ADB:Schonaeus, Cornelius
*): Cornelius S., Schulmann und lateinischer Dramatiker. Sein eigentlicher Name ist Schoon oder de Schoone. Er ist geboren zu Gouda im J. 1540. Schon die lateinische Schule seiner Vaterstadt, geleitet durch die Brüder vom gemeinen Leben, weckte seine dichterischen Neigungen, die dann in Löwen durch Cornelius Valerius (Wauters), einen Schüler des berühmten Dramatikers Macropedius (s. A. D. B. XX, 19) bedeutend gefördert wurden. Die meisten seiner schwachen Elegieen und Epigramme stammen aus der Schulzeit. Für Aufführungen lateinischer Dramen sorgten in Löwen zwei studentische Gesellschaften. Nach absolvirten Studien scheint S. längere Zeit als Hauslehrer herumgewandert zu sein, 1566 taucht er in Harlem auf, 1569 und 1570 ist er an der lateinischen Schule als Hilfslehrer thätig, 1575 wird er zum Rector ernannt. Seine Verdienste um die Hebung dieses in der Kriegsnoth stark herabgekommenen Institutes werden von den Zeitgenossen enthusiastisch anerkannt, niederländische Historiker und Schriftsteller, wie Theodor Schrevelius und Petrus Scriberius zählen zu seinen dankbarsten Schülern. Um 1590 beginnt seine Kraft schon sehr abzunehmen; doch bleibt er noch bis 1610 an der Spitze der Anstalt, ihr letzter katholischer Rector. Am 23. November 1611 starb er als Privatmann in Harlem. Ganz als Schulmann, und nur als Schulmann hat er eine reiche dramatische Production entwickelt. Schon vor seiner Thätigkeit sind dramatische Aufführungen classischer Lustspiele in Harlem bezeugt. S. arbeitet mit der bestimmten Absicht, die frivolen Schwänke eines Plautus und eines wenn auch sittlicheren, aber doch für die Jugend gefährlichen Terenz durch Stücke christlichen Inhalts, voll erbaulicher lehrhafter Betrachtungen zu ersetzen. Form und Sprache lieferte die römische Komödie. So entstanden folgende Dramen: „Tobaeus“ 1568, gedruckt 1570), „Nehemias“ (1569), „Saul“ (1570), „Naaman“, „Joseph“ und „Judith“ erschienen, mit den drei erstgenannten vereinigt, 1592 zu Harlem, 1595 zu Köln unter dem Titel „Terentius Christianus“. S., der sich anfangs gegen diese, nicht von ihm herrührende prahlerische Aufschrift sträubte, setzte sie dann selbst auf das Titelblatt des zweiten Theils, der 1600 zum ersten Mal erschien und die Komödien „Susanna“, „Daniel“, „Triumphus Christi“, „Typhlus“, „Pentecoste“, „Ananias“ umfaßte. 1603 kam der dritte und letzte Theil, enthaltend: „Baptistes“, „Dyscoli“, „Pseudostratiotae“ (1592 separat), „Cunae“, „Vitulus“, „Liber elegiarum“ (1570 mit dem Tobaeus zum ersten Male gedruckt), „Liber epigrammatum“. Zahlreiche Neuausgaben folgten bis an die Grenze des 17. Jahrhunderts. – Mißt man S. an seinem Vorgänger Macropedius, so muß das Urtheil über seine dichterische Begabung ungünstig lauten. Fast nirgends geht S. über seine biblische Vorlage selbständig hinaus. Schon die Wahl seiner Stoffe ist höchst ungeschickt: undramatischeres, wie die Heilung vom Aussatze (Naaman) oder der Streit um den Wiederaufbau Jerusalems im Nehemias läßt sich wohl schwer ausfindig machen. Selbst da, wo ihn der Stoff trägt, wie im Saul und Joseph, läßt er längst bewährte Motive ungenützt. Manchmal mögen wohl schulmeisterliche Gründe maßgebend gewesen sein, meist aber ist seine Phantasielosigkeit und Nüchternheit Schuld. Judith darf erst im 4. Acte erscheinen, [732] die Gegenspieler sind hier, wie auch in den ganz besonders langweiligen Dramen, welche Christus und die Apostel auf die Bühne bringen, machtlose Schwätzer, die nur den Fortgang der Handlung hemmen. Was für farblose Gestalten sind aus den wenigen, aber lebendigen