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Artikel „Salchli“ von Albert Schumann in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 30 (1890), S. 200–208, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Salchli&oldid=- (Version vom 19. April 2024, 16:25 Uhr UTC)
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Salchli, ein seit 1603 in Zofingen (Aargau) ansässiges und seit 1731 auch in Lausanne eingebürgertes Geschlecht, aus welchem 170 Jahre lang eine fortlaufende Reihe evangelischer Theologen hervorgegangen ist. Von den fünf in Betracht kommenden haben die vier nachbenannten zu ihrer Zeit durch wissenschaftliche oder dichterische Bestrebungen sich hervorgethan.

Johann Rudolf S., geboren am 30. October 1688 (nicht 1686) zu Eggiwil im oberen Emmenthale (Kanton Bern), der zweite von vier Söhnen des dortigen Pfarrers Joh. Rud. S. und der Barbara geb. Dolosea von Bern, durchlief, von seinem Vater dazu vorbereitet, seit 1702 die verschiedenen Abtheilungen der Berner Akademie und bildete sich hier unter Lehrern wie Sam. Haller, Joh. Friedr. Benoit und Joh. Rud. Rudolf (s. A. D. B. XXIX, 35 f. und 776). Seine schon damals sich äußernde Vorliebe für die griechische und die morgenländischen Sprachen bewährte er auch auf einer 1713 unternommenen Studienreise, die ihn nach Frankreich, Holland und Deutschland führte. In Utrecht, wo er über ein Jahr verweilte, hörte er die Professoren Roëll und Reland und trieb daneben noch Syrisch bei dem Orientalisten Karl Schaaf und Hebräisch bei gelehrten Rabbinern. 1715 nach Bern zurückgekehrt, vertheidigte er vor seiner Aufnahme ins Predigtamt eine im nämlichen Jahre gedruckte Abhandlung über Hosea IV, 12: „Εἰδωλομανεία καὶ Ῥαβδομαντεία Antichristiana“ (60 S. 4°) und erhielt 1716 von der Regierung die Feldpredigerstelle bei dem in kaiserlichen Diensten stehenden Schweizerregimente Tillier, dessen Garnisonsort Freiburg i. Br. war. Er blieb hier bis zur Abdankung des [201] Regimentes (1717), legte dann zweimal Proben für erledigte akademische Lehrstellen in Bern und Lausanne ab und erlangte 1720 als Nachfolger Joh. Heinr. Ringier’s (s. A. D. B. XXIX, 758 f.) die Professur der griechischen Sprache und der Sittenlehre an der Berner Akademie, bekleidete 1728–30 das Rectorat, wurde 1735 Professor der hebräischen Sprache und der Katechetik und, bereits von Krankheit heimgesucht, 1745 der Streittheologie und starb in einem Alter von erst 58 Jahren am 2. Juni 1746 an der Wassersucht; Mit einer geb. v. Grafenried vermählt, hinterließ er eine einzige Tochter. – Salchli’s fleißige und sorgfältige Lehrthätigkeit hat seinerzeit die dankbare Anerkennung seiner Schüler gefunden und zur damaligen Blüthe der Akademie nicht wenig beigetragen. Ein tüchtiger Exeget und Kenner der biblischen Alterthümer, hat er sich vorzugsweise nach diesen zwei Richtungen hin schriftstellerisch versucht. Außer drei hierher gehörigen Abhandlungen in der „Tempe Helevetica“ sind von ihm folgende bezügliche Einzelschriften im Druck erschienen: „Dissertatio in Hebr. III, 1: Quomodo et quo sensu Salvator noster Jesus Christus Paulo dicatur ἀπόστολος καὶ ἀρχιερεὺς τῆς ὁμολογίας ἡμῶν“ (1722; wiederholt in Th. Hase und K. Iken’s „Thesaurus novus theol.-philologicus“, (1732); „Oratio inauguralis de facillima methodo docendi et discendi linguam Hebraicam“ (1735); „Dissertaitio philol.-critica de initiatione puellarum Heabraearum in foedus Dei“ (1741) und „Observationes variae in varia Veteris et Novi Testamenti loca, potissimum ex Pindaro desumptae“ (1745), sein Hauptwerk, das erst kurze Zeit vor seinem Tode die Presse verließ. – Sein theologischer Standpunkt war der etwas einseitige eines entschiedenen Festhaltens an der Heidegger’schen Lehrformel. Gleich der Berner Regierung widerstrebte er einer Abschaffung oder Milderung derselben, weil er darin eine Gefahr für den reformirten Glauben sah, und scheute sich nicht, seine theologischen Gegner als „pfäffische Neuerer“ (clericanos nouatores) zu bezeichnen. Seine Ueberzeugung offenbarte er in den „Stricturae et Observationes in … Christophori Matthaei Pfaffii … Dissertationem histor.-theologicam de Formula Consensus Helevetica“ (1723; 60 S; 4°), reizte aber dadurch den streitbaren Hamburger Sebastian Edzardus (s. A. D. B. V, 652) zu einer unter dem Namen Daniel Snitling herausgegebenen scharfen Erwiderung: „Hypomnemata ad J. R. Salchlini Stricturas et Observationes“ (1735). Der Angegriffene gedachte zu antworten und schrieb eine „Apologia pro Observationibus suis de Formula Consensus contra Dan. Snitlingium“, die aber, wie drei andere zum Theil polemische Abhandlungen, nicht zum Drucke gelangt ist. In deutscher Sprache veröffentlichte er nur drei bei öffentlichen Schulfeierlichkeiten gehaltene Reden (1731), in denen er aus der Religionsgeschichte aller Zeiten nachzuweisen suchte, daß die Wahrheit nie verborgen gewesen sei, daß man aber nach derselben nicht verlangt habe.

