Aus der Wandermappe der Gartenlaube/Bei „Helbigs“ in Dresden

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Titel: Bei „Helbigs“ in Dresden
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aus: Die Gartenlaube, Heft 39, S. 620–624
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1869
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Aus der Wandermappe der Gartenlaube.

Nr. 4.0 Bei „Helbigs“ in Dresden.

„Wo treffen wir uns heut’ Abend?“ frug mich ein liebenswürdiger Reisegefährte, dessen Bekanntschaft ich auf der Fahrt von Berlin gemacht hatte, als wir auf dem Bahnhofe in Neustadt-Dresden ausstiegen.

„Doch wohl bei Helbigs,“ lautete meine Antwort.

Hätte die „Gartenlaube“ ihre Leser blos in Deutschland, so brauchte es schwerlich einer Sylbe über das Was? und Wo? dieses allgemeinen Sammelpunktes, denn wer jemals in Dresden gewesen ist oder wem Andere von Dresden erzählt haben, dem ist „Helbigs“ ein ganz ebenso geläufiges Zug- und Schlagwort wie die Sixtinische Madonna oder die Brühl’sche Terrasse. Da indessen auch weit über dem Ocean drüben im Hinterwalde des fernen Westens, ja auf den weitentlegenen Inseln der Südsee und in den Tropenthälern von Java – kurz, überall, wo Deutsche wohnen, die „Gartenlaube“ eine treue Hausfreundin geworden ist, so dürfte eine Erklärung und Feststellung des Begriffs geboten sein.

Um von vornherein allen Illusionen zu begegnen, sei ohne weitere Umschweife gemeldet, daß dies magnetische „Helbigs“ weiter Nichts bedeutet, als einfach eine Restauration. Da jedoch dieselbe eine Lieblingsstätte der Erinnerung für viele Tausende von Fremden bleibt, welche auf kürzere oder längere Zeit in dem großen Gasthof Dresden einsprechen, so darf „Helbigs“ unbedingt auf den Rang eines classischen Bodens Anspruch erheben.

Auf einem der imposantesten und durch hundertfache Abbildungen bekanntesten Plätze der Residenz, westlich, doch in unmittelbarer Nähe der berühmten stattlichen Elbbrücke, dem italienischen Renaissancebau der katholischen Kirche, dem neuen Museum und der Rotunde des Theaters gegenüber, steht, dicht neben dem vornehmen Hôtel Bellevue, eine Reihe von niedrigen kleinen Häusern, einstöckig und so unscheinbar, häßlich und ärmlich wie möglich, bilden sie den auffälligsten Contrast gegen die genannten Prachtbauten. Nur eines, welches seine gegenwärtige Gestalt erst der neueren Zeit verdankt, zeichnet sich durch größere und schmuckreichere Verhältnisse aus, ohne darum das Niveau bescheiden bürgerlicher Wohnlichkeit zu überragen. Diese sieben Häuschen waren mit einigen anderen jetzt längst vom Erdboden verschwundenen einst die Niederlassung der italienischen Architekten, Bildhauer und Maler gewesen, welche August’s des Starken Sohn, der prunkliebende König August der Dritte von Polen, im zweiten Viertel des vorigen Jahrhunderts zum Bau der katholischen Hofkirche berufen hatte, und hießen deshalb bis auf unsere Tage herab „das italienische Dörfchen“. Nachdem die Italiener in ihre Heimath zurückgekehrt oder gestorben waren, siedelten sich in ihrer ehemaligen Colonie mehrere kleine Bier- und Weinschenken und später auch verschiedene künstlerische und literarische Notabilitäten Dresdens an, wie denn u. A. der Maler Vogel von Vogelstein, das erst unlängst hoch betagt verstorbene, als Harfenspielerin gefeierte Fräulein Aus dem Winckell und Helmine von Chezy genial-wunderlich-saloppen Andenkens Jahre lang hier ihr Zelt aufgeschlagen hatten, heute ist’s die Pforte, die Straßenfront oder, besser gesagt, die unschöne Kehrseite des Helbig’schen Etablissements, von dessen heiter-prächtiger Stromfaçade unsere Illustration ein getreues Abbild giebt, das freilich wohl die Linien, nicht aber die fast südlich-warme Farbe des Gemäldes, wie sie die milde Dresdener Landschaft überhaupt kennzeichnet, zur Anschauung bringen kann.

