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Artikel „Weiß, Georg Bernhard“ von Bernhard Weiß. in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 41 (1896), S. 566–569, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Wei%C3%9F,_Georg_Bernhard&oldid=- (Version vom 28. März 2024, 15:43 Uhr UTC)
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Weiß: Georg Bernhard W. wurde am 13. September 1798 zu Königsberg i. Pr. geboren als jüngster Sohn des Pfarrers an der Altstädtischen Kirche daselbst, Superintendent Dr. th. Johann Gottlieb W. Dieser stammte aus Schlesien, wo er 1762 als Sohn des Organisten in Konradswalde bei Brieg geboren war. Seine hohe musikalische Begabung verschaffte dem ganz Unbemittelten, als er, durch Kant’s Ruf angezogen, nach Königsberg ging, um Theologie zu studiren, einigen Erwerb durch Musikstunden. Nachdem er sechs Jahre als Landpfarrer gewirkt, wurde er im J. 1797 nach Königsberg berufen und dort wurde ihm sein jüngster Sohn geboren, dem nach vier Jahren noch die einzige Tochter (Ernestine) folgte. Ein großes Verdienst erwarb er sich durch die Begründung einer Töchterschule, an der es damals noch in Königsberg so gut wie ganz fehlte; er hat dieselbe, auch nachdem der Magistrat sie übernommen, bis an sein Ende unter allgemeiner Anerkennung geleitet. Auch durch die Herausgabe von allerlei Schulbüchern, insbesondere einer Fibel und eines Religionsbüchleins hat er sich verdient gemacht.

Sein Sohn studirte nach Absolvirung des Altstädtischen Gymnasiums, das unter dem Directorat eines Sohnes Hamann’s stand, 1815–18 auf der Albertina Theologie; aber er beschränkte sich keineswegs auf die theologischen Vorlesungen, die wenig Anregendes gehabt zu haben scheinen. Er hörte mit Vorliebe Geschichte, Mathematik, Astronomie (bei Bessel), Philosophie (bei Herbart); sein Hauptinteresse fesselte die Philologie, sodaß er lange Zeit der Senior des Lobeck’schen philologischen Seminars war. Auch er war nicht ohne musikalische Begabung und hat sich namentlich im Geigenspiel viel geübt, insbesondere aber hatte er das ungewöhnliche pädagogische Talent seines Vaters geerbt. Schon als Schüler begann er Privatunterricht zu ertheilen, als Student übernahm er eine Hülfslehrerstelle an der Töchterschule seines Vaters. Das Militärjahr, das damals noch sehr geringe Anforderungen stellte, hat seine Studien und Arbeiten kaum unterbrochen. Eben hatte er sein erstes theologisches Examen bestanden (1819), als sein Vater, von der ganzen Stadt betrauert, starb. Für ihn war es ein harter Schlag. Er hatte an die akademische Carriere gedacht. Dazu fehlten ihm nun gänzlich die Mittel, daher ließ er sich im folgenden Jahre, nachdem er die Lehrerprüfung bei dem Consistorialrath Dinter bestanden, als ordentlicher Lehrer an der Töchterschule anstellen. Im J. 1821 promovirte er auf Grund einer Dissertation „De arte poetica Horatii“ nach wohlbestandenem Examen als Dr. der Philosophie.