Tempe Helvetica, Tom. II., Sect. II. (1736), S. 334 f. – J. J. Moser, Beytrag zu e. Lexico der jeztlebenden Theologen, 2. Thl. (1741), S. 917. – Zedler’s Universal-Lexicon, 33. Bd. (1742). Sp. 857. – Museum Helveticum, Tom. I., Partic. IV. (1747), S. 641–644; Auszug daraus in: Beyträge zu den Actis histor.-ecclesiasticis. 1. Thl. (1747), S. 445–447. – J. G. W. Dunkel, Histor.-Critische Nachrichten von verstorbenen Gelehrten, 3. Bdes. 4. Thl. (1760), S. 846 f. – Leu, Helvet. Lexicon, XVI. Thl. (1760), S. 25 f.; Holzhalb’s Supplement, V. Thl. (1791), S. 252. – Hirsching, Histor.-litterar. Handbuch, 10. Bd., 2. Abthl. (1808), S. 70 f.– J. J. Frikart, Tobinium litteratum, 1809 (Mscr. der Zofinger Stadtbibliothek), S. 59–62. – (Derselbe,) Tobinium ecclesiasticum (1824), S. 181. – B. S. Fr. Schärer, Geschichte der öffentl. Unterrichts-Anstalten des deutschen [202] Theils des ehemal. Kantons Bern, Bern 1829, S. 205–207. – M. Schuler, Die Thaten und Sitten der Eidgenossen, 4. Bdes. 1. Abthl., 3. Aufl., Zürich 1845, S. 579 f.

Johann Jakob S., dritter Sohn des Pfarrers Joh. Rud. S. und jüngerer Bruder des Vorigen, am 15. October 1694 zu Eggiwil getauft – der Geburtstag war nicht zu ermitteln –, erhielt die erste gelehrte Vorbildung daheim, besuchte seit 1706 die Akademie in Bern, wo er sich nach dem Beispiele seines Vaters neben der Theologie im engeren Sinne vornehmlich der griechischen und hebräischen Sprache widmete, und vollendete seine Studien in Straßburg unter der Leitung des bekannten Philologen J. H. Lederlin. Nach Bern zurückgekehrt, wurde er dort am 10. Februar 1721 ordinirt und am 19. Juni 1724 mit dem Helferamte (Diakonat) an der Nideggkirche betraut. Von dieser Stelle beförderte ihn die Regierung am 22. August 1726 zum Professor der Theologie an der Lausanner Akademie, theils seiner vielversprechenden Kenntnisse wegen, theils in der Hoffnung, daß er als entschiedener Anhänger der Staatstheologie der freisinnigen, der helvetischen Einigungsformel abholden Richtung der Akademie sowie den deistischen Regungen der gebildeten Einwohner und dem aufkommenden Sectenwesen durch Lehre und Predigt erfolgreich entgegenarbeiten werde. Diesen Erwartungen hat er nicht nur in seiner akademischen und geistlichen Wirksamkeit entsprochen – außer natürlicher Begabung und gründlicher Bildung kamen ihm dabei noch äußere Vorzüge zu statten –, sondern er ist auch als geschickter und maßvoller Vertheidiger des auf die Bibel gegründeten Glaubens schriftstellerisch hervorgetreten: zunächst in den „Trois Discours: le premier sur la nature et les sources des différens sentimens, qui se sont élevés dans l’église chrétienne; le second sur la réunion de l’église chrétienne; le troisième sur la tolérance“ (1737; 9 Bll., 241 S. 8°). Von diesen drei Abhandlungen beschäftigen sich die beiden ersten mit den religiösen Spaltungen in der christlichen Kirche und mit den zu ihrer Beseitigung geeigneten Mitteln. Nach des Verfassers Ansicht haben alle Secten ihre Quelle in der Verderbniß des menschlichen Herzens: in dem Dünkel und der allzu großen Freiheit, die man sich der Schrift gegenüber erlaubt. Die Ungläubigen schreiben diese Spaltungen der Dunkelheit der heiligen Bücher zu, – die ganze Schuld liegt jedoch an dem Menschen selbst; denn die Güte Gottes läßt nicht annehmen, daß er uns die Heilswahrheiten in einer dunklen Form und in zweideutigen Worten habe offenbaren wollen. – Im ersten Theile der 3. Abhandlung wird das Wesen und die Nothwendigkeit der Toleranz