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Artikel „Schmidt, Johann Lorenz“ von Gustav Frank in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 31 (1890), S. 739–741, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Schmidt,_Johann_Lorenz&oldid=- (Version vom 25. Dezember 2024, 18:54 Uhr UTC)
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Schmidt: Johann Lorenz S. wurde am 30. November 1702 in Zell, einem Dorfe bei Schweinfurt, wo sein Vater Pfarrer war, geboren. Er besuchte von 1711–20 die lateinische Schule in Schweinfurt und bezog sodann die Universität Jena. Hier widmete er sich der Theologie unter Buddeus (s. A. D. B. III, 500), aus dessen Lectionen er viel Gutes faßte, machte aber daneben auch die Mathematik zum Gegenstand seines Studiums. Ein Jahr lang (1724) unterstützte er seinen, inzwischen als Diakonus nach Schweinfurt versetzten, kränklichen Vater im Amte, nach dessen Tod (1725) er sich, mit seiner Stiefmutter und dem Stadtrath zerfallen, um Missionär zu werden, nach Halle wandte. Es wird von ihm erzählt, daß er schon damals höchst dünkelhaft gewesen, omnesque Professores ibi habuisse pro viris semidoctis, solo excepto Wolffio, cuius sapientiam in coelum laudibus extulerit. Ein Enthusiast für die neue Fundamentirung der Theologie auf dem Fels der demonstrativischen Methode Wolff’s, trug er sich jetzt schon mit dem Gedanken, auf Grund einer neuen, unumstößlichen Bibelübersetzung ein neues theologisches System mit deutlichen Begriffen und scharf erwiesenen Sätzen aufzustellen, cum omnium Theologiae systemata sint nullius pretii. Von Halle kam er auf Empfehlung als Informator nach Wertheim in das gräflich Löwensteinische Haus, wo er sechs Prinzen zu unterrichten hatte. Hier vertiefte er sich weiter in die Wolff’sche Philosophie und ging mit ihrer Hülfe an die geplante Uebersetzung der h. Schrift nach dem heutigen Stylo d. h. Verwandlung der biblischen Bilder in Begriffe, der biblischen Worte in moderne Ausdrucksweisen, hoffend, dadurch die göttlichen Wahrheiten gegen die Einwürfe ihrer Widersacher auf feste Gründe zu stellen. Nachdem er ein Probeheft, die ersten fünf Capitel der Genesis umfassend, an Reinbeck (s. A. D. B. XVIII, 2), Mosheim (s. A. D. B. XXII, 395) und Wolff gesandt, wurde mit Unterstützung seiner gräflichen Gönner der erste (und allein erschienene) Theil des Werkes unter dem Titel „Die göttlichen Schriften vor den Zeiten des Messie Jesus“ 1735 zu Wertheim herausgegeben. Die Uebersetzung beginnt also: „Alle Weltkörper und unsere Erde selbst sind anfangs von Gott erschaffen worden. Was insonderheit die Erde betrifft, so war dieselbe anfänglich ganz öde; sie war mit einem finstern Nebel umgeben und ringsherum mit Wasser umflossen, über welchem heftige Winde zu wehen anfingen. Es wurde aber bald auf derselben etwas helle, wie es die göttliche Absicht erforderte.“ Das war dem nüchternen Verstande eines Wolffianers angemessen übersetzt. Die messianischen Weissagungen und die mosaischen Beweisstellen für die Trinität werden durch den Grundsatz beseitigt: der erste Verfasser müsse für sich verstanden werden, und es würde eine verkehrte Sache sein, wenn man die Begriffe von seinen Worten in den folgenden Schriften suchen wollte. Die heiligen Scribenten des Neuen Testaments hätten nur durch Accommodation oder nach dem sensus mysticus einige Stellen bei Moses auf Christus bezogen. Hätte Moses so deutlich vom Messias geschrieben, [740] so würde Jesus nicht so viele Mühe gehabt haben, es seinen Schülern zu erklären. Demgemäß lautet die Uebersetzung des Protevangeliums: „Und künftighin soll zwischen dir und der Frau und eurer beiden Nachkommen eine beständige Feindschaft sein, dergestalt daß die Menschen den Schlangen auf den Kopf treten und diese hingegen jene in den Fuß stechen werden.