Diener- und Schmeichlertypen des Macropedius in Schonaeus’ Händen geworden! Gebete stellen sich jederzeit hilfreich ein. Trink- und Liebesscenen werden immer mit denselben Phrasen wiedergegeben, gewisse Stellen kehren in verschiedenen Stücken fast wörtlich wieder. Den gänzlichen Mangel der poetischen Empfindung soll wohl die lateinische Rhetorik decken. In erster Linie wird Terenz, in zweiter Plautus ausgeschrieben. Ihre Sentenzen werden wie buntes Flickwerk auf das einfache biblische Gewand aufgenäht. Die Manier der antiken Komödie, welche das gegenseitige Belauschen mit einem „non praevideram te“ u. dgl. motivirte, erscheint bei S. ins unerträgliche carikirt. Herzenstöne wird man ebenso vergeblich suchen, wie eigenthümliche Charaktere. Ort und Zeit sind ganz frei behandelt. Auch wo er nachweislich fremde Muster benutzt – im Joseph den Diether und Crocus, in der Susanna Frischlin, im Baptistes Schöpper – hat er meist unglücklich geändert. So müssen in der Susanna die beiden Alten den Gatten zum Vertrauten ihrer Liebe machen, der Pedanterie fallen die reizenden Kinderscenen zum Opfer, Susanna ist ganz schattenhafte Dulderin. Dagegen gelingen ihm manche technische Kunststücke. Gegen die Unbeholfenheit im Tobaeus und Nehemias sticht die Geschicklichkeit, mit der im Joseph die Traumerzählung vermieden, oder im Baptistes die große Personenzahl der Vorlage reducirt wird, bedeutend ab. Eine feste Form zeichnet besonders die späteren Stücke aus. Er kennt die Bühne: betroffenes Schweigen, zögernde Geständnisse sind mit schauspielerischem Blick erfaßt und dargestellt. Im Saul muß er die Bahre, auf welcher der lahme Nosoponus hereingebracht wurde, wieder bei Seite schaffen: Er gebraucht den geschickten Kunstgriff, den geheilten Jüngling die Bahre, die ihn so lange getragen, selbst hinaustragen zu lassen. Doch solche kleine Züge können über die öde Trostlosigkeit der Handlung und den leeren Wortschwall des Komikerlateins, das vornehmlich in den dem neuen Testament entnommenen Dramen befremdend wirkt, nicht hinwegtäuschen. Interessanter sind die eigentlichen Lustspiele. In den Dyscoli hat S. die Rebelles des Macropedius getreu nachgeahmt, auch der Acolast des Gnapheus scheint benutzt. Persönliche Erfahrungen mögen dieser dem Stoffkreise der Schul- und Knabenspiegel angehörigen Komödie, welche S. selbst mit Hinweis auf sein Alter und Krankheit entschuldigt, manche polemische Töne geliehen haben. Auch die Pseudostratiotae zeigen Verwandtschaft mit den Prodigusdramen durch ihre Krieg- und Buhlscenen. S. wagt einen frischen Griff in das zeitgemäße Kriegstreiben, das er auch in vielen Gedichten scharf tadelt. Der Büttner Phormio und der Zimmermann Dorio suchen bei Wein und Liebe ihre zänkischen Gattinnen zu vergessen. Aber die verbündeten Weiber haben bald die Fährte gefunden, sie stöbern sie auf und nehmen ihnen das Geld weg, so daß sie als zahlungsunfähig arg mißhandelt und auf die Straße gesetzt werden. Die beiden Freunde überfallen als verkleidete Soldaten ein Bauernhaus, es ergeht den feigen Prahlern wieder schlecht. So kehren sie reumüthig nach Haus zurück, in das sie nur unter den härtesten Bedingungen aufgenommen werden. Die Cunae behandeln das Thema der bezähmten Widerspänstigen in der Art von Christian Weise’s böser Katharina. Nisa, welche die Eltern sowie die sanfte Schwester quält, findet den Meister in ihrem Gatten Pamphilus, der sie trotz ihres Keifens in die Wiege legt und nicht herausläßt, ehe sie Besserung gelobt. Vitulus erinnert an die Aluta des Macropedius. Der Bauer Coroebus wird nach einer ganz