dargelegt. Diese besteht in der Gewissensfreiheit, wonach jeder glauben darf, was er will, und diejenige Religion annehmen kann, welche ihm für sein Heil am besten scheint, ohne daß er irgendwie verfolgt oder beleidigt werde, sofern er nur die Gesellschaft nicht beunruhigt. Der zweite Theil handelt von den Vorsichtsmaßregeln, die man gegen eine Ausartung der Toleranz in zügellose Freiheit ergreifen muß, weil sonst arge, die Kirche verwirrende Ketzereien in diese eindringen. Es ist nothwendig, daß man keine Religion gestattet, welche das Laster gewähren läßt, keine, welche die öffentliche Sicherheit und besonders diejenige des obersten Regenten (souverain) gefährdet, und man muß die Toleranz gegenüber denen beschränken, welche sich zu öffentlichen Lehrern aufwerfen, ohne dazu berufen zu sein. Die Toleranz wird also vom Verfasser mit einigen Einschränkungen gebilligt; der Gedanke, daß der Mensch ein Recht auf dieselbe habe, tritt jedoch in der Abhandlung nicht hervor. – Einer anderen Schrift ähnlichen Inhaltes oder eigentlich der neuen Auflage eines älteren Buches: „Recueil des dernières heures de MM. de Mornay du Plessis, Gigord, Rivet, du Moulin, Drelincourt et Fabri“ (1740), das dem Unglauben gegenüber den erbaulichen Tod einiger wahren Christen [203] schildert und Andere zur Nacheiferung ihrer Tugenden anfeuern soll, indem es das Verlangen nach einem gleichen Ende in ihnen erweckt, hat der Verfasser einen ausführlichen, 91 Seiten enthaltenden „Discours préliminaire sur l’utilité de cet ouvrage et sur le fondement de notre salut et de nos espérances dans la vie et dans la mort“ vorangestellt. Er will hier in großen Zügen die Wahrheit des Christenthums und den Irrthum derjenigen Religionen nachweisen, welche behaupten, daß sie zum Heile führen, wenn sie sich einzig auf die guten Werke oder das unendliche Erbarmen Gottes verlassen. – Die übrigen Schriften Salchli’s sind gelehrter und erbaulicher Art: eine Trauerrede (Oratio funebris) auf den Tod seines Collegen David Constant in Lausanne (1733; im „Museum Helveticum“ Bd. 1, als „Vita Davidis Constantii“ mit einigen Anmerkungen wiederholt), mehrere exegetische Abhandlungen über alttestamentliche Schriftstellen, sechs Dissertationen „über geistliche Seelsorge“ (1746–50), zwei akademische, in der „Biga praelectionum“ (1748; 104 S. 4°) vereinigte Reden, eine Sammlung „Predigten über verschiedene Texte H. Schrift. gehalten in dem großen Münster zu Bern“ (2 Thle., 1752–56) und „Drey öffentlich gehaltene Reden“ (1757) von moralischer Färbung. Eine lateinische Uebersetzung von Aben Esra’s „Kommentar zur Genesis“ ist, entgegen der Angabe mehrerer Quellen, nur Handschrift geblieben und eine französische Druckschrift: „Apologie de l’histoire du peuple juif“ (1770), die ihm Leu (s. u.) zuschreibt, nicht von ihm, sondern von seinem Sohne Johann (s. d.) verfaßt. – Was die spätere Zeit seines Lebens betrifft, so versah er in Lausanne neben seinem Amte auch noch einige Jahre die Stelle eines Büchercensors, und im December 1731 schenkte die genannte Stadt ihm und seinen Nachkommen das Bürgerrecht. Trotzdem folgte er am 20. November 1747 einem Rufe als Professor der didaktischen Theologie an die Berner Akademie. Er begann seine Lehrthätigkeit daselbst am 26. Februar 1748, bekleidete von 1753–56 das Rectorat und starb, beinahe 80jährig, am 16. Mai 1774. Drei Söhne und zwei Töchter überlebten ihn. Von jenen schlugen die beiden älteren (s. u.) die geistliche Laufbahn ein; der jüngste widmete sich dem Handelsstande.

