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Artikel „Urlsperger, Samuel“ von Eduard Jacobs in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 39 (1895), S. 361–364, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Urlsperger,_Samuel&oldid=- (Version vom 25. April 2024, 11:04 Uhr UTC)
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Urlsperger: Samuel U., geboren am 20. August (n. St. 31.) 1685 zu Kirchheim u. T. in Württemberg, † am 20. April 1772 zu Augsburg, in und außerhalb seiner amtlichen Stellungen wirksamer evangelischer Geistlicher. Der Vater, herzoglicher Stabsverwalter, ließ den Sohn bis ins 14. Jahr die heimische Stadtschule besuchen, dann den Gymnasialunterricht im Kloster genießen. Im 18. Jahre wurde er Stipendiat zu Tübingen und erwarb sich bereits nach zwei Jahren mit Auszeichnung die Magisterwürde. Dann begann er das Studium der Gottesgelahrtheit und trat im J. 1707, nachdem er die theologische Prüfung bestanden hatte, in das Tübinger Stift ein. Da der Herzog bei der Disputation auf den begabten Jüngling aufmerksam geworden war, erhielt er ein Reisestipendium und einen durch mehrfache Verlängerung auf über vier Jahre ausgedehnten Urlaub. Als er sich zunächst zur Ritterakademie nach Erlangen begab, lernte er hier die Tochter des Directors, Jakobine Sophie [362] v. Jägersberg, seine spätere Lebensgefährtin kennen. Wichtig wurde für ihn ein Besuch in Halle im J. 1709, wobei er besonders A. H. Francke aufsuchte. Nach kurzem Aufenthalt daselbst begleitete er von hier den Hofprediger A. W. Böhme nach England. Durch einen Seesturm an der Ueberfahrt gehindert, kehrte er zunächst nach Holland zurück, wo er sich besonders zu Utrecht aufhielt und den Theologen Pontanus und Leydecker näher trat. Da Böhme wegen längerer Abwesenheit des zweiten deutschen Hofpredigers eine Hülfe nöthig hatte, so folgte U. dessen Rufe, predigte besonders an der deutschen Savoykirche und blieb zwei Jahre in England, die für seine geistige Entwicklung und seine spätere Wirksamkeit von großer Bedeutung wurden. Er trat hier mit der Gesellschaft zur Beförderung der Erkenntniß Christi in Verbindung und lernte deren dem Spenerschen Pietismus verwandte Bestrebungen, z. B. für den Katechismusunterricht, die Versorgung der Colonien und der Hallischen Mission mit Bibeln und Erbauungsschriften kennen und die Gesellschaft erwählte ihn zu ihrem Mitgliede. Im J. 1712 mit etlichen das englische Haus in Halle aufsuchenden jungen Engländern dorthin zurückgekehrt, verweilte er hier dies Mal länger, als bei dem ersten Besuche und trat, außer mit dessen Mitarbeitern, besonders mit A. H. Francke in eine nähere Verbindung. Er erklärt später, daß er mit diesem theuren Mann bis in seinen Tod auf eine besondere Weise verbunden geblieben sei. So vollzog sich hier eine innige Verbindung zwischen dem Hallisch-norddeutschen und dem württembergischen Pietismus eines Spener, Oetinger und Bengel, von denen die letzteren Urlsperger’s innig verbundene Freunde waren. Seine Rückreise nach Württemberg machte U. auf einem großen Umwege über Hannover, Hamburg, Stendal, Wolfenbüttel, Halberstadt, Magdeburg, Berlin, Leipzig. Endlich war im J. 1713 seine Wanderzeit zu Ende und er fand eine Anstellung als Pfarrer zu Stetten im