Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Szakácsi, Vitus
Band: 41 (1880), ab Seite: 128. (Quelle)
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Szajnocha, Karl (polnischer Geschichtsforscher, geb. zu Komarno in Galizien am 20. November 1818, gest. zu Lemberg am 10., n. A. 11. Jänner 1868). Sohn mittelloser, zu Komarno im Samborer Kreise ansässiger Eltern. Der Vater, Čeche von Geburt, war als Militärarzt nach Galizien gekommen und hatte daselbst, in Privatdienste getreten, eine Polin geheiratet. Die unteren Schulen besuchte der Knabe in Sambor, das Gymnasium in Lemberg. Als Hörer des ersten Jahrganges der philosophischen Studien veranlaßte er durch eine unbesonnene That seine Haftnahme und vieljährige polizeiliche Verfolgungen, [129] die in nicht geringem Maße störend auf seinen Lebensgang einwirkten. Die von so verhängnisvollen Folgen begleitete Unthat aber bestand darin, daß er 1834 bei der Festvorstellung, welche im Lemberger Theater anläßlich der Geburtstagsfeier des Kaisers gegeben wurde, von der Galerie herab ein tendenziöses Gedicht vorgetragen hatte. Es war der übermüthige tolle Streich eines Schuljungen, aber kein Verbrechen. Er wurde jedoch verhaftet und zu einer Gefängnißstrafe verurtheilt, welche auf anderthalb, nach Anderen auf zwei Jahre bemessen war! Aus dieser Haft trug er ein Augenleiden davon, das ihn nie wieder verließ und zuletzt in völlige Blindheit ausartete. Freigelassen, hatte er noch immer alles Ungemach polizeilicher Maßnahmen zu empfinden, so wurde er zunächst in Mikolajow, dann in Zydaczow, zwei Ortschaften im Stryer Kreise, wo die Mutter in ärmlichen Verhältnissen lebte, internirt und durfte sich nicht ohne behördliche Erlaubniß daraus entfernen. Im Jahre 1838 ward ihm auf vieles Bitten gestattet, in Lemberg zu wohnen, er mußte aber auf Schritt und Tritt polizeiliche Beaufsichtigung über sich ergehen lassen. Ohne eigene Mittel, ohne Unterstützung von irgend einer Seite, unterhielt er sich mühselig vom Stundengeben, und von dem kargen Erlöse dieser geistig erdrückenden Beschäftigung mußte er noch seiner Mutter und den Geschwistern Unterstützung angedeihen lassen. Um diese Zeit versuchte er sich zuerst in belletristischen Arbeiten und schrieb einige Erzählungen, welche in dem in Lemberg erschienenen Pariser Modeblatt (Dziennik mód paryskich) abgedruckt wurden, in welchem sich die polnischen Schriftsteller, wie etwa in Witthauer’s „Wiener Zeitschrift“ die österreichischen, ihre Sporen verdienten. Die Erzählung „Romans na własne oczy widziany“, d. i. Der mit eigenen Augen erlebte Roman, lenkte zuerst die Aufmerksamkeit des polnischen Lesepublicums auf den jungen Autor, welcher bald mehrere Arbeiten im genannten Blatte folgen ließ und immer festeren Fuß auf literarischem Gebiete faßte. Herausgeber dieses Lexikons, der zu jener Zeit (1840– 1848) in Galizien, vornehmlich in Lemberg, lebte, hörte Szajnocha’s Namen in maßgebenden Kreisen immer als den eines stets beliebter werdenden Autors nennen. Im Jahre 1843 begann der junge Literat für die polnische Lemberger amtliche Zeitung (Gazeta lwowska), welche damals Kamiński [Bd. X, S. 417] redigirte, und für die mit ihr vereinten „Rozmaitości“, d. i. Miscellen, meistens Theaterkritiken und sonstige kleinere Artikel zu schreiben. Um diese Zeit heiratete seine Mutter zum zweiten Male und erleichterte so dem Sohne nun einigermaßen seine Last. Dieser aber versuchte sich jetzt auf dramatischem Gebiete. Er dichtete die vieractige Tragödie „Stasio“ d. i. Stanislaus, welche nach ihrer am 8. Juni 1843 erfolgten Aufführung auf der Bühne zu Lemberg auch in einer zu wohlthätigen Zwecken herausgegebenen