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Artikel „Euler, Leonhard“ von Moritz Cantor in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 6 (1877), S. 422–431, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Euler,_Leonhard&oldid=- (Version vom 19. März 2024, 02:09 Uhr UTC)
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Euler: Leonhard E., Mathematiker, geb. 15. April 1707 in Basel, gest. 18. Septbr. 1783 in St. Petersburg. Paul Euler, ein hochgebildeter Geistlicher, der namentlich seiner Neigung zu den mathematischen Wissenschaften dadurch besondere Nahrung verliehen hatte, daß er den Unterricht des großen Jakob Bernoulli genoß, unter dessen Vorsitze er sogar den 8. Octbr. 1688 De rationibus et proportionibus disputirte, war mit Margaretha Brucker aus einem Basler Gelehrtengeschlechte vermählt. Kurz nach der Geburt des Söhnchens, Leonhard E., kam der Vater als Prediger nach Riechen, wo er in dem Knaben den lernbegierigsten Schüler erzog, der vorwiegend die väterliche Freude an mathematischen Dingen geerbt hatte und bald diesen Wissenszweig zu seinem Berufe erwählte, zwar nicht im Einverständnisse mit dem Vater, welcher eine geistliche Laufbahn auch für ihn im Sinne hatte, aber doch ohne erheblichen Widerstand in Ausführung seines Entschlusses zu finden. Noch sehr jung bezog Leonhard E. die Universität Basel, besonders als Schüler von Johannes Bernoulli, welcher den talentvollen Jüngling alle Sonnabend zu sich einlud, um ihm etwa aufgestoßene Zweifel zu lösen, während E. dadurch veranlaßt wurde, nur um so eifriger im eigenen Nachdenken sich zu üben, um auf des Lehrers Fragen jeden Zweifel, jede Unklarheit in Abrede stellen zu können. Bereits 1723 erlangte Leonhard E. die Magisterwürde auf Grund einer in lateinischer Sprache vorgetragenen Vergleichung der Newton’schen und Cartesischen Philosophie, dann trieb er eine kurze Zeit vorwiegend Theologie und orientalische Sprachstudien, bis er aufs neue und jetzt für immer zur Mathematik zurückkehrte, Studiengenosse und Freund der beiden um 12 und 7 Jahre älteren Brüder Nikolaus und Daniel Bernoulli, der Söhne von Johann Bernoulli. Das Jahr 1725 zerriß diesen schönen Bund, indem die beiden Brüder nach Petersburg berufen wurden, wo Kaiserin Katharina I. soeben in Ausführung eines Entwurfes Peters des Großen die Akademie eröffnete. Die Freunde versprachen E. bei der Trennung ihn bald nachziehen zu wollen, und nachdem Nikolaus im Juli 1726 frühzeitig dem ungewohnten Klima zum Opfer gefallen war, gelang es dem überlebenden Daniel Bernoulli in Gemeinschaft mit einem andern aus Basel stammenden Mitgliede der Petersburger Akademie, Jakob Hermann, das Versprechen zur Erfüllung zu bringen. E. wurde als Adjunct für das mathematische Fach an die Akademie berufen. Er war eben 20 Jahre alt; er hatte nach der Abreise seiner Freunde physiologische Studien getrieben, hatte sein erstes Buch: „Dissertatio physica de sono“, einen dünnen Quartband, in Basel veröffentlicht, hatte das Accessit eines von der französischen Akademie ausgeschriebenen Preises mit einer Abhandlung über die Bemastung der Schiffe davongetragen, während der Preis selbst dem berühmten Verfasser des Traité de navigation, Pierre Bouguer, zu Theil wurde – bedeutsame Anfänge, aber doch nur Anfänge, so daß die Berufung nach Petersburg mehr ein Vertrauen auf künftige Leistungen als eine Anerkennung erworbener Verdienste darstellt. E. hatte sich inzwischen um eine in Basel erledigte Professur der Physik beworben; er war zur dort gebräuchlichen Loosziehung zugelassen worden, aber bei der Ziehung selbst unterlegen; er nahm daher den Ruf nach dem Norden an und betrat das russische Gebiet am 17. Mai 1727, am Todestage der Kaiserin Katharina I. Die Regierung Peters II. war rein wissenschaftlichen Bestrebungen entschieden ungünstig. E. war daher froh als Schiffslieutenant in den russischen Flottendienst eintreten zu können, bis mit der Thronbesteigung Anna’s I. im Februar [423] 1730 wieder bessere Zeiten begannen, bessere namentlich für E., der jetzt eine durch die Abreise von Hermann und von Bilfinger freigewordene Professur der Physik, dann nach Rückkehr von Daniel Bernoulli in die Schweiz 1733 die dadurch erledigte Stelle eines Mitgliedes der Akademie erhielt. Hatte E. bis dahin die Liste seiner Arbeiten nur um 6 Abhandlungen vermehrt, welche 1729 und 1732 erschienen waren, so begann jetzt die Zeit seiner geistigen Kraftentfaltung. 