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Artikel „Vogt, Nicolaus“ von Karl Georg Bockenheimer in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 40 (1896), S. 189–192, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Vogt,_Nicolaus&oldid=- (Version vom 24. November 2024, 09:11 Uhr UTC)
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Vogt: Nicolaus V., Geschichtschreiber und Staatsmann, geboren zu Mainz am 6. December 1756, bereitete sich für die Gelehrtenlaufbahn auf dem damals von Jesuiten geleiteten Gymnasium seiner Vaterstadt vor, zu einer Zeit, als unter der Regierung des herzensguten und aufgeklärten Emmerich Joseph v. Breitbach-Büresheim der Mainzer Kurstaat und namentlich dessen Hauptstadt sich einer gedeihlichen Entwicklung von Handel und Verkehr zu erfreuen hatten und Sammelplatz für eine Reihe strebsamer Gelehrter und tüchtiger Künstler geworden. Noch in hohem Alter hat V. in dem im J. 1836 erschienenen vierten Theile seines verdienstvollen Werkes: „Rheinische Sagen und Geschichten“ in warmer Erinnerung an die schönste Zeit seines Lebens von den behaglichen Zuständen am Rheine, von dem wahren Glücke, dem Wohlstande und dem offenherzigen Frohsinne der Rheinländer jener Tage Zeugniß abgelegt und dabei, frei von allem Vorurtheile, seinen ersten Lehrern gebührenden Dank abgestattet. Durch den Umgang mit bedeutenden Männern, die im elterlichen Hause verkehrten und unter der Anleitung eines älteren Bruders, Heinrich V. († am 23. November 1789), eines ungemein beliebten Professors der Philosophie, wurden frühzeitig die vielseitigen Gaben von V. geweckt und genährt, sodaß er sich bald in Musik, bald in Zeichnen, Malen und Dichten hervorthat, Künste, welchen er auch noch in späteren Jahren oblag, neben welchen aber vor allem die Vorliebe für die Alterthümer und für die Geschichte seiner Heimath sich Bahn brach. Diese Vorliebe entschied beim Uebertritt auf die Universität (1774) für die Wahl des Berufes, indem V. dem Studium der Philosophie und der Geschichte sich widmete. Der Endpunkt seiner Vorbereitungszeit fällt zusammen mit der Umgestaltung der Mainzer Hochschule im J. 1784. Friedrich Karl von Erthal, der im Anfang seiner Regierung den freisinnigen Einrichtungen seines Vorgängers den Krieg erklärt hatte, suchte später dessen Pläne, namentlich auf dem Gebiete des Unterrichtswesens, zu überbieten und betrieb, von seinem Kanzler Freih. Anselm Franz v. Benzel berathen, die „Restauration“ der Universität (s. meine Schrift: „Die Restauration der M. Hochschule im J. 1784“), die, reich mit Mitteln ausgestattet, mit den bedeutendsten, ohne Ansehen der Religion und Geistesrichtung auserwählten Kräften besetzt wurde. Unter den neu ernannten Professoren befand sich auch V., der sich der besonderen Gunst des Kanzlers zu erfreuen hatte. [190] Nach den Berichten der Zeitgenossen stand V. bald in großer Achtung und genoß die Liebe und Verehrung seiner Zuhörer, zu denen auch Graf Metternich, der spätere österr. Staatskanzler, zählte, der ihm zeitlebens ein getreues Andenken bewahrte. Das reiche Leben in Mainz zur Zeit, als Joh. v. Müller, Forster, Sömmering, Heinse, alle Freunde von V., daselbst wirkten und des Zuspruchs der Gelehrten aus allen Theilen der gebildeten Welt sich zu erfreuen hatten, als der Hof Künstler wie die Gebrüder Schütz, Schneider, Kügelgen, Componisten wie Rhigini, Sterkel, heranzog, sollte nur von kurzer Dauer sein. Bereits im J. 1790 machten sich auch am Rheine die Vorboten einer neuen Zeit bemerklich, die auch auf die Lebenswege von V. von