Sammelschrift: „Gołąb pożaru“, d. i. Die Taube des Brandes, erschien. Dies Werk rief unter den Lemberger Recensenten eine heftige Polemik hervor, deren Angelpunkt die ziemlich müßige Frage war, ob der Dichter Eignung zum Drama besitze. Doch dieser, unbekümmert, wie immer die Entscheidung ausfallen mochte, schritt auf der betretenen Bahn weiter und ließ während der Jahre 1846 bis 1849 mehrere Dramen aufeinander folgen, und zwar: „Wojewodzianka Sandomirska“, [130] d. i. Die Woiwodin von Sandomir, ein Drama in Versen, der Geschichte der Czarin Maryna Mniszech entnommen; – „Zonia“, Tragödie in fünf Aufzügen, – und „Panicz i dziewczyna“, d. i. Junker und Mägdlein, in Versen und mit einem Prologe von Cornel Ujejski. Anfänglich hegte Szajnocha die Absicht, sich ganz dem Drama zuzuwenden, und vertiefte sich zu diesem Zwecke zunächst in historische Studien, welche ihn aber auf das viel wichtigere Gebiet der historischen Forschung selbst führten, worin er später sein Bestes leistete. Im Jahre 1847 trat er von der Mitarbeiterschaft an der „Gazeta lwowska“ zurück und übernahm die Redaction des „Tygodnik polski“, d. i. Polnisches Wochenblatt, welche er aber nur von Nummer 27 bis 44 führte, da um jene Zeit eben durch Vincenz Pol die Umgestaltung der von der Direction des Ossolinski’schen Institutes in Lemberg zu besorgenden Zeitschrift „Czasopismo biblijoteki Ossolińskich“ sich vollzog, zu welcher er als Mitarbeiter beigezogen wurde. Er wendete sich nun vorzugsweise der historischen Forschung zu, ohne jedoch die Dichtung ganz aufzugeben, denn in diese Zeit fallen noch seine in gebundener Sprache verfaßten Dramen: „Jan III. w tumie sw. Szczepana“, d. i. Johann III. im Dom von St. Stephan (Lemberg 1848, 8°.) und „Jerzy Lubomirski“, d. i. Georg Lubomirski (ebd. 1850). Dabei arbeitete er fleißig für die oberwähnte Ossolinski’sche Zeitschrift, und sind von seinen Artikeln für dieselbe vorzugsweise zu nennen: „Allgemeiner Umblick auf die Geschichte Polens“ (Pogląd na ogól dziejów Polski); – „Die Sitten und Gewohnheiten der ersten Slaven“ (Obyczaje pierwotnych Słowian); – „Die heutige Literatur in Polen“ (Literatura csasowa w Polsce) u. a. Sein Versuch, eine feste Stellung, und zwar eine Professur der Geschichte an der Hochschule in Krakau zu erlangen, scheiterte; er so wenig als seine beiden Mitbewerber Ropelewski und Kulawski erhielten dieselbe, sie wurde Anton Walewski verliehen. Da begründete er im Jahre 1852 in Lemberg den „Dziennik literacki“, d. i. Das literarische Tagblatt, mit welchem er ein höheres geistiges Leben in der Hauptstadt schuf. Er selbst redigirte von 1853 bis 1854 (in letzterem Jahre bis Nr. 43) dieses Journal, das sich auch im Laufe der folgenden Jahre trotz Redactionswechsel und anderer störender Einflüsse zu erhalten verstand. 1853 wurde er zum Custos am Ossolinski’schen National-Institute ernannt. Die nächste Arbeit, die er in dieser neuen Stellung unternahm, bestand darin, daß er einen Katalog der in der reichen Instituts-Bibliothek befindlichen Geschichtswerke anlegte, womit er sich von 1853 bis 1854 vorherrschend in Anspruch genommen sah; sodann besorgte er die mühselige, doch so wichtige Correctur des berühmten polnischen Lexikons von Linde [Bd. XV, S. 198] mit peinlicher Gewissenhaftigkeit, verschlimmerte, aber dadurch sein aus der Gefängnißhaft herrührendes Augenleiden, für welches er vergeblich Heilung oder doch Linderung in Ostende suchte. Als er nach seiner Rückkehr aus diesem Seebade erblindete, war dies der nächste Anlaß, daß er von seiner Anstellung am Ossolinski’schen Institute zurücktrat. Auch die 1856 übernommene Redaction der mit der polnischen