die „Kölnische Zeitung“ unter dem Pseudonym Mocsi, an den „Nürnberger Correspondenten“, die Leipziger „Allgemeine Zeitung“, und ließ bei Hoffmann und Campe in Hamburg „Anonyme Briefe aus Wien“ erscheinen. Nebstbei unterhielt Tuvora, welcher k. k. Beamter im Münz- und Bergwesen war, allerhand mysteriösen Verkehr mit verschiedenen Gesandtschaften, nach seiner Angabe mit der französischen, nach der richtigeren Ebeling’s mit russischen Agenten, denen er Berichte und werthvolle Winke über die offenkundigen Geheimnisse der österreichischen Mißzustände lieferte. Lange trieb er diesen Unfug, ohne daß man den Urheber kannte, endlich aber kamen die Behörden doch dahinter, und „Tuvora“, schreibt Ebeling, „hätte vielleicht für seine nach Petersburg wandernden Berichte und Anekdoten aus den hohen und höheren Kreisen der Residenz freie Wohnung auf dem Spielberg bekommen, wenn es nicht Rußland gewesen wäre, dem er seine Gefälligkeiten darbrachte, und dessen Agenten in Oesterreich ebenso viel Macht handhabten, als der Großmogul der Polizei Sedlnitzky“. Strafen konnte man ihn also nicht (!), in die Karten sollte er ebenfalls nicht länger bequem schauen, so versetzte man ihn nach dem bureaukratischen Paragraph: promoveatur ut amoveatur mit erhöhtem Gehalte und Charakter als Münzbeamten nach Schemnitz. Wie Freiherr von Helfert berichtet, kam Tuvora mit ah. Entschließung vom 16. October 1847 als Materialverwalter des Münzamtes nach Kremnitz, gerieth aber, im Verdachte „panslavistischer“ Neigungen und Umtriebe, bei den vormärzlichen Liberalen in Mißcredit. Diesen Argwohn zu zerstreuen, war, wie es den Anschein hat, der vorzüglichste Zweck des oberwähnten Fragmentes seiner Selbstbiographie in der „Constitution“, welches überfließt von Ausfällen gegen das Metternich-Sedlnitzky’sche System, gegen den „sauberen Allianzklee“, den er (Tuvora) „ausreuten“ wolle, gegen das „herz- und seelenlose Treiben“ einer veralteten Diplomatie, „die an dem dürren Knochen eines einzigen Begriffes, dem sogenannten europäischen Gleichgewichte, eigensinnig nagte“. „Jetzt aber gelte es zu wirken“, so schloß er seine Ansprache, „muthig, rasch und offen. Heil dem freien Oesterreich! Heil seinem guten constitutionellen Kaiser! Was Frankreich im Jahre 1830 nicht erlangen konnte, einen Thron mit volksthümlichen Institutionen umgeben, wir werden, wir müssen ihn bekommen.“ In der That gelang es ihm auch, binnen Kurzem unter seinen Berufsgenossen eine günstige Meinung, ein gewisses Ansehen für sich zu gewinnen. Ebeling rühmt die Eleganz und Gewandtheit der Feder Tuvora’s und bezeichnet ihn als einen freien Geist, der die Gebrechen des Staates und die Persönlichkeiten des ancien régime mit Strenge zu geißeln, ihre Blößen mit ätzender Lauge zu übergießen verstanden [solche Menschen in einem Staate sind dessen größte Gebrechen], doch habe er nicht in die Revolution gepaßt. Gleich nach Ausbruch der Achtundvierziger Bewegung verließ Tuvora seine Stelle in Kremnitz und ging nach [164] Wien, wo er zunächst in Häfner’s „Constitution“ schrieb. Am 11. April 1848 trat er aber von diesem Blatte zum „Freimüthigen“, den Mahler ins Leben gerufen, über, und zwar in der Eigenschaft als Redacteur des politischen Theiles. Ebeling glossirt diesen Uebertritt mit folgenden Worten: Tuvora war ein Mensch, der