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Artikel „Winnigstedt, Johann“ von Eduard Jacobs in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 43 (1898), S. 458–460, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Winnigstedt,_Johann&oldid=- (Version vom 27. Dezember 2024, 20:10 Uhr UTC)
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Winnigstedt: Johann W., Chronist und reformatorisch wirksamer Prediger, als Sproß einer sehr alten, ursprünglich von W. genannten Familie um 1500, vielleicht noch etwas früher, in Halberstadt geboren und am 25. Juli 1569 in Quedlinburg gestorben. Von seinen Eltern in das alte Augustinerchorherrenkloster zu St. Johannes eingekauft, zeigte er früh ein reges geistiges Interesse. Das besonders lebendige reformatorische und wissenschaftliche Leben, das namentlich seit 1522 unter dem bekannten Propst Widensee im Kloster gepflegt wurde, konnte nicht ohne Einfluß auf ihn bleiben, doch trat das erst mehr ans Licht, seit ihn der Rath und die Gemeinde der Stadtkirche zu St. Martini im Spätherbst 1525 an die Stelle des seines entschieden reformatorischen Bekenntnisses wegen vom bischöflichen Regimente abgesetzten Stiftsbruders Heinrich Winckel zum Pfarrer erwählt hatten. Anfangs war er so vorsichtig in der Offenbarung seiner evangelischen Ueberzeugung und im Auftreten wider das römische Kirchen- und Ceremonienwesen, daß Winckel ihn mahnen mußte, auf der Bahn seines evangelischen Glaubens zu verharren. Da er diesen Rath befolgte, auch das heil. Abendmahl nach biblischer Einsetzung, wenn auch zunächst im Geheimen, zu spenden begann, so wurde er vom altkirchlichen Regimente schon nach einem halben Jahre aufgefordert, entweder zum römischen Kirchenwesen zurückzukehren oder abzudanken. Nun kehrte er ins Kloster zurück. Da es aber an tüchtigen Predigern fehlte, wonach das Volk Verlangen trug, so wurde er um die Erntezeit 1526 zum Pfarrer von St. Johannis bestellt, als welcher er sich so vorsichtig hielt, daß man ihn drei Jahre lang gewähren ließ, während das für die evangelische Predigt sehr empfängliche Volk aus allen Gemeinden zu seinen Gottesdiensten strömte. Als er nun aber, von Gemeindemitgliedern gedrängt, zur Fastenzeit 1529 öffentlich das evangelische heil. Abendmahl feierte, wurde er von Weihbischof, Official und Domherren namens des Erzbischofs abgesetzt und hielt Jubilate seine Abschiedspredigt. Bald darauf besuchte er in Braunschweig, wo die Reformation zum völligen Siege gelangt war, seinen dort in geistlichen Diensten und Würden stehenden Halberstädter Freund Winckel, Wissel, den ehemaligen[WS 1] [459] Weihbischof Mathias v. Gad und den Superintendenten Görlitz. Nach Halberstadt zurückgekehrt, nahm er das von den Evangelischen für ihn zum Studiren gesammelte Geld in Empfang, während das Johanneskloster von den seitens seiner Eltern ins Kloster gezahlten 300 Thlr. nicht das Geringste hergab. Nochmals versuchte man von altkirchlicher Seite, den tüchtigen Mann zu halten und versprach, ihn mit einer schönen Wohnung zu versehen, wenn er bloß predigen und von allen sonstigen