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Artikel „Wagner, Johann Martin von“ von Hyacinth Holland in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 40 (1896), S. 515–519, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Wagner,_Martin_von&oldid=- (Version vom 23. April 2024, 08:46 Uhr UTC)
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Wagner: Johann Martin v. W., Historienmaler und Bildhauer, wurde am 24. Juni 1777 zu Würzburg geboren und von seinem Vater, dem Hofbildhauer Johann Peter Alexander W. (1750, † 1809) frühe im Zeichnen unterrichtet, besuchte das Gymnasium, verließ aber achtzehnjährig die Anstalt, um sich der Bildhauerkunst zu widmen. Er zeichnete nach Gypsabgüssen und nach der Natur, trieb Anatomie und Perspective, ging dann aber, um Maler zu werden, mit Empfehlungen des Fürstbischofs Dalberg 1797 nach Wien, wo er an der unter Füger’s Leitung florirenden Akademie fünf Jahre lang in der damals beliebten Methode mit großem Fleiße copirte und malte, sodaß er schon 1802 mit seinem Carton „Aeneas, der die Venus um den Weg nach Carthago befragt“ den ersten Preis errang. Günstiger als Füger mit seinem engherzigen Kram wirkte auf W. der geniale Wächter, welcher von seinen Reisen nach Paris und Rom einen universellen Blick und eine wirklich kunsthistorische Bildung mitgebracht hatte. Vorerst verließ W. 1802 Wien, welches ihm nichts mehr bieten konnte und reiste über Salzburg und durch die Schweiz nach Würzburg zurück, wo zwei Bilder, „eine heilige Familie“ und „die Rückkehr der Frauen vom Grabe Christi“ entstanden. Dann machte er sich an die Lösung einer von Goethe im Namen der Weimarer Kunstfreunde 1803 gestellten Preisaufgabe, darstellend wie Odysseus dem Polyphem Wein credenzt. Ohne das Resultat seiner Zeichnung abzuwarten, begab sich W. 1804 nach Paris, wo ihn die freudige Nachricht überraschte, daß seine Composition (welche in der Jenaer Lit. Ztg. 1804 von Goethe beschrieben und abgebildet wurde) den ausgesetzten Preis von 60 Dukaten erhielt, zugleich mit seiner Ernennung zum Professor der Zeichnungskunst an der Universität Würzburg, womit noch der erfreuliche Zusatz verbunden war, daß er mit seinem vollen Gehalt von 600 Gulden einen zweijährigen Urlaub zur weiteren Ausbildung in Rom anzutreten habe. Am 31. Mai 1804 betrat er die ersehnte Stadt, deren Zauber ihn dann zeitlebens gefangen hielt. W. studirte ebenso die antike Plastik, den Homer und die Bibel, wie die Schöpfungen von Raphael und Michelangelo; von allen Seiten strömten ihm Anregungen und Ideen zu, unermüdlich warf er sie in Skizzen, Zeichnungen und Aquarellen aufs Papier und erhielt, glücklicher wie vorher Carstens und Wächter, allgemeinen Beifall. „Eine unerschöpfliche Phantasie führte ihm ideale Stoffe und Gestalten zu, weise Berechnung und ernste Studien ordneten seine Compositionen, die gründlichste Anatomie führte seine zeichnende Hand, sein Stil war durchaus originell und doch mit dem Besten verwandt; wäre damals schon die Freskomalerei [516] in Blüthe gewesen, W. würde ihr größter Meister geworden sein“, obwol er, wie nachmals Cornelius, auf alle coloristische Künstelei verzichtete und „die Körper in der Farbe, nicht die Farben an den Körpern malte“. Allseitiger Beifall wurde ihm zu Theil; Humboldt nahm bei ihm Zeichnungsunterricht und der Alles benörgelnde Kotzebue lobte ihn sogar ohne Einschränkung. Im J. 1808 malte W. im Auftrage des bairischen Kronprinzen die „Rathschlagenden Heerführer vor Troja“, auch machte er sich an einen „Orpheus in der Unterwelt“, dessen Ausführung jedoch durch den 1809 erfolgten Tod von Wagner’s Vater unterbrochen wurde, noch mehr durch den neuen Wendepunkt im Leben des Künstlers, welcher durch die weitere Bekanntschaft mit „Baierns kronenwürdigem