jede Frage nur aus dem Gesichtspunkte des Geldes betrachtete, und so associirte er sich mit dem „Freimüthigen“ für ein sehr hohes Honorar, das ihm Mahler garantiren mußte. Dieses Blatt, dessen Hauptaufgabe es war, die Landbevölkerung aufzureizen und in sein Lager zu ziehen, erschien anfänglich in Großquart, dann aber in einem Formate, das es zum größten Journale Wiens machte. Tuvora, schreibt Ebeling, trug sich mit der chimärischen Hoffnung, in den neuen status quo als Finanzminister einzutreten (!!!) und sah den schmutzigen Canal des „Freimüthigen“ als den besten Weg an, diese Höhe zu erklimmen! Der aufreizende Ton des Blattes gewann demselben in der hoch erregten Zeit bald viel Interesse, und die Briefe gegen das reiche Capitel von Klosterneuburg wurden in den vielen Tausenden von Exemplaren nicht gelesen, sondern gierig verschlungen. Da kam der Tag, an welchem der Kaiser das unheimlich gewordene Wien verließ, um sich nach Innsbruck zu begeben. Es war der 18. Mai. Kaum hatte Tuvora am Morgen genannten Tages von der Flucht des Kaisers erfahren, so warf er sich eiligst in seine Kleider, bestieg eine Miethkutsche und jagte sofort in Wiens radicalste Vorstadt Gumpendorf, wo er mit seinem Compagnon Häfner, der ein Gleiches gethan, die Republik proclamirte. Nach des Letzteren eigenem Ausspruche war es ihr Plan, mit 30.000 Vorstadtgarden und Proletariern die sogenannte Staatskanzlei und die daranstoßenden Localitäten der Regierung für Niederösterreich, sowie die Staatsdruckerei und mit Hilfe der Menge, auf deren zahlreiches Zuströmen sie rechneten, sämmtliche Ministerialgebäude zu besetzen, für den gewaltsam entführten Kaiser eine provisorische Regierung mit dictatorischen Vollmachten einzurichten, zahlreiche Verhaftungen vorzunehmen, allsogleich Abgeordnete an das ungarische Ministerium, an den eben damals in Prag tagenden Slavencongreß, an das deutsche Parlament und an die Mailänder provisorische Regierung zu senden, Revolutionscommissäre für alle Landestheile zu bestellen und alle Völker Oesterreichs einzuladen, Abgeordnete zu einem Völkercongreß nach Wien zu schicken. Aber der seit jeher slavisch angehauchte Tuvora und sein College Häfner hatten die Rechnung ohne das Wiener Volk gemacht, das, sobald es den Ernst der Situation erkannte, wie mit einem Zauberschlage umgewandelt war. Ein mittlerweile an die Straßenecken angeschlagener von Becher, Tausenau , Ribarz und Löbenstein unterzeichneter Aufruf an ihre Mitbürger, worin sie vorschlugen, sich an den Erzherzog Johann, den damals populärsten Prinzen des Kaiserhauses, mit der Bitte zu wenden: daß er das Staatsruder provisorisch ergreife und die Monarchie dem Abgrunde entreiße, der sie zu verschlingen drohe, wurde von den erbitterten Leuten abgerissen. In Sechshaus und Gumpendorf trieben mittlerweile Tuvora und Häfner ihr Unwesen, riefen vom Fiacre an die Vorübergehenden hinab, daß, nachdem der Kaiser Stadt und Land verlassen habe, nichts übrig bleibe, als die Republik einzuführen, dabei [165] theilten sie Zettel mit einer Ministerliste aus, an deren Spitze Joseph Tuvora als Minister des Aeußeren und Conseilspräsident, Häfner als Minister des Inneren zu lesen waren. Einige Zeit hörte man ruhig zu, endlich aber eilten Einige, welche dieser Revolutionsspuk nicht verblüffte, auf die Bezirkshauptwache