Auch Worte vermögen das nicht. Dennoch wollen wir versuchen, das Panorama unseres wackeren Künstlers durch ein paar Pinselstriche – aus dem Tintenfaß zu coloriren.

Vorerst denke sich der Leser den Complex jener sieben Häuser, welche ein interessantes und pittoreskes Labyrinth von einigen dreißig durch Stufen, Corridore und Gänge verbundenen Zimmern, Galerien, Veranden und Sälen umschließen, durch zierlich geschnitzte und ornamentirte An- und Vorbaue halb schweizerischen, halb gothisch-maurischen Styls zu einem Ganzen von gefälliger Wirkung vereinigt und den breiteren Vorsprung in der Mitte, der zugleich eine geschützte Halle bildet, mit landesfarbigen Flaggen und Wimpeln an hochragenden Masten decorirt; dann folge er mir die schmale Treppe an Häuschen Nr. 7, dem der Brücke am nächsten gelegenen, zum Paradies der „Elbterrasse“ hinab. Es ist kurz vor Sonnenuntergang, die Zeit, wo man „Helbigs“ in seiner vollster Glorie erschaut. Schier unabsehbar dehnt sich eine ziemlich breite, mit Brettern gedielte Plateform längs der Elbe aus, über welche sie sich, durch eine leichte Balustrade begrenzt, [621] nur wenige Fuß erhebt, so daß der schöne blitzende und glitzernde Flußspiegel mit seinem ewig wechselnden Leben von Gondeln, Badekähnen, Segelbooten, Dampfern, Flossen fast in das Bereich unserer Hände gerückt ist und der frische Hauch des Wassers um die Wangen fächelt.

In einiger Entfernung zur Linken wird der Strom in schräger Richtung von der neuen Eisenbahn- oder Marienbrücke überjocht, welche die Bahnhöfe der am rechten Ufer liegenden Neustadt mit dem grandiosen Centralbahnhof in der Altstadt verbindet. Ueber der Brücke und durch ihre Bogen hindurch sieht man am Horizont, Meißen zu, die schon in bläulichem Abenddufte verdämmernden Rebhügel des unter dem Gesammtnamen der Lößnitz begriffenen Wein- und Villendistricts. Jenseit der Elbe, gerade vor uns, baden die Gebäude der Neustadt ihren Fuß im Wasser; uns zur Rechten endlich haben wir den Glanzpunkt des Bildes, „die große Brücke“.

Wer hätte nicht schon von dieser Brücke gehört, die für jedes echte Dresdener Kind ein Gegenstand des höchsten Stolzes, die ihm „die Brücke“ schlechtweg ist? In der That, „die große Brücke“ mit ihrer heiteren Bewegung, mit der anmuthvollen, weichen Stimmung der Landschaft rechts und links, mit den sich beständig erneuernden Bildern, die sie bietet: ihren Omnibus voller fröhlicher Menschen, welche nach dem Lincke’schen Bade, nach dem Waldschlößchen, nach dem Weißen Hirsch und den vielen anderen Luftorten trachten, die sich an und auf der Hügelkette des rechten Elbufers aneinander drängen; ihren sich unaufhörlich kreuzenden Droschken voll ab- und zuströmender Reisenden; ihren eleganten Equipagen, in denen die reiche und vornehme Welt nachlässig hingegossen durch das Leben rollt; ihren promenirenden Paaren und Gruppen in modernsten, reichen Toiletten; ihren Soldatenzügen zu Fuß und zu Roß, welche mit klingendem Spiel und blasenden Trompeten zur Hauptwache marschiren – mit diesem Allen zusammen übt sie einen Zauber aus, der uns immer von Neuem gefangen nimmt. Namentlich Nachts aber, wenn die in Stadt und Vorstädten entzündeten Lichter und Gasflammen beide Elbufer stundenweit mit einer ununterbrochenen Funkenschnur umflammen und sich unten in der Fluth in endlosem Reflexe wiederholen, ist die Brücke eine Wandelbahn, so traum- und feenhaft schön, daß der geschickteste Theaterdecorateur einen mächtigeren Bühneneffect nicht zu ersinnen vermöchte. Mit einem Worte: die Brücke ist ein Hauptelement im Ensemble von Dresdens wie speciell von „Helbigs’“ Reizen; ohne sie wäre letzteres nimmermehr geworden, was es heute ist. Sie liegt hoch über unserem Observatorium, so daß fast jeder ihrer Bogen sich zum Rahmen eines abgerundeten lieblichen Bildes gestaltet. Es sind dies gewissermaßen die Vor- und Eingangshallen zur sächsischen Schweiz, denn dort hinauf geht es nach diesem ausgetretenen und doch unerschöpflich schönen Touristencanaan, dem Lieblingsziel für Pfingstfahrten und Hochzeitsreisen in ganz Nord- und Mitteldeutschland, und die rechts unser Panorama begrenzenden Waldberge mit ihren vielen, vom letzten Tagesscheine in Gluth getauchten hellen Punkten sind die schlösser- und villenbesäeten Höhen um jenes anmuthige weingrüne Loschwitz, das sein edelster Sommergast, unser Friedrich Schiller, für alle Zeiten zur heiligen Stätte geweiht hat.