1735 sollten gewisse genaue astronomische Tafeln berechnet werden. Die Mathematiker der Akademie erklärten sich, jeder einzeln, bereit die Arbeit auszuführen, wenn eine Frist von einigen Monaten gegeben würde; E. machte sich anheischig binnen 3 Tagen die Rechnung zu vollenden und hielt Wort. Die Anstrengung warf ihn aufs Krankenlager, von dem er sich nur mit Verlust des rechten Auges wieder erhob. Trotzdem verließ im folgenden Jahre 1736 seine „Mechanik“ in 2 starken Quartbänden die Presse, dasjenige Werk, welches E. zu einem Gelehrten von europäischem Rufe machte, indem hier das Bedürfniß nach einem Lehrgebäude der Mechanik befriedigt wurde, welches zum ersten Male die Errungenschaften der Infinitesimalrechnung sich einverleibte und nach den neuen Methoden bewies. Wir werden die nachfolgenden wissenschaftlichen Leistungen Euler’s späterhin zusammenhängend zu behandeln suchen und nunmehr nur auf seine Lebensschicksale eingehen, welche bis zu einem gewissen Grade auch die Schicksale des russischen Reiches und der Petersburger Akademie bedeuten. Kaiserin Anna I. starb den 28. Octbr. 1740, und mit ihrem Tode begannen Palastrevolutionen, welchen erst nach Jahresfrist die Thronbesteigung von Kaiserin Elisabeth den 16. Decbr. 1741 ein Ende machte. Während dieser Zwischenzeit gelangte an E. ein Ruf an die Berliner Akademie, deren Erneuerung seit Friedrichs Regierungsantritt ein Lieblingsgedanke des großen Königs war. E. folgte dem Rufe im Juni 1741 und wurde 1744 zum Director der mathematischen Classe dieser jetzt erst neugestalteten gelehrten Körperschaft ernannt. Bei der Uebersiedelung nach Berlin begleiteten E. seine Gattin Katharina Gsell, die Tochter eines durch Peter d. Gr. nach Rußland gezogenen Malers aus St. Gallen, welche ihm seit 1733 angetraut war, und die ältesten seiner Kinder. Die Familie vermehrte sich bis auf 13 Kinder, von welchen jedoch 1766 nur noch fünf, 3 Söhne und 2 Töchter, neben beiden Eltern am Leben waren, und auch von diesen sollten die Töchter noch vor dem Vater sterben. Ebenso mußte er den Tod seiner Gattin betrauern. Häusliche Verhältnisse nöthigten ihn im hohen Alter 1776 zu einer neuen Ehe mit Salome Abigael Gsell, der Stiefschwester seiner ersten Frau. Als E. Berlin erreichte, fand er Friedrich II. nicht mehr vor, welcher bereits in Schlesien eingefallen war und damit die Reihe der Kriegsjahre eröffnet hatte, welche erst 1763 zu Ende gingen. Die Königin-Mutter, die gern mit Gelehrten umging, empfing dafür den neuen Ankömmling aufs leutseligste. E., an Vorsicht in seinen Bemerkungen und Aeußerungen gewöhnt, war in diesen Unterredungen sehr einsilbig, so daß die Königin ihn darüber zur Rede stellte. Die Antwort Euler’s lautete: „Ich komme aus einem Lande, wo man gehängt wird, wenn man spricht.“ Der König selbst fand im Feldlager zu Reichenbach Zeit, am 4. Septbr. 1741 folgendes eigenhändige Billet an E. zu richten: „Monsieur Euler. J’ai été bien aise d’apprendre que vous étes content de votre sort et établissement présent. J’ai donné les ordres nécessaires au grand Directoire pour la pension de 1600 écus que Je vous ai accordée. S’il y a encore quelque chose dont vous aurez besoin, vous n’avez qu’à attendre mon retour à Berlin. Je suis votre bien affectionné Roy Federic.“ Dieses Billet bildete übrigens nur den Anfang eines förmlichen Briefwechsels, dessen Veröffentlichung auch heute noch zu wünschen wäre, da der Inhalt vielfach wissenschaftlicher Natur ist. Weit wichtiger freilich wäre die Auffindung der Briefe von E. [424] an Joh. Bernoulli und an dessen Sohn Daniel zur Vervollständigung der von diesen Gelehrten an E. gerichteten Briefe, welche ebenso wie der ungemein interessante Briefwechsel zwischen E. und Goldbach auf Veranlassung der Petersburger Akademie 1843 zum Drucke befördert wurden. Aus den den Jahren 1728–46 angehörenden Briefen von Joh. Bernoulli, aus den Briefen Daniel Bernoulli’s (1726–55) leuchtet auf jeder Seite die an Ehrfurcht grenzende Hochachtung hervor, welche diese nichts weniger als leicht zu befriedigenden Gelehrten gegen den jüngeren Fachgenossen empfanden. Auch sonstige äußere Anerkennung fehlte nicht, und nur beispielsweise sei erwähnt, daß die Pariser Akademie ihn 1755 in einer ganz ungewöhnlichen Weise auszeichnete. Diese Körperschaft zählt bekanntlich eine ganz bestimmte Anzahl auswärtiger Mitglieder. Als nun 1755 durch den Tod Moivre’s eine solche auswärtige Mitgliedschaft frei wurde, ernannte König Ludwig XV. auf besonderen Antrag der Akademie zwar Lord Maclesfield an Moivre’s Stelle, außerdem aber noch E. als überzähliges auswärtiges Mitglied, sodaß die zunächst eintretende Vacanz nicht zu besetzen sein würde. „L’Académie désirait vivement de Vous voir associé à ses travaux, et Sa Majesté n’a pu qu’adopter un témoignage d’estime que vous méritez à si juste titre.