Remsthal. In eine sehr schwierige Lage kam er, als ihm schon ein Jahr darnach das Amt eines Hofdiakonus, bald darauf Hofpredigers übertragen und er auch Consistorialrath in Stuttgart wurde. Der Herzog Eberhard Ludwig gab nämlich durch seinen sittenlosen Wandel und das üppige Leben, das er nach Verstoßung seiner rechtmäßigen Gemahlin, einer geborenen Prinzessin von Baden-Durlach, mit einem geborenen mecklenburgischen Fräulein v. Grävenitz führte, seinen Unterthanen den größten Anstoß. U. wagte zuerst, zumal er sich der Buhlin des Herzogs gegenüber bei seiner amtlichen Beförderung verpflichtet fühlte, nicht, mit Entschiedenheit gegen dieses Aergerniß aufzutreten und suchte sein Herz durch sonstigen Fleiß in seinem Amte, auch ernstliche Beschäftigung mit der Heidenmission in Ostindien zu stillen. Nachdem ihm aber sein Freund und geistlicher Berather A. H. Francke bei einem vierzehntägigen spätherbstlichen Besuche im J. 1717 das Gewissen geschärft hatte, änderte er sein Verhalten und hielt am nächsten Charfreitage vor dem Hofe eine so ernste und deutliche Bußpredigt, daß der in Wuth gerathene Herzog seinen Hofprediger nicht nur einkerkern ließ, sondern demselben auch am liebsten durch einfache Cabinetsjustiz den Proceß gemacht hätte, wenn nicht das entschlossene Auftreten des Ministers v. Schütz es verhindert hätte, daß sein Herr diese Blutschuld auf sich lud. Nachdem U. dann ohne Amt und jedes Gehalt sich zwei Jahre mit den Seinigen in Stuttgart aufgehalten hatte, geschah es wieder durch Schütz’ Befürwortung, daß er im J. 1720 einem Rufe als Stadtpfarrer und Specialsuperintendent zu Herrenberg folgen durfte. Als er nach abermals zwei Jahren bei einer Erholungsreise nach Augsburg kam, fand er hier bald einflußreiche Freunde, und weil damals durch einen Todesfall die Stelle des Seniors und Predigers an der Hauptkirche S. Annen daselbst frei wurde, so trug man ihm diese an. Nachdem einige Schwierigkeiten, die ihm von seiten Augsburgischer Amtsbrüder wegen gewisser Stellen über das Leben der Seligen [363] nach dem Tode in seiner Erbauungsschrift „Der Kranken Gesundheit und der Sterbenden Leben“ bereitet waren, bei Urlsperger’s Nachgiebigkeit in Mitteldingen und der Festigkeit des weltlichen Regiments überwunden waren, ward U. zu Laetare 1723 eingeführt. Es war ihm vergönnt, 42 Jahre dieses Amt zu versehen und 1763 sein fünfzigjähriges Ehe- und geistliches Amtsjubiläum zu feiern. Neben seinen zahlreichen Predigten, wobei er mannichfachen und erbaulichen Inhalt mit knapper Form verband, führte er auch Predigt-Repetitionen in seinem Hause ein und wirkte eifrig und lange als Vorsteher des Augsburger Krankenhauses. Aber neben dieser Thätigkeit in seiner Gemeinde und für Augsburg übte U. auch eine ungemein ausgebreitete Wirksamkeit nach außerhalb. Schon in London war sein Eifer für die Mission und die äußere Ausbreitung des Reiches Gottes geweckt worden. Als nun seit 1731/32 das unchristliche und gesetzwidrige Verfahren des Erzbischofs von Salzburg gegen seine evangelischen Unterthanen weithin die Glaubensgenossen zu warmer Theilnahme an dem Schicksale dieser wackeren Leute erregte, da war es U., der sich wie kaum irgend ein Anderer in Deutschland um sie bemühte. Er trat mit der englischen Gesellschaft