ADB:Schütz, Wilhelm von
L. Tieck in flüchtige Berührung gekommen. Sein formales Talent fesselte den nach Schülern ausschauenden Wilhelm Schlegel, welcher nach der glücklichen Entdeckung L. Tieck’s bereits in Neubeck einen Fehlgriff gethan hatte, um erst in Fouqué wieder an den rechten Mann zu kommen. Schlegel nahm in seinen und Tieck’s Almanach von 1802 (Chiffre SZ) Romanzen von Schütz in spanischem und englischem Stile auf und führte 1803 den „orientalisch duftenden“ „Lacrimas“, eine spielerige Nachahmung des „Alarkos“ beim deutschen Publicum ein. (Vgl. seine sämmtl. Werke 1, 370.) Alle Verehrung der Romantik konnte S. vor dem überstarken Einflusse Schiller’s nicht retten, und 1809 wetteifert ein antikisirendes, in sechsfüßigen Jamben abgefaßtes Drama „Niobe“ in der Chorfrage mit der „Braut von Messina“. Die schlecht beherrschte Form – S. wagt sich an komplicierte Strophengebäude – läßt die dichterische Impotenz des Verfassers klar hervortreten, der seine „Niobe“ auf der Bühne zu Stein werden läßt. Nicht glücklicher erwies sich die strengantikisirende Form des Dramas mit Chören an dem romantischen Stoffe des „Grafen und der Gräfin von Gleichen“. (Vgl. Weilen, Zeitschr. f. allg. Geschichte 2, 456.) Noch im Banne der Romantik schrieb S. 1808 seine „Romantischen Wälder“. 1811 erschien, sichtlich unter dem Einflusse Friedrich Schlegel’scher Impulse, im Genre der romantischen Erzählung Boccaccios und Cervantes’, der 1. Band eines „Gartens der Liebe“, unlesbar durch seinen blumigen, in endlosen Participialconstructionen sich hinziehenden Stil. Die später (1821) erschienene dramatische Bearbeitung der Geschichte von Guiscardo und Ghismonda (Boccaccios „Decamerone“ 4, 1) zeigt noch romantische Einflüsse; die gleichzeitig edirte „Evadne“ weist wiederum auf den Niobestoff zurück. Dennoch urtheilte schon 1809 W. Schlegel über S., er sei nach seinen Tragödien ein großer Fratz geworden, wahnwitzige Eitelkeit habe ihn zu Grunde gerichtet (an Tieck 3, 295); von den Romantikern als Dichter aufgegeben gefiel er sich 1818 in einem opernhaften „Raub der Proserpina“ (Förster’s „Sängerfahrt“, vgl. Wiener Jahrb. d. Litt. 1818 2, 213), um 1819 in angeblich Shakespearisirenden Dramen ganz zum Nachahmer Schiller’s [135] zu werden; sein „Graf von Schwarzenberg“ behandelt in fünffüßigen Jamben eine Episode der brandenburgischen Geschichte im 30jährigen Kriege als unverkennbares Pendant des „Wallenstein“, ebenso wie ein „Karl der Kühne“ (vgl. Jahrb. d. Litt. 1822 20, 191) sich an die „Jungfrau von Orleans“ anschließt. Daß sein „Marino Falieri“ (1820, vgl. an Tieck 2, 273) und der als Anfang eines Hohenstaufencyclus gedachte „Heinrich der Löwe“ (1823, ungedr. Brief an Matth. v. Collin) unausgeführt geblieben sind, darf mit Hinblick auf die kindlich unbeholfne Form der Dramen von 1819 nicht bedauert werden. – S., der bis 1814 meist in Berlin, engverbunden mit Fichte, Bernhardi, Varnhagen, auch mit Chamisso, gelebt, der 1814–1819 in Ziebingen L. Tieck endlich näher gekommen war, ist um diese Zeit zum Katholicismus übergetreten, der von da ab mehr und mehr sein Denken beherrscht, während er selbst sich zum Vielschreiber im schlimmsten Sinne entwickelte. Einem ästhetischen Versuche über „Hamlet“ (Fr. Schlegel’s D. Museum 1813 3, 296) war eine Auseinandersetzung mit Shakespeare im Vorworte „Karl’s des Kühnen“ („über das vaterländisch-historische Drama“) gefolgt, bis endlich seine Rettung der geschichtlichen Maria Stuart Shakespeare’s dichterische Laufbahn als Abfall zum Katholicismus hinstellen will (1839); noch besser erhebt er (1842) gegen Tieck’s angebliche Dekatholisirung des antiken Dramas Protest und stellt (1844) an Pyrker’s öder „Tunisias“ Betrachtungen über die Epik der Neuzeit an. Bessere Ansätze hatte ein Aufsatz über Müllner (Wiener Jahrb. 1820 10, 130) gezeigt. – Ueber Nationalökonomie und Politik sich zu äußern, hat S. durch Adam Müller’s „Agronomische Briefe“ sich veranlaßt gesehen (F. Schlegel’s D. Museum 1812 2, 158, 1813 4, 269). Unter der großen Anzahl seiner politischen Essays nenne ich nur „Rußland und Deutschland“ (1819) und die während der Abfassung der Censurgesetze geschriebene und schon im Drucke veraltete Abhandlung. „Ueber Deutschlands Preßgesetz“ (1821). – Als Champion das Katholicismus zog er zuerst 1838 für den Erzbischof v. Gnesen und Posen, v. Dunin, gegen die preußischen Behörden ins Feld, schrieb 1841 für das Kirchenrecht und gegen das Staatsrecht in der Rheinprovinz und edirte 1842–45 die Zeitschrift „Anticelsus“ zur zeitgemäßen Apologie des Katholicismus und zur Kritik des Protestantismus. Diese umfangreiche journalistische Thätigkeit hat S. doch noch Zeit gegönnt, anfangs der zwanziger Jahre sich mit der Schöpfung und der Entstehung der Erde zu beschäftigen, für die gleichzeitig auch Fr. Schlegel ein lebhaftes Interesse empfunden hat (vgl. dessen S. Werke 10, 365). Diese auf die Naturwissenschaft gerichteten Bemühungen, die ihn gelegentlich bis zu Detailuntersuchungen über Hopfenkrankheiten und zu Studien über die Verwerthung der Schafwolle in Alterthum und Neuzeit führen, haben Goethe’s Antheil geweckt, ohne daß eine dauernde Verständigung hätte Platz greifen können (Tag- und Jahreshefte 698. 956; vgl. Werke, Hempel 29, 750, dann insbesondere 33, 124. 140. 493 und Goethe’s Naturwissensch. Correspondenz hrsg. v. F. Th. Bratranek 2, 241 insbes. 247). – Ganz außer den Zusammenhang seiner sonstigen Schriften fällt die Einführung Casanova’s in die deutsche Litteratur, ein Parergon, das seine vielgeschäftige, äußerlich geschäftsmäßige Art des Litteraturbetriebes trefflich charakterisirt. – S. hat zuletzt meist in Dresden und auf seiner Besitzung Reichenwalde bei Frankfurt a. O. gelebt und ist am 9. August 1847 als Ritterschaftsdirector der Neumark zu Leipzig gestorben. In den Briefen seiner Zeitgenossen, insbesondere aus dem Kreise der Romantik erscheint er häufig als lieber Freund; wissenschaftlichen Ruhm hat ihm seine ganze Schreiberei nicht eingetragen, kein biographisches Lexikon gedenkt seiner; eingehenderes bietet lediglich Koberstein 3, 2269 ff.; werthlos ist die Notiz Goedeke’s 3, 55. Den Protestanten hat sich S. durch seine Conversion entfremdet; den Katholiken hat [136] er so wenig zu Dank gearbeitet, daß auch eindringliche Darstellungen der Kirchengeschichte ihn nur beiläufig oder gar nicht nennen.
Schütz: Christian Wilhelm v. S., geb. zu Berlin am 13. April 1776, ist schon auf der Schule mit dem 3 Jahre älteren