BLKÖ:Swieten, Gottfried Freiherr van

Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Band: 41 (1880), ab Seite: 50. (Quelle)
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Swieten, Gottfried Freiherr van (Staatsmann, geb. unweit Leyden in Holland im Jahre 1734, gest. zu Wien 29. März 1803). Ein Sohn des berühmten Leibarztes der Kaiserin Maria Theresia Gerhard van Swieten (s. d. Vorigen). Den ersten Unterricht erhielt er in seiner Heimat; 1745, im Alter von 11 Jahren, übersiedelte er mit seinen Eltern nach Wien, wo er die theresianische Ritter-Akademie bezog, auf welcher er später vornehmlich dem Studium der Rechte oblag. Geistig nicht minder trefflich veranlagt als sein ausgezeichneter Vater, fand er doch durch die einflußreiche Stellung desselben die Wege geebnet, die er zunächst auf dem diplomatischen Felde einschlug. Er versah die Gesandtschaftsposten in Brüssel, Paris, Warschau und Berlin, aber vorherrschende Neigung zu einem minder geräuschvollen und wechselreichen Leben und besondere Vorliebe für das Studienwesen, in welchem sein berühmter Vater in der medicinischen Richtung bahnbrechend gewirkt, veranlaßte ihn nach seiner Rückkehr von Berlin, wo er noch 1776 zur Zeit Friedrichs II. als Gesandter fungirte, diese Laufbahn aufzugeben, und er wurde mit Decret vom 25. November 1777 zum Präfecten der k. k. Hofbibliothek ernannt, welche Stelle vor ihm durch drei Jahrzehnte sein Vater bekleidet hatte. Hofrath von Mosel kommt bei der ausführlichen Schilderung der 26jährigen Thätigkeit des Freiherrn in dieser Stelle zu dem wenig befriedigenden Ergebnisse, daß dieser von den schönen, bei dem Antritte derselben für das Wohl des Institutes gefaßten Vorsätzen keinen einzigen zur Ausführung brachte. Nicht die Rezension aller daselbst befindlichen historischen Codices, nicht der Realkatalog über die [51] damals von Swieten auf 250.000 berechneten Bücher, den „er selbst" aufstellen wollte; nicht der Prologus zu den letzten zwei Theilen der Commentarien von Denis, worin er dessen Recension der theologischen Manuscripte im Verhältniß des daraus hervorgehenden literarischen Gewinnes, dann ihn selbst und alle Werke desselben kritisch würdigen wollte, nichts von alledem kam zu Stande. Von wichtigen Erwerbungen für die großartige Staatsanstalt fällt in die Jahre seiner Präfectur vor Allem der Ankauf einer Sammlung von Dissertationen und Disputationen aus allen Facultäten in 800 Bänden aus der Collection des Freiherrn von Senkenberg. Dann wurde die Bibliothek der Stadt Wien, bestehend aus 76 Manuscripten, 3905 Werken in 5037 Bänden, darunter 351 Incunabeln, im Jahre 1780 um 6000 fl. erstanden, und sie sollte nach dem Wunsche des Magistrates, der eben der Ansicht war, daß sie viel zweckmäßiger in der Hofbibliothek aufgestellt und aufbewahrt bliebe, an einem besonderen Platze daselbst unter der Aufschrift: „Stadt Wienerische ehemalige Bibliothek“ untergebracht werden. Doch kam es aus Mangel an Raum und sonstigen durch Verhältnisse gebotenen Gründen von dieser Maßregel ab. Dagegen wurde im Innern eines jeden Buchdeckels der vorige Besitzer des betreffenden Werkes namhaft gemacht. Ferner erwarb van Swieten: 1782 aus der berühmten Sammlung von Rembrandt’s Kupferstichen, welche Herr Bason in Paris im Ganzen um 24.000 Livres zum Verkauf ausbot, etliche 40 Stück; im Jahre 1783 zahlreiche Schätze der Bibliotheken der aufgehobenen Klöster in Krain, Tirol und Steiermark; im folgenden Jahre in Paris durch