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Artikel „Ruhl, Johann Christian“ von Louis Katzenstein in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 29 (1889), S. 606–608, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Ruhl,_Johann_Christian&oldid=- (Version vom 30. Oktober 2024, 10:50 Uhr UTC)
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Ruhl: Johann Christian R., Bildhauer, geb. zu Cassel am 15. Decbr. 1764, war ein Schüler des bedeutenden Hofbildhauers Samuel Nahl. Von bemerkenswerthen Arbeiten von ihm sind nur wenige zu erwähnen, unter diesen das nach der Idee des Oberbaudirectors Jussow ausgeführte Hessendenkmal vor dem Friedbergerthore zu Frankfurt a. M. und 12 Blätter zu Bürger’s Lenore; weniger glücklich war er mit seinen Illustrationen zu Ossian’s Gedichten. Der berühmte Bildhauer Rauch war eine Zeit lang sein Schüler. R. starb 1842 zu Cassel als Hofbildhauer und Lehrer an der Akademie der bildenden Künste [607] mit dem Titel Professor. Die philosophische Facultät zu Göttingen hatte ihm im J. 1829 die Doctorwürde verliehen.

Ludwig Sigismund R., Sohn des vorerwähnten Bildhauers, geb. zu Cassel am 10. December 1794, ein höchst talentvoller und ausgezeichneter Künstler als Maler und Zeichner und von bewundernswürdigem Fleiß. Mit gleicher Liebe und mit gleichem Erfolg war er thätig auf allen Gebieten der Malerei, Geschichte, Landschafts- und Thiermalerei, dabei von der größten Gewissenhaftigkeit in den Vorstudien zu seinen Gemälden, für welche er alle Einzelheiten auf’s genaueste zeichnete, ehe er sein Bild auf die Leinwand brachte. Nicht zu leugnen ist, daß die ausgeführten Gemälde nicht selten hinter diesen Studienblättern an Geist zurückstehen. Die Farbe war nicht sein eigentliches Element und die Technik der Malerei hat er nur unvollkommen beherrscht, aber als Zeichner und Erfinder seiner Compositionen nimmt er unter den neueren Künstlern einen hohen Rang ein. Bis zu seinem 18. Jahre war R. Schüler seines Vaters, ging sodann auf kurze Zeit nach Dresden und von da nach München, hier wurde er mit ausgezeichneten Künstlern bekannt, mit den Malern A. Heß, Adam und dem genialen Fohr aus Heidelberg. Nach einem einjährigen Aufenthalt ging er nach Italien, zunächst nach Rom, wo er drei Jahre blieb. Durch seinen Landsmann Tischbein wurde er bald mit den hier lebenden Künstlern bekannt.

Der Einfluß, den das Studium der großen Meister des Cinque Cento auf R. ausübte, wurde bestimmend für seine künstlerische Richtung; ganz besonders fühlte er sich angezogen durch die anmuthigen und heiteren Schöpfungen des Giulio Romano. Viele von Ruhl’s Compositionen lassen erkennen, wie er diesem Meister nachstrebte. Man muß es dem verhältnißmäßig wenig gekannten Maler nachrühmen, daß er die höchsten Ziele in der Kunst erstrebte und daß Alles was er erfaßte und zur Darstellung bringen wollte, einen seltenen Adel der Auffassung bekundete. Er wählte, um seine Ideen zu verkörpern mit Vorliebe die cyklische Form. Neben zahlreichen Zeichnungen mythologischer Gegenstände stellte er in einer Reihe geistvoller Compositionen das menschliche Leben in allen seinen Beziehungen dar. Seine genaue Kenntniß der Anatomie des menschlichen Körpers befähigte ihn, seine Gestalten auch in der gewagtesten Stellung correct zu zeichnen. Sehr bekannt wurden seine durch den Stich vervielfältigten Umrisse zu Shakespeare’s Dramen. – Hätte R. das Glück gehabt nach seiner Rückkehr in die Heimath Verhältnisse vorzufinden, welche der Kunst förderlich gewesen, hätten die hessischen Fürsten von damals etwas von dem Kunstsinn ihrer Vorfahren gehabt, so hätte R. einen seinem Talente angemessenen Wirkungskreis finden müssen. Erst durch seine Bekanntschaft mit vielen der bedeutendsten Geister seiner Zeit, mit den Brüdern Grimm, Platen, de la Motte Fouqué, Rauch und Radowitz kam er in Berührung mit dem damaligen Kurprinzen, nachherigen Kurfürsten Friedrich Wilhelm I., der ihn gleich nach dem Antritt seiner Regierung als Mitregent zum Director des Museums ernannte mit dem Titel Hofrath und bald nachher zum Director der Casseler Akademie, in welcher Eigenschaft er freilich bei den damaligen Zuständen keine ersprießliche Wirksamkeit entfalten konnte. Von einer weiteren Förderung des Künstlers, man müßte denn den gelegentlichen Ankauf eines kleinen Gemäldes so nennen, war aber keine Rede und der hochbegabte Mann zog sich aus der frostigen Hofatmosphäre immer mehr in seine stillen Arbeitsräume zurück. Mit welchem unermüdlichen Fleiß er da schaffte, beweist die staunenswerthe Anzahl von Zeichnungen und Entwürfen, die in den Mappen liegen. Dagegen ist die Zahl der ausgeführten Oelbilder nur gering; nach seinen eigenen Aufzeichnungen etwa vierzig betragend. Hervorragend unter diesen sind, „Singende Engel“, „Empfang Jakob I. zu Versailles“, „Atelier van Dyk’s“, „Rubens überreicht Karl I. sein Creditiv als Gesandter“, „Tod der Bianca Capello“, „Engel, welche des Herbstes Früchte segnen“.

[608] Eine Arbeit, der sich R. mit besonderer Liebe gewidmet hatte, waren die Zeichnungen zur Wiederherstellung der Kypseloslade, jenes steinernen Sarkophages im Tempel der Hera zu Olympia, nach der Beschreibung des Pausanias. In Paris, wohin R. sie geschickt hatte, erregten diese meisterhaft gezeichneten Blätter die freudige Bewunderung der berühmten Maler Ingres und Flandrin. Das Bild Ruhl’s würde nicht vollkommen sein, wenn seine schriftstellerische Thätigkeit unerwähnt bliebe. Er veröffentlichte einige Romane und Novellen unter dem Namen Cardenio, die im ganzen wenig bekannt worden sind. Die Abgeschlossenheit, in welcher R. lebte, sein wenig zugängliches Wesen, mußten ihn allmählich der Welt entfremden, dazu kam ein gewisser phantastischer Zug, der die Romantiker, denn zu ihnen muß R. noch gerechnet werden, kennzeichnete und keine Sympathie erwecken konnte bei einem durchaus anders gearteten Geschlecht wie das heutige. R. starb im Februar 1887.