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Artikel „Schuster, Martin“ von Hugo Holstein in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 33 (1891), S. 104–106, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Schuster,_Martin&oldid=- (Version vom 21. November 2024, 21:25 Uhr UTC)
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Schuster: Martin S., Geistlicher, Dichter und Dramatiker. Geboren am 28. Februar 1649 zu Memmingen als der Sohn des dortigen Pfarrers Mag. Daniel S., studirte Theologie und wurde Magister, daneben ein begeisterter Freund der schönen Wissenschaften. Eine große dichterische Thätigkeit entfaltete er bei den Einzugsfeierlichkeiten der Herzogin Magdalena Sibylla in Stuttgart. Schon vorher hatte er ein fünfactiges Mischspiel „Bestrafte Verläumdung und belohnte Gottesfurcht“ (Straßburg 1668) verfaßt, das von Gottsched seines schlechten Geschmacks, der elsässischen Mundart und des ungereimten Inhalts wegen getadelt wird. Die Einzugsfeierlichkeiten des seit 6. November 1673 [105] vermählten fürstlichen Paares, des Herzogs Wilhelm[WS 1] Ludwig zu Württemberg[WS 2] und der Landgräfin von Hessen-Darmstadt, Magdalena Sibylla. in die Residenz Stuttgart begannen am 12. Februar 1674 und währten bis zum 18. Februar. Außer drei Schaugerichten, die am 13., 15. und 17. Februar gestellt wurden, nämlich von den zwölf Sibyllen, von der alleredelsten Weibertreu (die Geschichte von den Weibern zu Weinsberg) und vom Fastnachtbutzen, verfaßte S. eine Art Oper, „ein singendes und sonst musikalisches Freudenspiel von der in der Fremde erworbenen Lavinia“ in drei Acten, das am 17. Februar in dem neuerbauten fürstlichen Komödienhause zu Stuttgart durch die fürstlich württembergischen Hofmusiker aufgeführt wurde. Es erschien das Spiel als ein Theil der „Vorstellung Stuttgartischer jüngst gehaltener hochfürstlich Württemberg-Hessischer Heimführungsbegängnis“, die 1675 der Hofbuchdrucker Weyrich Rößlin in Stuttgart herausgab, sodann aber auch in einer Sonderausgabe (Straßburg 1674). In der Vorrede nennt S. noch ein von ihm verfaßtes Drama „Die äthiopische Fräulein Chariklea“, das wahrscheinlich Heliodor’s bekanntem Roman nachgebildet ist. Der Aufbau des Dramas von der Lavinia ruht auf dem Bericht des Vergil: auf der Irrfahrt kommt Aeneas nach Latium und erwirbt im Kampfe mit Turnus die Hand der Lavinia, der Tochter des Königs Latinus. Wie es bei allen Gelegenheitsdichtungen jener Zeit, besonders bei solchen, die an fürstlichen Höfen zur Aufführung kamen, der Fall ist, so zieht sich auch in des Verfassers „Freudenspiel“ nur ein loser Faden durch die ganze Dichtung, die durch die glänzende Pracht äußerer Ausstattung, durch eingelegte Arien und durch sonstige musikalische Beigaben die Bewunderung der eingeladenen Hofgesellschaft erregen sollte. Eine Götterversammlung, Meernymphen mit Sirenen, Neptun mit Triton, Glaucon und Proteus, die Sibylle von Cumä, Aeneas mit seinen Gefährten im Sturm, Kampf zwischen den Leuten des Aeneas und Turnus u. s. w. zieht in buntem Wechsel über die Bühne. Die Sprache zeugt von dichterischer Begabung des Verfassers, sie ist edel und vornehm, dem Geschmack der Zeit entsprechend; auch die Verskunst zeugt von Geschick, lebhaftem Wechsel zwischen Trochäen und Jamben, Turnus spricht in Anapästen. Selbst zum Sonett versteigt sich der Verfasser bei der Beschreibung des künstlichen Lustfeuers, das am 16. Februar das Entzücken der fürstlichen Gesellschaft hervorrief. Die Bevorzugung des antiken Stoffes zeigt sich auch in dem schon erwähnten Schaugericht von den zwölf Sibyllen, sowie in dem Anhang zu dem zweiten Schaugericht, der aus zwei nach Ovid gebildeten längeren Dichtungen besteht: Perseus und Andromeda, Jason und Medea. S. war 1678 Pfarrer in Heroldingen (als solcher schrieb er „Poetische Gedanken über den schrecklichen Cometen, welcher 1680 den 16. December sqq. erschienen“), wurde 1681 fürstlich öttingischer Pfarrer zu Deiningen und Zimmer, 1686 erhielt er die Pfarrei Unterringingen, 1692 die zu Binsenzimmern[1], wo er 1693 starb. S. ist auch Verfasser eines ascetischen Werkes: „Hellleuchtender Buß-, Beicht- und Communion-Spiegel aus dem bittren Leiden und Sterben Jesu Christi in 28 Betrachtungen und ebenso vielen Kupfern vorgestellt“ (Nürnberg 1685) und einer Leichenpredigt: „Gefährliches Tigrisbad und schmerzlicher Egerschad bei Beerdigung eines zehnjährigen Knaben, der in der Eger 1690 ertrunken“ (Nördlingen 1690). In den heftigen Simultanstreitigkeiten trat er sehr energisch auf und wußte seine Gegner zuweilen mit beißendem Spotte abzufertigen.