Prinzen“ erfolgte. Dieser schätzte und bewunderte nicht nur Wagner’s Talente, sondern ehrte ihn auch ob seiner Freimüthigkeit und seines unbestechbaren Urtheils. Das von W. nicht begutachtete Project, den gesammten Nachlaß der Angelika Kaufmann zu erwerben, gab den Anlaß, daß Kronprinz Ludwig am 16. Juni 1810 mit W. in Correspondenz gerieth, welche bis zum Ableben des Künstlers, insgesammt über die wichtigsten artistischen Angelegenheiten, fortdauerte; mehr als 600 Billete des Fürsten, beinahe 1000 Briefe Wagner’s, welche mit dessen gesammtem Nachlaß in den Besitz der Universität Würzburg gelangten, bilden eine authentische Quelle für die Geschichte der Kunst und der Sammlungen Münchens und Roms, und mit den Briefen anderer Vertrauten, einen höchst interessanten Beitrag zur Geschichte des geistreichen und nicht nur hochbegeisterten, sondern auch mit tiefem Kunstverständniß begabten Königs; „er wie sein Agent, beide zeigen sich darin unverschleiert und wahrlich nicht zu ihrem Nachtheil“; das Dichterwort ist dadurch neu bewährt: „es darf der Künstler mit dem König gehen; sie beide stehen auf der Menschheit Höhen“. Der Fürst schenkte ihm sein vollstes, uneingeschränktes Vertrauen; fast unbedingt folgte er seinem Rathe. W. besorgte in langen Jahren den Ankauf einer ganzen Reihe von antiken Marmorwerken für die Glyptothek, darunter den Barberinischen Faun und die Aegineten. Das kleine Büchlein von L. Urlichs: „Die Glyptothek Sr. Maj. des Königs Ludwig I. von Baiern, nach ihrer Geschichte und ihrem Bestand“ (München 1867) gewährt einen überraschenden, lehrreichen Einblick in die Genesis dieser unvergleichlichen Sammlung und bietet zugleich den erfreulichsten Beleg, mit welcher Treue, Ergebenheit, opferwilligen Thätigkeit und uneigennützigen Ausdauer W. seines Amtes waltete, sich jeder Mühe unverdrossen unterzog, sogar einmal beim Transport dieser Schätze sein Leben wagte und Jahre lang sogar auf seine volle künstlerische Thätigteit verzichtete, um seinem freilich immerdar huldreichen Maecen unschätzbare Dienste zu erweisen, nicht allein um die meisten Werke für die Glyptothek, sondern auch Terracotten, Bronzen und andere Zierden für die „Vereinigten Sammlungen“, Bilder und Gemälde für die Pinakothek und die kostbare Vasensammlung erwerbend. Nebenbei besorgte W. auch den Kauf der Villa Malta und die gesammte Einrichtung und Ausstattung derselben. Wie tief W. in die Geschichte der antiken Plastik eingedrungen, zeigt sein „Bericht über die Aeginetischen Bildwerke“, welchen Schelling mit kunstgeschichtlichen Anmerkungen (Stuttg. 1817) herausgab. W. widmete mit Thorwaldsen der Restauration und glücklichen Zusammenstellung dieser furchtbar verstümmelten Gruppen vier volle Jahre! der Zusammensetzung der Candelorischen Vasensammlung drei Jahre! Mit Recht hatte W. die Inschrift über sein Schreibpult gesetzt: „Vernunft, Geduld und Zeit macht möglich die Unmöglichkeit“. Wie über die Aegineten, so verfaßte W. später noch zwei weitere Abhandlungen über „die Kolosse vom Monte Cavallo“ (Kunstblatt 1824 Nr. 93 ff.) und die „Gruppe der Niobe“ (ebendas. 1830 Nr. 51 ff.). Erst im J. 1819 kehrte W. als Künstler zu eigenen Schöpfungen und jetzt als [517] Plastiker und Bildhauer zurück. Er machte den Entwurf zu den einzelnen Figuren im Giebelfeld der Glyptothek, deren Ausführung jedoch anderen Künstlern übertragen wurde (vgl. Kunstblatt 1836 Nr. 98), fertigte als Basrelief „das eleusinische Fest“ nach Schiller (gestochen von Ruscheweyh) und modellirte den „Kampf der Centauren und Lapithen“ für die neue Reitschule in München. Im März 1822 überraschte ihn der Auftrag, für das Innere der Walhalla einen Fries zu modelliren, welcher in der Länge von 400 römischen Palmen die älteste Geschichte Deutschlands