besonderem Einflusse waren. In jenem Jahre wäre V. beinahe das Opfer eines Auftritts zwischen Studenten und Handwerksburschen geworden, die in der Nähe des Universitätsgebäudes in blutigen Streit geriethen, wobei V., der den betrunkenen Burschen ernstlich zureden wollte, schwer am Kopfe verletzt wurde. „Aus Mißverstand“, so schrieb er an Joh. v. Müller, „wurde ich schier todtgeschlagen und habe nicht einmal meinen Schaden ersetzt“. Zwei Jahre später kam Custine mit seinem Corps gegen Mainz gezogen, nahm die Stadt ohne Schwertstreich ein und suchte das eroberte Gebiet im Geiste der französischen Revolution umzugestalten. Gleich andern Professoren der Hochschule verließ V. damals Mainz, wandte sich zunächst nach Straßburg und von da nach der Schweiz. Als er nach dem Abzuge der Franzosen wieder nach Mainz zurückkehrte, setzte er zwar seine Lehrthätigkeit wieder fort, allein die Anstalt war von ihrer Höhe herabgesunken und konnte sich unter der Ungunst der Verhältnisse nicht mehr erholen. Abgesehen von einem im J. 1792 herausgegebenen „Abriß einer Geschichte von Mainz“ veröffentlichte V. in der Zeit von 1785–1792 eine Schrift, welche seinen großen Fleiß in Erforschung der Geschichtsquellen bekundet und einen Einblick in seine geistige und politische Richtung gewährt. In der Zeit des Fürstenbundes, als er eine Vereinigung der geistlichen Kurfürsten und Pfalzbaierns zu einem rheinischen Bunde als Gegengewicht gegen Preußen, Oesterreich und Frankreich im Auge hatte, schrieb er: „Ueber die europäische Republik“ 5 Theile (später: „Historische Darstellung des europäischen Völkerbundes“), mit welchem Werke seiner Grundlage nach übereinstimmt das 1802 veröffentlichte „System des Gleichgewichts und der Gerechtigkeit“ 2 Theile. In letzterem Werk wollte er, wie er selbst einmal sagte, die ächten Grundsätze der bürgerlichen Freiheit theoretisch und praktisch auseinandersetzen und aus der ganzen Weltgeschichte belegen. Das Gleichgewicht wird nach V. in der ganzen menschlichen Gesellschaft hergestellt, sobald sie einem Jeden das Seinige läßt oder gibt, was auch für den Verkehr der Völker untereinander maßgebend ist. In die Mainzer Zeit fällt noch die „Geschichte der franz. Revolution von 1355 zur Warnung für Aristokraten und Demokraten“, welche geschrieben wurde unter dem Eindrucke der Wahrnehmung, daß eine herrschsüchtige Partei in Frankreich im Begriffe war, „das Königthum und damit die ganze Verfassung umzustürzen und ein neues Machwerk von Gesetzen an deren Stelle zu setzen“.

Nach der zweiten Uebergabe der Stadt Mainz an die Franzosen zu Ende 1797 folgte V. der kurfürstlichen Regierung nach Aschaffenburg, setzte an der von Mainz theilweise dorthin verlegten Hochschule seine Vorträge fort und übernahm daneben die Leitung des Schulwesens, sowie nach dem Tode Heinse’s (22. Juni 1803) die Stelle eines Bibliothekars. Zur Erweiterung seines Gesichtskreises, namentlich in politischer Beziehung, diente eine Reise nach Paris, die er aus Anlaß der Kaiserkrönung im J. 1804 im Gefolge Dalberg’s als Geheimer Legationsrath antrat. Dalberg, der von jeher die Verdienste von V. zu würdigen verstand, übertrug demselben nach Gründung des Großherzogthums [191] Frankfurt die Stelle eines Curators des Schulwesens und berief ihn später als Geh. Legationsrath in das Ministerium der äußeren Angelegenheiten. Während seines Aufenthaltes in Frankfurt setzte er die bereits im J. 1803 begonnenen „Staatsrelationen“ fort und arbeitete an den in der Zeit von 1817–1836 veröffentlichten 4 Bänden „Rheinische Geschichten und Sagen“.

