Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Rittler, Cajetan
Band: 26 (1874), ab Seite: 200. (Quelle)
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Rittler, Franz (Schriftsteller, Oesterreichs „Armer Poet“, geb. zu Brieg in Preußisch-Schlesien, gest. zu Simmering bei Wien im Mai 1830?). Nachdem er das Gymnasium seiner Vaterstadt Brieg besucht, kam er auf das Lyceum nach Hirschberg, wo er unter den dortigen Philologen tüchtige classische Studien machte. Dann hörte er zu Frankfurt an der Oder, Halle und Göttingen die Rechtswissenschaften, machte nach deren Beendigung eine Reise nach Deutschland, Frankreich und die Schweiz, und erwarb nach seiner Rückkehr in Frankfurt a. d. O. den Doctorgrad, bei welcher Gelegenheit er eine Dissertation de actione Pauliana veröffentlichte. Nun arbeitete er als Referendarius einige Zeit bei dem Ober-Landesgerichte in Breslau, aber der bald darauf ausgebrochene Krieg und dessen Folgen brachten ihn um seinen Dienst. Nach der Wiederkehr des Friedens waren aber aus den ausgetretenen Provinzen so viele brotlos gewordene Beamte zu versorgen, daß für R. alle Aussichten auf ein Fortkommen im Staatsdienste schwanden. Er versuchte es nun auf anderem Wege, und zwar hoffte er auf irgend einer Hochschule eine Privatdocentur zu erlangen. Zu diesem Zwecke bereiste er die verschiedenen deutschen Hochschulen, erlangte in Göttingen auch die philosophische Doctorwürde und endlich an dem neu errichteten Lyceum zu Neustadt an der Haardt, im ehemaligen Departement vom Donnersberge, die Professur der Aesthetik. Nachdem er dieselbe drei Jahre bekleidet, legte er sie nieder und begab sich nach Speyer, wo er als geschworner Uebersetzer und homme de loi an dem dortigen Tribunale bis 1812 thätig war, in welchem Jahre ihn der Tod seiner Eltern in seine Heimat berief. Im folgenden Jahre verließ er Breslau, um an seinen Posten nach Speyer zurückzukehren, als ihn die eben erfolgte Kriegserklärung Preußens in unangenehme Verlegenheiten brachte. Wenige Tage nach seiner Ankunft in Speyer wurde er verhaftet und nach Mainz geschafft. Nach abgeführter Untersuchung fand sich nichts vor, was ihm zur Last gelegt werden konnte, aber der Umstand, daß er ein geborner Preuße war, genügte dem Gerichte, ihn aus allen französischen Landestheilen zu exiliren. R. zog sich nun nach Freyburg im Breisgau zurück, trat, als sich die verbündeten Heere den Rheingegenden näherten, in österreichische Kriegsdienste, kam mit den Truppen trotz seiner Verbannung nach Frankreich und ging, nachdem er nach geschlossenem Frieden seine Entlassung erlangt hatte, im Jahre 1814 nach Wien, wo er seitdem seinen bleibenden Wohnsitz nahm. Daselbst lebte er, von einem ihm angebornen Triebe nach Unabhängigkeit geleitet, jeden wie immer gearteten Dienst verschmähend, als Privatgelehrter mit literarischen Arbeiten aller Art beschäftigt und eben in der traurigsten Abhängigkeit von dem Speculationsgeiste seiner Verleger. Seine Schriften, die als ein Beitrag zur österreichischen Bibliographie hier in möglichster Vollständigkeit mitgetheilt werden, erstrecken sich auf die verschiedensten Gebiete der Wissenschaft, auf Sprachkunde, Aesthetik, Polizeiwissenschaft, Moral, Erziehungskunde u. s. w. Die Titel derselben sind in chronologischer Folge: „Die Zwillinge. Versuch, aus 60 aufgegebenen Worten einen Roman ohne R zu schreiben, als Beweis der Reichhaltigkeit und Biegsamkeit der deutschen Sprache“, 4 Bändchen (Leipzig 1813, Cnobloch; 2. Aufl. 1815; 3. Aufl. Wien 1820, 8°.), der Verfasser hat aber offenbar vergessen, [201] daß der Titel eines Buches doch auch zum Buche gehört, und mit Ausschluß der 5 R in seinem Titel und Namen enthält der Titel des Romans noch 8, sage acht R; – „Liebe und Reue, aus dem Französischen übersetzt“ (Brünn 1817, Traßler, 8°.); – „Anleitung zur Abfassung aller Arten öffentlicher, dem Zeitgeiste angemessener Anzeigen aus dem bürgerlichen Geschäftsleben“ (Wien 1817, Wallishausser, 8°.); – „Schicksale eines Fünf Gulden-Scheines auf seinen Wanderungen durch Wien und die Umgebungen zur Zeit des Congresses. Ein satyrisches Gemälde, aus dem wirklichen Leben gezeichnet“ (Brünn 1817, Traßler, 8°.), unter dem Pseudonym Zollus Wahrhold; – „Bettler-Ränke, oder freymüthige Enthüllung der wahren Ursache des täglich sich mehrenden Bettelunwesens“ (Wien 1818, 8°.); – „Die 10 Gebote in den Abendunterhaltungen eines Grossvaters mit seinen Enkeln, durch sittliche Erzählungen erklärt“, 10 Hefte mit 10 feinen K. K. (ebd. 1818; 2. Aufl. Kaschau 1823; 3. Aufl. Halberstadt 1830); – „Der Findling. Ein Charaktergemälde aus dem Französischen des v. Choiseul-Meuse“, 4 Bände (Wien 1820, 8°.); – „Gaunerstreiche, oder listige Ränke der Betrüger unserer Zeit. Eine Beantwortung der Frage: Wovon leben so viele unbemittelte und doch nicht arbeitende Menschen, besonders in den grossen Städten?