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Autor: Ferdinand Hey’l
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Titel: Aus der Wandermappe der Gartenlaube/6
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aus: Die Gartenlaube, Heft 25, S. 393–398
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1870
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[393]
Aus der Wandermappe der Gartenlaube.
Nr. 6. Rheinfahrten. Von Mainz nach Bingen.

„Du trautes Leben an dem Rhein,
Von tausend Reizen übergossen,
Wie hab’ bei deinem Feuerwein
Ich deiner Wonne Gluth genossen!
Wie hat mich frisch dein Hauch umrauscht,
Zu deinen Höh’n der Fuß getragen!
Wie hab’ ich trunk’nen Sinns gelauscht
Auf deine Lieder, deine Sagen!“
 G. Freudenberg.


Wollen uns die Freunde der Gartenlaube auf einer Fahrt den Rhein hinunter begleiten? Eine Fahrt auf Deutschlands schönstem Strom sollte wohl der Mühe lohnen, besonders wenn wir dem Leser am trauten Ofenplätzchen oder im bequemen Lehnsessel die Sorge für Weiterbeförderung ersparen. Die Gartenlaube ist ein geräumig Schifflein, hat bekanntlich gar viele Passagiere aus aller Herren Länder an Bord, und – wem die Fahrt nicht behagt, dem bleibt’s ja unbenommen, an der nächstbesten Station auszusteigen – indem er unsere Schilderung überschlägt. Wir wollen dem Leser nicht Reiseführer- und Localnotizen bieten, sondern „Erwandertes“ vom „Strome der deutschen Poeten“ erzählen.

Mainz, das goldene, die Aurea Moguntia, sei unser Abfahrtsziel. Wohl verdient die Stadt mit vollstem Rechte ihr „goldenes“ Prädicat! Golden perlt ihr Wein, goldener sind der umgebenden Landschaft bezaubernde Reize, golden strahlte ehedem der Stadt bürgerlicher Reichthum und fürstlicher Glanz, „golden“ ist die Mainzer „Luft“, da selbst eine Straße noch aus den Zeiten des Mittelalters diesen Namen führt; die freundliche Stadt ist in Wahrheit das „goldene Herz“ des Rheins und „goldig“ sind vor Allem sie – die Mainzer Frauen und Mädchen. Humor und eine stets rosige Weinlaune, gepaart mit Gastfreundschaft, sind die charakteristischen Eigenschaften des Mainzers, und die goldene Stadt, wie sie da liegt an der Pforte des herrlichen Rheingaus mit den blaudämmernden Bergen, man könnte sie selbst für wonnig, berauscht vom Dufte der heimischen Reben, halten.

Ob die goldenen Initialen der ersten Mainzer Druckwerke, ob die goldene Kugel am römischen Altare eines Denkmals am Drusenloch, ob der Bischof Aureus (der Goldene) der Stadt zu ihrem Beinamen verholfen, wir halten es zunächst mit den „goldigen“ Frauen und Mädchen Moguntia’s. Sie haben ihren Poeten gefunden wie keine andere deutsche Stadt, denn ihnen sang Heinrich Frauenlob begeistert seine Strophen, und dafür trugen ihn, nach Albert’s von Straßburg lateinischer Chronik, die Frauen und Mädchen von Mainz zu Grabe und träuften, wie K. Simrock singt,

„auf die Dichtergruft des Weines solche Fülle,
Ein gold’ner See mit würz’gem Duft umwogte seine Hülle,
Der ganze Kreuzgang schwamm in Wein, es war so mancher Eimer;
Noch duftet um sein’ morsch’ Gebein der edle Laubenheimer.“

Heute wäre Mainz mit größtem Rechte das „eherne“ zu nennen. Mainz ist hessische Stadt und preußische Festung – die Wacht am Rhein – die Grenze am Rhein. – Von dem traurigen Zustande südstaatlicher Heeres-Institutionen hatten die guten Mainzer im Jahre des Heils 1866 die sprechendsten Belege vor Augen. Achtzehntausend Mann deutscher Truppen aus Kurhessen, Nassau, Sachsen, Weimar, Oesterreich und Württemberg hielten die Stadt und Festung besetzt, und um die Thore streiften die Patrouillen zweier incompleter preußischer Landwehr-Bataillone, zum Theil ohne Seitengewehre, und hielten die Festung im Schach.

Vom Fort Alexander, auf der sogenannten Petersau, donnerten Kanonen jeder Größe auf die harmlose Landwehr zweiten Aufgebots, und von den Erbenheimer Höhen erwiderten zwei, sage zwei alte preußische Infanterie-Bedeckungsgeschütze die furchtbare Kanonade, und das – war die Belagerung von Mainz im Jahre 1866. An dem Thore des Festungsbrückenkopfes zu Castel, gegenüber der Stadt Mainz, stand (und steht noch) unter martialischen Emblemen des Krieges in mächtigen Buchstaben sehr bezeichnend: „Cura confoederationis conditum (1832)“, erbaut durch die Sorgfalt des Bundes – und für den Bund mußte die Festung geschont, dem Lande mußte sie erhalten werden.

