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Artikel „Viehoff, Heinrich“ von Eduard Schröder. in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 40 (1896), S. 400–402, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Viehoff,_Heinrich&oldid=- (Version vom 21. November 2024, 18:13 Uhr UTC)
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Viehoff *): Heinrich V., Schulmann und Litterarhistoriker. Er wurde als Sohn eines katholischen Hofbesitzers am 28. April 1804 zu Büttgen bei Neuß, unter französischer Herrschaft, geboren. Seine Vorbildung erhielt er auf dem Collegium zu Neuß und demnächst auf dem Gymnasium zu Düsseldorf. In Bonn, wo er von 1824 ab Philologie und Naturwissenschaften studirte und 1827 das Lehramtsexamen für recht verschiedenartige Fächer bestand, gehörte A. W. Schlegel zu seinen Lehrern, ohne daß er von ihm tiefergehende Anregungen erfahren hätte. Seine Schulthätigkeit unterbrach er schon im Herbst 1828, um eine Erzieherstelle im Hause des Grafen Westphalen anzunehmen. 1833 als ordentlicher Lehrer an das neugegründete Gymnasium zu Emmerich berufen, trat er mit einem ersten litterarischen Versuch hervor: „Wie malt der Dichter Gestalten? Ein Beitrag zur Aesthetik“ (Emmerich 1834). 1836/37 folgten die „Ausgewählten Stücke deutscher Dichter seit Gellert bis auf die neueste Zeit erläutert und auf ihre Quellen zurückgeführt“ (2 Bde.). Mit diesen Publicationen ist bereits die Richtung seiner ausgebreiteten litterarischen Production gewiesen; ihr Abschluß knüpft gewissermaßen wieder an den Beginn an, indem der Inhalt der frühesten Abhandlung nach mehrfacher Umarbeitung einen wichtigen Theil seines letzten, unvollendet gebliebenen Werkes (Poetik § 37–54) bildet. 1838 kam er als erster Lehrer an die Realschule nach Düsseldorf, wo er 1842 Oberlehrer wurde, 1848 den Professortitel erhielt. Im J. 1848 war er Mitbegründer [401] und zeitweise Redacteur einer liberalen Zeitung, 1850 gehörte er dem Erfurter Parlament an. Bald darauf ward ihm das Directorat der höheren Bürgerschule in Trier und der damit vereinigten königl. Provinzialgewerbeschule übertragen. In dieser Stellung ist er, auch nachdem die Gewerbeschule aufgehoben, die höhere Bürgerschule aber zur Realschule 1. Ordnung umgewandelt war, geblieben, bis er 1875 seinen Abschied nahm. Dem politischen Leben stand er in späteren Jahren fern, aber mit warmer Begeisterung begrüßte er den Aufschwung des Vaterlandes. Als Lehrer und Leiter eine verehrte und achtunggebietende Persönlichkeit, gehörte er insbesondere zu den warmen, aber besonnenen Vertheidigern der Realschule, in deren Dienste ja fast die Hälfte seines Lebens verflossen ist. Die Muße des Alters war für ihn zeitweise durch körperliche Schwäche getrübt, die geistige Frische blieb ihm bis zum Tode treu, der ihn am 5. August 1886 aus einem bis zuletzt arbeitsamen Leben abrief.