“ Das sind die Worte, mit denen der Minister d’Argenson am 15. Juni 1755 die Ernennung mittheilt. Wie verdient übrigens gerade diese Auszeichnung von Seiten der Pariser Akademie war, dafür kann eine zwei Jahre ältere Stelle aus einem Briefe Euler’s an Goldbach als Beleg dienen. Er schreibt am 3. April 1753: „Ew. haben die Güte sich zu erkundigen, wie viel Mal ich schon bei der Akademie zu Paris den Preis erhalten? Weil ich solches nicht aufgeschrieben und auch von meinen Piècen keine Copien behalten, so kann ich weder die Jahre, noch den Theil des Preises, so ich jedesmal bekommen, genau melden. Ich habe aber bey folgenden Fragen den Preis davongetragen: I. Sur la nature du feu. II. Sur le cabestan. III. Sur le flux et le reflux de la mer. IV. Sur la théorie de l’aimant. V. Sur l’observation de l’heure du jour sur mer. VI. Sur les inégalités de Saturne. VII. Sur la même question.“ Man sollte vermuthen, ein Aufenthaltsort, an welchem solche Erfolge erzielt wurden, müßte E. besonders lieb geworden sein. Dem war nicht so. So lange er in Berlin war, diente er freilich dem preußischen Staate nach bester Einsicht. Die Herstellung eines Canals zwischen der Havel und Oder, Methoden der Ausbeutung der Schönebeck’schen Salzwerke, Gutachten über die Wasserwerke zu Sanssouci, auch über Lotterieplane und andere Finanzfragen, Rathschläge zur Besetzung von Lehrstellen an der Universität Halle sind ebensoviele Verdienste Euler’s. Auch sonst machte er sich dem Hofe nützlich, z. B. durch den Unterricht, welchen er den Töchtern des Markgrafen von Brandenburg-Schwedt ertheilte, deren älteste, nachmals Aebtissin zu Herford, die Adressatin jener oft gedruckten, in viele Sprachen übersetzten „Lettres à une Princesse d’Allemagne sur quelques sujets de Physique et de Philosophie“ war, in welchen wir eine gewisse Aehnlichkeit mit Fontanelle’s „Entretiens sur la pluralité des mondes“ erkennen dürfen. Seine Anhänglichkeit an dasjenige Land, in welchem man ihm als Jüngling so entgegenkommend sich erwiesen hatte, blieb jedoch immer vorwaltend. Immerfort liegen die Geschicke der Petersburger Akademie ihm am Herzen, immer betheiligt er sich von Berlin aus mit reichen Beiträgen an ihren Veröffentlichungen, endlich kam eine Befürchtung hinzu, welche E. gegen Goldbach am 1. Octbr. 1763 brieflich laut werden ließ, die Akademie zu Berlin gehe einer neuen ihm unangenehmen Reorganisation entgegen, und setzte er hinzu: „So sehr ich mich vor einer nochmaligen Ortsveränderung entsetze, so würde ich mich doch in diesem Fall dazu entschließen müssen, und nichts würde mich dabei herzlicher erfreuen, als Ew. nochmals sehen [425] zu können.“ Diese Andeutung scheint auf fruchtbaren Boden gefallen zu sein. In Rußland war Katharina II. seit Juni 1762 zur Regierung gelangt, und unter ihrer Herrschaft erblühten die Wissenschaften aufs neue, genährt durch Männer, welche die Kaiserin, darin ihrer Namensschwester nachahmend, von auswärts in das Land zog. Auch mit E. wurden Unterhandlungen angeknüpft, welche sich nur dadurch in die Länge zogen, daß Friedrich II. weder in die Entlassung Euler’s noch in die seines im preußischen Heer dienenden dritten Sohnes Christoph willigen wollte. Erstere konnte schließlich nicht verweigert werden, und so kehrte E. im Juni 1766 von Berlin nach Petersburg zurück, wohin später auf die nachdrückliche Vermittlung Katharina’s II. auch der Sohn nachfolgen durfte. Ihm war der für damals sehr hohe Jahresgehalt von 3000 Rubeln bewilligt worden, die Zusicherung einer Pension von 1000 Rubeln für seine Wittwe und der vortheilhaftesten Versorgung seiner drei noch lebenden Söhne Johann Albert, Karl und Christoph, und als Antrittsgeschenk erhielt er bei der Ankunft in Petersburg von der Kaiserin 8000 Rubel zum Kaufe eines Hauses. Kaum hatte er in diesem Hause sich wohnlich eingerichtet, so befiel ihn eine heftige Krankheit, welche mit dem Verluste auch des linken Auges endigte. Zwar gelang eine 1772 durch den berühmten Augenarzt Baron v. Wentzel an E. vorgenommene Staaroperation, allein das Augenlicht war ihm nur auf kurze Zeit wiedergegeben. Bei mangelnder Schonung erlosch es sehr bald wieder unter heftigen Schmerzen, und so kann man wol E. als seit dem Herbst 1766 beider Augen für immer beraubt nennen. Ein blinder Mathematiker des 18. Jahrhunderts! Um den ganzen Widerspruch dieser Wortverbindung zu begreifen, muß man selbst in dem Fach bewandert sein, muß die Methoden jener Zeit durch und durch kennen, welche theils auf verwickelten Figuren mit zahlreichen Hülfslinien, theils auf langathmigen Rechnungen mit weitschichtigen Formeln beruhen, muß erfahren haben, daß jeder gelungenen Entdeckung vielfache mißlungene Versuche vorauszugehen pflegen, deren