Nächtlich flogen Leuchtkugeln und Hohlgeschosse herüber – hinüber, ein prächtiges Feuerwerk, dem die preußischen Landwehrmänner auf dem rechten Rheinufer vergnüglich zusahen. Um die Festung Mainz am linken Rheinufer aber zeigte sich nicht ein [394] Mann feindlichen, das heißt preußischen Militärs: Cura confoederationis conditum – durch die Sorgfalt des Bundes!

Zur Zeit, als Nicolaus Becker sein Rheinlied: „Sie sollen ihn nicht haben“ sang und die ganze deutsche Nation die im Grunde doch wenig poetischen Verse von den „gier’gen Raben“ singend weiter und weiter trug, ereignete sich zwischen Mainz und Biebrich, dem nächsten Orte auf dem rechten Rheinufer ein kleinstaatlicher Scherz drolligster Art. Das linke Rheinufer – hessendarmstädtisch – und das rechte – nassauisch – stritten sich um das Fahrwasser des Rheines und versuchten durch Uferbauten und Abdämmungen den Strom in veränderten Lauf zu drängen. Die abenteuerlichsten Versuche wurden in’s Werk gerichtet, und eines Abends (am 1. März 1841) lichtete bei Mainz eine „nächtliche Flotte“ von ungefähr sechszig Rheinschiffen die Anker und schwamm stromab. Die Schiffe waren mit Steinen jeden, auch größten Calibers befrachtet, und als sie Biebrich gegenüber das festgesetzte Ziel erreichten, spieen die steinbeladenen Ungeheuer ihren Inhalt aus und pflasterten mit diesen Steinmassen das keusche Bett des deutschesten Stromes, nur – um eine harmlose Fluß-Correction zu Wege zu bringen.

Darauf beziehen sich die oft mißverstandenen Verse Heinrich Heine’s:

„Zu Biebrich hab’ ich Steine verschluckt,
Wahrhaftig, die schmeckten nicht lecker!
Doch schwerer liegen im Magen mir
Die Verse von – Nicolaus Becker!“

Die Sache konnte nicht verschwiegen bleiben, führte zu Proceß und Streitigkeiten zwischen den betreffenden Regierungen, und obwohl der Rhein sich von seinem selbstgewählten Pfade nur unbedeutend abbringen ließ, mußte die hessendarmstädtische Regierung die Steine wieder – herausholen lassen. Der Nibelungenschatz liegt im Rhein – und harrt seines Finders – jener nebelnächtlich versenkte Steinschatz ward am Rhein der „Nebeljungenschatz“ genannt.

Imponirend und malerisch streckt sich das Biebricher Schloß am Ufer des Rheins hin, eine frischgrüne Allee überragend. Auf dem Dachrande des Schlosses zeugen noch heute zerschmetterte Steinfiguren mit fehlenden Armen und Köpfen von der Beschießung des Schlosses durch die Franzosen im Jahre 1793, deren Geschütze auf der gegenüberliegenden Petersau – Auen werden die Inseln des Rheines sämmtlich genannt – ihre mörderischen Mündungen gen Mainz und die Umgegend richteten. Die stattliche Caserne dicht am Ufer des Rheines hat die preußische Regierung zu einer Unterofficiersschule eingerichtet, welche über fünfhundert Zöglinge zählt.

Jetzt ist das Biebricher Schloß Privatbesitz eines depossedirten Regenten, der sich einst den reichsten Fürsten nennen konnte, wenn er seines kleinen blühenden Ländchens gedachte. Und doch war kein Friede in diesen Räumen. Der Streit mit seinem Volke, genährt durch verblendete Rathgeber, ließ den Fürsten nicht zur Ruhe im eigenen Lande kommen. Auch die Gartenlaube hat des Herzogs von Nassau erwähnt und seine politischen Fehler offen und scharf beleuchtet. Seiner Wohlthaten ist wenig Erwähnung gethan, seiner Liebe zu den Seinigen hat selten Jemand gedacht, und mancher Verleumdung, hervorgerufen durch politische Erregung, ist der Mensch über dem Regenten zum Opfer gefallen. Nie hat sich der Herzog von Nassau, wie so oft behauptet wurde, an den Einnahmen des Spiels in Wiesbaden bereichert, nie auch nur den unbedeutendsten Vortheil für seine Person und seine Privatcasse aus diesen Einkünften gezogen, und als sein Geschick ihn aus dem Lande trieb, hat der Mensch im Regenten nach wie vor die unendlich zahlreichen Bittgesuche um Unterstützung auch in der Ferne fürstlich berücksichtigt, selbst in der Zeit vor dem Abschluß jenes Vertrages mit Preußen, in welchem er vielleicht selbst nichts sein Eigen nennen konnte. Deshalb erregte das günstige Abkommen, welches die Krone Preußen in edelster Weise dem entthronten Fürsten zugestand, keine Mißstimmung bei der Bevölkerung, und hat die lindernde Zeit einen Schleier über die Ereignisse jener Tage gebreitet, so wird auch Herzog Adolph, mit dem Geschicke versöhnt, einer heiteren Zukunft entgegenschauen können.