“ Die gleichfalls messianisch verstandene Stelle 1. Mos. 4, 1 wird so wiedergegeben: „Gott sei Lob und Dank, daß es ein Sohn ist“: der Stern aus Jakob 4. Mos. 24, 17 vom König David verstanden. Die Wunder werden mehrfach naturalisirt. Der Feuer- und Schwefelregen über Sodom und Gomorra war einfach ein Blitz. Lot’s Weib, von harzigtem Dampfe angelaufen, lag da wie ein steinernes Bild. Der durch die Wolff’sche Philosophie geweckte pruritus definiendi hat seinen Tummelplatz in den Anmerkungen aufgeschlagen. So heißt es zu 1. Mos. 28, 17: „Ein Thor ist eine Oeffnung, durch welche der Besitzer und seine Bedienten aus- und eingehen“; zu 2. Mos. 15, 16: „Ein Arzt ist eine Person, welche die Wissenschaft besitzet, die Gesundheit des Menschen zu erhalten und, wenn sie verloren ist, wiederherzustellen“; zu 3. Mos. 18, 17: „Eine Mutter ist eine Frau, welche in Gesellschaft ihres Mannes Kinder erzeugt und auferziehet“. Kaum war das Werk erschienen, so trat der Superintendent in Wertheim, Jakob Firnhaber, mit dem anathematisirenden Elencho gegen dasselbe auf. Andere Geistliche folgten seinem Beispiel, bis ein regelrechter theologischer Kampf sich entspann, in welchem 120 Streitschriften gewechselt wurden. Die Anklagen lauteten auf Verdrehung aller Stellen von der heiligen Dreieinigkeit, von dem Erlöser der Menschheit, von der Erbsünde und Glaubensgerechtigkeit. J. G. Walch faßt das Verdict dahin zusammen: „Versio haec summam mentis malitiam, dementissimam temeritatem, iniuriosam in Deum impietatem ac stultitiam luculenter ostendit“. Die Gegner der Wolff’schen Philosophie, an ihrer Spitze Joachim Lange (s. A. D. B. XVII, 634), hoben frohlockend die harmonia per influxum stabilita zwischen Wolff und dem Wertheimer hervor. „Die viehische Philosophie unserer Zeit hat in diesem Werke dem ganzen Zeuge Israel’s Hohn gesprochen“. Die Wolffianer, welche anfänglich das Werk gelobt hatten, denn Lutheri deutsche Schreibart in seiner Bibel nutze heutiges Tages nicht mehr, beeilten sich, durch das allgemeine Ketzergeschrei erschreckt, das Institutum des Wertheimischen Autoris als eine Mißgeburt ihrer Philosophie zu detestiren. Wolff selbst bemerkte: „Der Uebersetzer gründet sich in dem Verstand der hebräischen Sprache, wie vor ihm Grotius und Simon, wie kann nun dieses eine Frucht meiner Philosophie sein?“ Solch schwächlicher Verleugnung gegenüber erklärte S. mit mannhafter Unerschrockenheit: „Mir ist’s um die Wahrheit zu thun, und ich bin bereit, für dieselbe Alles zu erdulden, was die göttliche Vorsehung über mich beschlossen hat“. Er berief sich auf sein protestantisches Recht der freien Schriftforschung. Nur sehr vereinzelte Stimmen haben ihn darin bestärkt. Nachdem man in Sachsen und Preußen mit dem Verbote der neuen Bibelübersetzung vorangegangen, machte der Reichshoffiscal Dominicus Joseph Hayeck von Waldstätten, welcher die Censur des kursächsischen Kirchenrathes ad statum perlegendi et inspiciendi erhalten hatte, die Sache beim Reichshofrath in Wien anhängig. Die Folge dieser Anzeige war ein Patent (15. Januar 1737) Kaiser Karl’s VI. an alle Kurfürsten, Fürsten, Prälaten, Grafen, Ritter, Räthe, Bürgermeister