Tempe Helvetica, Tom. I., Sect. IV. (1737), S. 608. – Moser, Beytrag, 2. Thl. (1741), S. 916 f. – Leu, Helvet. Lexicon. XVI. Thl. (1760), S. 26 f.; Holzhalb’s Supplement, V. Thl. (1791), S. 252. – J. J. Frikart, Tobinium litteratum 1809, S. 63–65. – Meusel, Lexikon, XII. Bd. (1812), S. 21 f. – M. Lutz, Nekrolog denkwürdiger Schweizer, 1812, S. 451. – (J. J. Frikart,) Tobinium ecclesiasticum, 1824, S. 181 f. – B. S. Fr. Schärer, Geschichte der öffentlichen Unterrichts-Anstalten u. s. w., 1829, S. 208. – A. Gindroz, Histoire de l’instruction dans le Pays de Vaud, Lausanne 1853, p. 380 s. – A. Vuilleumier, Les Apologistes vaudois au XVIIIe siècle, ibid. 1876, p. 34–37. – A. de Montet, Dictionnaire biographique des Genevois et des Vaudois, tom. II., ibid. 1878, p. 441 s. – Ein Bildniß Salchli’s (Oelgemälde) ist in der Zofinger Stadtbibliothek.

Johann S., der ältere Sohn des Vorigen, 1724 wahrscheinlich in Bern, nicht aber, wie eine Quelle angibt, in Zofingen geboren, war erst zwei Jahre alt, als sein Vater die Professur der Theologie in Lausanne übernahm. Hier wohl zuerst von diesem unterrichtet, ward er im November 1737 aus der ersten (obersten) Klasse des „Collége“ in die untere Abtheilung der Akademie, die sog. Eloquenz, befördert. Die Acten führen ihn als den Letzten jener Classe an und bezeichnen ihn als „Honorarius“, was ohne Zweifel sagen will, daß er als Externe oder Zuhörer mit der Absicht, die Beförderungsprüfungen zu machen, in die Classe eingetreten war und deshalb keinen bestimmten Rang hatte. Seitdem [204] besuchte er die Akademie und ging 1740 in die philosophische und 1743 in die theologische Abtheilung derselben über. 1749 wurde er zur Weihe für das geistliche Amt (l’imposition des mains) zugelassen, empfing diese jedoch „aus besonderen Gründen“ (ob rationes sibi privas) erst zwei Jahre später. Wie es scheint, befand er sich damals in Bern, wo sein Vater zu Anfang 1748 den Lehrstuhl der didaktischen Theologie erhalten hatte; sicher verweilte er dort im Januar 1751 und zwar als einfacher Candidat für die Weihe („S. M. C.“ und nicht „V. D. M.“), als der Berner akademische Senat ihn einlud, bei der Wiederbesetzung der durch Abraham Ruchat’s Tod († 1750) erledigten zweiten theologischen Professur in Lausanne mit 15 anderen Bewerbern die vorgeschriebenen Proben abzulegen. Obwol der jüngste von allen und noch nicht einmal geweiht, trug er doch den Sieg davon, vertauschte aber unter Vermittelung seines Vaters am 6. März des gleichen Jahres den theologischen Lehrstuhl, welchen J. P. Secretan erhielt, gegen die Anwartschaft auf den hebräischen und katechetischen, welchen der greise George Polier inne hatte. Diese Anordnung erlaubte ihm, sich noch einige Jahre auf auswärtige Hochschulen zu begeben, nachdem er vorher noch (Mai 1751) in Lausanne die Weihe empfangen hatte. Als er 1755 dorthin zurückgekehrt war, erfolgte am 26. April seine Ernennung zum Stellvertreter Polier’s und am 15. September seine förmliche Einsetzung als dessen Amtsnachfolger (suffragant successif). Nach Polier’s Tode (23. October 1759) trat er als wirklicher Professor unmittelbar an dessen Stelle und lehrte fortan über 47 Jahre an der Akademie. Neben der Theologie las er auch zeitweise über Geschichte, wie es früher bereits J. B. Plantin, Daniel Pavillard, der Lehrer des englischen Historikers Gibbon, und Durand gethan hatten. Seine öffentlichen, nichtakademischen Vorlesungen fanden Beifall, weil er originell zu erzählen