zur Verbreitung christlicher Erkenntniß in Verbindung und diese übertrug ihm die Sorge für die Ueberführung verschiedener Abtheilungen dieser Salzburger nach England und von da nach Georgien in Amerika, wo sie südlich von Savannah die Pflanzstadt Ebenezer gründeten. Kurz bevor die ersten 300 dieser Leute nach Amerika übersiedelten, war U. mit dem Grafen Christian Ernst zu Stolberg in Wernigerode dadurch bekannt geworden, daß sein Schwager Christoph Adolph von Jägersberg am 1. August 1732 zum Hofmeister des Erbgrafen Henrich Ernst bestellt worden war. In Wernigerode wurden nun die ersten Prediger und Lehrer der Colonie, Bolze und Gronau, wie auch noch spätere, ordinirt, auch sonst diesem Werke ein thatkräftiges Interesse bewiesen. Diese deutsch-evangelische Ansiedlung jenseit des Oceans war nun hinfort im Geistigen und Leiblichen ein Gegenstand hingebender Sorge Urlsperger’s, der über dieses ‚Ackerwerk Gottes‘ wiederholt gedruckte Schriften und Rechenschaftsberichte über Wachsthum, Einnahmen und Ausgaben erscheinen ließ, bis er diese Arbeit und den großen in dieser Angelegenheit zu führenden Briefwechsel seinem Sohne Joh. August überließ. Aber nicht nur die evangelischen Salzburger hatten sich solcher aufopfernden Thätigkeit zu erfreuen: überall wo Glaubensgenossen unter schwerem Gewissensdruck und Verfolgung seufzten, suchte U. zu helfen, und dies mit nicht geringem Erfolge. Er gedachte ihrer in Ansprachen, Unterredungen und im Briefwechsel mit wohlhabenden und einflußreichen Gönnern. Es ist so erfreulich als erstaunlich aus seinen Briefen zu entnehmen, wie reich bei ihm die freiwilligen Gaben besonders aus Augsburg, Nürnberg, Straßburg, Berlin, der Schweiz und andern Orten zusammenflossen. Da aber mit Geldmitteln zunächst da nicht zu helfen war, wo die schwer unterdrückte Gewissensfreiheit den Glaubensgenossen nicht einmal das traurige Recht der Auswanderung gewährte, so setzte U. mit erstaunlichem Eifer alles in Bewegung, um auf diplomatischem Wege den Bedrückten ein gewisses Maaß von Erleichterung und die Erlaubniß, ihre Heimath zu verlassen, zu erwirken. Er benutzte dazu seinen Briefwechsel mit fürstlichen Personen, besonders mit Prinzessinnen, und suchte auch sonst durch erlauchte Correspondenten mittelbar auf die größeren evangelischen Höfe einzuwirken. Wenig war durch die Vertretung der evangelischen Stände im Reich zu Regensburg zu erreichen. Durch den ihn innigst verehrenden frommen Grafen Christian Ernst zu Stolberg suchte er solchen Zweck bei den Königen von Preußen und Dänemark zu erreichen, ‚denn ich weiß, daß Gott Ihnen bei diesen Höfen eine Thür geöffnet hat‘ (14. 4. 1735). ‚Gott hilft durch gewisse Werkzeuge‘ schreibt er an ebendenselben (30. 11. 1733). [364] So geschah es denn, daß auch im Verein mit der englischen Christenthumsgesellschaft durch die Generalstaaten und die Höfe von England, Preußen und Dänemark Vorstellungen bei dem Kaiser in Wien zu Gunsten der bedrückten Evangelischen in Böhmen und den österreichischen Erblanden gemacht wurden, besonders energisch von Seiten Preußens. Urlsperger’s Eifer bei dieser Sache mochte zum Theil daher rühren, daß seine eigenen Väter um ihres Glaubens willen aus Ungarn und Steiermark hatten weichen müssen. Auch der Polen nahm er