Nicht allzufern von Biebrich bildet – die Extreme berühren sich – die ehemalige Bismarcks-Au, nunmehr mit dem Lande verbunden, einen neuen Winterhafen des Dorfes Schierstein. Die Bezeichnung Bismarcks-Au, die halb schon der Vergessenheit anheimgefallen war, wird vielleicht jetzt wieder zu ihrem Rechte kommen, wenn auch der Name der Insel zu dem des bedeutendsten Staatsmannes unserer Zeit in keiner Beziehung steht – er stammt von einer rheinischen Familie Bismarck-Schierstein, den früheren Besitzern der Insel. Die Auen des Rheines führen zum großen Theil die Namen begüterter rheinischer Adelsgeschlechter; so heißt die Rettbergs-Au bei Biebrich nach der Familie von Rettberg, die Langwerther Au nach den Langwerth von Simmern, und fällt dem Rhein-Reisenden die Bezeichnung westphälische Au am Mittelrhein auf, so denke er beileibe nicht an die Provinz Westphalen, sondern an den Grafen von Westphalen, der diese Insel aus der Taufe hob.

Das eigentliche Rheingau beginnt, der wunderbare Weingarten Deutschlands. Saftige Waldgebirge in der Ferne, näher sanft anstrebende Rebenhalden rahmen den Fluß ein. Das linke Rheinufer schmückt das Bild durch dunkelgrüne Tannenwaldungen.

Hier war – bei dem allen Rheinreisenden bekannten Orte Nieder-Walluf – die mittelalterliche Grenze des Rheingaus, eingeschlossen durch die eigenthümlichste Befestigung, welche die Geschichte überhaupt kennt. Das Gebück, ein künstlicher Verhau durch Strauchwerk, einzelne Bäume und undurchdringliche Waldung gebildet, gedeckt durch eine Anzahl (sechszehn) Befestigungsthürme, wehrte Jedem den Eingang, und Beschädigung dieses natürlichen Grenzwerks, durch Beseitigung einzelner Sträucher und Zweige, strafte das mittelalterliche Gesetz – mit dem Tode. Bernhard von Weimar durchbrach 1631 zuerst diesen künstlichen Verhau. Reste der Bedeckungsthürme sind noch vorhanden. –

In der Ferne, hoch über den Rebhügeln des rechten Rheinufers, ragt der spitze Kirchthurm des Dorfes Rauenthal empor. Es muß den schlichten Bewohnern des idyllischen Dörfchens eine seltene Genugthuung gewähren, daß ihr Rebensaft den ritterlichen Kämpen von Steinberg und Johannisberg den Rang auf allen neueren Ausstellungen (1863 Wiesbaden und Hamburg, 1865 Köln, 1867 Paris) streitig machte.

Darum sei auch an dieser Stelle des rüstigen Strebens, des Fleißes dieses rührigen Winzerdörfleins anerkennend gedacht. Vergessen dürfen wir dabei des Mannes nicht, der als kühner Streiter mit Muth und Capital für die Güte des Rauenthalers aller Orten in die Schranken trat. Es ist dies der Procurator August Wilhelmj in Wiesbaden, der Vater des in Deutschland wohlbekannten, in Leipzig durch David gebildeten Violinvirtuosen A. Wilhelmj. Vater und Sohn erinnern an Giovanni Battista Viotti (1753–1824), den bekannten Geigenkönig in London, der seine wunderbaren Violincompositionen als passionirter Weinhändler – im Keller schrieb. Gott Bacchus hob Viotti’s Kinder aus der Taufe. Wilhelm’s unermüdlichem Streben verdanken die Rauenthaler Weine ihre jetzt unbestrittene Anerkennung – ihm gebührte ein Denkmal an den Ufern des Rheines.

Rheingau – Weingau! Wir sind jetzt mitten in dem gesegneten Landstrich, dem Deutschland den Ruf seiner Weine verdankt.