wußte und seinen Vortrag durch eingestreute Anekdoten würzte. – Als Schriftsteller hat er sich, dem Vorgange seines Vaters folgend, außer einem gelehrten „Specimen arabicum seu Analysis grammatica et Notae in Suratam duodecimam, in qua Josephi Patriarchae historia traditur“ (1742) durch zwei für gebildete Leser bestimmte apologetische Werke in französischer Sprache bekannt gemacht. Zu dem einen, den „Lettres sur le Déisme“ (Tom. I., 1756; VII und 412 S. 8°), bewogen ihn nach der Vorrede „die fortwährenden Anstrengungen der Deisten, die Religion zu zerstören, ihre Fortschritte, der Wunsch, die Gründe davon und ihre Kunstgriffe aufzudecken, endlich sein durch eine aufmerksame Prüfung ihrer Ansichten und der christlichen Wahrheiten bestärkter Widerwille gegen so wenig philosophische und tröstliche Meinungen“. Unter „Deisten“ versteht er alle Diejenigen, welche die Göttlichkeit der Offenbarung angreifen. Ihr Versuch, die Offenbarung umzustoßen, ist vielleicht der wunderlichste und verwegenste, den der menschliche Geist geboren hat. Gleichwol ist der Zweck erreicht und der Deismus die moderne Religion geworden: Europa ist mit den Werken der Deisten überschwemmt, und ihre Parteigänger haben in einem Zeitraume von 80 Jahren mehr Abtrünnige gemacht, als jemals die Apostel und die ersten Väter der Kirche. Um nun in den Geist dieser Secte einzuführen, gibt der Verfasser zunächst einen Abriß des Lebens der berühmtesten Deisten, eines Collins, Tindal, Woolston u. a., handelt dann von den Ursachen des zunehmenden Unglaubens, die ihm in der Unwissenheit, in den leichtfertigen Urtheilen und in der Sorglosigkeit bei der Prüfung der religiösen Beweise zu liegen scheinen, und bespricht, damit die Schwäche der deistischen Angriffe klar werde, in mehreren Briefen die von dem Marquis d’Argens in seiner „Philosophie des gesunden Menschenverstandes“ vorgebrachten Zweifel. Die Gründe solch irriger Ansichten und Sophismen sieht er in der Mißachtung der Kritik und in der Oberflächlichkeit der philosophischen Studien. – Eine zweite ähnliche Schrift, [205] die „Apologie de l’histoire du peuple juif suivant les auteurs sacrés, ou Examen du chapitre premier des Mélanges de littérature, d’histoire et de philosophie de M. de Voltaire. Avec quelques lettres sur les causes de l’incrédulité“ (1770; VIII und 371 S. 8°), bekämpft in sieben Briefen zunächst die durch Voltaire’s Buch erregten Zweifel und die darin enthaltenen verderblichen Meinungen über die Religion. – Indem S. dieselben prüft, um ihren üblen Wirkungen zu begegnen, widerlegt er zugleich die Irrthümer des französischen Philosophen und macht auf dessen Geschicklichkeit aufmerksam, Einzelheiten zu übergehen und gewisse Thatsachen zu verbinden, um einen Schein des Lächerlichen über die biblischen Berichte zu verbreiten, wobei er sich stelle, als komme es ihm nur auf die Wahrheit an. Als Anhang und gleichsam als zweiter Theil der „Briefe über den Deismus“ folgen dann noch fünf „Briefe über einige Ursachen des Unglaubens“, in welchen zu den schon oben genannten Triebfedern noch die Verachtung der Theologie, die Sittenlosigkeit, die zu weitgetriebene religiöse Duldung und die abgeschmackten Zänkereien der Geistlichen hinzugefügt werden. Der Ton dieser Briefe ist lebhaft, aber würdig und ernst, hin und wieder auch etwas ironisch. – S. hatte sich mit einer geb. de Saussure von Genf vermählt; doch blieb die Ehe kinderlos. Am 18. Januar 1807 (nicht 1808) ist er gestorben.

