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Artikel „Seidl, Wolfgang“ von Sigmund Ritter von Riezler in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 54 (1908), S. 308–310, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Seidl,_Wolfgang&oldid=- (Version vom 27. November 2024, 02:25 Uhr UTC)
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Seidl: Wolfgang S. (Sedelius), Tegernseeer Benedictiner und herzogl. bairischer Hofprediger, geboren 1491 zu Mauerkirchen in Niederbaiern (jetzt Oberösterreich, Innviertel), nimmt unter den Theologen, welche schon vor den Jesuiten den Protestantismus in Rede und Schrift bekämpften, eine bedeutende Stellung ein. Neben dem Augustiner Hofmeister und Mathias Kretz, aber durch seine langjährige Thätigkeit weit wirkungsvoller als diese, gehört er zu den Kanzelrednern, durch deren Thätigkeit Herzog Wilhelm IV. von Baiern das Vordringen des Lutherthums in seiner Hauptstadt zu verhindern suchte – noch 1558 begegnete es S., daß dort Handwerksgesellen seine Predigt durch das Anstimmen lutherischer Lieder unterbrachen. Seine Familie war unbemittelt; Pauper sum ego et in laboribus a iuventute mea, liest man auf seinem Buchzeichen. Der Aldersbacher Cistercienser Wolfgang Mayer, seit 1504 Pfarrer in Rotthalmünster, hat sich nach Seidl’s dankbarer Erinnerung um ihn verdient gemacht, wohl durch Unterstützung in seinen Studien. 1514 studirte er an der Lateinschule in Landshut, 1516 (28. Marz) wurde er in Ingolstadt immatriculirt, aber noch im selben Jahre trat er als Novize in das Benedictinerkloster Tegernsee, wo er am 29. Juni 1517 die Profeß ablegte. Sein Bildungsgang wurde durch diesen frühzeitigen Tausch der Hochschule mit dem Kloster nicht beeinträchtigt; auch in Tegernsee widmete er sich eifrig den mannichfachsten Studien. Im Griechischen brachte er es so weit, daß er in [309] dieser Sprache Gedichte verfaßte und mit Freunden Briefe wechselte. Nach dem Zeugnisse seines Klostergenossen Hueber beherrschte er auch das Hebräische. Formgewandte lateinische Gedichte finden sich in großer Menge in seinem handschriftlichen Nachlasse, den in mehr als dreißig Codices die Münchener Staatsbibliothek bewahrt. Für die Musik hatte der Mönch reges Interesse und Verständniß. Er schrieb einen Tractat über den Choral, eine Anleitung zum Bau von Musikinstrumenten. Mit dem berühmten Münchener Capellmeister Ludwig Senfl stand er in freundschaftlichem Verkehr; um 1530 dichtete er ein begeistertes Loblied auf den genialen Meister und auf die Musik. Die erstaunliche Vielseitigkeit seiner wissenschaftlichen und technischen Bildung zeigen ferner seine astronomischen Abhandlungen, seine Geschicklichkeit in der Anfertigung von Sonnenuhren, ein an Dürer’s Schrift anknüpfender Tractat über die Proportion des menschlichen Körpers und zwei Schriften über Kunsttechnik und verschiedene kunstgewerbliche Betriebe. Darin wird u. a. gelehrt, wie man Metalle färben, auf Eisen, Holz und andere Stoffe ätzen, wie man malen, färben, illuminiren, mit Gold und Silber schreiben, wie man Glocken gießen, Glas schmelzen, Gipsabdrücke fertigen soll u. s. w.

