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Artikel „Stepling, Joseph“ von Siegmund Günther in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 36 (1893), S. 102–103, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Stepling,_Joseph&oldid=- (Version vom 24. Dezember 2024, 17:42 Uhr UTC)
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Stepling: Joseph St., Astronom, geboren am 29. Juni 1716 zu Regensburg, † am 11. Juli 1778 zu Prag. Mit seiner verwittweten Mutter, die aus Böhmen stammte, während der Vater Beamter beim Regensburger Reichstage gewesen war, kehrte St. als Knabe in ersteres Land zurück und ward in Prag der Jesuitenschule übergeben. In den mathematischen Fächern zeichnete er sich bald so aus, daß er mit 17 Jahren die Elemente der am 28. Mai 1733 eingetretenen Mondfinsterniß vorauszuberechnen im Stande war, und während bis dahin der Orden dem Jüngling, seiner körperlichen Schwachheit halber, die Zulassung zum Noviziate beharrlich verweigert hatte, gestattete er jetzt sofort die Aufnahme. In Brünn, Olmütz, Glatz, Schweidnitz verlebte St., wesentlich auf private Studien angewiesen, die nächsten Jahre, bis er von 1743 an in Prag seinen Lieblingswissenschaften sich ganz widmen durfte. Als er 1748 mit Vorträgen über die übliche aristotelische Schulphilosophie beauftragt wurde, lehnte er mit einer unter den obwaltenden Verhältnissen gewiß höchst achtungswerthen Gewissenhaftigkeit diesen Lehrauftrag ab, weil er mit der scholastischen Tradition nicht einverstanden sei, und seine Oberen ließen mit charakteristischer Klugheit die Entschuldigung gelten, indem sie ihm nunmehr den Unterricht in Mathematik und Experimentalphysik am Prager Jesuitencollegium übertrugen. Seine Vorstellungen bewirkten, daß man ihm im Clementinum die noch heute bestehende Sternwarte erbaute, und da es für die Ausrüstung derselben an Geld fehlte, so schaffte der neue Director die wichtigsten Instrumente auf eigene Kosten an. Im J. 1752 wurde er von der Kaiserin zum Director der philosophischen Facultät der Universität Prag ernannt und entfaltete als solcher eine ebenso rege wie [103] segensreiche Thätigkeit, indem er dem veralteten Unterrichtswesen neue Bahnen anwies, die Pflege der Naturwissenschaften empfahl und auf die Begründung eines physikalischen Cabinets hinwirkte. Als die Gesellschaft Jesu 1773 aufgehoben wurde, gingen alle Exjesuiten von ihrer Stellung an der Hochschule ab; nur St. behielt dieselbe als Director der mathematisch-naturwissenschaftlichen Studien bis zu seinem Tode. Sein College Wydra, bekannt durch sein Geschichtswerk über die Pflege der Mathematik in Böhmen und Mähren, hielt dem Verstorbenen eine lateinische Leichenrede, und in der Clementinischen Bibliothek wurde, auf Maria Theresia’s Anordnung, sein Denkmal aufgestellt; diese Anstalt war von ihm mit einer reichen Bücherschenkung bedacht worden. St. stand mit den bedeutendsten Forschern seiner Zeit, mit Boscovich, Lacaille, Euler, Hell, Nollet, früher auch mit C. v. Wolf, in stetem Briefwechsel und war Mitglied mehrerer gelehrter Gesellschaften. Für die von I. v. Born ins Leben gerufene „Privatgesellschaft in Böhmen“, aus welcher sich nachmals die bekannte „Königliche Gesellschaft“ entwickelte, bethätigte der hochgeachtete Mann das lebhafteste Interesse und bereicherte ihre Denkschriften mit einer Fülle verdienstlicher Arbeiten.

Seine litterarische Wirksamkeit war überhaupt eine höchst vielseitige, und vieles, was er schrieb, darf den besten Producten seiner Zeit an die Seite gestellt werden, wie er denn im Vereine mit Boscovich und Bürg gewiß als einer der ersten österreichischen Mathematiker des vorigen Jahrhunderts bezeichnet werden muß. Er bestimmte genauer die geographischen Coordinaten von Prag, erörterte in besonderen Abhandlungen die damals neuen Erscheinungen der Aberration und Nutation, schrieb über Ballistik, Nordlichter, Gefrieren des Wassers, den Venusdurchgang von 1761, sowie mehrere Male über Erdbeben, mit denen er Veränderungen der Teplitzer Quellen in Causalverbindung brachte. Die Ansicht des Danziger Physikers Kühn, daß die Fläche des ruhenden Meeres eine ganz unregelmäßige sei, bekämpfte er energisch, und wahrscheinlich steht mit dieser Polemik ein ausführlicherer Tractat über die wahre Erdgestalt in Zusammenhang, welchen er handschriftlich hinterlassen haben soll. Auch in der Vorgeschichte der modernen Lehre von den Meteoriten ist sein Name zu nennen wegen einer Schrift, welche den Titel führt „De pluvia lapidea anni 1753 apud Strkow, pagum Bohemiae, et ejus causis meditatio“ (Prag 1754). Aber auch mit reiner Mathematik beschäftigte sich St. Er gab das zweite Buch der euklidischen Elemente in algebraischer Darstellung heraus (Prag 1756), schrieb Commentare zu den Werken Joh. Bernoulli’s und Kästner’s und bewies in seinen „Excercitationes geometrico-analyticae De ungulis aliisque frustis cylindrorum etc.“ (Prag 1751, 2. Auflage Dresden-Leipzig 1760, deutsch im I. Bande der erwähnten Denkschriften, 1775), daß er die Integralrechnung mit großer Sicherheit zu beherrschen und auf geometrische Probleme anzuwenden verstehe. Die „Institutiones physicae“ des Jesuiten Sagner enthalten in ihrem astronomisch-mechanischen Theile wesentlich die von St. hinterlassenen Collegienhefte.

Wydra, Vita admodum reverendi ac magnifici viri Josephi Stepling, Prag 1779. – Pelzel, Abbildungen böhmischer und mährischer Gelehrter und Künstler IV, 164 ff. Prag 1782. De Backer, Bibliothèque des écrivains de la compagnie de Jésus, VI. série, p. 676 ff. Liège 1861. – v. Wurzbach, Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich, 38. Theil, S. 227 ff. Wien 1879.