Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Band: 23 (1872), ab Seite: 333. (Quelle)
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Prochaska, Georg (Arzt, geb. zu Lipsitz in Mähren 10. April 1749, gest. zu Wien 17. Juli 1820). Als der Sohn eines armen Landwirthes, besuchte er das Gymnasium in Znaim und vollendete die philosophischen Studien in Olmütz. Von seinen Eltern in Folge eines Gelübdes zum geistlichen Stande bestimmt, fühlte P. jedoch nicht die geringste Neigung zu diesem Berufe in sich und verlor durch seine Weigerung, in denselben zu treten, alle und jede Unterstützung vom väterlichen Hause, so daß er sich seinen Lebensunterhalt durch Stundengeben in Mathematik und Physik kümmerlich erwerben mußte. Erst, nachdem er mit 18 Jahren die philosophische Doctorwürde erworben, nahm sich ein Verwandter, welcher Domherr am Capitel zu Olmütz war, seiner an und trug Sorge für seine weitere Ausbildung. Nun widmete sich P. dem Studium der Medicin an der Prager Hochschule. 1774 begab er sich nach Wien, legte hier die strengen Prüfungen ab und erhielt am 9. November 1776 die medicinische Doctorwürde, nachdem er bereits seit [334] zwei Jahren die Stelle eines klinischen Assistenten bei Dr. de Haen [Bd. VII, S. 176] bekleidet hatte. Besondere Aufmerksamkeit schenkte der Professor der Anatomie und Augenheilkunde Joseph Barth [Bd. I, S. 166][WS 1] dem Streben des jungen Mannes, verwendete ihn als Mitarbeiter bei seinen anatomischen Präparaten und als Assistenten in seiner ausgebreiteten ärztlichen Praxis. Am 29. März 1778 wurde P. zum Magister der Augenheilkunde promovirt und erhielt in Folge mehrerer medicinischer Schriften, die in der gelehrten Welt verdiente Beachtung fanden, die Ernennung zum außerordentlichen Professor der Anatomie an der Wiener Universität. Bald darauf jedoch bewarb er sich um die vacante Lehrkanzel der Anatomie in Prag, mit der jene der Augenheilkunde verbunden war, welche ihm auch verliehen wurde. Während seiner fast eilfjährigen Thätigkeit als Professor in Prag richtete er daselbst ein anatomisches Cabinet ein, welches bis dahin gefehlt hatte. Besonders bereicherte er dasselbe mit anatomisch-pathologischen Präparaten und einer Abtheilung „Monstra“, welch letztere er in den Jahren 1781 bis 1785 bei der Räumung der Beinhäuser und Stadtpfarren Prags gesammelt hatte. Im Jahre 1791 wurde P. nach dem Rücktritte des Professor Barth auf die Lehrkanzel der Anatomie, Physiologie und Augenheilkunde an der Wiener Universität berufen, welche Stelle er bis 1819 bekleidete. Neben seiner Professur übte P. auch eine bedeutende augenärztliche Praxis aus – er soll über 3000 Staare operirt haben – so daß er sich im Jahre 1805 genöthigt sah, den anatomischen Unterricht seinem Prosector Dr. Michael Mayer zu überlassen und sich auf die physiologischen Vorlesungen zu beschränken. Im Jahre 1805 erhielt P. den Titel und Rang eines k. k. Regierungsrathes und bei seiner im Jahre 1819 erfolgten Pensionirung das Ritterkreuz des kais. österreichischen Leopold-Ordens, eine damals für Gelehrte höchst seltene Auszeichnung. P. entwickelte auch seit dem Jahre 1776 eine erfolgreiche Thätigkeit als Fachschriftsteller. Seine Werke erschienen theils selbstständig, theils in periodischen Schriften. Die vollständigen bibliographischen Titel der ersteren sind: „Dissertatio inauguralis medica de Urinis“ (Viennae 1776, 8°., cum fig.); – „Controversae[WS 2] questiones physiologicae, quae vires cordis et motum sanguinis per vasa animalia concernunt“ (ibid. 1778, 8°., cum fig.); – „De carne musculari tractatus anatomico physiologicus tabulis aeneis illustratus“ (ibid. 1778, 8°.); – „Gedanken über die anziehenden Kräfte, welche bei den chemischen Auflösungen und der Erzeugung der sogenannten fixen Luft in Betrachtung können gezogen werden. Verfasst in einem Sendschreiben an einen Freund“ (Prag 1778, 8°.); – „De structura nervorum, tractatus anatomicus tabulis aeneis illustratus“ (Viennae 1778, 8°. [Pragae 1779, 8°.]). – „Adnotationes academicae cont. observationes et descriptiones anatomicas“. Fasc. I–III. cum tabulis aeneis (Pragae 1780–1784 [Leipzig, W. Vogel), 8°. maj.); – „Beobachtungen über die in den Wasserblasen der Thiere erzeugten Insecten; vorgelesen im Saale der kön. böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften in Gegenwart Sr. Majestät Kaiser Leopold II. am 25. September 1791“ (Prag 1791, 4°.); – „Operaminor. anatomici physiologici et athologici argumenti. Partes II, cum XII tabulis aeneis“ (Viennae 1800, Beck); – „Institutiones physiologiae humanae in usum suarum praelect. conscript.