„Ein Eden, lebt das Rheingau in aller Dichter Mund,
Als deutschen Landes Weingau preis’t ihn das Erdenrund!“

Und dieses paradiesische Stückchen Erde bewohnt ein fleißiger, rühriger Menschenschlag, voll Humors und frischen Lebens, von dem Engelmann sagt: „Die Rheingauer gehören nicht zu den vielgewanderten deutschen Volksstämmen und behielten daher lange ihren Urcharakter. Redlichkeit, Treue, reines Naturgefühl und offene derbe Wahrheitsliebe sind ihnen angeboren.“ –

Es folgen jetzt die anheimelnden Namen der eigentlichen Weinorte schnell aufeinander. Hattenheim, Gräfenberg, Marcobrunn, Ingelheim, Geisenheim und Rüdesheim kennt Jeder, selbst wer den Rhein nie bereiste, und auch der Nichtdeutsche hat Achtung vor dem verbürgten Ruf dieser trefflichen Weingelände. Der gute Wein dieser bevorzugten Orte giebt wohl hier und da Veranlassung zu Neckereien und Disput unter den Ortsbewohnern. So ließen die Gemeindevorsteher des Oertchens Erbach unlängst den Markbrunnen (Marcobrunn) erneuern und mit einer Inschrift versehen: „Marcobrunn, Gemeinde Erbach“. – Die Gemarkung Marcobrunn führt nämlich ihren Namen von einem klaren Quell guten Bergwassers, der hier inmitten der Weinberge entsprudelt. Die Bezeichnung Marco-Brunnen rührt offenbar von „Mark“ (Grenze) her, während Andere dem St. Marcus eine Pathenstelle zuschieben, das Volk selbst aber nennt ihn einfach den Marktbrunnen; der [395] Berg, dem der Quell entspringt, heißt Strahlenberg. Nachdem nun die Erbacher ihre Inschrift angefertigt, und dieselbe vor Aller Augen enthüllt hatten, erbosten sich darob die angrenzenden Hattenheimer, in deren Gemarkung der größte Theil des genannten renommirten Weinbezirks liegt; sie verfaßten daher folgende Gegeninschrift:

„So ist es recht und so soll es sein,
Für Erbach das Wasser, für Hattenheim den Wein!“

Seit Kurzem ist nun auch ein Stück amerikanischen Verkehrs und Treibens auf den Rhein verpflanzt. Die Directionen der vereinigten Kölner und Düsseldorfer Dampfschifffahrts-Gesellschaften haben Dampfboote bauen lassen, die, getreu nach amerikanischem Muster ausgeführt, allen Raum auf Deck haben und dem Reisenden eine unbeschränkte Rundschau auf die malerischen Stromufer gestatten. Der Zudrang zu diesen Booten war in den letzten Sommern massenhaft; die Zahl der von der Gesellschaft ausgegebenen Fahrkarten stellt sich auf ungefähr ein und eine halbe Million im Laufe eines Jahres.

Wie die Perle in verschlossener Schale ihren Glanz verbirgt, so versteckt der Rhein seine strahlendsten Edelsteine in bescheidenem Dunkel, in stillen Seitenthälern. Unweit Eltville, in dem als Wallfahrtsort viel besuchten Dorfe Kidrich erheben sich zwei Kirchen gothischen Styles, wie sie selten schöner und reiner in Anlage und Ausführung vorhanden sind. „Wie das Kind bei der Mutter“ steht die St. Michaelscapelle mit dem gothisch durchbrochenen Thurmhelm neben der größeren St. Valentinskirche, deren treffliches Portal, Façade und kunstvolles Chorgewölbe Simrock hauptsächlich hervorhebt.

An einem heißen Sommerabende wanderte ein Engländer, als bescheidener Fußgänger, dem Dörfchen Kidrich zu. Nachdem er erstaunt die beiden Kirchen betrachtet und unter Leitung des Ortslehrers die Orgel der Valentinskirche selbst probirt und gespielt, bittet er den Pfarrverwalter des Ortes um ein Nachtquartier. Entzückt von den beiden Kirchen schwärmt unser Englishman, nicht ohne Kunstverständniß, wenn auch in sehr mangelhaftem Deutsch, von dem stylgerechten Bau der beiden Gotteshäuser, dem kunstvollen Schnitzwerk der Chorstühle, dem reichen Blätterwerk am Thurm, den trefflichen Spitzbogen der Fenster und dem vollendet schönen Ton der Orgel in St. Valentin. Er verweilt mehrere Tage in Kidrich, beschwört den Pfarrverwalter, alles unnöthige Beiwerk an Bretterverschalung und sinnloser Zierrath, die sogar den prächtigen Lettner verunstaltete, in den Kirchen zu beseitigen, und erbietet sich, die Orgel von St. Valentin auf eigene Kosten herstellen zu lassen. Mit diesem Versprechen scheidet er und läßt bis zum nächsten Lenze den geistlichen Freund in Kidrich ohne Nachricht. Dann aber erscheint er wieder und zwar begleitet von einem Orgelbauer aus Brüssel, der indeß bald erklärt, die Orgel nur in seiner Werkstatt in Belgien repariren zu können. Der Pfarrverwalter, in gutem Glauben an des Engländers Rechtlichkeit, gestattet, daß das Orgelwerk aller unnöthigen Verschalungen entkleidet wird, und es entpuppt sich in der That ein Instrument, daß der belgische Künstler des Entzückens und Lobes kein Ende findet. Engländer und Orgelbauer entfernen sich mit der Orgel, und – man male sich den Schrecken und die Angst des Pfarrverwalters – alle Nachrichten bleiben von da ab aus, die Orgel kam vorläufig nicht wieder. Da, eines Tages hält das Werk neu und stattlich, mit ihm der Engländer, seinen Einzug in Kidrich. Mister Sutton, so heißt der originelle Renovator, erklärt seinen Entschluß, die Kirche vollständig herstellen zu lassen und wer heute, nach kurzer Frist, nach Kidrich kommt, mag ob der Munificenz staunen, die ein Fremdling unseren heimischen Baudenkmalen angedeihen läßt. Vollendet ist St. Michael, fast vollendet die Restauration der St. Valentinskirche, und Hunderttausende hat Mister Sutton zur Herstellung dieser Prachtbauten verwendet. Das Schnitzwerk der Stühle, eine Arbeit des Meisters Erhard Salnecker von Abensberg (1510), die Malerei der Deckengewölbe, sämmtliche Bildhauerarbeit ist so stylgerecht restaurirt und hergestellt, daß nunmehr beide Kirchen als Muster für jeden Bautechniker gelten können. In Kidrich selbst aber erheben sich zwei neue Gebäude, ein Maler- und ein Bildhauer-Atelier, welche treffliche Künstler beschäftigen und den Beginn einer Kunstschule für das Rheingau bilden. Denn so bald die Herstellung der Kidricher Bauwerke ganz beendet, will Mister Sutton seine segensreiche Thätigkeit auch auf die vielen anderen Baudenkmale des Rheingaus erstrecken. Ehre dem bescheidenen Kunstfreunde, der bei den mäßigsten persönlichen Ansprüchen an das Leben so reiche und allgemeine Opfer bringt!