Der Vater war ein milder Rationalist aus der Kantischen Schule gewesen, dessen weihevolle Kanzelberedsamkeit die Dürftigkeit der Theologie, die er dort gelernt, zudeckte, auf der Universität hatte W. nur den ödesten Rationalismus kennen gelernt. Da wurde der Prediger Ebel als Diakonus an die Altstadt berufen, [567] dessen hinreißende Beredtsamkeit die Gnade Gottes in Christo in biblischer Kraft und Fülle verkündigte und im Gegensatz zur todten Orthodoxie, wie zu einem gefühlsseligen Pietismus auf den Ernst der Bekehrung zu Christo drang. Mit dem Bruder des Predigers Diestel, der im gleichen Sinne mit Ebel wirkte, verband W. eine innige Freundschaft, die durch die Verheirathung desselben mit seiner Schwester sich ebenso befestigte, wie dadurch, daß beide Freunde in dem durch jene Prediger geweckten auf ernste Heiligung abzielenden Schriftglauben die Kraft und den Frieden ihres Lebens fanden. Sein gesunder Scharfblick, wie seine eminent praktische Begabung und der theologische Einfluß Olshausen’s, der damals an der Universität wirkte, bewahrte W. völlig vor den mystisch-sectirerischen Abwegen, welche die Ebel-Diestel’sche Richtung bald einschlug. Im J. 1822 betheiligte er sich lebhaft an der Stiftung des Königsberger Missionsvereins, dessen Secretär er bis zu seinem Ende gewesen ist. Durch das Königsberger Missionsblatt, das er herausgab, durch eine umfassende Correspondenz mit den Missionsfreunden in der Provinz, wie mit den aus ihr gewonnenen, bald in verschiedenen Welttheilen wirkenden Missionaren, durch die Missionsfeste und Missionsstunden, die er einführte, hat er die Vereinssache aufs kräftigste gefördert und in der ganzen Provinz populär gemacht. Damals freilich galt die Missionssache als ein Zeichen des schlimmsten Pietismus, und bald stellte ihm der Magistrat die Alternative, entweder sein Lehramt oder das Secretariat im Missionsverein niederzulegen. Allerdings wurde der Sache nach seinem Antwortschreiben keine weitere Folge gegeben; aber er schritt doch zum zweiten theologischen Examen und wurde 1826 zum städtischen Hilfsprediger ordinirt. Als er im folgenden Jahre zum Divisionsprediger bei der ersten Armeedivision berufen wurde, nahm er für immer von der Schule Abschied. Inzwischen hatte er sich 1824 mit Friederike geb. Fischer verheirathet, die ihm aber, nachdem sie ihm eine Tochter und einen Sohn geschenkt hatte, schon 1829 durch den Tod entrissen ward. Um die Erziehung der beiden Kinder sicher zu stellen, zog W. mit seinem Schwager Diestel zusammen, dem seine Schwester zwei Söhne und zwei Töchter geboren hatte. Aber auch als derselbe bald darauf starb, führte ihm die verwittwete Schwester den Haushalt, sodaß ihre vier Kinder mit seinen zwei als Geschwister aufwuchsen. Am 9. October 1831 wurde er in das Pfarramt an der Tragheimer Kirche eingeführt, in dem er 36 Jahre lang sich mit unermüdlichem Eifer dem Aufbau des Gemeindelebens gewidmet hat.

W. war kein Modeprediger, der durch glänzende Gaben bestach; aber die Klarheit und Kraft seiner evangelischen Heilsverkündigung und der Ernst seiner herzandringenden Mahnung zu Buße und Heiligung sammelte einen immer wachsenden Kreis von treuen Anhängern um seine Kanzel, der sich aus der Zahl seiner begeistert an ihm hängenden Confirmanden, deren Unterricht er seine ganze seelsorgerliche Liebe widmete, jährlich neu ergänzte. Er führte zuerst Bibel- und Missionsstunden, Passionsandachten und Sylvestergottesdienste ein, die damals in Königsberg etwas völlig Neues waren, er gründete 1840 die erste Tragheimer Kleinkinderschule, der schon 1852 eine zweite folgen mußte, er betheiligte sich überall an dem immer reicher sich entfaltenden christlichen Vereinsleben. Der ihm befohlenen Elementarschulen, insbesondere der Tiepolt’schen Stiftsschule, nahm er sich mit großer Liebe an, schon 1827 war er zum Mitgliede der städtischen Stadtschuldeputation ernannt worden, die ihm namentlich die Aufsicht über die Privattöchterschulen übertrug. Er gab auch einen „Kern der deutschen Sprachlehre für Volksschulen“ heraus, der mehrere Auflagen erlebt hat. Immer weiter aber dehnte sich der Kreis seiner Wirksamkeit aus. Dem Generalsuperintendenten D. Sartorius war er eng befreundet, und er galt in der Provinz als seine rechte Hand. Er besorgte 1842 eine neue Ausgabe des alten Quandt’schen Gesangbuchs, [568] das mit seinen unverfälschten Liedern ein großer Segen für die Provinz geworden ist. Als im J. 1844 die ersten außerordentlichen Provinzialsynoden zusammentraten, wurde er zum Schriftführer der preußischen erwählt. Gegen den Divisionsprediger Rupp, dessen Auftreten gegen die Symbole das kirchliche Leben aufs tiefste erregte, gab er 1845 eine schneidige Schrift heraus: „Vom rechten christlichen Glauben. Antithesen gegen Rupp.“ Auch zum Mitgliede der Generalsynode von 1846 wurde er berufen und hat als Schriftführer derselben ihre Verhandlungen herausgegeben. Es war charakteristisch für seine Auffassung der Orthodoxie, daß er sich auf der Synode zu der Gruppe Nitzsch-Müller-Dorner hielt mit dem letzteren, der damals Professor in Königsberg war, verband ihn enge Freundschaft. Minister Eichhorn, der ihn kennen und schätzen gelernt hatte, hat noch lange nachher mit ihm in Correspondenz gestanden. Er soll zum Mitgliede des damals geplanten Oberconsistoriums ausersehen gewesen sein, das freilich die Revolution von 1848 begrub.