der Nationalgarde im Eszterházy’schen Palais, um die Aufrührer festnehmen zu lassen. Den Verhafteten eilte das Volk nach, um sie zu massacriren, und Schlögl gedenkt in seinem köstlichen Buche „Wienerisches“ der ergötzlichen Begegnung Beider mit dem Grafen Sándor. Häfner und Tuvora wurden nun in sicheren Gewahrsam gebracht, zuerst ins bürgerliche Zeughaus, dann ins Polizeigebäude und von da in das in der Alservorstadt gelegene Criminalgebäude. Nach kurzem summarischen Verhör beschloß das Gericht ihre Versetzung in Anklagestand wegen Hochverraths, gegen welchen Beschluß Tuvora wie Häfner den Recurs anmeldeten. Beide läugneten hartnäckig, die Republik ausgerufen zu haben: es sei nur die constitutionelle Monarchie und eine provisorische Regierung gewesen, wofür sie ihre Bemühungen eingesetzt hätten. Gritzner’s bei Schabelitz in Zürich 1867 erschienenes „Flüchtlingsleben“ straft diese Behauptung Lügen und berichtet, daß Häfner’s Ziel in der That die Republik gewesen sei. Aber der 26. Mai, der Tag der ersten Barricaden in Wien, brachte Beiden ihre Befreiung. Die Aufregung war in der Zwischenzeit durch fremde Elemente, die sich mit jedem Tage mehr in Wien eingeschlichen hatten, genährt worden. Der eigentliche Wiener Geist kam immer mehr und mehr abhanden. Das Ministerium zeigte sich auch den Zeitverhältnissen nichts weniger denn gewachsen. Am 26. Mai stürmte denn eine bis an die Zähne bewaffnete Schaar Studenten und Arbeiter, Gritzner an der Spitze, nach dem Trattnerhofe, in die Wohnung Pillerstorff’s, des damaligen Ministers des Inneren, und verlangte von demselben einen Befehl zur Freilassung Häfner’s und Tuvora’s. Der terrorisirte Pillerstorff stellte den Befehl aus, und nun stürmte diese „Schaar der gesetzlichen Ordnung“ durch die Stadt über das Glacis zum Criminalgebäude, wo die Gefangenen aus ihren Zellen geholt, auf die Schultern gehoben und lärmend im Triumphe in die Stadt gebracht wurden. Dann veröffentlichten Beide eine Erklärung, welche nichts als Unwahrheiten enthielt, und worin sie Alles, dessen man sie beschuldigte, als Verleumdung hinstellten. Nun arbeitete Tuvora am „Freimüthigen“ fort, erscheint auch als Hauptmitarbeiter auf dem am 16. Juni 1848 zum ersten Male ausgegebenen von A. J. Becher redigirten „Radicalen“ und seit 6. August (Nr. 107) in Gemeinschaft mit Isidor Heller als Redacteur des „Freimüthigen“, auf dem als verantwortlicher Redacteur Mahler genannt ist. Da brachten die verhängnisvollen Octobertage eine überraschende Wendung im Leben und Handeln Tuvora’s. Der radicalste aller Radicalen, der Republikaner von Gumpendorf, der Alles, was schwarzgelb war, wie damals Alles hieß, was zur gesetzlichen Ordnung hielt, mit Stumpf und Stiel ausrotten wollte, war eines schönen Octobertages, als Wien von den Serezanern Jelačić’s bedroht wurde, in dessen Lager übergegangen, hatte Alles, was er bis dahin verbrochen, schwer zu bereuen erklärt und seinen Uebergang vom Radicalismus zum ekelsten Servilismus einfach mit den [166] Worten entschuldigt: „Ich konnte nicht anders, die Erscheinung (Jelačić’s) war zu ritterlich“. Die Bestürzung, die Wuth der Blätter, denen 'Tuvora' durch seine frühere journalistische Thätigkeit angehört hatte, mit deren Sinnen und Trachten er vollkommen vertraut war, und die sich durch die rückhaltslosen