Aber siehe da! Schon haben wir Eltville, den Hauptort des Rheingaus, erreicht. Vielthürmig schaut das malerische Städtchen in die grünen Wellen des vorüberrauschenden Stromes. Wohl hat es der historischen Erinnerungen gar manche in seinen Chroniken verzeichnet, wenn auch seine Abstammung aus der Römer Zeiten (alta villa) sehr fraglich erscheint. Aus der carolingischen Zeit schreibt sich nach Simrock seine Gründung; um das Jahr 959 erscheint Eltville zuerst unter seinem lateinischen Namen. Was uns bei Eltville beachtenswerth dünkt, ist eine Erinnerung an Gutenberg, deren an anderen Orten noch wenig Erwähnung geschehen.

Als eben Gutenberg die Welt mit jener Kunst beschenkt hatte, die größere Revolutionen auf geistigem Gebiete zu Wege gebracht, als jahrelange Kriege auf politischem, bemächtigte Fust, sein Theilhaber und Genosse, sich der Werkzeuge des eigentlichen Erfinders auf eine eben nicht edle Art. Fust und Peter Schöffer, die Mitwisser der Erfindung und vielleicht auch die weiteren Ausbilder des Gußverfahrens der Gutenberg’schen Schriftgießerei, hatten Gutenberg zum Weiterführen seiner Erfindung Darlehen geleistet, für welche letzterer seine Werkzeuge zum Pfande schrieb. Um den Vortheil der Erfindung allein auszunutzen, verlangte Fust sein Darlehen just in dem Augenblicke zurück, als die gemeinschaftliche Druckerei gerade auf dem Punkte stand – einträglich zu werden. Gutenberg wurde beseitigt und Fust und Schöffer führten das Geschäft mit des Meisters Werkzeugen selbstständig fort, während Gutenberg durch Unterstützung des Mainzer Rathsherrn Conrad Hummer sein eigenes Druckhaus zu Mainz gründete. Da tauchten plötzlich in Eltville im Jahre 1462 drei Schüler Gutenberg’s, der Patricier Heinrich Bechtelmünze, dessen Bruder Nicolaus und Wiegand Spieß von Ortenberg, auf und gründeten in Eltville die zweite deutsche Buchdruckerei, indeß Gutenberg’s Druckerei bis 1465 in Mainz fortbestand.

An der Kirchhofmauer des Städtchens aber zeugt heute noch ein großer, glatt polirter Grabstein von Schiefer (Lei, nach rheinischem Ausdruck) für diese historisch interessante Thatsache. Er gilt einem Jakob von Sorgenloch, genannt Genßfleisch, einem Verwandten Gutenberg’s. Nach Simrock’s Forschungen ward dieses „Vetters Vermählung mit einer Tochter Heinrich’s Bechtelmünze für Gutenberg Veranlassung, sich am Abend seines Lebens dort niederzulassen“.

Aus der Druckerei dieses Bechtelmünze zu Eltville gingen, zum Theil mit Werkzeugen Gutenberg’s, mehrere höchst seltene Druckwerke hervor, so das Vocabulum latino-teutonicum. Das Druckhaus selbst war muthmaßlich die jetzige Frühmesserei. Wenige Jahre später gründeten die Kogelherren des nahe Klosters Marienthal mit den Eltviller Druckwerkzeugen eine Druckerei und cultivirten mit Erfolg diese „Teufelskunst“.