“. [335] Volumina 2 (ibid. 1805–1806, 8°. maj.), in das Deutsche übersetzt unter dem Titel: „Lehrsätze aus der Physiologie des Menschen“, 2 Bände (1. Aufl. Wien 1797; 2. verb. u. verm. Aufl. ebd. 1802; 3. verb. Aufl. ebd. 1810–1811), beide, Original und Uebersetzung, dienten als Lehrbücher; – „Bemerkungen über den Organismus des menschlichen Körpers und über die demselben betreffenden arteriösen und venösen Haargefässe, nebst der darauf gegründeten Theorie von der Ernährung“ (Wien 1810, gr. 8°.); – „Disquisitio anat. physiologica organismi corporis humani ejusque processus vitalis“. Cum XI tab. aen. (Viennae 1812, Beck, 4°. maj,), in das Deutsche übertragen unter dem Titel: „Physiologie, oder Lehre von der Natur des Menschen“ (Wien 1820, gr. 8°.); – „Versuch einer empirischen Darstellung des polaren Naturgesetzes“ (Wien 1815, 8°.). In periodischen Zeitschriften erschienen aus P.’s Feder folgende Arbeiten, und zwar in den Abhandlungen der kön. böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften: „Beobachtung bei Zergliederung eines Meerkalbes“ (1785, 2. Abthlg., S. 13 u. s.); – „Von den mephitischen Luftquellen in und bei Karlsbad“ (1785, S. 21 u. s.); – „Beschreibung zweier im Becken vereinigter Mißgeburten“ (1786, S. 218 u. s., mit einem Kupfer); – „Mikroskopische Beobachtungen über einige Räderthiere“ (1786, S. 227 u. s.), zugleich auch in den von Dr. J. D. John herausgegebenen „Arzneiwissenschaftlichen Aufsätzen böhmischer Gelehrter“ (S. 89 u. f.); – „Nachricht von der widernatürlichen Harnblase und den Geburtstheilen eines siebenvierteljährigen Kindes“ (1787, S. 283 u. s.); – „Zergliederung eines menschlichen Cyklopen“ (1788, S. 230 u. s.); – „Nähere Berichtigung der in den Wasserblasen der Leber wohnenden Würmer, nach einer in der Leber einer Kuh gemachten Beobachtung“ (neue Folge, II. Band, 1789, 1790, 1791, S. 81 u. f.); – in den „Wiener Beiträgen zur praktischen Arzneikunde“ (Dessau 1783, 8°.) Bd. II: „Beobachtungen über einige Augenkrankheiten“; – in den Abhandlungen der k. k. Josephinischen medicinisch-chirurgischen Akademie: „Beobachtungen über die Saamengänge, ihre Klappen und einen neuen Weg, auf dem der Saamen bei Männern in’s Blut geleitet wird“ (1788, Bd. I, Nr. VI). P. legte sich während seines Aufenthaltes in Wien eine sehr reichhaltige Sammlung anatomischer, meistens von ihm selbst verfertigter Präparate, an, welche laut Decret der k. k. Studien-Hofcommission für 6000 fl. angekauft wurde. Ein theilweises Inhaltsverzeichniß derselben veröffentlichte der Professor der Anatomie zu Wien, Dr. M. Mayer, in den „Medicinischen Jahrbüchern des österreichischen Kaiserstaates“ (1826, S. 624–636 und 1829, S. 148–160). Ungeachtet seiner ausgebreiteten Thätigkeit als Arzt, Professor und Fachschriftsteller fand Prochaska in seinen Mußestunden doch noch Zeit, sich den schönen Künsten zu widmen. Er malte mit Geschick Landschaften, Blumen und Früchte und trieb auch Musik, für welche er ein feines Verständniß besaß. Die hervorragenden Verdienste, welche P. sich um die Wissenschaft erwarb, blieben nicht unbeachtet. Der Auszeichnungen, welche ihm von Seite des Monarchen zu Theil wurden, ist bereits gedacht; ferner ernannten ihn die k. k. Josephinische medicinisch-chirurgische Akademie in Wien, die kön. böhmische Gesellschaft der Wissenschaften in Prag, die Gesellschaft der Aerzte in Paris und Nancy zu ihrem [336] wirklichen, die kais. Akademie der Wissenschaften in St. Petersburg und die Société de médecine in Paris und viele andere zu ihrem correspondirenden Mitgliede. P. starb zu Wien an einer Desorganisation des einen Lungenflügels – die fürchterlichsten Schmerzen mit stoischem Gleichmuthe ertragend – in seinem 71. Lebensjahre. Was den Werth seiner literarischen Leistungen anbelangt, so hat die Wissenschaft denselben, wenn auch nicht gleich Anfangs, anerkannt und wird denselben auch stets würdigen. Alle seine Schriften, besonders aber seine „Physiologie oder die Lehre vom Menschen“, geben Zeugenschaft, daß P. nicht die Menge der Beobachtungen, nicht das Häufen isolirter Erfahrungen, sondern die Auffindung des inneren nothwendigen Zusammenhanges des Naturganzen als seine höchste wissenschaftliche Aufgabe betrachtete. Lange nach seinem Tode, als Johannes Müller und Andere die Strömung der physiologischen Wissenschaft in ein neues Bett geleitet, lernte man verstehen, was P. zur Gestaltung der Wissenschaften mehr ahnend, als feststellend und beweisend, vorgearbeitet hatte.