Mißlungensein selbst ohne Hülfe der Augen kaum nachweisbar erscheint. In der That hat die Geschichte der Mathematik nur zwei Namen von Blinden aufgezeichnet: Leonhard E. und Nikolaus Saunderson. Aber welcher Unterschied zwischen trippelnden Kinderschrittchen, mit welchen der Eine kaum die Grenzen des Altbekannten zu überschreiten wagt, eigentlich nur seinem körperlichen Gebrechen dafür verpflichtet ist, daß sein Name der Vergessenheit vorenthalten blieb, und den Riesensprüngen, mit welchen der andere das weite Gebiet des Unerforschten durchjagt, ein kaum zu überholender Wettkämpfer selbst für sehende Nebenbuhler, außer für den sehenden E. Das freilich muß zugestanden werden, daß die bedeutsamsten Werke Euler’s, z. B. von seinen selbständig erschienenen Schriften der Reihe nach außer der früher genannten „Mechanik“ eine „Theorie der Musik“ (1739), die „Methodus inveniendi lineas curvas maximi minimive proprietate gaudentes“ (1744), die „Theoria motus Planetarum et Cometarum“ (1744), die „Introductio in analysin infinitorum“ (1748), die „Institutiones calculi differentialis“ (1755), um nur einige zu nennen, in der Periode vor 1766 entstanden sind, während allerdings auch die folgende Periode außer den „Lettres à une Princesse d’Allemagne“ (1768–1772) die „Institutiones calculi integralis“ (1768–1770), die „Dioptrica“ (1769–1771), die „Anleitung zur Algebra“ (1770), die „Theoria motuum lunae nova methodo pertractata“ (1772) aufzuzeigen hat, ohne auch hier Vollständigkeit der Aufzählung zu beanspruchen. Mehrere Umstände vereinigten sich, E. diese fortgesetzte, großartige wissenschaftliche Thätigkeit möglich zu machen. E. besaß ein wunderbares Gedächtniß. Er wußte die ganze Aeneide vom Anfange bis zum Ende herzusagen und sah dabei geistig sein Handexemplar so deutlich vor Augen, daß er den ersten [426] und letzten Vers einer jeden einzelnen Seite anzugeben wußte. Ein anderes Beispiel bezieht sich auf sein letztes Lebensjahr. Er gab zum Zeitvertreib vier Enkeln Unterricht in Rechenkunst und Geometrie. Als er an die Lehre von den Wurzelausziehungen kam, berechnete er, um passende Beispiele zu haben, in einer schlaflosen Nacht die sechs ersten Potenzen aller Zahlen unter 20, und er sagte dieselben noch mehrere Tage nachher ohne Anstoß her. E. besaß aber auch in hohem Grade die Fähigkeit, im Geiste Lageveränderungen von Raumgebilden vorzunehmen, welche zu geometrischen Untersuchungen so außerordentlich nützlich ist, und welche außer bei Geometern auch bei bedeutenden Schachspielern angetroffen wird, so daß wir uns nicht zu verwundern haben, wenn E. diesem an die Grenzen einer Wissenschaft streifenden Spiele zugethan war und wie er am 3. Juli 1751 schreibt, die unvermuthete Abreise des durch gute Führung seiner Bauern besonders berühmten Philidor aus Potsdam gar sehr bedauerte, „sonsten würde ich wol Gelegenheit gefunden haben mit ihm zu spielen“. Nicht minder wichtig war aber auch für Euler’s Schaffen und Wirken die treue Anhänglichkeit einiger Mathematiker, welche neben dem Platze, den die eigenen Leistungen ihnen in der Gelehrtengeschichte sicherten, sich ein zweites Anrecht auf die Erinnerung der Menschheit durch die Selbstlosigkeit erwarben, mit welcher sie Zeit und Kräfte dem blinden Meister zur Verfügung stellten. Zu nennen sind Euler’s ältester Sohn Johann Albert, dann die Akademiker Krafft, Lexell, Golovin, seit 1773 ausschließlich Nikolaus Fuß. Die Art, in welcher E. mit diesen Gehülfen arbeitete, hat eine Famlientradition aufbewahrt. E. hatte in seinem Arbeitszimmer einen großen, mit einer Schiefertafel bedeckten Tisch, um welchen herum er täglich zu regelmäßig wiederkehrenden Zeiten Spaziergänge zu machen pflegte, mit der Hand längs dem Tischrande hingleitend, wovon dieser glatt und glänzend wie polirtes Holz geworden war. Auf dieser Tafel nun entwarf der blinde E. mit Kreide in groben Zügen die Skizzen seiner Gedanken und erläuterte dieselben seinen Schülern, sobald sie ihn besuchten, damit sie die Ausarbeitung durchführten, welche ihm alsdann vorgelesen und meistens von ihm gebilligt, sofort der Akademie zum Abdrucke übergeben wurde. Das Unglück der Blindheit war nicht das einzige, was E. traf. Eine Feuersbrunst zerstörte 1771 sein Haus, und wenn auch die Freigebigkeit der Kaiserin ein Geschenk von 6000 Rubeln zur neuen Einrichtung beisteuerte, dafür konnte kein Ersatz geleistet werden, daß E. nunmehr im neuen Hause seine Blindheit jeden Augenblick frisch empfand, während er im alten Hause mit jeder Ecke, jedem Winkel genau bekannt sein Gebrechen mitunter beinahe vergessen durfte. Und dennoch war es gerade in jener Zeit, daß er die obengenannten Mondtheorien