(B. F. de Zurlauben,) Tableaux de la Suisse, IIe éd., tom. VIIe, Paris 1784, p. 135. – Meusel, Gel. Teutschland, VII. Bd. (1798), S. 14; XX. Bd. (1825), S. 19. – J. J. Frikart, Tobinium litteratum, 1809, S. 66. – Meusel, Lexikon, XII. Bd. (1812), S. 21. – (J. J. Frikart,) Tobinium ecclesiasticum (1824), S. 182 f. – (Derselbe,) Tobinium genealogicum, 2. Bd., 1828, S. 73. – A. Gindroz, Histoire de l’instruction dans le Pays de Vaud, 1853, p. 136, 155, 173, 185, 254, 381 et suiv. – A. Vuilleumier, Les Apologistes vaudois, 1876, p. 55–62. – A. de Montet, Dictionnaire biographique des Genevois et des Vaudois, tom. II., 1878. p. 441 et suiv. – C. Schauenberg-Ott, Die Stammregister der bürgerlichen Geschlechter der Stadt Zofingen, 1884, S. 294. – Sämmtliche Quellen geben über Salchli’s Leben nur dürftige Auskunft. Sichere actenmäßige Kunde verdanke ich der zuvorkommenden Güte des Herrn Prof. H. Vuilleumier in Lausanne, einzelne gefl. Mittheilungen Herrn Oberbibliothekar Dr. E. Blösch in Bern.

Emanuel Rudolf Nikolaus S., der jüngere Bruder des Vorigen, ein von den Litteraturgeschichten übersehener Dichter in französischer Sprache, am 14. Mai 1740 in Lausanne geboren und am folgenden 22. Mai getauft, verlebte die ersten Jahre seiner Kindheit in dieser Stadt und besuchte zunächst die dortige Vorschule der Akademie, das „Collége“, wo er im Mai 1747 aus der 6. Classe in die 5. aufstieg und schon im Herbst desselben Jahres mit einem Preise für Wohlverhalten („prix de sagesse“) in die 4. Classe versetzt wurde. Als sein Vater zu Anfang 1748 als Professor nach Bern übersiedelte, folgte er ihm dahin, um auch wohl hier wieder in die untere Schule einzutreten, die er dann 1754 mit der oberen, der Akademie, vertauschte. Zuletzt vollendete er seine theologischen Studien auf auswärtigen Hochschulen und empfing, nach Bern zurückgekehrt, am 7. Juli 1766 die Ordination und zwar mit dem Beförderungsrange von 1764, weil er damals auf Reisen gewesen war. 1773 als Lehrer am Schullehrerseminar angestellt und wegen seines anregenden Unterrichtes bald beliebt, disputirte er am 25. August 1774 für den akademischen Lehrstuhl der Streittheologie, der nach dem Tode seines Vaters (s. o.) durch die Ernennung des elenchtischen Professors Joh. Stapfer zum didaktischen erledigt war, ferner 1775 für denjenigen der Eloquenz in Lausanne und überhaupt im ganzen sechsmal, [206] wobei er sich das Lob vielseitiger Kenntnisse und einer tüchtigen philologischen und theologischen Bildung erwarb. Ohne jedoch zu einer Professur gelangt zu sein, übernahm er am 26. Juni 1775 das Pfarramt in Stettlen, trat dieses aber nach den dortigen Kirchenacten erst 1777 an, wie es im altbernischen Freistaate manchmal vorzukommen pflegte. Von seinem neuen Wohnorte aus unternahm er, ein Bewunderer seiner schönen Heimath, vielfache Wanderungen in die Alpen und in die anmuthigen Gegenden des Vorlandes und gewann dadurch reiche, später in seinen Gedichten niedergelegte Eindrücke. Daneben widmete er sich in seinen Mußestunden den Wissenschaften und beschäftigte sich vornehmlich mit die Philosophie, seitdem er auf einem Ausfluge zwischen Unterseen und Lauterbrunnen dem ehemaligen französischen Staatsminister v. Malesherbes begegnet war, dessen reifes Urtheil und theilnehmendes Verständniß der menschlichen Dinge einen großen Eindruck auf ihn gemacht hatten. Er dachte wohl an eine Darstellung seiner von Leibnitz’ Optimismus ausgehenden philosophischen Nachforschungen, fürchtete aber die Eingriffe der