und Reichsunterthanen, mit welchem der weitere Verkauf der Wertheimer Bibel, darin mittelst höchst strafmäßiger Verfälschung des Grundtextes und demselben aufgedrungener ganz verkehrter Auslegung die vornehmsten Grundsätze der christlichen Lehre auf eine fast nie erhörte Weise untergraben werden wollen, unter Strafe 10 Mark löthigen Goldes untersagt, ihre Confiscation bei den Buchführern angeordnet, die sichere Verwahrung ihres Verfassers anbefohlen wurde. S. wurde am 22. Februar 1737 in’s Verhör [741] genommen. Unter Versicherung seiner Zugehörigkeit zur privilegirten evangelisch-lutherischen Religion bekannte er sich als Verfasser und unterwarf sich zugleich Ihro Kais. Majestät und erleuchteter Theologen Dijudicatur. Er wurde nach dem Verhör in einem Zimmer internirt und vor dasselbe eine Grenadierwacht gestellt. In seiner Vertheidigung, die ihm bereitwillig zugestanden wurde, betonte er die bei den Protestanten hergebrachte Freiheit, den Verstand der h. Schrift und die Sätze der Religion selbst zu prüfen. Im gegenwärtigen Falle handle es sich jedoch gar nicht um Glaubenspunkte, sondern um die Auslegung gewisser Schriftstellen, ob die in den Stellen enthaltenen Sätze sensu literali oder nach dem sensu mystico enthalten seien. Als auf das eingesandte Protokoll sammt Bericht von Wien keine entscheidende Antwort kam und solange auch nicht kommen konnte, als die fränkischen kreisausschreibenden Fürsten dem kaiserlichen Auftrag, den Proceß durchzuführen, nicht nachgekommen waren, inzwischen aber Niemand die auflaufenden Sitz- und Atzungskosten bezahlen wollte, verwandelte die Löwensteinische Regierung auf eigene Hand den Personalarrest Schmidt’s in Stadtarrest und ließ ihn endlich, mit 20 Gulden Reisegeld versehen, zum Markgrafen von Ansbach, als allerhöchst miternanntem Commissario, entweichen. Einem Acte des Reichshofrathsarchives in Wien ist ein Zettel aufgeklebt folgenden Wortlautes: „d. d. 17. Mai 1738. dixit exc. D. Praeses, der Inquisit seie entwichen, man solle also die Sache liegen lassen.“ Nach der gewöhnlichen Annahme durchzog er Holland und ging dann nach Hamburg und Altona, wo er unter dem Namen Schröder als Corrector und Uebersetzer seinen Unterhalt fand. Zuletzt ward er als Hofmathematicus und Pagenhofmeister in Wolfenbüttel angestellt. Ueber sein Todesjahr schwankten die Angaben zwischen 1749 (Jöcher), 1750 (E. Reuß) und 1751 (Neudecker), obschon durch Kirchenbuchsextract festgestellt war, daß er in Wolfenbüttel vom 19. auf den 20. December 1749 an einer Herzkrankheit gestorben ist. Sein Name ist nachmals von Lessing (im 9. Anti-Goeze) als muthmaßlicher Verfasser der Wolfenbüttler Fragmente genannt worden, eine Vermuthung, die Lessing um so leichter wieder fallen ließ, als sie doch nur aufgestellt worden war, den wahren Verfasser zu verschleiern.

P. F. Schattenmann, J. L. Schmidt. Schweinfurt 1878. – Ueber das Wertheimische Bibelwerk: G. W. Meyer, Geschichte der Schrifterklärung IV, 380. – E. Reuß in Herzog’s R.-E., 2. A., XVI, 781. – G. A. Koellreuter (Protest. Kirchenzeitung 1877 Nr. 31). – G. Frank, Die Wertheimer Bibelübersetzung vor dem Reichshofrath in Wien (Zeitschrift für Kirchengeschichte 1890, Bd. XII, S. 279). – Die ältere Litteratur über das Wertheimische Bibelwerk und seinen Verfasser ist verzeichnet bei W. D. Fuhrmann, Handwörterbuch der christl. Kirchengeschichte III, 608 und J. T. L. Danz, Universalwörterbuch d. theol. Litteratur, S. 1008.