Lemberger Zeitung verbundenen „Rozmaitości“ legte er 1857 nieder und, seinen bleibenden Aufenthalt [131] in Lemberg aufschlagend, widmete sich der Erblindete nun ausschließlich seinen literarischen und historischen Arbeiten, deren Titel in chronologischer Reihe folgen: „Bolesław Chrobry, opowiadanie historyczne według żródeł współczesnych“, d. i. Boleslaus der Tapfere, historische Darstellung nach zeitgenössischen Quellen (Lemberg 1849, neue Auflage 1859, 8°.); für einen dritten Band fanden sich reichlich Materialien in seinem Nachlasse vor; – „Szkice historyczne“, d. i. Historische Skizzen (Lemberg 1854, 2. Auflage ebd. 1858); eine Sammlung seiner im „Dziennik“ und in der Beilage der Lemberger Zeitung abgedruckten Aufsätze, später ergänzt durch eine neue Folge, betitelt: „Nowe szkice historyczne“, drei Bände (ebd. 1857 und 1861, 8°.); aus der Reihe dieser Skizzen, von wechselndem Werthe, aber für den Historiker mehr oder minder wichtig, seien hervorgehoben: „Barbara Radziwill“, „Das Zeitalter Kasimirs des Großen“ (Wiek Kazimierza Wielkiego), „Die Enkelin Johanns III. (Wnuka Jana III.) und „Die Mutter der Jagielloniden“ (Matka Jagiellonów); mehrere dieser historischen Essais sind ins Deutsche und ins Russische übersetzt worden; – nun folgten: „Lechicki początek Polski, szkic historicki“, d. i. Der lechische Ursprung Polens, historische Skizze (Lemberg 1858, Wild, 8°.), mit welcher er den normännischen Ursprung der Polen nachzuweisen suchte, dafür aber von der Fachkritik unsanft zurückgewiesen wurde; – „Pierwsze odrodzenie się Polskie 1279–1333; szkic historyczny“, d. i. Die erste Wiedergeburt Polens, 1279–1333; historische Skizze (2. Aufl. Lemberg 1859, Ossolinski’sche Bibliothek; die erste Auflage erschien bereits 1849); – „Jadwiga i Jagiello“, 3 tomi, d. i. Hedwig und Jagiello, drei Bände (Lemberg 1855, und neue Auflage in vier Bänden 1860); – „Opowiadanie o królu Janie III, Tom. I: Mściciel“, d. i. Erzählung von König Johann III., I. Band: Der Rächer (Zytomir 1860); das ganze Werk war auf zehn Bände berechnet und sollte eine Darstellung der Geschichte Polens im 17. Jahrhundert enthalten; dieser erste (und einzige Band, denn mehr ist nicht erschienen) enthält die Geschichte dreier Geschlechter: der Danilowicz, Zolkiewski und Sobieski, und endigt mit der Beschreibung des Begräbnisses der Mutter Johanns III.; – „Dwa lata dziejów naszych 1646–1648“, d. i. Zwei Jahre unserer (der polnischen) Geschichte, 1646–1648 (Lemberg 1865, 8°.); der erste Band war schon in der „Biblioteka Warszawska“ abgedruckt; S. schildert darin die Absichten des Königs Wladislaw IV. bei seinen Kriegen mit den Türken und den Beginn der Kosakenkämpfe; – und „Przegląd krytyczny księgi pamiętniczej Jakoba Michalowskiego“, d. i. Kritischer Ueberblick auf die Denkwürdigkeiten Jacob Michalowski’s (Lemberg 1865), auf welche Schrift A. Z. Helcel mit einer scharfen, berichtigenden und vernichtenden Gegenschrift Antwort gab. Mit welcher Mühe Szajnocha arbeitete, welche Hindernisse er bei seinen Forschungen zu bewältigen hatte, wird man leicht erkennen, wenn man seine Erblindung nicht vergißt. Da er selbst nicht schreiben konnte, sondern dictiren mußte, so erwies ihm seine Gattin in letzter Zeit nach dieser Richtung hilfreiche Dienste. Die Polen stellen Szajnocha als Geschichtschreiber sehr hoch; sie mögen auch, was seinen Styl betrifft, Recht [132] haben; ein Kritiker will in demselben Taciteische Schönheit erkennen. Was jedoch die eigentliche Forschung, die unbefangene Würdigung des Materials, das ihm zu Gebote stand, anbelangt, da ist denn doch manches vom exclusiv polnischen Standpunkte aufgefaßt, der