Dem Rhein ferner, in ein idyllisches Thälchen gebettet, liegt Kloster Eberbach, dessen fromme Insassen einst treffliche Seelsorger, aber offenbar noch bessere Winzer waren. Dicht dabei erheben sich die langgestreckten Gebäude der Irrenanstalt Eichberg, gegenüber ragt die Einfassungsmauer des Steinberg auf und aus der Ferne grüßt freundlich das Weindorf Hallgarten, wo von Itzstein, der badische Volksmann, seine letzten Jahre verlebte und starb. Die Gartenlaube hat kürzlich (Jahrgang 1868, Nr. 8) dieser interessanten Oertlichkeit ausführlicher gedacht.

Winkel, das langgestreckte, „durchaus nicht winkelhafte“, das – nach Goethe – „bis zur Ungeduld des Reisenden in die Länge gezogene“ Winkel, gewährt ein stattliches Bild vom Rheine aus. Es sind drei Ortschaften, die hier aneinander gereiht ihre Frontseiten dem Flusse zuwenden, malerisch gekrönt von der St. Aegidienkirche des mittelsten Ortes Mittelheim.

Für uns hat Winkel eine größere Bedeutung. Goethe weilte hier im Jahre 1814 und schrieb seine Notizen zur „Rheinreise“ und den Anfang der trefflichen Schilderung: „Das Rochusfest bei Bingen“, welche letztere er in Tannstädt vollendete. Er wohnte in dem Hause der „geliebten wie verehrten“ Patricier-Familie Brentano-Birckenstock (jetzt Brentano-Pfeiffer), und im selben Hause schrieb Bettina von Arnim, Clemens Brentano’s Schwester, ihre Briefe an Goethe nach Weimar. Die Briefe entstanden hier [397] im Jahre 1807, als Bettina im zweiundzwanzigsten Lebensjahre stand. Das Landhaus bewahrt im Goethezimmer, dem Zimmer, worin der Dichter siebzehn Jahre später wohnte, das bekannte Jagemann’sche Bild Goethe’s und einige Federzeichnungen von Goethe’s Hand, so eine in Farben colorirte Skizze von Frankfurt, der Vaterstadt des Dichters. Ueber der Thür des Goethe-Zimmers findet sich, in Metallbuchstaben aus Messing geheftet, eine Stelle aus den Horazischen Oden: „Pauperum tabernas, regumque turres!“ welche im Zusammenhang mit dem hier fehlenden Vordersatz (Pallida Mors aequo pulsat pede) in der Uebersetzung etwa sagen würde: „Der bleiche Tod betritt mit gleichem Fuße die Hütten der Armen und die Paläste der Könige.“ – Die Stelle selbst findet sich bei Horaz: Carm. I., 4, Vers 13 und 14.

Goethe verewigte sein trautes Winkel in den Versen:

„Wasserfülle, Landesgröße, heit’rer Himmel, frohe Bahn,
Diese Wellen, diese Flöße, landen auch in Winkel an –“

welche sich als Autograph unter der erwähnten Federzeichnung finden. Hier in Winkel auch fand das Stiftsfräulein Karoline von Günderode am 26. Juli 1806 sein tragisches Ende. In dem später erschienenen Briefwechsel der Bettina finden sich Andeutungen, die das tragische Geschick dieser romantischen Erscheinung erklären.

Karoline von Günderode, in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts in Karlsruhe geboren, unter dem Namen Tian auch als Schriftstellerin bekannt, suchte den Tod, weil ihre glühende Neigung für den Philologen Creuzer nicht erwidert ward. In dem Weidendickicht, dicht am Ufer des Stromes, fast an der Stelle, wo ehemals die Lützelaue, die Malstätte des Rheingaus lag, stieß sie sich an einem Juliabend des genannten Jahres, gleichzeitig den Tod in den Fluthen suchend, den Dolch in das Herz. Goethe suchte acht Jahre später diese Stelle auf und giebt in seinen Briefen Andeutungen darüber. Die Günderode wird immer eine interessante Erscheinung jener Goetheperiode bleiben, um so mehr, als ihr Geschick auf Bettina von nachhaltigem Eindruck blieb. Auf dem Kirchhof des Ortes Winkel an der Kirchhofsmauer findet sich ihr Grabstein, der kürzlich durch die Bemühungen einiger Literaturfreunde und des Bürgermeisters von Winkel, sowie durch die wirksame Unterstützung des Hofgerichtsrath Petri, eines der bedeutendsten Forscher der rheingauischen Geschichte, gänzlich wieder hergestellt worden ist. Die alte Platte, mit der sinnigen inhaltsvollen Inschrift, ist beibehalten und in antikem Style von dem bekannten Bildhauer Leonhard eingefaßt worden.

