ADB:Sachs, Michael (Übersetzer)

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Artikel „Sachs, Michael“ von David Kaufmann in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 30 (1890), S. 131–133, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Sachs,_Michael_(%C3%9Cbersetzer)&oldid=- (Version vom 23. Dezember 2024, 18:35 Uhr UTC)
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Sachs: Michael S., der als Prediger, Uebersetzer, Sprachforscher ausgezeichnete, wie Zunz ihn nennt, ist am 3. September 1808 in Groß-Glogau, der Heimath Salomon Munk’s, Zedner’s und manch anderen um die jüdische Litteratur verdienten Mannes, geboren. Auf dem evangelischen Gymnasium seiner Vaterstadt vorgebildet, früh die Aufmerksamkeit und Theilnahme seiner Lehrer, die Bewunderung der Mitschüler erregend, bezog er am 2. Mai 1827 die Universität Berlin. Neben der Philosophie, in die Hegel und Schleiermacher ihn einführten, und den orientalischen Sprachen wurde vornehmlich die classische Philologie der Gegenstand seines Fleißes und Eifers. Den mächtigsten Einfluß unter seinen Lehrern scheint Boeckh auf ihn geübt zu haben, der die Aufgaben und Ideale der Philologie vor ihm aufschloß. Am 30. Mai 1835 durch das Oberlehrerexamen seine akademischen Studien beschließend, mit der classischen Litteratur beschäftigt, wie seine Anzeigen eines Programmes von Boeckh und der Anmerkungen Nägelsbach’s zur Ilias beweisen, hielt er doch sein Augenmerk von Anfang an unverwandt auf die Erforschung und Bearbeitung des jüdischen Schriftthums gerichtet. Als erste Frucht dieser seiner Vorliebe erschienen 1835 „Die Psalmen, übersetzt und erläutert“. Die Widmung an Friedrich Rückert ist für die Richtung und fernere wissenschaftliche Laufbahn Sachsens bezeichnend, wie sich denn die wesentlichsten Merkmale seines litterarischen Charakters bereits in diesem Erstlinge ankündigen: Selbständigkeit, Streitbarkeit, Genialität. Eine Fülle neuer Erklärungen, überraschender Auffassungen verrieth bereits den vortrefflichen Exegeten, wenn auch die fast rücksichtslose Härte der Uebersetzung, die mit der sprachbildenden Kraft übermüthig spielende Kühnheit der treuen Wiedergabe vielfach Bedenken erregen mußte. Durch die im August 1836 erfolgte Berufung zum Prediger der Prager Tempelgemeinde ward S. dem Studium der jüdischen Litteratur völlig wiedergegeben. Während aber die zündende unwiderstehliche deutsche Kanzelberedsamkeit des Mannes wie ein Wunder angestaunt wurde, vertiefte er sich mit demüthiger Hingebung an der Hand berufener Lehrer in die Erforschung des altjüdischen Schriftthums, vornehmlich des Talmuds, also für den rabbinischen Beruf mit beispielvoller Gewissenhaftigkeit und Begeisterung sich vorbereitend. Von seiner Arbeitskraft legte die Zunz’sche Bibel für Israeliten 1837 ein Zeugniß ab, in der S. die Uebersetzung von 15 Büchern der heil. Schrift, darunter eine völlige Neubearbeitung der Psalmen, lieferte. Eine Zeit des beglückendsten wissenschaftlichen Nehmens und Gebens brach für S. an, als der große Pfadfinder der jüdischen historischen Kritik, S. L. Rapoport, 1840 an die Spitze des Prager Rabbinates berufen wurde. Zwei bemerkenswerthe hebräische Abhandlungen in dem Jahrbuche Kerem Chemed 1843 tragen die Spuren dieses fördernden Verkehrs. Aber nur vier Jahre war es S. vergönnt, Rapoport „in der tiefsten Verehrung und innigsten Freundschaft nahe zu sein“. 