staatlichen Censur und wählte daher statt der gefährlicheren Prosa die unverfänglichere dichterische Form und statt der deutschen die französische Sprache, „welche er schon in seiner ersten Jugend eifrig betrieben hatte“. So entstand das Lehrgedicht in Stanzen und zehnsilbigen Versen: „Les Causes finales et la Direction du Mal, poëme philosophique en quatre chants“ (1784; XLVI und 186 S. 8°), ein Versuch zu zeigen, daß das in der Weltordnung unvermeidliche Uebel unter der Leitung der Vorsehung die allgemeine Vervollkommnung, das Wohl der Gesellschaft überhaupt und jedes Einzelnen, zum Zwecke habe. Diesen Zweck beweist der Verfasser im ersten Gesange, während er in den beiden folgenden darlegt, daß das metaphysische, physische und moralische Uebel diesen Zweck befördert, und im letzten hieraus moralische Folgerungen zieht. Dem Gedichte blieb der Beifall nicht aus; aber S. war einsichtig genug, dem Urtheile der „Allgemeinen deutschen Bibliothek“ (Bd. 67 von 1786, S. 146–148) beizustimmen, welche zwar den philosophischen Inhalt gelten ließ, jedoch bemerkte, daß es „der Schreibart an hinlänglichem Feuer, an dem, was vorzüglich den Dichter ausmache, an lebhaften Bildern und Vergleichungen, fehle“; und erst nach eingehender Beschäftigung mit französischer Sprache und Verskunst vollendete er ein zweites größeres, dem Herrn v. Malesherbes dankbar zugeeignetes Lehrgedicht: „Le Mal, poëme philosophique en quatre chants. Suivi de Remarques et de Dissertations relatives au sujet“ (LIV und 448 S. gr. 8°, mit einem Titelkupfer). 1789 in Bern und 1790 in Paris gedruckt, erschien es 1813 zu Lausanne in einer „neuen, vom Verfasser durchgesehenen, verbesserten und vermehrten Auflage“ (LII und 271 S. 8°), in der die Zahl der Gesänge auf neun gestiegen ist, während die vielen, oft zu förmlichen Abhandlungen erweiterten Anmerkungen der beiden ersten Ausgaben weggeblieben sind; dagegen enthalten alle drei Ausgaben ein ausführliches Vorwort (discours préliminaire) und genaue Inhaltsangaben des Ganzen und der einzelnen Gesänge. Des Dichters Absicht drückt die Anfangsstrophe aus:

„J’offre aux esprits pensants des vérités frappantes:
Contemplant la douleur dans ses fins consolantes.
Et des plus grand fléaux admirant les effets,
J’entreprends de chanter le Mal et ses bienfaits.“

Mit anderen Worten: Die Grundgedanken sind die nämlichen wie in dem ersten Lehrgedichte, aber die Ausführung ist eine vollständig neue und das Versmaß – Alexandriner zu vierzeiligen Strophen (quatrains) verbunden – ein geeigneteres. An dichterischem Feuer mangelt es hier nicht, und vortrefflich gelungen sind namentlich die Schilderungen von Natur und Bevölkerung des [207] Schweizerlandes. Das Gedicht schließt mit dem Weltuntergange, nach welchem eine neue, vollkommenere Welt entstehen wird. In dieser werden sich die tugendhaften Menschen, Heiden und Christen, zu einem glückseligen Leben zusammenfinden, Sokrates, Plato, Seneca, Marc-Aurel, Fénélon und Albrecht v. Haller sich begegnen. Den Letzteren feiert das Gedicht also:

„Quel bonheur de revoir celui, dont le génie,
Dans de sublimes chants pleins de force et de vie
Peignant de nos bergers les vertus et les jeux,
Des Alpes célébra l’aspect majestueux,
Dont les brillants sommets, symboles de sa gloire,
A tous ces voyageurs rappellent sa mémoire,
Qui sur ces hauts rochers, en répétant ses vers,
Vont rendre un humble hommage au Dieu de l’Univers.
Son ésprit, qui jadis dévoila la nature,
Qui de tous ses ressorts décrivit la structure.