Nach den Mittheilungen, welche Dr. M. Bernays und Dr. Wilhelm Hemsen kürzlich darüber gemacht, findet sich die Inschrift in den „Gedanken einiger Bramanen“ und unter der Ueberschrift „Abschied des Einsiedlers“ in der Herder’schen Blumenlese aus morgenländischen Dichtern; dort indessen in etwas anderer Form als auf dem Grabstein. Man hielt bisher die Günderode häufig für die Verfasserin der Verse, sie hat dieselben indeß nur umgemodelt und sie in dieser veränderten Form als Inschrift für ihr Grab hinterlassen. Das Blatt, worauf sie diesen Wunsch aussprach, befindet sich im Besitze des Reichsfreiherrn Robert von Hornstein in München. Die Grabschrift lautet:

„Erde, du meine Mutter, und du, mein Ernährer, der Lufthauch,
     Heiliges Feuer, mir Freund, und du, o Bruder, der Strom,
Und mein Vater, der Aether, ich sage euch allen mit Ehrfurcht
     Freundlichen Dank. Mit euch hab’ ich hienieden gelebt,
Und ich gehe zur anderen Welt, euch gerne verlassend.
     Lebt wohl denn, Bruder und Freund, Vater und Mutter, lebt wohl!“

Wie Winkel, in bester Weinlage des Rheingaus, liegt, den genannten Ort begrenzend, das Vorörtchen St. Bartholomäi (im Dialekte Barthelmi), wo nach Simrock „Barthel weiß, wo er den Most holt!“ – Es deutet mancherlei darauf hin, daß wir hier den Ursprung dieses deutschen Sprüchwortes zu suchen haben.

Das linke Rheinufer von Mainz bis Bingen bietet uns weit weniger Ausbeute, als das rechte von Mainz bis Rüdesheim, es erfreut sich auch im Allgemeinen nur eines sparsamen Besuchs, [398] obgleich gerade die Aussicht vom linken Stromufer auf das gegenüberliegende Rheingau und namentlich an dem durch Napoleon den Ersten errichteten Obelisk, auf der Straße von Ingelheim nach Mainz, eine außergewöhnlich prachtvolle ist. Der Obelisk trägt die Inschrift: „Straße Karl’s des Großen, vollendet im ersten Jahre der Regierung Napoleon’s, Kaisers der Franzosen.“ Aber Land und Weg dieser Gegend sind bei dem Rheinländer anrüchig; sie führen, am Rhein eine Seltenheit,

„Nur Staub und Sand,
und Sand und Staub, als wär’ es im Aegypterland.“

Die Reste des Palastes Karl’s des Großen in Ingelheim sind kaum mehr nennenswerth. Als Goethe Ingelheim besuchte, stellte sich eben nicht mehr von jenem Prachtbau dar als heute. Den[WS 1] Bezirk des ehemaligen Palastes kennt man noch, wenn auch undeutlich, an hohen mittelalterlichen Mauern, die zwar ehedem wohl nicht dem Palaste selbst angehörten, doch in späterer Zeit auf den ursprünglichen Umfassungsmauern errichtet sein dürften.

Von den prächtigen Marmorsäulen dieses hohen Herrschersitzes sind einzelne nach Paris gebracht, auf dem Schillerplatze zu Mainz dient eine solche als Brunnensäule, eine andere befindet sich im Museum zu Wiesbaden und die Säulen am Ziehbrunnen im Hofe des Heidelberger Schlosses stammen ebenfalls vom Ingelheimer Palaste. Die letzte und einzige in Ingelheim selbst ist an dem Eingangsthor des Baron von Harder’schen Besitzthums eingemauert und trägt eine Inschrift aus dem dreißigjährigen Kriege, die wir wörtlich wiedergeben:

„Vor 800 Jahren ist dieser Saal des großen Keysers Carlen, nach ihm Ludtwig des milden Keysers Carlen Sohn, im Jahr 1044 aber Keyser Heinrichs, im Jahre 1360 Kaiser Carlen Königs in Böhmen Pallast gewesen und hat Keyser Carlen der Große, neben anderen gegossenen Seulen, diese Seule aus Italia von Ravenna anhero in diesen Pallast fahren lassen, welche man bei Regierung Keysers Ferdinandi des II. und Königs in Hispanien Philippi des IV., auch derer verordtneter hochlöblicher Regierung in der unteren Pfalz, den 6. Aprilis Anno 1628, als der katholische Glauben wiederumb eingeführt worden ist, aufgerichtet. Münsterius in Historia von Ingelheim, des heil. römisch. Reiches Thal, Fol. DCLXXIX..“