ausarbeitete, ein Meisterwerk ersten Ranges! Um so begreiflicher wird die tiefe Verehrung, welche alle, denen für Geistesgröße ein Verständniß innewohnte, gegen E. hegten und wovon ein Beispiel zeugen mag, welches die Fürstin Daschkoff in ihren Memoiren (deutsche Ausgabe, Hamburg 1857, Bd. II., S. 34 ff.) erzählt. Ein gewisser Domaschneff war bis 1782 Director der Petersburger Akademie der Wissenschaften und hatte durch Bestechlichkeit und Unfähigkeit sich als solchen unmöglich gemacht. Vielleicht veranlaßt durch Briefe Euler’s, worin die verderblichen Wirkungen des Verfahrens dieses Directors geschildert waren, entfernte Katharina II. „das Geschöpf, den Domaschneff“, und ernannte an seine Stelle, der Sitte jedes anderen Landes noch mehr als selbst in Rußland zuwider handelnd, ihre geistvolle Freundin, die Fürstin Daschkoff, zum Director. Diese, die Seltsamkeit ihrer neuen Stellung erkennend, begab sich vor der ersten Sitzung, welcher sie anwohnen sollte, zu E. und bat ihn um seine Begleitung, worauf sie in ihrer Antrittsrede sich geradezu unter seinen geistigen Schutz stellte. Als nun die Fürstin nach dieser Begrüßung sich auf den Sessel des Directors niederließ, nahm ihrer [427] Erwartung entgegen nicht E. den Platz neben ihr ein, sondern ein Professor der Allegorie, Schtelinn, welcher diesen Titel und den Charakter als Staatsrath noch Peter III. verdankte und darauf seinen Vorrang stützte. Die Fürstin dagegen wandte sich sofort zu E. mit den Worten: „Setzen Sie sich, wohin Sie wollen, und der Sitz, den Sie wählen, der wird natürlich der erste von allen.“ Sämmtliche Anwesende, mit Ausnahme des Professors der Allegorie, theilten das Gefühl des Entzückens und der Billigung über diesen unerwarteten Tribut der Achtung. Es sollte einer der letzten sein, die E. zu Theil wurden. In den ersten Septembertagen 1783 begannen Schwindelanfälle, welche E. zwar nicht hinderten, mit Rechnungen sich zu beschäftigen, welche auf die damals ziemlich neue Erfindung der Gebrüder Montgolfier, auf den Luftballon sich bezogen, aber immer stärker werdend am 18. September Nachmittags, während er am Theetische mit einem Enkel scherzte, zu einem Schlagflusse sich steigerten. Mit den Worten: „ich sterbe“ sank E. bewußtlos zusammen, einige Stunden später hatte einer der größten Mathematiker aller Zeiten geendet. Die Liebenswürdigkeit seines Wesens wurde durch seine Heftigkeit kaum beeinträchtigt, denn wenn er auch geneigt war, leicht aufzufahren, so bildete doch Gerechtigkeit den hervorragendsten Grundzug seines Charakters, und untrennbar von dieser war die Anerkennung fremden Verdienstes, war eine gewisse milde Versöhnlichkeit, die ihn unfähig machte, einen noch so heftigen Zorn in andauernden Groll übergehen zu lassen. Gleich den meisten großen Mathematikern war E. tief religiös ohne Bigotterie. Er leitete selbst die allabendliche Hausandacht seiner Familie, und eine der wenigen polemischen Schriften, die er verfaßte, war seine „Rettung der Offenbarung gegen die Einwürfe der Freygeister“, deren Veröffentlichung 1747 in Berlin in nächster Nähe des Hofes Friedrichs d. Gr. einen gewissen sittlichen Muth voraussetzte, welcher über die Angriffe bloßer Spötter sich erhaben fühlt. Endlich kommen wir zu Euler’s wissenschaftlicher Thätigkeit, deren Frucht 32 Quartbände und 13 Octavbände selbständiger Werke, daneben mehr als 700 zum Theil sehr umfangreiche Abhandlungen bilden, eine Fülle von Schriften, welche in einer Gesammtausgabe in Quart mindestens 2000 Druckbogen einnehmen würden. Kaum in einer Universalgeschichte der Mathematik würde eine ausführliche Schilderung der Entdeckungen Euler’s in allen Theilen, mit welchen er sich beschäftigte, gerechtfertigt werden können. Um so viel kürzer müssen wir uns fassen. Vor allen Dingen werden wir davon absehen müssen, genaue Nachweise zu liefern, wo die einzelnen Leistungen Euler’s ihre Veröffentlichung fanden, wir werden vielmehr nur die hauptsächlichen Leistungen selbst nach ihren Gebieten geordnet übersichtlich zu machen suchen. Da zeigt es sich denn freilich, daß wir sämmtliche Gebiete der reinen und angewandten Mathematik zu berühren haben werden, kaum mit Uebergehung derer, welche erst durch die Forschungen der letzten 50 Jahre neu eröffnet wurden. In der Trigonometrie führte E. die zur Symmetrie der Formeln so wichtige Bezeichnung ein, Seiten und gegenüberliegende Winkel im Dreiecke durch einander entsprechende kleine und große Buchstaben zu benennen; er lehrte auch sämmtliche Gleichungen der sphärischen Trigonometrie analytisch ableiten, nachdem eine derselben geometrisch nachgewiesen ist. In der Stereometrie hat Euler’s Satz, daß die