geistlichen Handlungen, insbesondere der Spendung des heil. Abendmahls, absehen wolle. Schon war W. bereit, darauf einzugehen, als das Ungeschick des rohen Stiftshauptmanns v. Meisebug diesen Plan vereitelte. W. begab sich nun über Magdeburg, wo er v. Amsdorf und Fritzhans aufsuchte, nach Wittenberg. Hier begann er im Mai 1529 zu den Füßen der Reformatoren weitere Studien zu machen. Wahrscheinlich erst 1531 begab er sich, von Luther, der sich seiner eifrig annahm, und von Bugenhagen empfohlen, nach Einbeck. Hier hielt er es bei treuer eifriger Thätigkeit an der Marktkirche zu St. Jacobi drei Jahre aus. Da aber hier, wie an anderen Orten, die bevorrechteten alten Geschlechter zum größeren Theile der Reformation widerstrebten, so wurde ihm und seinen evangelischen Mitarbeitern theilweise in geradezu gemeiner roher Weise das Leben und Wirken erschwert und schließlich in leichtfertiger Weise ein Dienst aufgesagt, der ihm kaum das tägliche Brot gewährte. Vom Superintendenten Kropp aufs Beste empfohlen, folgte er einem Rufe der Evangelischen in der westfälischen Stadt Höxter. Als christlicher Held und Dulder und als erster evangelischer Prediger dieser Stadt führte W. fünf Jahre lang sein Amt, das ihm von Auswärtigen, vom Abt, vom Rath, auch von altkirchlichen Weibern auf alle mögliche Weise durch Lästerung, Schmach und Verfolgung erschwert wurde. Er arbeitete für Höxter eine evangelische Kirchenordnung aus, aber der Rath weigerte sich, sie anzunehmen. So mußte es denn für ihn wie eine Erlösung erscheinen, als ihm im J. 1538 die Stelle eines Diakonus zu St. Cosmi et Damiani zu Goslar zu Theil wurde, in einer Stadt, wo das evangelische Kirchenwesen herrschte und blühte. Als nun aber 1539 durch die Aebtissin Anna zu Stolberg in Quedlinburg die Reformation durchgeführt wurde, erhielt W. einen Ruf als Pfarrer zu St. Blasii daselbst. Noch einmal bat ihn seine frühere Gemeinde zu St. Johannis in Halberstadt, wo nach so langem schweren Gewissensdruck im J. 1540 infolge der Geldverlegenheit des Cardinals Albrecht endlich Bekenntnißeinheit erlangt war, als ehemaligen Seelsorger um Hülfe bei der Einrichtung der Gemeinde und bei der Verwaltung der Sacraments, aber schon nach neun Wochen kehrte er nach Quedlinburg zurück, um dort bis an sein Ende im geistlichen Amte zu wirken. Seine äußeren Verhältnisse waren jedenfalls bessere, als sie lange Zeit vorher gewesen waren. Sein Sohn Zacharias, der 1564 Rector in Nordhausen wurde, gibt jedoch in einem gereimten deutschen Lebensbilde seines Vaters nicht nur Zeugniß von den vielen Nöthen und Mühen desselben, sondern auch davon, daß er seinen Kindern kein Haus und Hof, kein Geld und Gut hinterließ.

Abgesehen von seiner Höxter’schen Kirchenordnung hat W. mehrere gelehrte Erklärungen über den 58. Psalm und über das Evangelium vom 3. Advent geschrieben. Besonders hatte er den Muth, eine schon 1540 von Amtsbrüdern aufgesetzte scharfe Erklärung wider den Raub von Kirchengut: Anzeigung wider die Sacrilegos, das ist die Kirchendiebe der itzigen Zeit, 1559 offen in Druck zu geben (erschien Jena 1560).