In anderer Weise sollten die stürmischen Bewegungen dieses Jahres W. den Anlaß geben, seine reichen Gaben in vollem Umfange zu entfalten. Gegenüber dem Ansturm der äußersten kirchlichen Linken und der Agitation der freien Gemeinden, wie gegenüber den bedrohlichen Plänen der wechselnden Träger des Cultusministeriums galt es alle auf positivem Boden Stehenden unter Geistlichen und Laien zu gemeinsamer Action zu vereinigen. Zu diesem Zwecke belebte W. die Pastoralconferenz der Provinz wieder, er regte Conferenzen von Geistlichen und Nichtgeistlichen in der Provinz an und begründete den Evangelischen Verein in Königsberg, aus dem später der Stadtverein für innere Mission hervorging. Ueberall war er, wie selbstverständlich, der Vorsitzende und wußte mit ebenso feinem Tact wie großer Festigkeit die Angriffe der Freigemeindler abzuschlagen, welche diese kirchlichen Versammlungen zu stören suchten. Das „Evangelische Gemeindeblatt“, für das er schon früher viel geschrieben, übernahm er seit 1849 ganz und machte es zum Organ der gesammten positiven Geistlichkeit. Hier konnte er seine milde, ohne jede pietistische Engherzigkeit auf lebendiges Christenthum dringende Orthodoxie, seine besondere Gabe für würdige Ausgestaltung des Gottesdienstes, wie seinen vorbildlichen Eifer in Seelsorge und christlicher Vereinsthätigkeit nach allen Seiten hin zu den fruchtbarsten Anregungen verwerthen. Seit er 1849 den Kirchentag und Congreß für innere Mission in Wittenberg besucht hatte, trat er mit allem Eifer auch für diese Liebesarbeit ein. In seiner Gemeinde organisirte sich der erste Parochialverein für innere Mission, in ihr wurde der erste Stadtmissionar angestellt. Wie unter seiner Führung das Gemeindeblatt, die Pastoralconferenz und der Missionsverein die gesammte Provinzialgeistlichkeit mit einem festen Bande umschlang, zeigte sich besonders darin, daß die in den andern Provinzen jetzt sich entwickelnden einseitigen Parteibildungen von confessioneller, wie von liberaler Seite in Preußen keinen Fuß fassen konnten. Damit hing es zusammen, daß die damals zur facultativen Aneignung dargebotene kirchliche Gemeindeordnung, für die W. von vorn herein mit warmem Interesse eintrat, fast nur in dieser Provinz beinahe vollständig durchgeführt wurde. So war es im Grunde nur die officielle Anerkennung der leitenden Stellung, die er längst in der Provinzialkirche erlangt hatte, als er 1851 zum Mitgliede des Consistoriums ernannt wurde. W. entwickelte in dieser Stellung ein nicht gewöhnliches Verwaltungstalent, ihm war die Actenarbeit bald ebenso lieb, wie seine geistliche Thätigkeit. Unermüdlich war er in der Organisation der Generalkirchenvisitationen, durch die er weite Kreise der Provinz mit Strömen lebendigen Wassers zu befruchten suchte. In den theologischen Prüfungen hatte er besonders die Beurtheilungen der Predigten und Katechesen der Candidaten; hier lernte er die besten Kräfte kennen, die er an die rechten Stellen zu bringen [569] wußte. Im J. 1855 gab er das Religionsbüchlein seines Vaters in ganz neuer Umarbeitung heraus, das ein Menschenalter hindurch die Grundlage für den Confirmandenunterricht