Zahl der Seitenflächen und Ecken eines Vielflächners zusammen die der Kanten um 2 übertreffe, erst die Möglichkeit einer allgemeinen Polyedrometrie eröffnet. In der analytischen Geometrie deutete E. das Paradoxon, wieso zwei Curven eines gewissen Grades sich in mehr Punkten schneiden können, als zur Definition einer jeden erforderlich sind; unterschied er Gattungen der algebraischen Curven 3. und 4. Grades je nach der Anzahl ihrer ins Unendliche verlaufenden Zweige; unterschied er die verschiedenen Gattungen von Oberflächen zweiten Grades; ebenso bemerkte E., daß der Uebergang [428] von einem Systeme dreier zu einander senkrechten Axen zu einem anderen ähnlichen Systeme mittelst dreier jeweils[WS 1] in reiner Ebene vollzogenenen Drehungen stattfindet, und gründete darauf die nach ihm benannten Formeln zur Coordinatenveränderung; seine Entdeckung ist die Lehre von der Krümmung der Oberflächen, namentlich kannte er schon die beiden zu einander senkrechten Hauptkrümmungskreise einer Fläche in jedem ihrer Punkte. Wenden wir uns nun zu den aus der Arithmetik entspringenden Theilen der Mathematik, so hat es E. nicht verschmäht, ein Lehrbuch dieses elementarsten Theiles selbst zu schreiben, welchem dann die drei anderen weltbekannten Lehrbücher der Analysis, der Differentialrechnung, der Integralrechnung folgten, und der Zeit nach als letztes, dem Inhalte nach vorangehend, ein Lehrbuch der Algebra. Alle diese Lehrbücher sind Meister- und Musterwerke, aus welchen auch heute noch vieles zu lernen ist. Die heutige sogenannte algebraische Analysis stammt recht eigentlich von E. her, wenn auch die Lehre von der Convergenz der unendlichen Entwicklungsformen ihm unbekannt oder unwichtig war. Die meisten Eigenschaften der Binominalcoefficienten der Reihenentwicklungen für trigonometrische wie für cyklometrische Functionen, die Erfindung der hypergeometrischen Reihe, die analytische Verwerthung von Kettenbrüchen und Factorenfolgen, sie alle gehören E. eigenthümlich an. Er endlich hat eine Entdeckung gemacht, welche wol als die folgewichtigste in diesem Capitel der Wissenschaft betrachtet werden muß, indem er den Zusammenhang zwischen Exponentialgrößen und trigonometrischen Functionen, sowie die Vieldeutigkeit der Logarithmen erkannte, also das Gebiet der Analysis der complexen Zahlen eröffnete. In der Theorie der Gleichungen schreibt sich E. selbst am 15. Decbr. 1742 schon den Fundamentalsatz zu, mit dessen strengem Beweise Gauß seine Laufbahn eröffnen sollte, den Satz, daß jedes Gleichungspolynom sich in reelle binome und trinome Factoren vom 1. und 2. Grade zerlegen lasse. In dem ersten Theile der Infinitesimalrechnung, in der Differentialrechnung, war verhältnißmäßig am wenigsten mehr zu thun; hier hatte durch die Erfinder bereits ein Grad von Ausbildung sich erreichen lassen, welcher Veranlassung gab, den Bau mehr auf die Güte seines Fundamentes als auf die Fortführung in die Höhe zu prüfen. E. hat auch wirklich in der Begründung sich von seinen beiden Vorgängern entfernt. Weder die im Flusse begriffenen Größen Newton’s, noch die unendlich kleinen Differentialien Leibnitzens entsprachen seinem Bedürfnisse nach zweifelloser Klarheit, und hat die neuere Mathematik dem Ersatzmittel Euler’s, welches darin besteht, den Differentialquotienten als Verhältniß zweier Nullen zu denken, auch nicht ganz beizustimmen vermocht, so hat sie wenigstens seine Abneigung gegen die wegen ihrer Kleinheit zu vernachlässigenden Unterschiede Leibnitzens geerbt, eine Abneigung, die bei E. übrigens bezüglich der Differentialrechnung erst abgeleiteter Natur war, ursprünglich gegen die ganze Monadenlehre sich erklärend, gegen welche er schon 1746 (also 9 Jahre vor dem Erscheinen seiner Differentialrechnung) ein eigenes Buch: „Gedanken von den Elementen der Körper“ geschrieben hatte. Der zweite Theil der Infinitesimalrechnung, die Integralrechnung hat E. ungemein viel zu verdanken. Abgesehen von der Kunstfertigkeit, welche er bei Auffindung einer großen Zahl von unbestimmten Integralen an den Tag legte, ist E. als der Schöpfer der Lehre von den bestimmten Integralen zu betrachten, für deren Auswerthung er namentlich schon die Differentiation nach einem Parameter, sowie die Benutzung von Doppelintegralen anwandte, und die sogenannten Euler’schen Integrale führen mit gleichem Rechte seinen Namen, wie die Euler’sche Constante, welche bei der Entwicklung des Integrallogarithmus und anderer Transcendenten eine wichtige Rolle spielt. Oder werden diese Verdienste noch überragt von denjenigen, welche E. in der Lehre von den Differentialgleichungen sich erwarb, wo seine Entdeckung des integrirenden Factors, seine