Halt! Dort unter der Mittelhalle hat sich inzwischen ein Tisch geleert; eilen wir davon Besitz zu ergreifen, so lange es Zeit ist, denn schon steuern neue Zuzüge auf ihn los. „Zu schön, wundervoll, himmlisch!“ – „Now, that is beautiful indeed!“ – „Ah, que cela est beau!“ tönt es, je nach den verschiedenen deutschen und fremdländischen Vaterländern der Bewundernden uns entgegen, wie jetzt mit den intensiven Farbentönen der scheidenden Sonne das wonnesame Gemälde sich immer magischer verklärt, und deutet uns an, daß jene Zug- und Wandervögel, welche alljährlich bald nach den Schwalben in Dresden und Umgegend als hochwillkommene Eindringlinge erscheinen, das wesentlichste Contingent zu Helbigs’ Publicum stellen. Gut neun Zehntel desselben kommt, wenigstens im Sommer, auf ihre Rechnung; das lehrt uns außer dem Ohr, an welches vorzugsweise die schärferen Klänge norddeutscher, speciell spree-atheniensischer Dialekte schlagen, der erste Blick in das vielgestaltige, bunte, kaleidoskopisch wechselnde Menschentreiben um uns herum, das ebenso wie Lage und Umgebung, wie Ausdehnung und Eigenthümlichkeit der Etablistements Helbigs’ Elbterrasse zu einem Unicum ihrer Art und zu einer so interessanten Bühne für allerhand anthropologisch-ethnographische Beobachtungen und Studien stempeln.

Bereits schwimmt das Etablissement in einem Lichtermeere, als sich ein neuer Menschenschub die Stufen in der Ecke herabwälzt. Die Oper ist aus, und eine gute Anzahl ihrer Besucher, Damen wie Herren, spricht noch zu einem Nachttrunke und Plauderstündchen bei Helbigs ein. Wir mustern das gemischte Völkchen, wie es sich auf der Treppe drängt, bis unsere Augen auf einer langen in Grau gehüllten Gestalt haften bleiben. Auch sie hat uns alsbald erkannt und schreitet, mit dem Taschentuche grüßend, auf unser Plätzchen zu. Der freundliche Herr, etwas über die Mittagshöhe des Lebens hinaus, ist der Redacteur des verbreitetsten Dresdener Organs, Dresdener von Geburt und, wie man sich denken kann, eine der bekanntesten Persönlichkeiten Dresdens, seinerseits mit Menschen, Dingen und Zuständen desselben vertraut wie wenige Andere, obwohl sein Beruf ihn fast den ganzen Tag an den Schreibtisch fesselt.

„Ich bin kein regelmäßiger Gast bei Helbigs,“ nahm er nach landesüblichem Gruß das Wort, „wir Dresdener überhaupt verkehren hier meist nur im Winter, im Sommer überlassen wir die Elbterrasse den Fremden. Sollten Sie heute dennoch dieser oder jener unserer ‚Berühmtheiten‘ hier begegnen, so haben Sie dies nur einem günstigen Zufall zu danken. Und merkwürdig! dort kommt wirklich ein Paar, das ich jemals bei Helbigs gesehen zu haben mich kaum entsinne. Gewiß kennen Sie es noch aus früheren Tagen?“ richtete er seine Frage an mich.