Ankauf die Kupferstichwerke von Cochin, Rigaud, Baillie, Le Prince, Chedel, Rode, Bartolozzi, Adam und viele Rembrandt’sche Blätter, welche die Hofbibliothek noch nicht besaß; 1786 eine zahlreiche Auswahl an Büchern und Kupferstichen aus der Sammlung des Grafen Camus de Limar um 4240 fl.; dann 10.000 gedruckte Werke aus der Sammlung des Grafen la Vallière, welche Erwerbungen sämmtlich nicht mittels der gewöhnlichen Dotationsgelder, sondern durch erbetene besondere Zuschüsse des Kaisers gemacht wurden; endlich 1794 wieder durch Ankauf eine ansehnliche Zahl von Kupferstichen aus der Sammlung des Prinzen de Ligne. Daß nach der künstlerischen Richtung unter Gottfried van Swieten am meisten für die Hofbibliothek geschah, dazu mag wohl auch die Mitwirkung des Kunstkenners, Kunstforschers und Künstlers Adam Bartsch, welcher als Custos dem Beamtenpersonale der Hofbibliothek angehörte, wesentlich beigetragen haben. Noch nach einer anderen Seite hin ist der Thätigkeit des Freiherrn zu gedenken. Im Jahre 1781 wurde er zum Präses der Studien- und Büchercensur-Hofcommission ernannt. In dieser Eigenschaft nahm er auf das ganze Schulwesen im Kaiserstaate unmittelbaren Einfluß; er wohnte, um sich von dem Erfolg der staatlichen Einrichtungen zu überzeugen, in Person den Prüfungen bei, lernte dadurch die Lehrer näher kennen, förderte aufkeimende Talente durch Ertheilung von Stipendien und half nicht selten, wenn die Staatsmittel versagten, aus seinem eigenen Vermögen nach. Die Folgen seines Wirkens, berichtet die österreichische National-Encyklopädie, blieben auch nicht aus, mit Kraft und [52] Glanz begann das Bessere, Geistige in Oesterreich hervorzubrechen und Alles, was seit 1783 Ausgezeichnetes in der Literatur geschah, wurde durch Männer bewirkt, die aus Swieten’s Schule hervorgingen. Unter ihm gelangten Blumauer, Denis, Mastalier, Retzer u. A. in den Staatsdienst. Als aber nach Josephs II. Tode der Studienplan abgeändert und überhaupt wesentliche mit den bisherigen Einrichtungen contrastirende Reformen eingeführt wurden, legte er sein Amt als Präses nieder und blieb nur noch Präfect der Hofbibliothek, welche seiner Liebe zu den Wissenschaften und den zeichnenden Künsten so werthvolle Bereicherungen zu verdanken hatte. Auch für Pflege der Tonkunst, die er mit Leidenschaft liebte, war er hervorragend thätig. In der Geschichte der Wiener Musik während der letzten zwanzig Jahre des achtzehnten Jahrhunderts spielte er eine einflußreiche Rolle. Der hohe Adel schaarte sich von 1780 bis 1803 in musikalischen Angelegenheiten meist um ihn, der beinahe das Ansehen eines musikalischen Oberpriesters in Wien genoß. Die Productionen, die Sonntag Morgens bei ihm stattfanden und an denen Mozart theilnahm, waren nicht für Zuhörer berechnet. Man hatte dabei lediglich den Zweck vor Augen, classische Werke kennen zu lernen – vorzüglich jene von Händel und Bach – die man in Wien nicht öffentlich zu hören bekam. Von weitgreifendem Einflusse waren dagegen die großen Aufführungen Händel’scher Oratorien, welche Swieten mit bedeutenden Vocal- und Instrumentalkräften ins Werk setzte. Mehrere Kunstfreunde aus dem hohen Adel erklärten sich auf seine Anregung zur Tragung der Kosten bereit, wir nennen die Fürsten Dietrichstein, Lobkowitz, Schwarzenberg; die Grafen Apponyi, Batthyany, Franz Eszterházy. Diese Akademien fanden im Saale der k. k. Hofbibliothek statt, hin und wieder auch im Palais des Fürsten Schwarzenberg auf dem