Maintenant dans les cieux déployant sa vigueur,
Embrasse le grant Tout et chante son auteur.“

Diesem Lehrgedichte hat S. nachher noch zwei andere folgen lassen, nämlich: „L’Optique de l’Univers ou la philosophie des voyages autour du monde. Poëme divisé en six parties“ (1799; XXIX und 262 S. 16°, mit einem Titelkupfer), in welchem er eine Uebersicht der Erde und ihrer Bewohner gibt, die allgemeinsten und wichtigsten Ergebnisse darlegt, welche der philosophische Geist aus den Berichten berühmter Reisender ziehen kann, deren Wichtigkeit zeigt und die Völker und ihre Schicksale, ferner Wohl und Wehe unter dem wahren Gesichtspunkt betrachten lehrt, – und das „Tableau critique des poëtes français les plus célèbres, depuis François I. jusqu’à nos jours. Suivi d’un Épître sur le Poëme des Jardins de l’Abbé Delille“ (1814; 184 S. 8°). – Aber auch in der politischen Dichtung hat er sich versucht. Er feierte Joseph II. und dessen kühne Versuche, zur Neubildung seines Staates in einer „Ode sur les Réformes de l’Empereur“ (1785); er begrüßte den Einmarsch der Neufranken in Bern und die Umgestaltung der schweizerischen Verhältnisse als den Anbruch einer besseren Zeit in einer dem General Brune gewidmeten „Hymne aux Français, composée quelques heures avant leur entrée victorieuse dans cette Ville“ (5. März 1798) und in einer „Hymne aux Suisses. Consacrée au Corps législatif de l’Helvétie. Publiée quelques jours après que tours les cantons eurent accepté la constitution de la République une et indivisible“ (1798). Endlich veröffentlichte er außer kleineren Gedichten und Beiträgen in dem zu Brüssel gedruckten „Esprit des Journaux français et étrangers“ noch die „Amusemens poétiques d’un aveugle, par l’auteur de l’Optique de l’Univers“ (1801; 90 S. 16°), sieben an verschiedene Personen gerichtete poetische Episteln, deren Titel schon an das traurige, den Verfasser heimsuchende und mit gänzlicher Erblindung endende Leiden erinnert. Bereits 1791 mußte er deswegen einen Vicar zur Beihilfe ins Haus nehmen, versah aber gleichwol, einer alten Neigung folgend, seit dem gleichen Jahre noch die Stelle eines Professors am politischen Institut, einer Bildungsanstalt für Jünglinge der besseren Stände, und lehrte dort bis 1794 allgemeine (griechische und römische) Geschichte. Abwechselnd geleitete ihn während dieser Zeit eine seiner beiden Töchter nach dem Hörsaale im „Kloster“ (dem Schulgebäude in Bern) und dann wieder nach seinem eine gute Stunde entfernten Dorfe zurück. 1804 verzichtete er auf das Pfarramt in Stettlen, übernahm aber dafür im Februar 1807 dasjenige in Bätterkinden. Hier verlor er am 15. Juli 1812 seine Gattin Johanna Margaritha geb. Wyttenbach, die Tochter des Berner und späteren Marburger Professors Daniel Wyttenbach, und folgte ihr am 5. Mai 1817 im Tode nach. Die Beerdigung [208] fand erst am 10. Mai statt, wol deshalb, damit nahe Verwandte – die eine Tochter hatte sich nach Paris verheirathet – noch rechtzeitig eintreffen konnten. Mit ihm erlosch der eine Zweig des Geschlechtes im Mannsstamme.

Holzhalb, Supplement zu Leu’s Helvet. Lexicon, V. Thl. (1791), S. 252. – Meusel, Gel. Teutschland, VII. Bd. (1798), S. 18 f.; X. Bd. (1803), S. 534. – J. J. Frikart, Tobinium litteratum, 1809, S. 67 f. – M. Lutz, Nekrolog denkwürdiger Schweizer, 1812, S. 451. – (J. J. Frikart,) Tobin. ecclesiasticum (1824), S. 182 f. – (Derselbe), Tobin. genealogicum, 2. Bd., 1828, S. 67 f. – C. Fr. L. Lohner, Die reformirten Kirchen und ihre Vorsteher im eidgen. Freistaate Bern, Thun (1864), S. 142 u. 379. – Der Unterzeichnete in der „Argovia“, XII. Bd., Aarau 1881, S. 58 u. 65. – C. Schauenberg-Ott, Die Stammregister der bürgerl. Geschlechter der Stadt Zofingen, Zofingen 1884, S. 294. – Vgl. auch: Schärer, Geschichte der Unterrichts-Anstalten u. s. w., 1829, S. 277 f. und Berner Taschenbuch auf das Jahr 1853. Hrsg. von Ludw. Lauterburg. 2. Jahrg. Bern (1852), S. 150–153. – Dazu freundlich gespendete lebensgeschichtliche Mittheilungeu der Herren: Prof. H. Vuilleumier und Staatsarchivar A. de Crousaz in Lausanne, Oberbibliothekar Dr. E. Blösch in Bern, Pfarrer v. Wattenwyl in Stettlen und Pfarrer Steck in Bätterkinden. – Ein Bildniß Salchli’s (in Oel) aus dem Nachlasse eines seiner dankbaren Schüler, des Herrn v. Dachselhofer auf Schloß Utzigen, bewahrt dessen Neffe, der genannte Herr v. Wattenwyl.