Ich blickte auf. Freilich erkannte ich den Mann mit den seltsamen interessant-häßlichen Zügen, die sich so leicht nicht vergessen lassen, auf der Stelle, aber er war alt geworden, recht alt und grau und schien etwas lässig in Gang und Haltung seit jenen Tagen in Leipzig, wo er, nach einem bewegten Journalistenleben in Wien, Berlin, Hamburg, München und Zürich, seine kleinen pikanten Geschichten und noch pikanteren Notizen im „Charivari“ schrieb, einer der Pioniere des aus Frankreich nach Deutschland verpflanzten graziös-leichten Feuilletongeplauders. Ja, es war der alte Eduard Maria Oettinger, heut’ wie damals zierlich und patent in Anzug und Tournure und heut’ wie damals am Arme seiner Gattin, die vierzig Jahre hindurch Freud’ und Leid getreulich mit ihm getheilt hat.

„Unsere Schriftsteller und Künstler,“ fing unser Dresdener Journalist wieder an, „leben im Ganzen wenig genossenschaftlich. Zudem sind die Meisten augenblicklich nah oder fern irgendwo in der Sommerfrische. Andree z. B., den Sie ja kennen, der kenntnißreiche Ethnolog und Geograph, der Herausgeber des vortrefflichen ‚Globus‘, sitzt über seiner großen ‚Handelsgeographie‘ draußen im gastlich-reichen Maxren bei der edlen Majorin Serre, der Wittwe unseres Schillerstiftungsgründers; Gustav Kühne, der alte Kämpe vom ‚Jungen Deutschland‘, einer von den weißen Sperlingen unter uns mit Haus und Hof, vergräbt sich in sein reizend in Bäumen verstecktes Landhaus in Niederpoyritz unweit Pillnitz, wenn er nicht etwa mit seinem eigenhändig vom Bock gelenkten großen Schimmel Weg und Steg unsicher macht; ein Zweiter jener verschwindend kleinen Minderzahl, Waldmüller-Duboc, der Dichter sinniger, fein ausgemalter Novellen, thront auf waldiger Höhe in seiner aussichtreichen Schweizervilla bei Wachwitz; Andere, so den immer gleich frischen, gleich unabhängigen, gleich fleißigen und gleich biederen Weltumsegler Gerstäcker, bekommt man gar nicht zu sehen; der harmlos-humoristische Dorfbarbier, der liebenswürdige und gemüthliche Stolle ist durch den Tod seiner Gattin gegenwärtig in tiefes Leid versenkt, und so geht Einer an dem Andern vorüber seine eigenen Wege und seinen eigenen Zwecken nach.

Dresdens literarischer Ruhm ist ja überhaupt verklungen, er gehört jener politisch-stillen und öden Zeit an, wo das Lämpchen der Abendzeitung glimmte, wo der artige Theodor Hell sie und das Hoftheater regierte und unermüdlich französische Bühnenstücke übersetzte; wo der anspruchslose Friedrich Kind den Freischütz dichtete; wo der Commissionsrath Schulze als Friedrich Laun seine leichte Novellenwaare auf den Markt brachte; wo um Elisa von der Recke und ihren Trabanten Tiedge eine Anzahl schöner Seelen sich schaarte; wo der glatte Kammerherr von Wachsmann seine historischen Salonnovellen in den ‚Lilien‘ mittheilte; wo Fr. von Brunnow seinen ‚Ulrich von Hutten‘ schrieb; wo der

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Das italienische Dörfchen in Dresden. Nach der Natur aufgenommen von Adolf Eltzner.
Brühl’sche Terrasse       Frauenkirche.       Italienisches Dörfchen.       Katholische Hofkirche.       Helbigs Terrasse.