natürlich der Nation schmeicheln mag, für die parteilose, wahrheitsgemäße Anschauung aber nichts weniger denn maßgebend ist. Trotz alledem aber bleibt Szajnocha ein Schriftsteller, auf den als Dichter, Historiker und als Menschen die Nation mit stolzer Anerkennung unter dem Ausrufe hinweisen kann: „dies Alles ist er trotz alledem und alledem und nur durch sich selbst geworden“. Wie sehr ihn die Nation ehrte, bewies sein Leichenzug, dem eine unübersehbare Menschenmenge, in welcher alle Stände vertreten waren, folgte. Der Carmeliter Marcili Czerwiński hielt in der Bernhardinerkirche, wohin man den Sarg brachte, eine herrliche Leichenrede. Von dort wurde der Leichnam nach dem Lyczokower Friedhofe abwechselnd von der akademischen Jugend, von den Theologen, den Handwerkern, den Bürgern, den Professoren, den Schriftstellern getragen, ein Jeder wollte dem gefeierten Todten den letzten Liebesdienst erweisen. Am Grabe aber sprach der greise Aug. Bielowski, der Freund und einstige College des Verstorbenen, ergreifende Worte. Aus Szajnocha’s im Jahre 1855 geschlossener Ehe überlebte ihn nebst der Gattin noch ein eilfjähriger Sohn. Da der Verblichene außer seinen Werken kein Vermögen hinterließ, bildete Professor Malecki ein Comité, an dessen Spitze der Landesmarschall Leon Fürst Sapieha sich stellte und welches freiwillige Spenden zur Gründung einer Szajnocha-Stiftung entgegennahm. Die Interessen des Capitals, welches in kurzer Zeit die Summe von 13.000 fl. erreichte, werden zum Theile als Rente an die Witwe ausgezahlt, zum Theile als Stipendien für junge, den Studien der Geschichte sich widmende Studenten verwendet.

Dziennik literacki, d. i. Literarisches Tageblatt (Lemberg, gr. 4°.) XVII. Jahrg. (1868), Nr. 3 u. f.: „Ausführliche Biographie Szajnocha’s“. – Biblioteka Ossolińskich, d. i. Ossolinski’sche Bibliothek (Lemberg, 8°.), Neue Folge, 1868, Bd. X, S. 443. – Světozor (Prager illustr. Zeitung) 1868, S. 383: „Karel Szajnocha“. – Czytelniá dle młodzieży, d. i. Lesehalle für die Jugend (Lemberger Blatt, 4°.) 1860, Nr. 22: „Karol Szajnocha“. – Rycharski (Łucyan Tom.), Literatura polska w historyczno-krytycznym zarysie, d. i. Die polnische Literatur im historisch-kritischen Grundriß (Krakau 1868, Himmelblau, gr. 8°.) Bd. I, S. 48, 75 und 279; Bd. II, S. 116, 209, 218, 261, 285, 286 und 371. – Nehring (Władysław), Kurs literatury polskiéj dla użytku szkół, d. i. Curs der polnischen Literatur zum Schulgebrauch (Posen 1866, Żupański, 8°.) S. 49, 225 und 267. – Michna (Wojciech), Obrazki historyczno z życia świętobliwych błogosławionych... Polaków i Polek I., d. i. Historische Bilder aus dem Leben denkwürdiger... Polen und Polinen (Krakau 1871, 12°.) Bd. I, S. 77 u. f. – Strzecha, d. i. Die Hütte (Wien, 4°.) 1868, S. 83: „Pamięci Karola Szajnochy“, d. i. Dem Andenken K. Szajnocha’s“. Von J. Zakrzewski.
Porträte. 1) Unterschrift: „Karol Szajnocha, dějepisec polský. Dle T. J. kreslil E. F.“, d. i. Karl Szajnocha, polnischer Geschichtschreiber. Nach T. J. gezeichnet von E. F. Holzschnitt ohne Angabe des Xylographen, im „Světozor“, 1868, Nr. 40, S. 377. – 2) Ein Bildniß Szajnocha’s brachte auch im Jahre 1869 als Prämie zum Jahrgange 1869 das Lemberger Blatt „Czytelnia dla młodzieży“. – 3) Franz Tepa copirte das Oelbildniß Szajnocha’s, das er seinerzeit für den Grafen Władzimir Dzieduszycki gemalt, und nach welcher Copie ein Stich ausgeführt werden sollte. [133] Ob dieser letztere erschienen, ist mir nicht bekannt.
Büste. Einen Tag nach Szajnocha’s Ableben wurde von der Leiche die Todtenmaske abgenommen und nach dieser meißelte der Bildhauer Paris Filipi in Lemberg die Büste des Verewigten.