ADB:Emmerich Joseph
Emmerich: E. Joseph, Freiherr von Breidbach zu Bürresheim, der vorletzte Kurfürst von Mainz, der den Kurstaat von 1763–74 durch fast elf Jahre, das Bisthum Worms von 1768–74 regierte, war geboren am 12. Novbr. 1707 in Coblenz, † am 11. Juni 1774 in Mainz. Sein Vater, Ferdinand Damian, war kurtrierischer Oberstkämmerer und Geheimerath, seine Mutter aus dem Geschlechte v. Warsberg. Den Taufnamen erhielt er nach einem Bürgerlichen, einem ehemaligen Pächter der Familie, den der Vater für diesen sechsten Sohn zum Pathen wählte. Schon 1714 wurde ihm eine Dompräbende in Trier zu Theil, 1719 eine solche in Mainz. Er studirte in Trier und Mainz, dann zwei Jahre in Rheims. 1732 ward er Domcapitular in Mainz, 1736 in Trier. 1752 ernannte ihn der Kurfürst von Mainz, Johann Friedrich Karl, zum Regierungspräsidenten, welche Stelle er 1758 mit der eines Dechanten des Domcapitels vertauschte. Als solcher hatte er nach dem am 4. Juni 1763 erfolgten Tode des Kurfürsten während der Sedisvacanz die Statthalterschaft. Durch eine Coalition zweier Parteien im Capitel wurde er zur Kurwürde ausersehen und am 5. Juli feierlich und mit Einstimmigkeit ernannt. Nachdem er von einer Krankheit, die ihn bald darauf überfiel, hergestellt war, erfolgte am 13. Novbr. die Consecration.
Für das Reich wurde die Thätigkeit des neuen Kurfürsten alsbald in Anspruch genommen. Am 7. Jan. 1764 schrieb er einen Wahltag nach Frankfurt aus; am 21. März hielt er selbst mit großem Pomp seinen Einzug in diese Stadt und am 3. April erfolgte die Krönung Josephs II. In die Verfassung des Reiches schien eben damals neues Leben zu kommen; allein die freundlicheren Anzeichen waren von kurzer Dauer. Eine Visitation des Kammergerichts trat zum Erstaunen Aller durch das einmüthige Zusammenwirken der Stände und des Oberhauptes in Thätigkeit; aber der Erfolg entsprach dann doch nicht den aussichtsreichen Anfängen. Im engeren Kreis der mittelrheinischen Gebiete hatte eine gleichfalls nicht unwichtige Angelegenheit denselben Verlauf. Hinsichtlich des Münzwesens verpflichteten sich im Februar 1765 Mainz, Trier, Pfalz, Darmstadt und Frankfurt im „Frankfurter Verein“ zur Durchführung des österreichischen Conventionsfußes, um schon im Januar 1766 durch einen Vertrag zu Worms der Sache nach von dieser Vereinbarung zurückzutreten und jedem der Theile die selbständige Entschließung wieder zu geben. Ebenso blieb einige Jahre später die Beschwerdeschrift gegen die Ansprüche der Curie, über welche sich 1769 die rheinischen Erzbischöfe einigten, ohne Folgen, da von Seiten des Kaisers, dem dieselbe übergeben wurde, ihr keine wirksame Unterstützung zu Theil ward. So blieb der Einfluß des Kurfürsten thatsächlich auf das Gebiet seines Erzstiftes beschränkt, und die Art, wie er hier das weltliche sowol als das geistliche Regiment übte, stellen ihn in dieselbe Reihe mit den besseren Reichsfürsten seines Zeitalters. Eifrige Sorge wurde vor allem den Finanzen gewidmet. Die Rechnungslegung der Beamten wurde durch umfassende Vorschriften (besonders die Verordnungen vom November, December 1769, 19. Juli 1771, 11. December 1772) neu geregelt, in der kostspieligen Unterhaltung der fiscalischen Gebäude wurden Ersparnisse angestrebt (Ausschreiben vom 21. Oct. 1766 [84] und Verordnung über das herrschaftliche Bauwesen vom 8. Febr. 1772), eine aufmerksamere Bewirthschaftung der Forsten begann (Verordnung vom 5. Jan. 1774). Freilich war mit diesen Mitteln allein der Haushalt des Landes nicht in das Gleichgewicht zu bringen, und dieselbe Energie, die dazu geführt hatte, wurde schwer empfunden, da sie auch in der Eintreibung von Steuern, die seit langer Zeit nicht waren erhoben worden, sich äußerte. So wurde im December 1764 die Accise auf die wichtigsten Lebensbedürfnisse wieder eingeführt, und auch unwichtigere Einnahmequellen, der Stempel (Verordnung vom 25. Sept. 1766), das Chausseegeld (Verordnung vom 8. April 1770), die Abgaben der Juden (Verordnungen vom 22. Decbr. 