Ingelheim gegenüber, am rechten Stromufer, grüßt das alte Geisenheim mit seinen weitleuchtenden rothen Sandsteinthürmen, gleichfalls eine Stelle geschichtlicher Bedeutung; denn noch steht dort das alte Schönborn’sche Haus, in welchem Kurfürst Johann Philipp von Schönborn das Instrumentum pacis des westphälischen Friedens entwarf. Hier arbeitete der gelehrte Kirchenfürst mit seinem Freunde Leibnitz und auf Anrathen dieses bedeutenden Philosophen an dem leider vergeblichen Versuche einer Vereinigung der katholischen und der evangelischen Kirche. Leider mußte der Kurfürst zu bald einsehen, daß er – nach seinen eigenen Worten – versucht habe, „einen Mohren weiß zu waschen.“

Ueber Winkel und Geisenheim thront der Johannisberg, das „königliche“ Besitzthum des österreichischen Gesandten am französischen Hofe, des Fürsten Richard Metternich. Nur selten wohnt die fürstliche Familie – das glänzende Pariser Hofleben vorziehend – auf diesem „weintriefenden Hügel“. Weilt aber die Familie Metternich in diesen Räumen, dann weht die – österreichische Flagge von den Zinnen des Schlosses. Schwarz-gelb – am Rhein! Das Schloß Johannisberg hat eine eigenthümliche Geschichte. Im Jahre 1805 schenkte Napoleon der Erste den Johannisberg dem Marschall Kellermann. Vor dem Marschall Kellermann, Duc de Valmy, war der Johannisberg 1803 an Wilhelm von Oranien gekommen und 1814 sollte ihn der alte Vater Blücher als Geschenk von Friedrich Wilhelm dem Dritten von Preußen erhalten. Die Schenkung unterblieb und Oesterreich gab zwei Jahre später den Berg der Metternich’schen Familie, nach eingeholter Zustimmung der Verbündeten, zu Lehen, als eine Belohnung für treue Dienste zur Erhaltung dynastischer Interessen.

Vordem aber besaßen den Berg des Täufers unter dem Namen Bischofsberg die frommen Mönche des Klosters St. Johannis, welches Bischof Ruthard von Mainz um 1106 gründete.

Dem Rheingauer ist die Mähr von den weinseligen Johannisberger Mönchen eine anheimelnde Erinnerung:

Die Mönche von Johannisberg,
Die lebten schön unsäglich –
Sie sah’n tagtäglich weit in’s Land,
Und weit in’s Land tagtäglich.
Und wenn sie starben, klagten sie,
Daß diese Welt so toll war
Und daß sie scheiden mußten, ach!
Vom Keller – der noch voll war.

An der Capelle des Schlosses ruhen die sterblichen Reste eines deutschen Geschichtsforschers und Poeten ohne – Herz. Niclas Vogt, Professor der Geschichte an der Universität Mainz, der Lehrer des Fürsten Metternich, der „eifrige Förderer heimathlicher Geschichte, der begeisterte Freund des rheinischen Volkes“, ward an der Außenseite der Capelle, das Haupt seiner Vaterstadt Mainz zugewendet, bestattet, während sein Grabdenkmal, „errichtet von C. W. L. Fürst von Metternich“, im Innern der Capelle selbst angebracht ist. Das Herz Vogt’s aber wurde auf seinen besondern Wunsch, von einer silbernen Kapsel umschlossen, mitten im Rhein, im sogenannten Mühlstein gegenüber Bingen, eingemauert. Ein schwarzes Eisenkreuzlein bezeichnet die Stelle, die freilich nur selten dem Rheinreisenden auffällt. Geschäftig aber rauschen an dem weit in’s Strombett vorgeschobenen Mühlstein vorüber die Wellen des Stromes dahin und erzählen nächtlich von den Sagen und zauberischen Märchen des Rheines.

Nur wenige Schritte rheinab führen den Wanderer von Rüdesheim zum Mühlstein. Wir aber haben gleichzeitig Rüdesheim, das weingepriesene erreicht, dessen Kirchthurm eine unerklärte Knaufzierde, den türkischen Halbmond, zeigt, während vom jenseitigen Ufer die St. Rochuscapelle herüberleuchtet.

Rheinab zeigt sich, am Durchbruch des rheinischen Schiefergebirges, umspült von den Wellen des Binger Lochs, der sagenreiche Mäusethurm, der erste Markstein rheinischer Burgen-Romantik. Das Lob von Bingen preise, bis uns die Gartenlaube gestattet, den freundlichen Leser weiter zu führen auf den Wellen des romantischen Stromes, Kobell, ein Poet, der seiner Vaterstadt ein dichterisches Denkmal geweiht:

Die herrlichscht’ Gegend am ganze Rhei’
Des is die Gegend vun Binge,
Es wachst der allerbeschte Wei’
Der Scharlach wachst bei Binge! – –
Ke’ Loch is uf der ganze Welt
So berühmt wie deß vun Binge,
Ke’ Thorn so keck in’s Wasser g’stellt
Wie der im Rhei’ bei Binge.
Die Mäus’ vom Bischof Hatto, sich’ (sieh’),
Sie schwumme bis nach Binge.
Ke’ G’schicht’ war je so ferchterlich,
Wie selli dort bei Binge! –

Ferd. Hey’l.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Denn