In Frankfurt gründete V. einen Mittelpunkt für wissenschaftliche Bestrebungen in dem, dem französischen Nationalinstitute nachgebildeten Museum (1808). Auch nach Auflösung des Primatialstaates verblieb V. in Frankfurt, als Senator der wiederhergestellten Freistadt und Schöffe (seit 1831). Bis zu seinem Lebensende blieb er der Liebe für die Geschichte treu, im Zusammenwirken mit Fichard, Thomas, Schlosser u. A. Bibliothekar Joh. Fr. Böhmer, der diesem Kreise manche Anregung verdankte, hatte große Verehrung für V., wie aus den durch Janssen veröffentlichten Briefen erhellt. Andere anzuregen, dafür war V. bei seinem biederen und vortrefflichen Wesen und bei seiner großen Belesenheit wie geschaffen. Auch seinen Schriften, die für die Gegenwart an Bedeutung verloren haben, kam das Verdienst der Anregung zu, in höherem Maße als jenes einer entschiedenen Förderung von Wissen und Urtheil. Es fehlt demselben an Kraft und Schärfe, oder, wie Böhmer in Bezug auf die Rheinischen Geschichten und Sagen gerügt hat, an männlicher Auffassung. Vielfach erinnert V. an J. v. Müller, den er weder nach Form noch Inhalt seiner Arbeiten erreicht, ebensowenig ist ihm dies seinen französischen Vorbildern gegenüber gelungen.

Nach dem am 19. Mai 1836 erfolgten Ableben Vogt’s wurde, einem Wunsche des Verstorbenen zufolge, die Leiche nach dem Johannisberge gebracht und neben der Schloßcapelle beigesetzt, nachdem Herz und Gehirn in einem verschlossenen Gefässe unterhalb Rüdesheim in den Rhein versenkt worden waren (s. Rhein. Antiquarius Abth. I Bd. 1, 278). Fürst Metternich ließ ihm einen Gedenkstein setzen mit folgender Aufschrift: „Hier wählte seine Ruhestätte Nicolaus Vogt, geb. zu Mainz den 6. December 1756, verst. zu Frankfurt am 19. May 1836. Dem treuen Verfechter des alten Rechts, dem eifrigen Beförderer der heimathlichen Geschichte widmet diesen Grabstein sein dankbarer Freund und Schüler C. W. L. Fürst v. Metternich.“ (Vgl. den von V. am 6. December 1830 für seine Freunde geschriebenen Aufsatz in dem Gedenkbuche zur vierten Jubelfeier der Erfindung der Buchdruckerkunst in Frankfurt im J. 1840, S. 159 ff.)

Der schon erwähnte ältere Johann Heinrich V. (geboren zu Mainz am 13. März 1749, † daselbst am 23. November 1789) wollte anfangs Theolog werden, ging aber dann zu dem Studium der Rechtswissenschaft über und ward nach der Umgestaltung der Mainzer Hochschule ordentlicher Lehrer des Naturrechtes und der Moral, später der praktischen Philosophie. Gelehrt und mit einem seltenen Beobachtungsgeiste begabt, dabei zur Schwärmerei geneigt, ward er bald eine Zierde des Mainzer Lehrkörpers, wenn es ihm auch an einem methodischen Vortrage gebrach. Nur wenige Aufzeichnungen, die nach seinem Tode von Prof. Dittler herausgegeben wurden (J. H. Vogt, ein Denkmal nebst Fragmenten des Verstorbenen, Mainz 1791), geben Zeugniß von der Art seines Wirkens. Ein ehemaliger Hörer Vogt’s, J. Weitzel, (Das Merkwürdigste aus meinem Leben) gedenkt des Lehrers in folgender Weise: „Man hat Fragmente von ihm, da er gestorben war, aus seinen hinterlassenen Papierschnitzeln zusammengelesen und herausgegeben. Selbst diese Bruchstücke, die als Brosamen von einer reichen Tafel gesammelt worden, beweisen, wie hoch der Mann in seiner Zeit, vielleicht über ihr gestanden ist. Hätte Heinrich V. schreiben wollen, oder schreiben können – was nicht immer Sache sehr trefflicher und tüchtiger Männer ist – [192] dann würde sein Name Viele überstrahlen, die am gelehrten Himmel als Sternbilder erster Größe glänzen.“