[623] WS: Das Bild wurde auf der vorherigen Seite zusammengesetzt. [624] Leibarzt Carus goethisirte und mystisch ästhetisirte und malte. Das war unsere ,gute alte Zeit‘, aber sie war etwas süßlicher, weichlich-verschwommener, sich selbst beräuchernder Art, mehr weiblicher als männlicher Natur, und dieser gewissermaßen blaustrümpfige Charakter haftet unserm Literaten- und Künstlerthum auch heute noch an. Es fehlt ihm die frische, kräftige, selbstständige productive Männlichkeit, die ihm auch die Gutzkow, die Ruge, die Auerbach, welche längere Zeit unter uns weilten, nicht aufdrücken konnten. Daß es uns ganz und gar an einer periodischen Presse gebricht, welcher eine höhere als locale Bedeutung vindicirt werden kann, hat nicht dazu beigetragen, unsern Dresdener Journalismus männlicher und schärfer zu machen. Mit unserer Kunst aber ist es nicht viel anders bestellt. Nehmen Sie den ausgezeichneten Ludwig Richter, die anheimelnde Erscheinung mit dem ehrwürdigen grauen Haar und dem echtmenschlichen Wohlwollen in Blick und Zügen, nehmen Sie den unermüdlichen Nimrod und Thiermaler Guido Hammer, den genialen Hoffmann aus, dessen geist- und wirkungsvolles Othellobild die Gartenlaube in so gelungenem Holzschnitt wiedergegeben hat; nehmen Sie unsern berühmten Bildhauer Hähnel und noch ein halb Dutzend andere Namen von gutem, ja bestem Klange aus - auch hier herrscht das Weiblich-Weiche und Weiblich -Weichliche vor, vielleicht, weil unsere Landschaft uns auch so weich und lind umschmeichelt. Aber lassen wir das! Kennen Sie den Alten da, welcher sich soeben dort uns gegenüber in die Ecke gesetzt hat?“ fragte er, indem er einem etwas gebückten, doch munter aussehenden ziemlich betagten Herrn zunickte, der seinen Gruß freundlich, allein wie mich dünkte, etwas wehmüthig erwiderte.

"Der hat weit über hundert Bände auf seinem Gewissen,“ setzte er hinzu, "manchmal etwas leichtes Gebäck, er selbst aber ist die treueste Seele von der Welt, welche Alle achten und lieben, die sie näher kennen. Es ist Niemand anders als Lubojatzky, ein Autodidakt von der Pike auf; erst Goldschmiedgesell, dann Schauspieler und endlich Novellist. Seit fünfundzwanzig Jahren liegt die Frau des guten Mannes total gelähmt darnieder, und er pflegt sie mit wahrer Engelsgeduld. Sein Schreibtisch steht an ihrem Krankenbette, und da sitzt er nun rastlos und componirt mitten in Noth und Sorge seine Romane.“ -

Mittlerweile ist der Mond herabgestiegen und legt seinen Silberhauch auf Fluß und Stadt, die in dem magischen Lichte zu einem Bilde von überraschendem Effecte verschmelzen. Nachgerade beginnt sich’s bei Helbigs zu leeren, je nach der Lage der verschiedenen Behausungen füllen sich die verschiedenen Aufgänge zum Theaterplatze mit heimziehenden Menschen.

„Haben Sie wohl den Herrn mit dem geistvollen Auge und den langen grauen Haaren bemerkt, der dort der Ecktreppe zuwandert? Sehen Sie nur, wie er sich den Himmel beschaut und zum Monde aufblickt, als habe er gerade einen neuen Vulcan darin entdeckt! Der Mann erfreut sich bei uns eines großen Rufes – es ist der ,Barometrius' in unseren ,Nachrichten‘, auf dessen wissenschaftlich begründete Witterungs-Prophezeiungen unser Landvolk schwört. Eigentlich sind seine Beobachtungen nur für unser Elbthal berechnet, werden aber regelmäßig auch in Leipzig, häufig sogar in Prag, ja selbst in Wien nachgedruckt. Nach seinem bürgerlichen Stand und Namen ist der scharfsinnige Wetterprophet ein Dr. Drechsler und war früher Professor der Astronomie in Basel. Aber Mitternacht ist nahe. Wir brechen daher jetzt wohl auf, denn den schönsten Anblick, welchen Helbigs bietet, haben Sie erst noch zu sehen und wir dürfen nicht zögern, wenn er uns noch voll zu Theil werden soll.“

Gern folgten wir dem Geleite unsers liebenswürdigen Führers durch Zwinger und Ostraallee zur Marienbrücke hinauf.

„Jetzt umgeschaut!“ rief er, „dort gen Morgen hinüber!“

Wir wandten uns, und unwillkürlich entschlüpfte uns ein ‚Ah!‘ der Bewunderung. Dort zur Rechten lag Helbigs mit seinen Hunderten von Lichtern, als tauche es gleich einem massigen feurigen Meteore aus einem Becken geschmolzenen Silbers auf – phantastisch schön wie ein Stück aus mondbeglänzter Zauberwelt, wie eine Fata Morgana im Morgenlande.