Viehoff’s litterarische Thätigkeit ist fast in ihrem ganzen Umfange der Ausbreitung und Vertiefung des Verständnisses der classischen Dichter gewidmet gewesen. Daß er auch ein Lehrbuch für den geographischen Unterricht geschrieben, sämmtliche Dramen des Sophokles und des Racine, vieles von Shakespeare und Molière und aus modernen englischen und französischen Dichtern übersetzt hat, daß ihm selbst auch warmempfundene und formvollendete, nur freilich an classischen Reminiscenzen überreiche Gedichte geglückt sind, sei nebenbei erwähnt. Der Ausgangspunkt waren für ihn die Interessen der Schule, wie er denn schon 1843 und 1844 ein „Archiv für den Unterricht im Deutschen“ herausgab, das nach Ludwig Herrig’s Hinzutreten zu dem „Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Litteraturen“ umgewandelt wurde. Mehr und mehr erweiterte sich der Kreis derer, für die er schrieb, obwol ihm allezeit der Ehrgeiz, zu den zünftigen Litterarhistorikern gezählt zu werden und möglichst Vieles aus Anderen unzugänglichen Quellen zu schöpfen, ferngeblieben ist. Die Bekanntschaft der Persönlichkeiten unserer großen Dichter, vor allem Schiller’s und Goethe’s und ein intimes Verständniß ihrer Werke weiten Kreisen der Nation zu vermitteln, das hat er stets als seine Hauptaufgabe angesehen, und hierfür hat er sehr viel mehr geleistet, als der ihm an Quellenkenntniß unbedingt überlegene, an Geschmack und Takt weit hinter ihm zurückstehende Düntzer. V. drängte sich nie vor und seine schlichte und anschmiegsame, zwar selten triviale, aber doch etwas breite und bequeme Art hatte nichts imponirendes. So ist er zweifellos vielfach unterschätzt worden, und er hatte vollauf Grund, sich über das deutsche Publicum zu beklagen, das seine Goethe-Biographie zurückstellte hinter das kaum mehr lebendige, und gewiß weit unselbständigere Werk des Engländers Lewes[WS 1], – der übrigens, ehrlicher als sein Uebersetzer, selbst bekannt hatte, wie viel er gerade V. schulde.

Nur die Hauptwerke Viehoff’s seien hier genannt. Jene umfassendste biographische Arbeit „Goethe’s Leben, Geistesentwickelung und Werke“ erschien zuerst 1847–54 (Stuttgart, 4 Bde.) und wurde von ihm noch dreimal neu herausgegeben (4. Auflage 1876). Neben sie stellte sich, nachdem V. schon 1846 „Schiller’s Leben für den weiteren Kreis seiner Leser von Karl Hoffmeister“ nach dem Tode des Verfassers ergänzt und herausgegeben hatte, 1875 ein ähnliches Werk über Schiller: „Schiller’s Leben, Geistesentwickelung und Werke auf Grundlage der Karl Hoffmeister’schen Schriften neu bearbeitet“ (3 Bde.; neue Auflage 1888). Diese Pietät gegenüber seinem Vorgänger ist für V. durchaus charakteristisch. – In weitere Kreise als diese Biographien drangen die Commentare: der zu Schiller’s Gedichten (zuerst Stuttgart 1839–41, 5 Thle.) brachte es unter seiner stetig nachbessernden Pflege bis zur 6. Auflage (1887, 3 Thle.); der zu Goethe’s Gedichten, dessen erstes Erscheinen neben der Biographie herlief [402] (Düsseldorf 1846–53, 3 Thle.), ist in drei Auflagen verbreitet. Daß V. in dieser Thätigkeit des Biographen und Commentators nicht aufgegangen war, sondern die Centralfragen nach dem Wesen der dichterischen Conception, Composition und Darstellungsmittel stets im Auge behalten hatte, davon legte das Werk Zeugniß ab, an dessen Ausgestaltung er in den letzten Jahren seines Lebens gearbeitet hat und das leider nur als Fragment aus seinem Nachlaß erschien „Die Poetik auf der Grundlage der Erfahrungsseelenlehre“ (Trier 1888), ein Buch, das zwar nicht durch besondere Originalität, wol aber durch die eminente geistige Frische des Achtzigjährigen überrascht und diesen durchaus im Einklang zeigt mit dem modernen Streben einer Neubegründung der Lehre vom dichterischen Schaffen auf Grundlage der empirischen Psychologie. Hatte ihm auch hier vor allem Fechner vorgearbeitet, so durfte V. doch immerhin darauf hinweisen, daß ein ähnlich gerichtetes Streben schon in seinen eigenen ästhetisch-kritischen Schriften von Anfang an zu Tage getreten war.

V. Kiy in Herrig’s Archiv LXXXI, S. 241–264 (wieder abgedruckt vor der Poetik).
Eduard Schröder.

[400] *) Zu Bd. XXXIX, S. 677.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. George Henry Lewes (1817–1878); ein englischer Schriftsteller, Literaturkritiker und Philosoph; „The Life and Works of Goethe. Sketches of His Age and Contemporaries, from Published and Unpublished Sources.“ (1855); 1857 übersetzt von Julius Freese: „Goethe's Leben und Schriften.“