ADB:Sophie Dorothea (Kurprinzessin von Hannover)

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Artikel „Sophie Dorothea, Herzogin und Kurprinzessin zu Braunschweig und Lüneburg“ von Adolf Köcher in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 34 (1892), S. 671–674, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Sophie_Dorothea_(Kurprinzessin_von_Hannover)&oldid=- (Version vom 22. November 2024, 05:23 Uhr UTC)
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Sophie Dorothea, Herzogin und Kurprinzessin zu Braunschweig und Lüneburg, unter dem Namen Prinzessin von Ahlden bekannt, geboren am 15. Sept. 1666, † am 23. Nov. 1726, ist wegen ihrer geheimnißvollen Katastrophe der Gegenstand eines ganzen Schwarms fabuloser und obscöner Bücher und Aufsätze geworden. Die geschichtlichen Thatsachen reduciren sich auf Folgendes.

Herzog Georg Wilhelm zu Braunschweig-Lüneburg, der zuerst das Fürstenthum Calenberg-Göttingen, seit 1665 das Fürstenthum Celle-Lüneburg regierte, lernte in Holland die Tochter einer verarmten hugenottischen Adelsfamilie aus Poitou, Eleonore d’Olbreuse, kennen, die damals Hofdame der Prinzessin von Tarent war, und umwarb sie mit Leidenschaft. Da jedoch dem leichtsinnigen Fürsten der Ruf der Unbeständigkeit voranging, willigte Eleonore nur gegen einen ihre Zukunft sicher stellenden Revers, den die Schwägerin des Herzogs, Sophie, die Gemahlin des Bischofs Ernst August von Osnabrück, vermittelte und nebst ihrem Gemahl mit unterschrieb, darin ein, dem Herzog anzugehören, ohne Namen und Stand einer Gattin zu beanspruchen. Unter dem Namen Frau von Harburg wurde sie seine Genossin und gebar ihm 1666 eine Tochter, Sophie Dorothea. Hatte sie es von Anfang an verstanden, den Flatterhaften zu fesseln und durch echte Liebe zu läutern, so besiegelte die Geburt dieser Tochter mit all dem Hoffen und Sorgen, das sie wachrief, die Innigkeit ihres Liebesbundes so fest, daß Georg Wilhelm sein einst dem Bruder Ernst August urkundlich gegebenes Versprechen [672] steter Ehelosigkeit bereute und für Tochter und Mutter in so ausgiebiger Weise zu sorgen begann, daß Bruder und Schwägerin für den ihren Kindern zugesicherten Anfall der Erbschaft Georg Wilhelm’s bangten. Denn Georg Wilhelm begnügte sich nicht, der Mutter und Tochter in der Grafschaft Wilhelmsburg an der unteren Elbe eine standesgemäße Ausstattung zu schaffen, sondern erwirkte auch ein kaiserliches Patent (1674), welches Mutter und Tochter zu Reichsgräfinnen erhob und der Tochter für den Fall, daß sie sich in ein altfürstliches Haus vermählen würde, Titel und Wappen einer geborenen Herzogin zu Braunschweig-Lüneburg zuerkannte. Erregte schon diese die Beerbung Georg Wilhelm’s gefährdende Standeserhöhung die Eifersucht der Herzogin Sophie, so wurde ihr Haß gegen die unebenbürtige Rivalin und deren Tochter unversöhnlich, als letztere durch ihre Verlobung mit dem Erbprinzen August Friedrich von Wolfenbüttel (Dec. 1675) den Fürstenrang gewann und erstere durch kirchliche Trauung als die rechte Gemahlin Georg Wilhelm’s anerkannt ward (April 1676). Indessen der frühe Tod des Wolfenbütteler Erbprinzen (August 1676) verscheuchte die Sorgen des Osnabrücker Hofes, und da dem Herzog Ernst August auch von den Landständen, Beamten und Officieren des