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Artikel „Tarnow, Paul“ von Paul Tschackert in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 37 (1894), S. 398–399, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Tarnow,_Paul&oldid=- (Version vom 14. Oktober 2024, 20:26 Uhr UTC)
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Tarnow: Paul T., lutherischer Theologe, † 1633; Oheim des Vorigen (Johann T.) und mit ihm in der theologischen Richtung einig. Paul T. war ebenfalls aus Grevismühlen in Mecklenburg, wo er am 28. Juni 1562 geboren wurde. Er studirte zu Rostock, wirkte anfänglich als Rector zu Parchim, sodann seit 1593 als Rector der Stadtschule zu Rostock. Hier wurde er 1604 Doctor und Professor der Theologie und starb als solcher am 6. März 1633. Er war Schüler von Caselius und Nachfolger von Chyträus, ein „Mann von altem reformatorischen Schrot und Korn“ (Tholuck). Lutherisch fromm, zeigte er gleichzeitig einen hohen Grad geistiger Freiheit, daß er gerade bei der Gelegenheit, als sein Neffe Johann T. wegen seiner wissenschaftlichen Exegese angegriffen wurde, selbst dem berühmten Jenenser Johann Gerhard gegenüber ehrerbietig, aber mannhaft zum Schutz exegetischer Freiheit und zur Abwehr einer traditionell fixirten Schriftauslegung auftrat und auch 1626 freimüthig und gerecht im Streite mit Rathmann verfuhr. In einem freimüthigen, köstlichen Briefe an die Jenenser theologische Facultät vom 28. April 1622 (Epp. ad Meisnerum Vol. I, 615, deutsch bei Tholuck, Geist der Theol. Wittenbergs, 1852, S. 155 ff.) vertheidigte er seinen Neffen wegen seiner Abweichungen von Luther, Chemnitz, Chyträus und Hunnius, da dieselben nicht die fundamentalen Glaubensartikel berührten. „Was … das … zum Fundamente unserer Religion nicht Gehörige betrifft, seien es Schlüsse, seien es Auslegungen jenes einigen Princips, auf dessen Grund Theologen allein streiten sollen, so fürchte ich, daß, wer den Consensus mit Luther und den Uebrigen in allen Stücken für nöthig erklärt, die Schrift selbst, nach welcher wir allzumal stückweise erkennen und stückweise weissagen, die Erfahrung aller Jahrhunderte, ja die ehrwürdigen Häupter unserer Kirche selbst für seine Meinung anzuführen, nicht im Stande sein wird“. Noch deutlicher und muthiger sprach er sich 1624 in einer berühmt gewordenen Rectoratsrede aus, welche den Titel führt „De novo evangelio, quod sit causa omnium calamitatum universum Christianorum orbem inundantium et submergentium“. Darin ist ihm [399] das alte Evangelium das, welches Vergebung der Sünden durch den Glauben an Christum, das neue dagegen das, welches sie durch Kirchengehen und Sacrament verheißt (S. 16). In seiner in demselben Jahre erschienenen Schrift „De sacrosancto ministerio“ ist bemerkenswerth der freie und anerkennenswerthe Gebrauch reformirter Autoritäten, wo diesen der Vorzug gebührt, und das ernste Bekenntniß, daß, trotz der Gegenrede so Vieler, die Seelsorge als ein Stück der geistlichen Amtspflicht anzusehen sei (lib. II, cap. 27). Dem Uebermaße theologischer Disputirlust war er entgegengetreten und mit tiefem Schmerz über die Schäden der Kirche seiner Zeit ist er von hinnen geschieden. Aus diesen Erwägungen ward ihm die Leichenrede über Jer. 51, 9 gehalten: „Wir heilen Babel; aber sie will sich nicht heilen lassen“.

Schriften von Paul T. sind: „De sacrosancto ministerio libri III, in quibus de ministerii evangelici in ecclesiis lutheranis veritate et efficacia etc. agitur etc.“ (Rostock 1623, eine Pastoraltheologie, in welcher sich auch eine fast vollständige Homiletik und ein Capitel vom Katechisiren findet); „De novo evangelio“ (Dissertatio habita in acad. Rostoch. 1624, IX Kal. Maii, beim Antreten des Rectorates, vgl. oben); „De sacrosancta trinitate liber unus, oppositus Fausti Socini refutationi absque autoris nomine Racoviae ante annos triginta primum Polonice deinde Latine editae et huic scripto insertae, qua refellere conatus est, quae de divinitate Filii et Spiritus Sancti Robertus Bellarminus T. I controversiae 2 generalis, lib. primo, et Jacobus Wiekus, Jesuita, peculiari libello scripserunt“ (Rost. 1625); „Censuren und Bedenkens-Copie der Theol. Facultät zu Rostock, die Bücher des sel. Arnd’s und M. Herm. Rathmann’s anregend u. s. w.“ (Danzig 1627, von Rathmann’s Anhängern herausgegeben, enthält das Bedenken der Rostockschen theol. Facultät [P. Tarnow’s] von 1626, die Rathmann’sche Streitigkeit von der Kraft des göttlichen Wortes betreffend, das von Rathmann’s Anhängern erbeten worden war); „In S. Johannis evangelium commentarius, quo verba et phrases ex graeca, hellenistica, hebraea et cognatis linguis explicantur etc. Inserta est arabicae paraphrasis a … Thoma Erpenio editae latina translatio etc.“ (Rostock 1629).

Zu vgl. Etwas von gelehrten Rostockschen Sachen (1737 ff.) V, 217 ff. – Zedler’s Universallexikon Bd. 41 (1744) Sp. 1854 ff., wo auch Tarnow’s orationes und disputationes aufgeführt sind und noch Witte, Memoria theologorum und Freher’s Theatr. erudit. citirt werden. – Krey (Joh. Bernh.), Die Rostockschen Theologen seit 1523, S. 19 ff. – A. Tholuck, Der Geist der luth. Theologen Wittenbergs (1852) S. 155 ff. – Derselbe, Vorgeschichte des Rationalismus. I. Theil: Das akad. Leben, 2. Abth. (1854) S. 102. – Gust. Frank, Gesch. d. prot. Theol., I. Thl. (1862) S. 333.