Im Mittelpunkte seines geistigen Lebens und seiner praktischen Thätigkeit aber standen die Theologie und das Predigtamt. Schon als junger Priester verfaßte er eine Abhandlung über die Kunst zu predigen und 1532 wurde er, wohl auf Empfehlung seines Freundes, des Kanzlers Augustin Lösch, für den er 1527 eine Anleitung zum geistlichen Leben geschrieben hatte, als Prediger an die Münchener Augustinerkirche berufen, wo bisher der Augustinerprior Käppelmaier gewirkt hatte. Fast dreißig Jahre lang, zuletzt kurze Zeit noch neben den Jesuiten, hat er dort unermüdlich seines Amtes gewaltet und so seine eigenen Aussprüche bekräftigt, wonach ein Mönch ohne Arbeit ein Bild des Todes, ein Mönch ohne das Studium der hl. Schrift der auf dem Felde gefundenen Statue in der Fabel Aesop’s zu vergleichen sei. Viele seiner Predigten sind handschriftlich in seinem Nachlaß bewahrt. Zwei Cyklen kamen an die größere Oeffentlichkeit: der eine über den Tempel Salomon’s als Vorbild der christlichen Kirche, der andere über die Frage, ob die Verstorbenen sich im Himmel wieder erkennen. Eine Reihe deutscher erbaulicher Schriften hat er dem Herzog Wilhelm IV. gewidmet, auch die Schrift, die er 1547 unter dem Titel: „Wie sich ein christlicher Herr … vor schädlicher Phantasie verhüten und in allen Nöthen trösten soll“, war, wie wir mit hoher Wahrscheinlichkeit annehmen dürfen, in erster Reihe durch die Verhältnisse am bairischen Herzogshofe veranlaßt und bestimmt, auf diese einzuwirken. Gegenüber den immer ernstlicher einsetzenden Bemühungen, von Staatswegen den heruntergekommenen Clerus zu heben und zu bessern, steht hier vereinzelt der entgegengesetzte Versuch, von geistlicher Seite aus die Zustände am Hofe zu reformiren. In sechs Regeln wendet sich der Verfasser gegen die besonders von den Fürsten zu fliehende Melancholie und Traurigkeit, gegen das Uebermaß in jeglicher Kurzweil, zumal in der Jagd, im Singen, Tanzen, Spielen, gegen die Abgeschlossenheit der Fürsten, welche sie zurückhalte, ihre Räthe zu befragen, gegen Trunkenheit und Völlerei (man erinnert sich an die Medaille Wilhelm’s IV. von 1533, laut deren Umschrift „sein Zutrinken ein End hat“), gegen schlechte Finanzwirthschaft, Verschwendung, ungebührliche Schatzung der Unterthanen. Es werden Rathschläge ertheilt, wie sich der Fürst verhalten müsse, wenn er mit seinen Landständen auf gutem Fuße bleiben wolle. Das freimüthige und bedeutsame Gutachten der herzoglichen Räthe von 1557 (darunter der Hofmeister Wilhelm Lösch, ein Sohn Augustin’s, des Freundes Seidl’s; vgl. v. Freyberg, Sammlung III, 463 f.) für Wilhelm’s IV. Sohn [310] und Nachfolger Albrecht V. berührt sich eng mit dem Gedankenkreise der Seidl’schen Schrift und scheint durch diese beeinflußt.

Auch für Albrecht V. war S. litterarisch thätig, und gegen Ende des Jahres 1551 ging er als Gesandter dieses Fürsten auf das Concil von Trient. Aber auch durch Aufträge von Nachbarfürsten Baierns, die sich die Dienste des rührigen Vorkämpfers des Katholicismus nicht entgehen lassen wollten, wurde seine Münchener Thätigkeit einige Male unterbrochen. Wohl auf eine Einladung des Cardinals Otto Truchsessen v. Waldburg, Bischofs von Augsburg, finden wir ihn 1548 im Kloster Kaisheim, 1550 in Augsburg. In diesem Jahre hat ihn sein Abt durch ein besonderes Schreiben (dem wohl früher schon ähnliche vorausgingen) ermächtigt, auch fortan an verschiedenen Orten, je nachdem das Wohl der Kirche es erfordere, zu predigen und zu lehren. 1553–55 wirkte er in Salzburg, wahrscheinlich berufen vom Administrator Ernst, dem Bruder Herzog Albrecht’s V. Von seinen zahlreichen Schriften seien noch hervorgehoben ein Leitfaden für angehende Seelsorger (Curae pastoralis ratio brevis etc.) 1555 und „Geistlicher Layenspiegel, darin man … erkennen kann, ob die jetzt geführten Lehren aus dem Geist Gottes seien oder nit“. Die letztere Schrift hat S. noch als „alter, abgelebter Mann“ 1559 verfaßt. Er hat dafür die Glückwünsche seines Freundes Petrus Canisius geerntet. S. starb am 11. Juni 1562, nachdem er am Charfreitag 1560 zum letzten Male die Münchener Kanzel bestiegen, dann sich in die Stille seines Klosters Tegernsee zurückgezogen hatte.

Paulus in den Histor.-pol. Blättern, Bd. 113 (1894), S. 165–185. – Riezler, Gesch. Baierns VI, 367 f. Weitere Litteratur s. an beiden Stellen. – Das Spicilegium, worin der Tegernseer Chronist Alfons Hueber eingehend über Seidl gehandelt zu haben versichert (Pez, Thes. III, c, 555), ist bisher nicht bekannt geworden.