sich gelegentlich an und wollte ein böhmisches Gesangbuch in Halle drucken lassen. Bei der Arbeit für Ebenezer war es ihm eine ernstliche Sorge, daß auswandernde Herrnhuter neben oder in zu großer Nähe sich ansiedeln könnten, denn zu Zinzendorf stand U. in einem scharfen Gegensatz. Er beantwortete dessen briefliche Anläufe sehr kurz. Er meinte, daß Zinzendorf mehr ingenium als judicium habe. Wohlthuend ist es aber, daß U. Zinzendorf’s Extravaganzen aufrichtig bedauerte und sehnlich wünschte, derselbe möge zur Nüchternheit und Ruhe gelangen. Als es hieß, daß Zinzendorf erkenne, ‚daß er ehemals anderes statuirt und vieles problematisch aufgeworfen, so wider die reine evangelische Lehre und die Lauterkeit des Glaubens sei‘, setzt U. hinzu: ‚Wenns nur damit seine Richtigkeit hätte. Sollt’ man denn nicht etwas wagen mit ihm, damit er nicht klagen möge, man habe ihn nicht gehört‘ (18.11.1734 an Graf Christ. Ernst zu Stolberg). Von dem thatkräftigen Interesse Urlsperger’s an der Hallischen Mission in Ostindien war schon die Rede. Er war auch Mitbegründer der evangelischen Gemeinde in Smyrna. Als Vorläufer von Werken der inneren Mission lassen sich auch seine Bemühungen um die zahlreichen in Augsburg verkehrenden jungen Kaufleute sowie um die Handwerksburschen erwähnen. Von den 5 Söhnen und 5 Töchtern, die U. geboren wurden, ebenso wie von Schwiegersöhnen und Enkeln starben ihm manche dahin, ein hoffnungsvoller Sohn nach Vollendung seiner theologischen Studien in Halle. Dennoch war es eine stattliche Zahl von Nachkommen, die ihm am 31. August 1763 die 50-jährige Jubelfeier zierten, wobei sein einziger überlebender Sohn Joh. August die Festrede hielt. Als letzterer im J. 1772, kurz vor seinem Dahinscheiden zum Seniorat befördert wurde, war es des Vaters hoher Trost und Freude, daß er aus der ihm vorgelesenen Rede des Sohnes festes Bekenntniß zum alten Väterglauben klar heraushörte. Er war damals ein 87-jähriger Greis und seit sieben Jahren im Ruhestande. Wir besitzen von dem mit einem so weiten Kreise von Personen im Verkehr stehenden Manne verschiedene Bilder, davon allein drei große Folioblätter in Schwarzkunst, eines 1723 von Gottfr. Eichler gemalt und von Bernh. Vogel gestochen, von 1737 und 1750 von Joh. Jak. Haid gemalt und gestochen. Sie bringen auch Urlsperger’s Gedenkspruch: Evangelium Christi eruditio mea. Dazu kommt ein Kupferstich in kl. 8° aus dem J. 1724 nach dem Eichler’schen Gemälde von B. Vogel und ein größerer in 8° nach einem Bilde von Joh. Jak. Haid von G. A. Wolfgang 1750 gestochen. Eine Abbildung der Jubelmünze vom J. 1763 auf dem Titelblatt der „Sammlungen Urlsperger’scher Jubelschriften“ von Jak. Andr. Friedrich in Kupfer gestochen zeigt das Bild des 80-jährigen Greises neben dem seiner 75-jährigen Gattin.

Nachrichten, von dem Sohne Joh. Aug. Urlsperger herrührend, in der Sammlung Urlsperger’scher Jubelschriften und besonders in dem Wohlverdienten Ehrengedächtnis Herrn S. Urlspergers, Augsb. 1773. – L. Renner, Lebensbilder aus der Pietistenzeit. Bremen und Leipzig 1886, S. 329–400. – Handschr. Briefwechsel mit den Grafen zu Stolb.-Wern. im Fürstl. Archiv und die erwähnten Stiche in der Fürstl. Porträtsammlung zu Wernigerode. Vgl. auch J. G. Meusel’s Lex. XIV (1815), 213–215.