bis zu Karl dem Großen behandeln sollte. Mit jugendlicher Begeisterung machte er sich an das Werk; gestachelt von dem ungeduldigen Eifer des Bestellers, welcher inzwischen sein König geworden war, vollendete W. das Ganze in zwölf Jahren nicht allein im Modell, sondern mit der Hülfe von Pettrich und Schöpf in carrarischem Marmor und ließ den ganzen Transport 1837 abgehen. Dieser Fries, welcher erst 1839 aufgestellt wurde, ist der Ausdehnung und der Bedeutung nach der größte der neueren Zeit, unter den alten stehen nur wenige, z. B. am Parthenon und zu Halikarnaß ihm voran. Den Abtheilungen des Baues entsprechend zerfällt er in acht dramatisch inscenirte Episoden: die Einwanderung der Deutschen aus Asien, ihre heidnische Gesittung, Priester, Sänger, Opfer und Waffentänze; ihre Verfassung, Königswahl, der Handelsverkehr der Ostseebewohner mit griechischen und phönicischen Kaufleuten; ihre Kriegsthaten, der Cimbernzug nach Italien; der Krieg am Rhein; der Sieg der Westgothen bei Adrianopel; Roms Einnahme unter Alarich, endlich die Bekehrung der Deutschen durch Bonifacius. Der letztgenannte Gegenstand war eine Idee seines Königs; die Hermannschlacht mußte er an Schwanthaler’s Giebelfeld abtreten; auf die Schlacht von Adrianopel hatte Niebuhr gewiesen. Daran schließt sich nach der Goethe’schen Lebensregel auf die saueren Wochen der Arbeit ein Festschmaus, wobei der Künstler sein und seiner Gehülfen Porträts in ganzer Figur verewigte: Pettrich leert eine Feldflasche, Schöpf trägt mit ritterlichem Anstand eine Bratenschüssel herbei, der Meister selbst schaut mit stoischer Ruhe wie ein alter Philosoph dem wunderlichen Treiben zu und auch der tüchtige Pferdemaler Prestel, mit dessen Beistand W. die Rosse vollendete, ist nicht vergessen. Das erste Programm besprach schon Passavant im Kunstblatt 1822, Nr. 88; über das nach Vollendung des Werkes zu Wagner’s Ehren am 12. Mai 1839 abgehaltene Künstlerfest berichten Fahrmbacher (Erinnerungen an Italien. 1851, S. 226 ff.) und Urlichs, beide als Augenzeugen; über das Ganze Ernst Förster in seiner „Geschichte der deutschen Kunst“ (1860. IV, 147) und Fr. v. Reber (1884. I, 195 ff.). Mit Recht verzichtete W., diese Composition in einen griechischen Stil zu kleiden, dagegen benützte er die Reliefs der Trajanssäule; so schuf er ein etwas rauhes, in vielen Figuren hartes, unbeholfenes Zwitterding, welches zwar dem Stil des Walhallabaues sich anbequemte, wo es in seiner bedeutenden Höhe einen besseren Eindruck erreicht, als in den Abgüssen oder den fragmentarischen Stichen. Nächst diesem Werke lieferte W. auch die Projecte zu der plastischen Decoration des Siegesthores in München: die Victoria mit der Quadriga (deren Löwen jedoch ganz porträtmäßig die Aehnlichkeit von Wagner’s Lieblingskatzen trugen und von Halbig neu modellirt werden mußten), sowie die Medaillons mit den allegorischen Figuren der bairischen Kreise und die Reliefkampfscenen, welche nach Wagner’s Compositionen von Schöpf und anderen Künstlern ausgeführt wurden. Im J. 1843 übernahm W. ein mühsames Geschäft auf des Königs dringendes Verlangen: die Angabe der Bronzegeräthe für das „pompejanische Haus“ in Aschaffenburg. W. wählte für jedes Stück ein entsprechendes Vorbild aus Pompeji und errang den vollen Beifall des hohen Bestellers, welcher Wagner’s Rath und Beihülfe bei allen Ankäufen für die königlichen Sammlungen vollauf [518] in Anspruch nahm. Der sonst so sparsame königliche Maecen lohnte die Dienste seines treuergebensten Berathers und Helfers, er beförderte seine Verwandten und Freunde, begnadete ihn mit Titeln, Stellen, Orden und Gratificationen, ernannte ihn zum Central-Galerie-Director in München (1841), W. aber bat tags darauf um Enthebung von diesem Posten, da er Rom nicht