Seine Frau Sibylla S. geb. Neithart, zu Memmingen als die Tochter eines Goldschmieds und Siegelschneiders am 5. Februar 1639 geboren, seit 1678 vermählt, schrieb ein fünfactiges Drama: „Verkehrter Bekehrter und wieder Bethörter Ophiletes, auf die Traur-Bühne gestellet von Sibylla Schusterin“, das ihr Mann nach ihrem Tode († am 19. Mai 1685) veröffentlichte (Oettingen [106] 1685). Es ist das Erzeugniß einer von Mysticismus und religiösem Fanatismus erfüllten Frau, die das Schicksal eines Menschen schildert, der sich dem Teufel mit seinem eigenen Blute verschreibt, nach Ablauf der festgesetzten zwanzig Jahre aber mit Hülfe der Geistlichen von der Gewalt des Teufels wieder befreit wird. Es liegt nach eigener Mittheilung der Verfasserin eine wahre Geschichte zu Grunde, die sich 1646 zu Memmingen ereignete. Man erkennt leicht, daß der Verfasserin sowohl die Theophilussage, als die mit der Homulus- und Hekastusgruppe zusammenhängenden Dramen, wenigstens die vornehmsten, bekannt waren: so ist denn ein seltsames, aus verschiedenen Elementen gemischtes Werk entstanden. Die Sprache ist schwülstig und ungewandt, die Verse, abwechselnd zwischen Trochäen und Jamben, wenig fließend. Ihr Gatte beklagte mit vielen Freunden (Pfarrer Joh. Andreas Müntscher in Grosselfingen hielt ihr die Leichenrede, gedruckt zu Oettingen 1685) und Freundinnen das Hinscheiden der im engeren Kreise gefeierten Dichterin; er widmete ihr einen „unauslöschlichen Liebesglanz und unverwelklichen Cypressenkranz“. Hier sagt er, die Verstorbene habe alle gleichzeitigen Dichter gelesen und eifrig studirt.

Was Lohenstein, der kaiserliche Dichter,
Der Phöbus selbst und aller Musen Richter,
So künstlich schrieb, das fiel Dir ganz nicht schwer,
Du konntest es auswendig sagen her.
Cleopatra, die schlaue Agrippine,
Epicharis und Ibrahim, der diene
Zum sichern Grund, daß ich die Wahrheit schreib:
Der große Gryph, der war Dein Zeitvertreib.
Herr Opitz, Rist, Frank, Schirmer, der von Zesen,
Harsdörffer, Schoch, ward oft von Dir durchlesen,
Herr Kaldenbach, Dach, Hoffmannswaldau auch
War dir bekannt durch öfteren Gebrauch.

Einen langen lateinischen Epilog, der sich im Sterberegister der Pfarrei zu Deiningen beim Todestage seiner Frau befindet, beginnt er mit den Worten: Quam vellem nescire litteras! – Auch viele Lieder und religiöse Gesänge verfaßte sie, doch sind sie nicht erhalten. – Das Exemplar der königlichen Bibliothek zu Berlin besaß 1726 Georg Jacob S., Pfarrer zu Grosselfingen, vermuthlich ein Nachkomme des Dichterpaares. Dasselbe enthält auch ein von G. A. Wolffgang gemaltes Bild der Sibylla S. mit folgenden Versen des M. Johannes Crophius, Ephorus des evangelischen Collegiums in Augsburg:

Diß Bild soll stellen vor ein trefflichen Verstand,
Die wahr Gottseligkeit, ein kunstberühmte Hand,
Samt raren Tugenden. Ums Muster ists geschehen,
Der Tod steht für, das man den Selbstand nicht kann sehen.

Neben der Dichtkunst übte sie die Kunst der feinen Stickerei und hatte es darin zu einer außerordentlichen Fertigkeit gebracht.

Gottsched, Nöthiger Vorrath I, 285; II, 255, 259. – Freyesleben, Nachlese S. 46. – Goedeke, Grundriß II2, 223 Nr. 51; 228 Nr. 95. – Gütige Mittheilungen des Decans Dr. Prinzius in Memmingen und des Pfarrers Strößenreuther in Deiningen aus den dortigen Pfarrbüchern.

[Zusätze und Berichtigungen]

  1. S. 105. Z. 13 v. u. l. Benzenzimmern. [Bd. 45, S. 672]


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Wilhem
  2. Wilhelm Ludwig (1647–1677); von 1674 bis 1677 der neunte regierende Herzog von Württemberg.