wie in den Pseudostratiotae durchschwelgten Nacht in ein Kalbsfell genäht und verkauft. Nach manchem Schrecken, den das redende Thier [733] verursacht, wird Coroebus seiner strengen Frau zurückgebracht. Die eigentliche Pointe wäre, daß der Bauer selbst an seiner Persönlichkeit zweifelhaft würde, diese kommt jedoch nur ganz undeutlich zum Ausdruck. In allen diesen komischen Stücken zeigt S. Humor, Lebendigkeit, Situationswitz. Eigenschaften, die seinen ernsten Dramen auch da, wo sie wie in den Dienerscenen erheiternd wirken, gänzlich abgehen. Besonders frisch sind die Handwerker- und Frauentypen in den Pseudostratiotae. Für die Fastnachtzeit bestimmt, stehen diese Stücke dem Fastnachtspiel so nahe, daß man sofort volksthümlichen Ursprung für sie in Anspruch nehmen möchte. Und wirklich sind auch niederländische Kluchtspiele, die den Stoff der Cunae und des Vitulus behandeln, bezeugt und bekannt. Besonders die Laechelijcke cluchte van een boer die in een kalfsvel benaeijt was 1646 gedruckt, aber wie die meisten derartigen Spiele viel älter, zeigt die stärksten Uebereinstimmungen, so daß das Verdienst dieser Stücke der Quelle, nicht dem lateinischen Autor zuzuschreiben sein dürfte. Echt volksthümlich und derb-fastnachtspielmäßig sind z. B. die drastischen Schilderungen der Trunkenheit, eine der bei S. gar nicht seltenen Stellen, welche seinen Protest gegen die Unanständigkeit der antiken Komödie ziemlich hinfällig erscheinen lassen, oder der wiegenliedartige Ruf des Pamphagus Dormi, dormi. Ein unbedeutendes Gelegenheitsstück „Fabula comica“, erschienen Zwollae 1607, ist nicht in die Sammlung aufgenommen. Zur Einweihung eines Asylhauses für alte Männer geschrieben, bringt es Typen hülfesuchender Greise, karger und wohlthätiger Bürger. Eine lateinische Grammatik, auf Vorarbeiten seines Lehrers Valerius aufgebaut, ist nicht erhalten. Die Dramen wurden oft in lateinischen Schulen gespielt. Uebersetzungen: Naaman, 1648 deutsch von E. Major in Breslau (nicht erhalten); Tobaeus, deutsch 1605 von Barthold v. Gadenstedt, mit Zusätzen aus Wickram (s. A. D. B. VIII, 301), polnisch noch 1773; Triumphus Christi deutsch von Elias Gerlach in Kolditz 1606 (handschriftlich in Dresden) und von Balthasar Schnurr 1607, französisch von Abraham de Champ-Renaud 1706; Vitulus, niederdeutsch Hamburg 1616 (Neudruck 1891), schwedisch von Moraeus 1685 (neue Ausgabe 1876); Nehemias, dänisch von Eric Pontoppidan; Pseudostratiotae deutsch von Balthasar Schnurr 1607. Aus diesem Stücke nimmt Rist eine Reihe von Motiven für die Zwischenspiele der Irenaromachia (1630), was bereits der metrische Umarbeiter Rist’s, Erasmus Pfeiffer, erkannt zu haben scheint, da er wieder zu dem Titel des S. (1631) zurückkehrt. Die Dyscoli wurden neu bearbeitet in P. Godewyck’s De Wittebroodskinderen 1641 (neue Ausgabe 1867). An S. hat die Litteraturgeschichte keine Rettung vorzunehmen. Sie muß im Gegentheil die überschwengliche Bewunderung, welche der christliche Terenz bei seiner Mitwelt fand, erheblich einschränken.
Schonaeus- Die älteren Angaben bei Hegenitius, van der Aa, Paquot u. a. sind zusammengefaßt in der Monographie A. H. Garrer’s: Schonaeus, Haarlem 1889. – Goedeke, Grundriß II², 371, 385. – Zeitschrift für deutsche Philologie XI, 186. – Scherer, Deutsche Studien III, 186. – Schroeder, Jacob Schoepper S. 18. – Reinhardstöttner, Plautus S. 27. – Spengler, Der verlorene Sohn S. 121. – Weilen, Der aegyptische Joseph S. 140 u. a. – Jacoby, Macropedius S. 25. – Jahrbuch des Vereins für niederdeutsche Sprachforschung VII, 107.
[731] *) Zu Bd. XXXII, S. 256.