Mehlmarkte. Der unentgeltliche Zutritt stand nur geladenen Gästen zu. Die Proben wurden im Hause Swieten’s gehalten, der alle Vorbereitungen mit großem Eifer betrieb. Die Mitwirkenden gehörten großentheils der Hofcapelle und dem Opernorchester an; Dirigent war anfangs Joseph Starzer [Band XXXVII, S. 233], nach dessen 1787 erfolgtem Tode Mozart [Bd. XIX, S. 170], und der junge Weigl accompagnirte am Clavier. Mozart lieferte für diese Aufführungen 1788–1790 seine bekannten lange allein herrschenden Bearbeitungen des „Messias“, dann die Cantaten „Acis“ und „Galathea“, „Alexanderfest“ und „Ode auf den Cäcilientag“, sämmtlich von Händel. Auch war van Swieten beständiger Secretär der von dem hohen Adel Wiens im Schwarzenberg’schen Palast veranstalteten großen Productionen. Dort fanden die epochemachenden ersten Aufführungen von Haydn’s „Schöpfung“ und „Jahreszeiten“ statt. Den ursprünglich in englischer Sprache zusammengestellten Text zur „Schöpfung“, den Haydn aus London nach Wien mitbrachte, übertrug Swieten ins Deutsche. Auch lieferte er die Bearbeitung der „Athalia“ und wahrscheinlich noch jene zur „Wahl des Hercules“. Dann gebührt ihm die Ehre, dem jungen Beethoven seine Gönnerschaft zugewendet und Gelegenheit verschafft zu haben, sich weiter auszubilden. Damit berichtigt sich auch die Angabe von Lenz, welcher in seinem [53] Werke: „Beethoven. Eine Kunststudie“ Seite 13 von dem Leibarzte Maria Theresias, Gerhard van Swieten sagt, daß er Beethoven’s Gönner und Förderer der Musik in Wien gewesen sei. Gerhard aber starb 1772, als Beethoven eben zwei Jahre alt war. Gerhards Sohn Gottfried war der große Musikfreund, Kenner und Gönner der Künste. Daß er bei seiner großen Vorliebe zur Musik sich auch schöpferisch versuchte, liegt nahe, und er schrieb unter anderen mehrere Symphonien, doch „so steif wie er selbst“, wie Haydn sagte; verfaßte auch während seines Aufenthaltes in Paris im Jahre 1769 zu Favart’s „Rosière de Salency“ mehrere Arien, die aber gleichfalls keinen sonderlichen Erfolg hatten. Dagegen bleibt ihm das Andenken eines Förderers classischer Musik in Wien ungeschmälert. Er starb im Alter von 72 Jahren unvermält. Sein Bruder Gilbert Heinrich pflanzte den Stamm fort, der mit dessen noch lebenden Enkeln Aegyd und Friedrich zu erlöschen droht.

Mosel (Ig. Fr. v.), Geschichte der k. k. Hofbibliothek zu Wien (Wien 1835, Friedr. Beck, 8°.) S. 165–212. – Der Biograph. Darstellung merkwürdiger Menschen der drei letzten Jahrhunderte (Halle 1802–1809, Waisenhaus, gr. 8°,). – Gerber (Ernst Ludwig), Neues historisch-biographisches Lexikon der Tonkünstler (Leipzig 1812, Lex.-8°.) Bd. IV, Sp. 308. – Oesterreichische Biedermanns-Chronik. Ein Gegenstück zum Phantasten- und Prediger-Almanach (Freiheitsburg [Akademie in Linz], Gebrüder van Redlich, 1784, kl. 8°.) I. (und einziger) Theil, S. 198. – Bergmann (Joseph), Pflege der Numismatik in Oesterreich im XVIII. Jahrhundert, mit besonderem Hinblicke auf das k. k. Münz- und Medaillen-Cabinet in Wien (Wien 1857, 8°.) II. Heft, S. 70. – Vehse (Eduard Dr.), Geschichte des österreichischen Hofes und Adels und der österreichischen Diplomatie (Hamburg, Hoffmann und Campe, kl. 8°.) Bd. VIII, S. 86 und Bd. IX, S. 121. – Der österreichische Staatsrath (1760–1848). Eine geschichtliche Studie, vorbereitet und begonnen von Dr. Karl Freiherrn von Hock... Fortgesetzt und vollendet von Dr. Herrn. Ign. Bidermann (Wien 1879, Braumüller, gr. 8°.) S. 404, 522, 526 und 533.