1768, vom 18. März 1773) wurden aufgesucht. Aus der inneren Verwaltung Emmerichs sind zuerst die Maßregeln zur Hebung der öffentlichen Sicherheit zu erwähnen, die Errichtung einer berittenen Wachmannschaft im J. 1764, die Vorschriften gegen Bettelei (Verordnung vom 31. Juli 1772). Auch im Justizwesen wurden Reformen vorgenommen, dem Mainzer Stadtgericht (Verordnung vom 24. Sept. 1766) eine geänderte Verfassung gegeben, den unteren Gerichten ein beschleunigtes Verfahren (Verordnung vom 27. Jan. 1772) vorgeschrieben, die Verwaltung der Pupillengelder mustergiltig geordnet. Ganz im Geiste des Zeitalters sind aber noch unvergleichlich mannigfaltiger die Maßregeln und Gebote, wodurch man die materielle Wohlfahrt der Unterthanen zu befördern gedachte. Lobenswerth erscheint hier, daß der Kurfürst seinen Beamten eine möglichst reiche Kenntniß des wirthschaftlichen Lebens zu verschaffen bemüht war, daß er einen Lehrstuhl der Cameralwissenschaft an der Universität errichtete und den Vorbereitungsdienst der Aspiranten zweckmäßig regelte (Verordnung vom 3. April 1765). Ohne Tadel wird es auch bleiben, wenn er der Steigerung der Holzpreise durch Anforstung öder Ländereien zu begegnen suchte, wenn er die auswärtigen Lotterien einschränkte (Verordnung vom 22. Febr. 1770) oder zur Erhaltung der Höchster Porzellan-Manufactur eine Actiengesellschaft in das Leben rief (Verordnung vom 17. Febr. 1765). Wir werden es dagegen unerträglich finden, wenn zur Pferdezucht nur die Hengste des kurfürstlichen Marstalls benutzt werden durften (Verordnung vom 22. März 1765), wenn die Maße der Backsteine den Brennereien streng vorgeschrieben waren (Verordnung vom 27. Aug. 1765), wenn der Hausirhandel (Verordnung vom 16. Decbr. 1765) oder das Halten von Hunden zum Luxus (Verordnung vom 5. Novbr. 1770) verboten wird, wenn nur die in der fiscalischen Hütte Emmerichsthal hergestellten Glaswaaren im Kurstaat zugelassen wurden (Verordnung vom 13. Septbr. 1773), wenn man durch alle denkbaren Mittel die Auswanderung zu verhindern suchte (Verordnung vom 18. Febr. 1766). Freilich erkannten die Unterthanen jener Tage in solchen Maßregeln mehr die wohlwollende Gesinnung an, die sich darin offenbarte, als daß sie über die Wirkung derselben sich irgend eine Rechenschaft gegeben hätten, und so wurde E. für manche Regentenhandlung, an deren Zweckmäßigkeit wir billige Zweifel hegen dürfen, die öffentliche Liebe im reichsten Maße zu Theil. Es wird das unser Urtheil namentlich über die Theuerungspolitik des Kurfürsten sein. Fast die ganze Regierungszeit desselben setzte sich aus Mißjahren zusammen, und der daraus sich ergebenden Getreidetheuerung suchte er durch Regierungsmaßnahmen abzuhelfen; die eingreifendsten geschahen im J. 1771. Damals war nicht etwa blos die Fruchtausfuhr verboten, sondern eine Durchsuchung der privaten Speicher fand statt, ein Preismaximum für Brotfrüchte ward festgesetzt, und auf Staatskosten wurde Getreide eingeführt. Daß durch dieses Vorgehen die Preise sich minderten, ist nicht bewiesen; aber jedenfalls brachte dasselbe dem Kurfürsten ungemessenes Lob ein. Daß wenigstens der Ankauf des fremden Getreides ein verfehltes Beginnen gewesen, läßt sich zeigen; denn als im Januar 1772 der [85] Verkauf desselben an das Publicum anfing, war die Theuerung schon so weit vorüber, daß bald sogar die Getreideausfuhr mußte freigegeben werden (Verordnung vom 25. Febr. 1772).