Winnigstedt’s Hauptwirksamkeit war eine kirchlich-reformatotische. Bekannt ist aber in weiteren Kreisen sein Name doch mehr durch die von ihm verfaßten Chroniken. Bevor ihn nämlich die Bewegung der Reformation in ihre Kreise zog, war sein wissenschaftliches Streben im Johanneskloster besonders der heimischen [460] Geschichte zugewandt. Eifrig suchte er im eigenen und in den benachbarten Klöstern, so in Ilsenburg und in dem eng verbrüderten Kloster Neuwerk in Halle, nach Chroniken und Aufzeichnungen. Verschiedene Schriften, die wir heute nicht mehr besitzen, ja nach denen er theilweise später selbst vergeblich suchte, konnte er anfangs noch für seine Halberstädter Bischofschronik benutzen. Aber seine ursprüngliche Arbeit, die er zu St. Johannes zurückgelassen hatte, ging dort verloren. Aus der Erinnerung und nach schriftlichen Aufzeichnungen, die er aufbewahrt hatte, stellte er so gut es ging seine Chronik aufs neue zusammen. Einzelnes, so die Geschichte vom gewaltsamen Ende Bischof Burchard’s II., vom Ilsenburger Abte Herrand, die er übersetzte, ist uns nur durch ihn erhalten. Neben Herrand bezeichnet er selbst als eine Hauptquelle einen Martin aus Corvei. Der bekannte Chronist Paullini bezeichnet als diesen den Chronisten von Gröningen, einen vornehmen Mönch von Corvei aus der dort heimischen adligen Familie Rehbock, später Propst des Klosters Gröningen. Paullini will die oder eine Handschrift dieser Chronik des 15. Jahrh. auf der Bibliothek zu Wolfenbüttel gesehen haben. Vielleicht gewährt eine sorgfältige Prüfung der leider vorläufig wenig zahlreichen nachweisbaren Quellen der Gröningenschen Alterthümer näheren Anhalt. Eine genaue Prüfung von Winnigstedt’s Arbeit, die er bis zum Jahre 1552 herabführte, wird dadurch sehr erschwert, daß seine in ungemein zahlreichen Abschriften vorhandene Chronik aufs mannichfaltigste überarbeitet, gekürzt, gemehrt und theilweise bis weit ins 17. Jahrhundert hinein fortgesetzt wurde, so von einem T. E. O., einem Cyprian Geilfuß, der 1673 Domvicar in Halberstadt war, und von Th. Eichholtz aus Osterwiek, Conrector der Johannesschule in Halberstadt u. a. m. Die zahlreichen Abschriften, die sich z. B. auf den Bibliotheken zu Dresden, Göttingen, Hannover, Wernigerode, Wolfenbüttel auch im Privatbesitz befinden, gehen meist nicht über das 17. Jahrh. zurück. Eine dem Chronisten gleichzeitige oder gar seine eigene Handschrift ist bis jetzt nicht ermittelt. Kürzer ist Winnigstedt’s Quedlinburger Chronik oder: Kurzer Auszug etlicher Chronik von den Aebtissinnen des Stifts Quedlinburg, ursprünglich bis 1554 reichend. Auch diese Schrift ist mehrfach überarbeitet, und wir besitzen wenigstens auf der Königl. Bibl. zu Hannover, wo sich übrigens auch eine 1588 begonnene Abschrift der Halberst. Chronik befindet, eine 1576 von Jacob Diek gefertigte Abschrift der Chronik von Quedlinburg. Für Winnigstedt’s Absicht, keine durch persönliche Leidenschaft gefärbte Geschichtsdarstellung zu geben, spricht der Umstand, daß er die bewegte Halberst. Reform.-Geschichte, soweit er dabei persönlich betheiligt ist, nicht selbst verfaßt hat. In dem Abdruck derselben bei C. Abel, Sammlung etlicher Chroniken, Braunschw. 1732, S. 252–477 ist dieser Abschnitt aus Hamelmann hinzugefügt. Bei Abel ist auch S. 479–524 die Quedlinburger Chronik abgedruckt.

Von der ziemlich zahlreichen Litteratur über W. und seine Chroniken seien erwähnt: Herm. Hamelmann, hist. ren. evangel. Opera p. 872, 883–889, 891, 916 f., 1035 f. – Kettner, Quedl. Kirchen- u. Reform-Hist., S. 225. – Jac. Friedr. Reimmann, dissert. hist. de chronici Halb. quod Johannes a Winnigensted elucubravit virtutibus et vitiis. Halberst. 1702. – Jacobs, Heinr. Winckel, im Jahrg. 1896 der Zeitschr. d. hist. Ver. für Niedersachsen. – Pertz’ Archiv VIII, 651, 718. – Sammlung nützlicher Anmerkungen 1737, S. 373 f. 4. Forts., Theil 13, S. 72. – Wattenbach, Deutschl. Gesch.-Quellen, 5. Aufl. 1886, S. 75, A. 2.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: ehe maligen