Auffindung singulärer Lösungen, die frühesten [429] Integrationen partieller Differentialgleichungen erster wie zweiter Ordnung ruhmwürdige Spuren seiner Thätigkeit sind? Aber noch ein weiteres dicht an die Lehre von den partiellen Differentialgleichungen sich anhängendes Capitel der mathematischen Wissenschaften beginnt mit E., welcher es verstand von der Lösung einiger weniger Aufgaben, die den Brüdern Jakob und Johann Bernoulli angehören, zu einer wirklichen umfassenden Methode aufzusteigen. Der Fachgenosse weiß aus diesen Andeutungen, daß wir von der Variationsrechnung reden, deren Darstellung in einem Lehrkörper, wie deren Name von E. herrührt. Es klingt fast sonderbar nach Aufzählung aller dieser Verdienste hinzusetzen zu müssen, daß die Hauptstärke Euler’s gemeiniglich auf einem anderen Gebiete gesucht und gefunden wird, in der Zahlentheorie. Mit elementaren Hülfsmitteln deren schwierigste Sätze zu beweisen, namentlich die Sätze mit Beweisen zu versehen, welche Fermat ohne solche ausgesprochen hatte, war Euler’s meist von Erfolg gekröntes Bestreben, war eine seiner liebsten Beschäftigungen. Gehen wir von der reinen Mathematik zu deren Anwendungen über, so sind, neben der theoretischen Mechanik und der Astronomie, namentlich die Schifffahrtskunde, die Lehre vom Schalle und die vom Lichte durch E. bereichert worden. In der Mechanik müssen wir zweier Streitigkeiten gedenken, in welche E. verwickelt war. Die eine führte er eben so freundschaftlich als ausdauernd gegen Daniel Bernoulli über die Bewegung schwingender Saiten, ohne daß ein Kämpfer den anderen zu besiegen im Stande gewesen wäre, während die Nachwelt sich für E. entschieden hat, dem seine Beherrschung aller Hülfsmittel der Analysis trotz der oft getadelten Vernachlässigung experimenteller Controle bei physikalischen Untersuchungen das Uebergewicht gab. Der andere Streit war der mit großer Gehässigkeit zwischen Maupertuis und König über das von dem ersteren entwickelte Princip der kleinsten Wirkung entbrannte, in welchen E. sich zu Gunsten seines Freundes mengte, und damit wol am meisten zur Verurtheilung König’s durch die als entscheidende Behörde auftretende Berliner Akademie beitrug. In der Astronomie sei nur auf eine neue Methode Euler’s hingewiesen, die Sonnenparallaxe mit Hülfe des Venusdurchganges zu finden, welche bei der Berechnung des zweiten zu diesem Zwecke beobachteten Durchgangs 1769 in Anwendung kam. Der Schifffahrtskunde hat E. einige besondere theils streng wissenschaftliche, theils mehr für den Praktiker bestimmte Werke gewidmet. In der Lehre vom Schalle hat E. eine Theorie der Musik geschrieben und darin eine Begründung des Wohlgefallens, welches das menschliche Ohr an dem Zusammenklange gewisser Töne findet, wenigstens versucht. In der Optik ist er der erste Mathematiker, welcher die Entstehung des Lichtes aus Wellenbewegungen des Aethers, die Vermuthung von Huighens, näher begründet und vertheidigt und den Sieg dieser Meinung fast schon entschieden hat. Wir sind uns der Unvollständigkeit dieser Aufzählung auch nur der wichtigsten Leistungen Euler’s wohl bewußt, müssen aber doch hier abbrechen und für weiteres auf die Verzeichnisse seiner sämmtlichen Schriften verweisen. Ein solches findet sich in der Biographie Euler’s von Nikolaus Fuß und daraus abgedruckt in Poggendorff’s Biographisch-litterarischem Handwörterbuche, wo es etwa 14½ Spalten füllt. Es ist nach der chronologischen Reihenfolge der Einzelwerke und der akademischen Veröffentlichungen, in welchen Euler’sche Abhandlungen abgedruckt sind, geordnet. Ein übersichtlicheres Verzeichniß nach dem Inhalte der Untersuchungen findet sich in der unten genannten Correspond. math. et phys. T. I. p. LVII–CXXI. Euler’sche Abhandlungen erschienen noch bis 1830 in den Veröffentlichungen der Petersburger Akademie, das Versprechen weit überbietend, welches E. dem Grafen Orloff einst gegeben hatte, er werde Material zum Drucke für 20 Jahre nach seinem Tode hinterlassen. Als bezeichnend für Euler’s wissenschaftliche Darstellungsgabe müssen wir [430] die von keinem andern Schriftsteller in gleichem Grade erreichte Klarheit und Durchsichtigkeit hervorheben, für welche der Leser eine gewisse behagliche Breite gern mit in den Kauf nimmt. Alle Beweise Euler’s sind natürlich und dem Gange der Erfindung entsprechend, als könnten sie gar nicht anders geführt werden. Moderne Strenge hält zwar mit Recht manche Euler’schen Beweise für ungenügend, allein die Sätze selbst bleiben fast durchgängig bestehen. Euler’s Genie schützte ihn vor Fehlschlüssen, selbst wo die mangelhafte Methode zu den mannigfachsten Irrthümern Veranlassung bieten konnte.