verlassen mochte. Wohnung und Atelier hatte er in der königl. Villa Malta zu Rom, deren Inspector er war und blieb; leider fand er, wie W. komisch genug behauptete, keine Frau, welche diese Räumlichkeiten mit ihm theilen wollte. Der König erhob ihn durch Verleihung des Civilverdienstordens in den Adelstand, auch erhielt er das Comthurkreuz des Verdienstordens vom hl. Michael und wurde nominell zweiter Director der Münchener Akademie. Der vielseitige Künstler wird als „ein höchst leidenschaftlicher, reizbarer Mensch“ geschildert (A. Cornill: Joh. Dav. Passavant, 1864, S. 76); der erste Eindruck war immer grimmig genug und möglichst unangenehm: „Einfach bis zum Cynismus, grob trotz Michelangelo, ein Silen wie Socrates und mehr Satyr als dieser, aber ein überlegener Geist, der Kunst enthusiastisch ergeben, alles Mittelmäßige kaustisch vernichtend, alles Vortreffliche, auch das Verschiedenste, verehrend, ein Patriot, ein freier und freimüthiger Denker, redlich, wahrhaft und neidlos – nehmt ihn Alles in Allem: ein Mann und ein Charakter.“ Er focht übrigens auch mit Phantomen und hegte genugsame Schrullen, so haßte er z. B. Overbeck’s Richtung und Schüler und schuf ihnen den Spottnamen der „Nazarener“; Overbeck soll ihn dann mit Porträtähnlichkeit unter den Schergen angebracht haben, welche den Heiland auf seinem Leidenswege mißhandeln, worüber es einen ärgerlichen Randal absetzte. Von W. soll auch die Rede ausgegangen sein, er hoffe es noch zu erleben, daß man die Madonna „im Costüm der Mediceischen Venus öffentlich darstellen werde“. Da er Streit und Widerspruch liebte, so provocirte er viele Händel und Feindschaften, ganz in der Weise des Buonarotten oder des Sebastian del Piombo. Er ärgerte sich auch über die antinapoleonische „Deutschthümelei“, bis die Verehrung für den baierischen Kronprinzen seine böse Zunge bändigte. – Sein Lebensabend vereinsamte ihn mehr und mehr, da fast alle seine Freunde schon früher hinübergegangen waren. Aufgeregt durch die römischen Unruhen, verstimmt über die Modernisirung von Rom, geängstigt durch die Belagerung und ihre Folgen, verdrießlich über die Franzosen, von Gicht und Wassersucht gequält, kehrte er zu seinem lieben Homer zurück und schuf in Umrissen, in der Form von Vasenbildern eine Reihe von Compositionen, welche vielleicht zu seinen schönsten Leistungen gehören, bis die Glieder erlahmten und sein Geist am 8. August 1858 erlosch. Alle seine Sammlungen von Kupferstichen, Handzeichnungen, Bildern, Sculpturen, Münzen und Büchern schenkte er in ununterbrochener Liebe zu seiner Vaterstadt der dortigen Universität. Aus seinem nicht unbeträchtlichen Vermögen gründete er ein Stipendium, womit jeweilig ein von fränkischen Eltern stammender Maler, Bildhauer oder Architekt zu einem vierjährigen Aufenthalt nach Rom gesendet werden könne, wozu auch die Hin- und Rückreise besonders gedeckt wird, wohingegen dann der jeweilige Künstler ein von ihm erfundenes Werk der Universität abzuliefern verpflichtet sei. Diese ließ ihm auf dem kleinen Friedhofe hinter St. Peter über seinem Grabe in dankbarster Erinnerung ein Denkmal setzen und zwar durch Wagner’s vieljährigen Freund und Hausgenossen Peter Schöpf. – Sein Bildniß ist durch A. Riedel gemalt und durch Küchler radirt.

Vgl. außer der vorgenannten Litteratur noch Raczynski II, 508; III, 308–310. – Nagler 1851 XXI, 64 ff., dann das gerundete schöne und warme Lebensbild, welches L. Urlichs an Winckelmann’s Geburtstag (9. December 1865) in dem Wagner’schen Kunstinstitute als Vortrag entfaltete [519] (Würzburg 1866), ferner Andresen, Die deutschen Maler-Radirer. 1866, I, 37 ff.; dazu die weiteren Charakterzüge in Schnorr’s Briefen aus Rom 1886 und in Howitt-Binder’s Overbeck-Biographie 1886 I, 481; II, 255.