1844 ward er als Rabbinatsassessor und Prediger nach Berlin berufen. Was er verloren hatte, sollte ihm jedoch hier durch den Verkehr mit Zunz, dessen Nachfolger er in seinem Prager Amte gewesen, wiedererstattet werden. Betraut mit der geistigen Führerschaft einer mächtig emporstrebenden Gemeinde, getragen und gehoben von der Liebe und Verehrung seiner schwärmerisch an seinen Lippen hängenden Andächtigen, beglückt durch Beziehungen zu den erleuchtetsten Trägern deutscher Wissenschaft und Litteratur, wie Schelling und Alexander v. Humboldt, mit Männern wie Varnhagen v. Ense, dem Philosophen Werder freundschaftlich verbunden, erwuchs S. zu einer Persönlichkeit von außerordentlicher Kraft und Harmonie. Ein Freundschaftsverhältniß edelster Art verknüpfte ihn mit dem Vorsteher seiner Gemeinde, dem Abgeordneten Dr. Moritz Veit. Trotz des erweiterten Pflichtenkreises gehörte er weiter ganz und voll der Wissenschaft an, die bei ihm freilich sichtbar und erfolgreich ins Leben mündete. 1845 bereits [132] erschien die „Religiöse Poesie der Juden in Spanien“, Varnhagen v. Ense in dankbarster Verehrung zugeeignet, ein Buch voll Mark und Größe, das in den geschichtlichen Einzelheiten veralten und überholt werden kann, aber als Ganzes bleibende Jugend und Frische bewahren wird. Zum ersten Male waren hier die edelsten religiösen Dichtungen der spanisch-arabischen Epoche voll congenialer Kraft und feinen Formgefühls verdeutscht worden, besonders in den Stücken von hymnischem Schwunge eine Huldigung des Uebersetzers für den Genius der deutschen Sprache. Nicht minder werthvoll und von bleibenderer Bedeutung als die Uebertragungen selber sind die litterarischen Würdigungen der Dichter, von liebevoller Nachempfindung und tiefgründiger Gelehrsamkeit gleich sehr Zeugniß gebend. Wenn hier der Philologe vor dem Dichter zurücktritt, so sollte er in den 1852 und 1854 erschienenen zwei Heften der „Beiträge zur Sprach- und Alterthumsforschung“ in vollem Lichte hervortreten. Die eigentliche Aufgabe des Buches, die Fremdwörter der Talmude und Midraschim, erweitert sich vor dem Geiste des Autors zur Geschichte der Berührung zweier Culturen, zweier Sprachenkreise. Hinüber und herüber laufen die Fäden, schießen die Strahlen, griechische und lateinische Wörter werden auf semitische Einflüsse verhört, Neuhebräisch und Syrisch offenbaren ihre Eindrücke aus den classischen Sprachen. Wieder sind es nicht die oft sogar gründlich verfehlten Einzelheiten, sondern das Ganze, die Methode, die Anlage, die Form, was dem Buche seinen Werth verleiht. Hinter den Worten die Sachen, hinter dem Ausdruck die Zeiten, das volle geschichtliche Leben zu schauen, das wird hier gelehrt, ein Stück jener Philologie, die gleichsam für die Stimme der Vergangenheit den Phonographen abgibt. Die briefliche Anerkennung von Männern wie Boeckh, Jacob Grimm, K. Hase in Paris, K. Heyse, C. F. Hermann, Lobeck u. A. war für S. die Ermuthigung aus dem Munde der philologischen Wissenschaft selber. Zwischen die beiden Hefte der Beiträge fallen 1853 „Die Stimmen vom Jordan und Euphrat“, ein Buch fürs Haus, mit Beiträgen von Moritz Veit (zweite Auflage von Prof. Dr. M. Lazarus, Berlin 1868), Nachdichtungen, freie poetische Wiedergaben von Erzählungen, Gedanken, Weisheitsregeln aus der alten talmudischen und midraschischen Litteratur. Die Krone seiner Uebersetzerthätigkeit bilden aber erst 1855–56 „Die Festgebete der Israeliten“, in neun Bänden den gereinigten Text der Originale mit einer wahrhaft dichterischen und dennoch wissenschaftlich getreuen deutschen Uebertragung enthaltend. Nicht den geringsten Schmuck dieses Werkes liefern die tiefeindringenden, neue Auffassungen begründenden hebräischen Anmerkungen, wie er solche auch 1856 zu dem Sammelwerke Kobez von J. Rosenberg lieferte. „Das Gebetbuch für Israeliten“ beschloß 1858 seine Thätigkeit als Uebersetzer des jüdischen Rituals für Deutschland. Seine Pläne waren auf die Herausgabe eines hebräischen Lexikons und wissenschaftlicher Commentare über einzelne Theile des Alten Testaments, von denen große Bruchstücke zu den Proverbien und Psalmen vorliegen, auf die Fortsetzung der Beiträge, von denen Stoff für ein drittes Heft handschriftlich vorhanden ist, auf die Uebersetzung der Bußgebete und auf zahlreiche andere wissenschaftliche Unternehmungen gerichtet, als am 31. Januar 1864 der Tod vor der Zeit ihn hinwegnahm.