Zeitschrift für praktische Heilkunde, 2. Jahrg. (1856), Nr. 18: Gedächtnißrede auf Dr. G. Prochaska, gehalten von Dr. von Patruban. – Hyrtl (Joseph Dr.), „Vergangenheit und Gegenwart des Museums für menschliche Anatomie an der Wiener Universität“ (Wien 1860, Braumüller). – Abhandlungen der kön. böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften 1824, VIII. Bd. (1824), S. 61–81. – Medicinische Jahrbücher des k. k. österreichischen Staates, herausgegeben von Raimann und Rosas, Jahrg. 1843, 4. Heft, S. 76: „Geschichte der Anatomie und ihrer Anstalt an der Carl-Ferdinands-Universität zu Prag“, von Dr. Jos. Hyrtl[WS 3], und ebenda, Jahrg. 1847: „Kurzgefaßte Geschichte der Wiener Hochschule im Allgemeinen und der medicinischen Facultät im besonderen“, von Dr. Anton Edlen von Rosas. – Medicinisch-chirurgische Zeitschrift, fortgesetzt von Joh. Nep. Ehrhardt (Salzburg) 1820, Nr. 72, S. 320. – Czikann (Joh. Jak. Heinrich), Die lebenden Schriftsteller Mährens (Brünn 1811, Traßler, 8°.) S. 121. – Oesterreichische National-Encyklopädie von Gräffer und Czikann (Wien 1835, 8°.) Bd. IV, S. 297. – Poggendorff (J. C.), Biographisch-literarisches Handwörterbuch zur Geschichte der exacten Wissenschaften (Leipzig 1859, Joh. Ambr. Barth, gr. 8°.) Bd. II, Sp. 533. –Oesterreichischer-Zuschauer, herausg. von Ebersberg (Wien, gr. 8°.) Jahrg. 1838, Bd. II, S. 432. – Oesterreichische Biedermanns-Chronik. Ein Gegenstück zum Fantasten- und Prediger-Almanach (Freiheitsburg [Akademie in Linz] 1785, kl. 8°.) I. (u. einziger) Theil, S. 136 [daselbst heißt es von Prohaska: „Des würdigen Barth Busenfreund, von einem edlen Charakter, der mehr aus Liebe zu seinem Nebenmenschen, als aus Gewinnsucht sich der Arzneikunst widmete“.] – Dlabacz (Gottfried Johann), Allgemeines historisches Künstler-Lexikon für Böhmen und zum Theile auch für Mähren und Schlesien (Prag 1815, G. Haase, 4°.) Bd. II, Sp. 511. – Nagler (G. K. Dr.), Neues allgemeines Künstler-Lexikon (München 1839, E. A. Fleischmann, 8°.) Bd. XII, S. 88. – Porträte. 1) Im Rigorosensaal der Prager Hochschule befindet sich P.’s in Oel gemaltes Bildniß; – 2) Ein zweites Oelbild befand sich auch bis 1832 zusammen mit jenen von Collin, Hartmann, Leber und Rudtorffer im pathologischen Hörsaale der Wiener Universität; – 3) J. Kreuzinger p., J. G. Mansfeld sc. (Fol.); – 4) Unterschrift: Prochaska. Lithographie ohne Ang. des Zeichners und Lithographen in der „Porträt-Gallerie berühmter Aerzte und Naturforscher[WS 4] des österreichischen Kaiserthums“ (Wien 1838, Fr. Beck, 4°.) Nr. 21; – 5) Kupferstich als Titelbild zu seinem Werke: „Disquisitio anatomico-physiologica corporis humani“.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: [Bd. I, S. 116].
  2. Vorlage: Contraversae.
  3. Vorlage: Joh. Hyrtl.
  4. Vorlage: Naturfoscher.

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