cellischen Fürstenthums durch eventuellen Huldigungseid sein Nachfolgerecht gesichert ward, so willigte er durch den Vertrag von Engesen (14. Juni 1680) in die Anerkennung des Fürstenranges Eleonorens und ihrer Tochter ein. Die durch den Haß der Frauen entfremdeten Brüder schlossen sich wieder enger an einander an, und Georg Wilhelm wünschte den erneuerten Bruderbund durch eine eheliche Verbindung der beiderseitigen Kinder zu besiegeln. Die erste, schon 1679 vom cellischen Hofe gegebene Anregung erregte am Osnabrücker Hofe einen Sturm des Unwillens. Die ahnenstolze Herzogin Sophie sah mit beißendem Hochmuth auf die cellischen Emporkömmlinge hernieder, und ihr ältester Sohn Georg Ludwig hatte mit der Muttermilch die Verachtung der Celler Tante und Cousine in sich eingesogen. Herzog Ernst August indessen erwog das Loos seiner unversorgten Kinder für den Fall, daß er vor dem zu beerbenden Bruder stürbe und fand die „bittere Pille“, wenn sie nur tüchtig „vergoldet“ würde, keineswegs ungenießbar. Man konnte sich nur nicht über das Maß der begehrten Vergoldung verständigen. Und da Ernst August inzwischen den Thron von Hannover bestieg, so verlor die cellische Erbschaft ihren ersten und wichtigsten Reiz. Als aber in dem Prinzen Heinrich Casimir von Nassau, Erbstatthalter von Westfriesland, ein neuer, der Herzogin Eleonore willkommener Bewerber um die Hand der cellischen Prinzessin auftrat, mäßigte Ernst August die Geldforderungen, an die er seine Zustimmung zu dem angeregten Ehebunde geknüpft hatte, und auch Sophie überwand ihren Stolz durch die neuen Zukunftssorgen. Am 24. October 1682 kam der Ehecontract zu Stande, und am 2. December erfolgte die Vermählung des hannoverschen Erbprinzen Georg Ludwig mit der 16jährigen S. D. ohne das bei den fürstlichen Beilagern hergebrachte Gepränge. Es war, als ob der hannoversche Hof durch absichtliche Verschwiegenheit seine Scham über den ungleichen Ehebund ausdrücken wollte.

Der so geschäftsmäßig geschlossenen Ehe entsprangen zwei Kinder, der nachmalige König Georg II. von England (1683) und die nachmalige Königin von Preußen Sophie Dorothea (1687). Die Ehe selbst aber wurde dadurch nicht glücklicher. Im Gegentheil; war die Stellung der Prinzessin S. D. in Hannover infolge der unauslöschlichen Verachtung, mit der ihre Schwiegermutter auf sie herniedersah, von Anfang eine schiefe, so mußte sie vollends unhaltbar werden, nachdem durch die Geburt zweier Kinder der Zweck dieser Ehe, die Vereinigung von Celle und Calenberg, aufs neue verbürgt und durch die 1692 erfolgende Erhebung Ernst August’s zum Kurfürsten endgültig gesichert war. Was [673] brauchte man jetzt den Eindringling noch besonders zu schonen? Der Kurprinz Georg Ludwig trug der ihm aufgezwungenen Gemahlin die von der Mutter ererbte Antipathie mit der ihm eigenen Rücksichtslosigkeit entgegen und ging dem Wandel seines Vaters nach, indem er sich einer Maitresse nach der anderen in die Arme warf. Muß man die Kurfürstin Sophie bewundern ob der überlegenen Sicherheit, mit der sie jederzeit das stolze und bekümmerte Herz zu meistern verstand, so kann man doch der jungen Prinzessin keinen Vorwurf daraus machen, daß sie nicht die gleiche Kraft der Selbstbeherrschung besaß. Da ihr das Leben in Hannover durch den Haß ihrer Schwiegermutter