Enthüllungen eines Eingeweihten entlarvt sahen, kannte keine Grenzen. Tuvora’s Erklärung erschien in der zweiten Hälfte des October im Gratzer „Herold“ und ging aus diesem Journal in andere über. Die Wiener Blätter aber fielen schonungslos über ihn her. Der „Freimüthige“ brachte einen Artikel: „Tuvora der Renegat“, der „Radicale“ einen aus S. Engländer’s Feder, betitelt: „Die Speculanten der Freiheit“, in welchem die Entrüstung über den Abtrünnigen sich zu manchen falschen, ganz unberechtigten Anklagen verirrte. Wir waren bisher ausführlicher in der Schilderung der damaligen Zustände, um die ganze Jämmerlichkeit des Individuums zu kennzeichnen, das in denselben zu den Hauptacteurs zählte und, mit einem Male das Gewand wechselnd, die entgegengesetzte Rolle spielte. Wir können uns nun im Folgenden ganz kurz fassen. Tuvora blieb seitdem bis an sein Ende, wie ein gewiegter Kenner Wienerischer Verhältnisse und Persönlichkeiten schreibt, „ein Mitfresser an der officiösen Krippe, ein Lohnschreiber für jegliches System, der mit allen Parteien schwanzwedelte und liebäugelte, vor jedem Ministerium katzenbuckelte, verachtet und gemieden von allen charakterfesten Menschen“. Nebenbei soll er Börsegeschäfte und Volkswirthschaftliches getrieben und sich – während er in Saus und Braus lebte und fürstlich wohnte, von Freund und Feind für sein Thun und Lassen gut bezahlt – nicht wenig dabei herausgeschlagen haben, denn als er starb, meldeten die Journale von einem beträchtlichen Vermögen, das er seinen Erben hinterlassen. Daß er übrigens in die politischen Verhältnisse oft tief eingeweiht und besser unterrichtet war, als die Diplomaten selbst, dafür spricht die Thatsache, daß er nach einer vollendeten politischen Mission in Paris, im Jahre 1858, entgegen den Hübner’schen Versicherungen, bei der Behauptung beharrte, daß Frankreich an Oesterreich den Krieg erklären werde, wie es denn auch wirklich geschah. Dies und das geflügelte Wort, welches ihm in den Mund gelegt wird: „Es wundere ihn, wie Jemand ein Fleisch anderswo als bei Sacher essen könne“, ist das Bleibende seines Wirkens, denn seine Flugschrift: „Was nun? Ein politisches Gutachten“ (Wien 1866, literar.-artist. Anstalt von C. Dittmarsch, 8°.) war schon dadurch gekennzeichnet, daß sie seinen Namen an der Spitze trug.

Helfert (Joh. Alex. Freiherr von). Die Wiener Journalistik im Jahre 1848 (Wien 1877, Manz, gr. 8°.) S. 36, 62, 70, 79, 81, 119, 218–220, 235 und Zahl 103, 218 und 417. – Derselbe. Geschichte Oesterreichs vom Ausgange des Wiener October-Aufstandes 1848 (Prag 1872, Tempsky, gr. 8°.) Bd. III: „Die Thronbesteigung des Kaisers Franz Joseph I.“, S. 235 und Anhang, S. 118, Nr. 236. – Ebeling (Friedrich W.). Zahme Geschichten aus wilder Zeit (Leipzig 1851, Chr. Ernst Kolmann, gr. 12°.) S. 95 und 104. – Oesterreichischer Parnaß, bestiegen von einem heruntergekommenen Antiquar (Frey-Sing, bei Athanasius und Comp. [Hamburg, Hoffmann und Campe], 8°.) S. 41. – Smets (Moriz). Das Jahr 1848. Geschichte der Wiener Revolution (Wien 1872, Waldheim, 4°.) Bd. II, S. 212–216. – Neues Wiener Tagblatt, 1871, Nr. 166: „Joseph Tuvora“. – Magazin für Literatur des Auslandes (Leipzig, 4°.) 1864, Nr. 37, S. 580. – Neue Freie Presse (Wiener polit. Blatt) 18. Juni 1871, Nr. 2446, in der „Kleinen Chronik“.