in der Provinz geblieben ist. Ein Auszug aus demselben und ein Spruchbüchlein drang wol in 100 000 Exemplaren in die Volksschulen ein. Im politischen Leben gehörte W. der streng conservativen Partei an, der es nicht leicht wurde, sich in das neue constitutionelle Leben hineinzufinden. Nicht nur hat er, natürlich anonym, für das Organ dieser Partei viel geschrieben, sondern auch in dem „Preußischen Volksfreund“, einem weitverbreiteten Volksblatt, das diese Richtung vertrat, hauptsächlich die Feder geführt, wobei er eine bedeutende Gabe packender volksthümlicher Darstellung entwickelte. Seine umfassende Wirksamkeit wurde auch Allerhöchsten Ortes durch die Verleihung des Rothen Adlerordens 4. Classe, später durch die des Kreuzes des Hohenzollernschen Hausordens anerkannt. Was er bei alledem seiner Tragheimer Gemeinde war und blieb, zeigten die zahlreichen Liebesbeweise, die ihm bei seinem 25jährigen Jubiläum an derselben (1856) zu theil wurden.

Als im J. 1867 der Oberconsistorialrath Dr. Oesterreich starb, erhielt W. die volle geistliche Rathsstelle im Consistorium und trat zugleich als geistlicher Rath in die Regierung ein. Die äußerst mühsame Bearbeitung der Kirchspieleinrichtungen, Umpfarrungen, Stolgebührentaxen und dergl. schuf ihm eine so umfassende Actenarbeit, daß er seine Pfarrstelle aufgeben mußte und zum zweiten Hofprediger an der Schloßkirche ernannt wurde. Im Jahr darauf erhielt er den Rothen Adlerorden 3. Classe mit der Schleife und den Titel eines Oberconsistorialraths. Zu seinem 50jährigen Amtsjubiläum ehrte ihn 1870 die theologische Facultät durch die Verleihung der theologischen Doctorwürde und die Provinzialgeistlichkeit durch die Ueberreichung eines werthvollen Ehrengeschenks. Aber nur vier Jahre hat er sich mit ungeschwächter Kraft und unermüdlichem Eifer den Arbeiten dieses umfassenden Amtes widmen können. Im J. 1871 zeigten sich die ersten Spuren eines Leidens, das seine Gesundheit untergrub. Es waren nicht die katharrhalischen Affectionen, um deretwillen er oft Salzburg oder Ems zur Cur hatte aufsuchen müssen; es war die Folge einer Ueberarbeitung, die seine Kräfte verzehrte. Als im J. 1873 noch ein quälendes Flechtenleiden hinzutrat, sah er sich genöthigt, um seine Entlassung aus dem Consistorium zu bitten, die ihm unter Bezeugung der wärmsten Anerkennung und Verleihung des Kronenordens 2. Classe zu theil wurde. Er hat dieselbe nicht mehr lange überlebt, in der Frühstunde des 11. October 1873 ist er in den Armen seiner einzigen Tochter entschlafen. Sein alter Freund, der Superintendent D. Wald, hielt ihm die Leichenrede. An seinem Grabe trauerte die älteste Tochter der mit der jüngeren vor ihm heimgegangenen Schwester, Frau Superintendent v. Behr, und ihre beiden Brüder, deren einer (L. Diestel) Professor der alttestamentl. Exegese in Tübingen, der andere (G. Diestel) Professor am Vitzthum’schen Gymnasium in Dresden war, endlich der aus Kiel, wo er eine Professur der neutestamentl. Exegese bekleidete, herbeigeeilte einzige Sohn. Daß dieser das Ziel, wonach er sich einst gesehnt, erreicht hatte, ist ihm eine stete Lebensfreude gewesen.

Bernhard Weiß.