und die Lieblosigkeit ihres Gemahls verleidet ward, geschah es, daß sich die Vereinsamte von einem verwegenen Lüstling, dem Grafen Königsmark (s. A. D. B. XVI, 534) umgarnen ließ. Trotz der Warnerstimme ihrer Vertrauten, eines Fräuleins von dem Knesebeck, ließ sie sich mit dem Grafen in eine scandalöse Intrigue ein. Der Gegenstand dieser Intrigue steht zwar nicht mit unbedingter Sicherheit fest. Daß aber das Verhältniß ein unsittliches gewesen sei, wie die schmutzige Legendenlitteratur angibt, widerspricht den authentischen Documenten: der angebliche originale Briefwechsel der Prinzessin mit Königsmark, der sowohl in der Bibliothek zu Lund wie im Geheimen Staatsarchiv zu Berlin sich vorfindet, ist eine freche Fälschung. Das einzige, was aus den im Staatsarchive zu Hannover vorhandenen Fragmenten der Untersuchungsacten über die Schuld der Prinzessin erhellt, ist, daß sie eine Flucht aus dem Lande geplant hat. Indessen das Vorhaben wurde entdeckt, Königsmark ward am 1. Juli 1694 im tiefsten Geheimniß beseitigt und die Prinzessin in Haft genommen. Ernst August und Georg Wilhelm kamen sofort überein, die Ehe ihrer Kinder zu scheiden und die Kurprinzessin auf Lebenszeit in ein einsames Schloß zu verweisen. Um aber vor der Welt den Schein zu retten, wurde der wahre Sachverhalt in den officiellen Darlegungen vollständig entstellt, und auch der außerordentliche Gerichtshof, den man sehr vorsichtig zusammensetzte, in völligem Dunkel über den Thatbestand der Schuld gelassen. Der ganze Ehescheidungsproceß war ein erbärmliches Scheinverfahren. Indem man der jedes treuen Berathers beraubten Prinzessin die schriftliche Erklärung abgewann, niemals zu dem Gemahl zurückkehren zu wollen, zwang man die Richter, auf Scheidung der Ehe zu erkennen und durch ihr Erkenntniß zugleich der Prinzessin, als dem schuldigen Theil, die Wiederverheirathung zu verbieten. S. D. wurde darauf in das einsame Amtshaus von Ahlden inmitten der Lüneburger Haide verbannt, um hier in lebenslänglicher Haft ihre eigenen und die Fehltritte ihrer Eltern zu büßen. Nur die Mutter blieb der Tochter unwandelbar zugethan, ihre Besuche in Ahlden waren der einzige Trost, den man der Unglücklichen vergönnte. Nicht einmal die Bitte, ihre Kinder noch einmal umarmen zu dürfen, die sie nach dem Tode ihres Schwiegervaters ihrem geschiedenen Gemahl und ihrer Schwiegermutter aussprach (1698), wurde ihr gewährt. Ohne Wiedersehen erlebte sie den Tod ihres Vaters (1705), die Vermählung ihrer Tochter mit dem preußischen Kronprinzen, nachmaligen König Friedrich Wilhelm I. (1706), die Thronfolge ihres geschiedenen Gemahls in England und die Erhebung ihres Sohnes zum Prinzen von Wales (1714). Sie verlor 1722 auch die Mutter, ihre einzige Trösterin, und erlebte nicht mehr den Wandel, den man von der Thronbesteigung ihres mit dem Vater zerfallenen Sohnes erwartete. Ein halbes Jahr vor dessen Regierungsantritt ist die Dulderin, die in Entsagung und Erbarmung die Schuld der Jugend sühnte, auf ihrem einsamen Sitze gestorben (1726).

Schaumann, Sophie Dorothea Prinzessin von Ahlden und Kurfürstin, Sophie von Hannover, 1879. – Köcher, Die Prinzessin von Ahlden, in [674] H. v. Sybels Histor. Zeitschrift. N. F. XII (1882). – Beaucaire, Une mésalliance de la maison de Brunswick, 1884.