“ (Gratz 1820); – „Geschichte des Lebens und Wirkens der Apostel Jesu“ (Wien 1822, mit 10 K. K.; 2. Aufl. 1823, mit 12 K. K., gr. 8°.); – „Humoristische Scenen der Vergangenheit, nach wahren Ereignissen des Lebens gezeichnet“ (ebd. 1822, 8°.); – „Wiener Briefsteller, für alle Fälle des gesellschaftlichen Lebens“ (Wien 1822, Mösle), Rittler hatte mit diesem Buche nur einen älteren, bereits 1789 ausgegebenen Briefsteller neu bearbeitet; – „Eifersucht und Treue, oder der Todesring; eine wahre Geschichte aus den Zeiten Margarethen’s von Valois. Nach dem Französischen der Mlle de Tournon“, 2 Bände (Kaschau 1822); – „Die Unvermählte; ein Charaktergemälde aus dem Englischen the village of Münster“ der Lady Marie Hamilton“, 2 Theile (Kaschau 1823, Wigand, 8°.); – „Der kleine Wiener Telemach“ (Wien 1823); – „Der Freund des schönen Geschlechts. Taschenbuch für das Jahr 1825 mit K. K. und Vign.“ (Wien 1825, 18°.); – „Kleine Anreden und mündliche Vorträge für Personen, die ohne rhetorische Bildung doch bisweilen in die Nothwendigkeit, öffentlich zu sprechen, kommen“ (ebd. 1826, 8°.); – „Der Mussestunden Weihe durch Novellen, Erzählungen und kleine Aufsätze“ (Wien 1826, Kaulfuß, 12°.); – „Die Reise zur Vorpostenstation, oder wohin führt der Weg? Interessante Fragmente aus der Lebensgeschichte eines Abenteurers in den Jahren 1813 und 1814“ (Wien 1828, Pichler, gr. 8°.), großentheils eine Darstellung seiner eigenen Erlebnisse; – „Abenteuer eines Krähwinklers auf der Reise nach der Residenz“ (ebd. 1831); – „Der Handkuss. Eine ästhetische Abhandlung“ (ebd. 1833, 8°.); – „Der Lerchenfelder Robinson“ (ebd. 1834), ein seiner Zeit viel genanntes und stark gelesenes Buch; – „Echter Anstand, feiner Ton und gute Sitte“ (ebd. 1835); – „Die Giftmischerin, oder: die Entdeckung, des Verbrechens bleibt nie aus. Nach einer wahren Begebenheit erzählt und zum Theile aus den Criminalacten gezogen“ (Wien 1837, 8°.). Einer mündlichen Mittheilung des alten Bäuerle zu Folge wäre Rittler, wie ich es oben angesetzt, im Mai 1830 zu Simmering nächst Wien gestorben. Nun aber sind die vorerwähnten letzten Werke Rittler’s in den Jahren 1835 und 1837 erschienen; daß sie aus seinem Nachlasse herausgegeben worden, ist kaum anzunehmen; die Gräffer’sche „Oesterreichische National-Encyklopädie“ gedenkt zur Zeit ihres Erscheinens, 1835 [202] und 1836, seines Todes auch nicht; so möchte doch die obige Bäuerle’sche Angabe zu bezweifeln sein. Uebrigens erzählte Bäuerle viele Züge dieses bescheidenen, ungemein schlichten, sehr gebildeten und ein umfangreiches Wissen besitzenden Privatgelehrten, der in der That den Typus zu Kotzebue’s „Armer Poet“ hätte abgeben können. Bemerkenswerth ist noch, daß Rittler für den Bruder des reichen Fleischermeisters Neumayr die Grabschrift verfertigt hat und daß diese dem Fleischer so sehr gefiel, daß er, als er von Rittler’s Talent und Armuth hörte, ihm für diese Grabschrift durch drei Jahre täglich drei Pfund Fleisch für seine Familie unentgeltlich verabreichen ließ. Diesen Umstand habe ich aus dem Munde des alten Gräffer, mit dem ich befreundet war. Rittler selbst dachte von seiner Schriftstellerei ungemein bescheiden. Er gesteht, daß, wenn in seinen Werken auch einige Körner unter der vielen Spreu zu finden sind, er dieselben noch keineswegs als die Legitimation des Schriftstellerberufes anerkenne, und ihm hier nicht nur der Mangel der Fähigkeiten, sondern zugleich eine Menge niederdrückender Umstände, keine geregelte und befriedigende Geisteserhebung je gestatteten. Und wie hoch steht den zahllosen unreifen, kaum den unteren Classen entlaufenen und mit den dürftigsten Kenntnissen – wenn dieses, in Zeitungs-Comptoirs zusammengeraffte und zusammengestoppelte Wissen mit dem Worte Kenntnisse bezeichnet werden darf – ausgestatteten Skribenten der Gegenwart dieser „Arme Poet“ aus Oesterreichs jüngster Vergangenheit gegenüber!

Oesterreichische National-Encyklopädie von Gräffer und Czikann (Wien 1835, 8°.) Bd. IV, S. 397. –