Alle, die diesem vornehmen Geiste im Leben nahe standen, sind darin einig, daß nur ein geringer Theil von seiner Kraft und Bedeutung in seinen Schriften auf die Nachwelt gekommen ist. Eine hochbegnadete Persönlichkeit, voll strömender Mittheilsamkeit, war er gewohnt, was er fand und hervorbrachte, im Verkehr mit Freunden auseinanderzulegen, das Niederschreiben seiner Gedanken wie eine Last, die Bergung seiner Funde als Zwang empfindend. Der Meister der deutschen Predigt unter den Juden hat nie eine solche dem Druck übergeben; [133] nur aus den ersten Jahren seiner Thätigkeit als Prediger haben sich ausgeführte Reden in seinem Nachlasse vorgefunden, sonst nur Skizzen und Entwürfe, aus denen sein Freund Dr. David Rosin in Breslau mit liebend nachhelfender Hand seine Auswahl der Fest-und Sabbathpredigten 1867 veranstaltet hat. Für die Kanzel gleichsam geboren, vom Augenblicke seine Inspirationen empfangend, machtvoll wirkend durch die Würde der Erscheinung, durch den überwältigenden Zauber der Stimme, durch eine alle Register des Pathos und der Schönheit meisternde Sprachgewalt, ward S. ein Prediger, dem die tiefsten Wirkungen nicht versagt blieben. Mit seinem ganzen reichen Intellecte und seinem großen Herzen voll im Dienste des überlieferten Judenthums, stand er über den Parteien des Tages, ganz auf sich selbst und auf dem mit der Innigkeit seines quellenden Gemüthes und mit seiner an den höchsten Mustern gereiften Wissenschaftlichkeit gepflegten Boden der Urkunden seiner Religion. Kritik auch an der Kritik übend, den Idolen des Marktes überlegen entgegentretend, voll Verachtung gegen Schlagworte und Gemeinplätze, ein Feind aller Flachheit und kahlen Verständigkeit, wie er war, mochte des Mannes eigener Sinn als Eigensinn, seine auf das Ganze und Echte gerichtete Natur leicht als Schroffheit erscheinen. Wenn er jedoch bei allen diesen Gaben im Leben bleibende Thaten und Werke gleichwohl vermissen ließ, so wird man wohl bekennen müssen, daß er kein Mann eingreifender Wirksamkeit, kein thatenschaffender Charakter gewesen, sondern ein stiller, selbstgenügsamer Forscher, der in einen prophetenartig stammenden Prediger sich verwandeln konnte, wenn der Geist ihn rührte, dann aber scheu und weltflüchtig zu seinen geistigen Schöpfungen zurückkehrte, in denen seiner Seele Seligkeit lag.

Samuel David Luzzatto in Padua, mit dem ihn neben S. Munk, Rapoport, Reggio, Riesser, Steinheim, Zedner und Zunz Bande wahrer Freundschaft und eines liebevoll gepflegten Briefwechsels verknüpften, hat ihm die hebräische Grabschrift gedichtet.

Dr. Rosin, Neunter Bericht über die Religionsschule der jüdischen Gemeinde Berlin 1864. – Frankel’s Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judenthums XVII, 195 ff. – Mittheilungen von Prof. Dr. Jacob Freudenthal und Dr. Rosin.