Als geistliches Oberhaupt zeigte E. Milde der Gesinnung, aufrichtige Frömmigkeit und ein Bestreben, die Religion von Aeußerlichkeiten zu befreien und ihrer alten Reinheit wieder anzunähern. Die Sittlichkeit des Volkes suchte er zu heben, abergläubischen Gebräuchen trat er entgegen (Verordnung vom 7. März 1768), die Ruhetage wollte er geistiger Beschäftigung gewidmet sehen (Verordnung vom 22. Febr. 1768). Er nahm keinen Anstand, den Protestanten Wieland zum Professor in Erfurt, den kritischen Isenbiehl zum Universitätslehrer in Mainz zu ernennen, während er den Bellarmin verbot (Verordnung vom 7. März 1769). Und indem er einerseits die Sonntagsfeier strenge einschärfte (Verordnung vom 19. Decbr. 1769), hob er anderseits (Verordnung vom 23. Decbr. 1769) eine bedeutende Anzahl Feiertage auf. Den Pfarrern verbot er, mit den weltlichen Angelegenheiten der Kranken, die sie besuchten, sich zu beschäftigen (Verordnung vom 6. Juli 1764), in seinem Bisthum Worms reformirte er die Verfassung der Stifter und in einer umfassenden Klosterordnung vom 30. Juli 1771 suchte er den reinen Geist des Mönchswesens wieder zu beleben, indem er die Orden von allen materiellen Bestrebungen abhalten wollte. Ja, durch ein besonderes Gesetz (6. Juni 1772) trat er noch bestimmter dem Wachsthum der „todten Hand“ entgegen. Gerade diese letzteren Maßregeln erregten unter denjenigen Betheiligten, die das Bestehende angenehm empfanden, viel Unzufriedenheit, und es bildete sich eine dem Kurfürsten abholde Partei unter dessen eigenen Standesgenossen. Die Feindseligkeit gegen ihn nahm zu, da er die Aufhebung des Jesuitenordens für sein Gebiet zur Durchführung brachte (September 1773), die Ordensmitglieder in Klöster vertheilte und das Vermögen des Ordens hauptsächlich für Unterrichtszwecke verwandte. Als Gegenstand des Angriffes diente den Unzufriedenen besonders die Umgestaltung, die der Kurfürst den Volks- und den Mittelschulen angedeihen ließ; sie wurde mit der abfälligen Bezeichnung als „neue Lehre“ dem gläubigen Volke verdächtig gemacht. (Vgl. Art. Bentzel-Sternau, Anselm Franz, A. d. B. II. 347.)
Besondere Verdienste erwarb sich E. um seine Residenzstadt. Für ihren Handel, ihre Sicherheit traf er Vorkehrungen, er ließ die Häuser numeriren, seit 1772 war Straßenbeleuchtung eingeführt. Auch eine bedeutende Bauthätigkeit fällt in seine Regierungsjahre. Zwei Kirchen, eine Capelle wurden errichtet; der (22. Mai 1767) durch den Blitz zerstörte westliche Domthurm wurde aufs neue in Stein aufgeführt. Auch einige stattliche Profanbauten von öffentlichem Charakter entstanden, eine Reitschule, ein Artillerie-Bauhof, ein schönes Krahnengebäude; ebenso zahlreiche Privathäuser. Deshalb haben gerade die Bewohner von Mainz das Andenken an die Regierung Emmerichs treu bewahrt, und von ihnen, die ihn auch in seiner gewinnenden Erscheinung, heiter, lebenslustig, wohlwollend, in schöner, kräftiger Gestalt persönlich vor Augen gesehen hatten, wurde dieser Kurfürst am schmerzlichsten bedauert, als ihn plötzlich am 11. Juni 1774 ein Schlaganfall dahinraffte. Das Gerücht, als sei er vergiftet worden, ist durch nichts unterstützt. In seiner nicht eben mäßigen Lebensweise kann, wenn es einer solchen bedarf, eine hinlängliche Erklärung für seinen jähen Tod gefunden werden. In seinem Testament hatte er das Mainzer Armen- und Waisenhaus fürstlich bedacht, die Pfarreien und Schulen des Erzstiftes als Substitute seiner Universalerben eingesetzt.
- Leichenrede des Pater Honorat; Lobschrift auf den ohnlängst verstorbenen Erzbischoffen und Churfürsten von Maynz, Fürsten-Bischoffen zu Worms, Carlsruhe 1774; N. Müller, Die sieben letzten Kurfürsten von Mainz; Stramberg, [86] Rheinischer Antiquarius I. 2, 202–228; Karl Klein, im Mainzer Wochenblatt, Jahrg. 1869, Nr. 12 ff.; Arneth, Correspondenz zwischen Joseph II. und Maria Theresia, Bd. I.; G. L. C. Kopp, Die katholische Kirche im 19. Jahrhundert, S. 313–345.