Éloge de Mr. Léonard Euler par Nicol. Fuss. St. Pétersbourg 1783 (deutsche Bearbeitung von dem Verfasser selbst mit Zusätzen. Basel 1786). – Éloge de Mr. Euler par Condorcet in der Histoire de l’Académie royale des sciences de Paris, année 1783. – Correspondance mathématique et physique de quelques célèbres géomètres du XVIII. Siècle précédée d’une notice sur les travaux de Léonard Euler par P. H. Fuss. St. Pétersbourg 1843.

Die Söhne Leonhard Euler’s waren, wenn auch tüchtige Männer, dem Vater nicht entfernt ebenbürtig. Am ersten wäre mit ihm der älteste Sohn Johann Albert zu vergleichen, der mindestens mit ähnlichen Gegenständen sich beschäftigend eine ähnliche Gelehrtenlaufbahn einhielt. Johann Albert E. (vgl. Nova Acta Acad. Petrop. XV. p. 5–8, 1806) ist 16. Novbr. 1734 in Petersburg geboren, gest. ebenda 6. Septbr. 1800, beide Daten nach altem Stile gezählt. Er folgte 7 Jahre alt seinem Vater nach Berlin und besuchte die dortigen Schulen, zugleich den mathematischen Unterricht des Vaters genießend. Derselbe war so erfolgreich, daß Albert E. schon mit 16 Jahren an Canalarbeiten zwischen Havel und Oder beschäftigt wurde, mit 20 Jahren zum Mitgliede der Berliner Akademie, mit 22 Jahren zum Director der dortigen Sternwarte sich ernannt sah. Im J. 1766 begleitete er seinen Vater, dessen Einfluß gewiß nicht die einzige Ursache aber jedenfalls eine bedeutsame Unterstützung bei der raschen Beförderung Alberts gebildet hatte, nach Petersburg zurück, wurde auch dort Mitglied, seit 1769 ständiger Secretär der Akademie, seit 1776 Studiendirector des Cadettencorps. Albert E. war von schwächlicher Leibesbeschaffenheit. Ein früher Bluthusten machte große Schonung nothwendig, und nur durch solche erreichte er das verhältnißmäßig sehr hohe Alter von 66 Jahren. Dieser Umstand ist auch bei der Werthschätzung seiner an sich schon verdienstlichen Arbeiten mit in Betracht zu ziehen. Er war 7mal Preisträger bei akademischen Fragen, theilweise allerdings in Gemeinschaft mit seinem Vater: 3mal in Petersburg, 2mal in Paris, je einmal in München und Göttingen. Der Inhalt dieser Abhandlungen und anderer, welche zumeist in den Veröffentlichungen derselben gelehrten Gesellschaften abgedruckt sind, gehört vorzugsweise der Astronomie und der Schifffahrtskunde an.

Karl E., der zweite Sohn (Poggendorff, Biogr.-litter. Handwörterb.) ist gleichfalls in Petersburg geboren 15. Juli 1740 und gestorben 7. März 1790. Auch er machte die Uebersiedelungen des Vaters von Petersburg nach Berlin und zurück nach Petersburg mit. Sein Studium bildete die Medicin. Er war von 1763–66 Arzt der französischen Colonie in Berlin, später Leibarzt des Kaisers von Rußland. Auch gehörte er seit 1772 der Petersburger Akademie als Mitglied an. An der Abfassung einer von der Pariser Akademie gekrönten astronomischen Preisabhandlung war vermuthlich der Vater in hervorragender Weise betheiligt.

Der dritte Sohn endlich Christoph E. (Poggendorff, Biogr.-litter. Handwörterbuch) ist am 1. Mai 1743 in Berlin geboren und widmete sich dem Militärfache. Er brachte es in preußischen Diensten bis zum Oberstlieutenant der Artillerie und als nach des Vaters Rückkehr nach Petersburg die Entlassung aus preußischen [431] Diensten ziemlich mühevoll erlangt war, trat er als Generalmajor in die russische Artillerie ein. Als solcher leitete er die Waffenfabrik zu Sisterbeck am finnischen Meerbusen bis zu seinem 1812 erfolgten Tode. Auch von ihm sind einige astronomische Abhandlungen in den Veröffentlichungen der Petersburger Akademie gedruckt, z. B. eine über den Durchgang der Venus durch die Sonne am 4. Juni 1769.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: jeweil