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Artikel „Ruß, Leander“ von Friedrich Pollak in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 53 (1907), S. 651–653, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Ru%C3%9F,_Leander&oldid=- (Version vom 25. November 2024, 12:14 Uhr UTC)
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Ruß: Leander R., geboren am 23. September 1809 in Wien, † am 8. März 1864 in Rustendorf bei Wien, Sohn des Malers Carl Ruß (1779 bis 1843), dessen Schüler er bis zu seinem 18. Jahre war. Hierauf bezog er die Akademie der bildenden Künste in Wien. 1833 ging er als Reisebegleiter des Grafen Prokesch-Osten nach dem Orient. 1839 trat er zum Kaiserhause in Beziehungen und stellte bei festlichen Veranstaltungen lebende Bilder. Die letzten Jahre seines Lebens verbrachte er kränkelnd ohne zu malen in Kaltenleutgeben, wo er auch im Alter von 55 Jahren starb.

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Die Zeit des Classicismus war vorüber, mit dem Falle Napoleon’s war auch der öde, abgeschiedene Geist der neu aufgewärmten Antike aus Oesterreich entwichen, und hatte einem fröhlicheren, dem Volkscharakter angemesseneren Treiben Platz gemacht. Neben der bürgerlichen Romantik hatte sich auch das erwachte Vaterlandsgefühl im Oesterreicherthum geregt, und der heldenmüthige Vertheidiger von Tirol, Erzherzog Johann hatte Peter Krafft, Petter und Carl Ruß, den Vater, auf den Patriotismus hingewiesen. Der erste Held, den ihre Kunst feierte, war naturgemäß Rudolf von Habsburg, den gerade damals auch Ladislaus Pyrker als Dichter besang. In diese Zeit der Wiederentdeckung der Heimathsgefühle jener Zeit, da Eybl, Fendi und Waldmüller ihre Familienscenen malten, fiel Leander Ruß’ Werdegang. Aus der eben entwichenen Epoche des Kostüm-Classicismus hatte sich noch ein Verständniß für Kostümrichtigkeit erhalten, das später sehr wichtig, noch später sogar verhängnißvoll werden sollte.

Leander’s Vater war ein productiver Geist voll Kraft und Leben, eine Feuernatur und seine Heldengestalten aus der vaterländisch-österreichischen Geschichte entbehren nicht einer gewissen Größe und Monumentalität, von der der Sohn, es muß gleich anfangs gesagt sein, nichts hat. Die ersten Lehrjahre verbrachte der Jüngling unter der bewährten Aufsicht seines Vaters und hier hat er wohl die Anregung für seine späteren, zahlreichen Schöpfungen aus der heimathlichen Geschichte, sowie das intime Verständniß für das historische Modell bekommen, das aus allen seinen Schöpfungen angenehm hervorlugt. Mit 18 Jahren kam er an die Akademie, die er nach dreijährigem Aufenthalt verließ, um auf Grund eines Stipendiums nach Italien zu gehen, wo nicht [652] die Venezianer, sondern die Monumentalfresken der Toscaner ganz besonders auf ihn wirkten. Ganz besonders die Camposanto-Fresken zu Pisa haben, wie er an seinen Vater schrieb, gewaltigen Einfluß auf ihn gewonnen. Er hat übrigens in Florenz Boticelli copirt; leider ist keine der Copien mehr erhalten. In die Zeit seiner italienischen Reise und die kurz nach seiner Rückkehr und vor der Abreise nach dem Orient fallen folgende Gemälde:

1828 „Petrus und Johannes am Eingang des Tempels“, „Das Ende der Sündfluth“, „Der Sturm“, durchweg unbedeutende Jugend- und Schülerarbeiten, in denen noch Cornelius und Schnorr v. Carolsfeld zu erkennen sind; 1830 „Ivanhoe befreit die Jüdin Rebecca“ unter dem Einfluß der englischen Romantik. Als Frucht seiner italienischen Lehrzeit sodann 1832 „Don Quichotens Sancho Pansa wird in der Schenke geprellt“, „Rinaldo im verzauberten Walde einen Baum fällend“, schon etwas weniger nüchtern in der Farbe; „Dem schlafenden Sancho Pansa wird der Esel gestohlen“, endlich das Genrebild, das sich nicht einmal hinter dem historischen Lärvlein verbirgt; „Die lustigen Wiener auf dem Lande“, im Uebrigen ein ziemlich humorloses Ding, das gegen Waldmüller traurig absticht. 1833 hatte er das Glück, von dem kunstsinnigen Grafen Prokesch-Osten als Begleiter nach dem Orient aufgefordert zu werden, wo er seine Farbe an dem orientalischen Lichte sättigte. Als Frucht dieser Zeit entstanden: 1834 „Ansicht bei Cairo“, „Sphinx bei den Pyramiden von Gizeh“, wohl schon etwas wärmer in der Farbe, das strahlende Licht des Südens, aber immer noch durch eine schwärzende, abkühlende Brille gesehen. Kaum zurückgekehrt aus Aegypten, malte er sein Hauptwerk: „Die Vertheidigung einer Bresche der Löwelbastei durch die Bürger Wiens am 6. September 1683.“ Im Hintergrunde, vom Staub der Schlacht nebelhaft verhüllt, sieht man den Stefansdom, in der Mitte des Bildes ist die Bresche, neben einem Schanzkorbe steht Starhemberg und eifert die Wiener zu einem Ausfall an. Die Bürger, um das Wiener Banner geschaart, sind eben im Begriffe einen Ausfall gegen die von der Rechten hereinstürmenden Türken zu unternehmen. Am Rande der Bildfläche stehen zwei braune Janitscharen mit nackten Armen und Füßen, den Fez auf dem brutalen Kopfe, die Gesichter haßerfüllt verzerrt. Die Sehnen ihrer braunen Arme sind beim Spannen des Bogens straff gespannt. Das Braun des Fleisches wirkt malerisch mit dem weißen Burnus sehr gut zusammen. In der linken Ecke des Bildes liegen Leichen, zerkrachte Balken, demolirte Waffen im Kunterbunt durcheinander. Das Ganze ist wohl eine der besten Schlachtschilderungen, voll sprühenden Lebens und ganz ohne Pose. Das Bild, das seiner Zeit berechtigtes Aufsehen machte, befindet sich jetzt im kunsthistorischen Museum in Wien. Es bedeutet den Höhepunkt seines künstlerischen Schaffens, den er in seinen späteren zahlreichen Oelgemälden nie, nur hie und da in Zeichnungen wieder erreichte. 1835 entstand: „Maria v. Sickingen erbittet von Weißlingen die Begnadigung ihres Bruders Götz v. Berlichingen“, „Stiftung des Klosters Zwettel durch Azzo v. Kuenring“. 1837 „Leopold v. Babenberg eröffnet den Wiener Bürgern seine Schätze zur Vergrößerung ihres Handels und Gewerbes“, ein ganz vortreffliches Ceremonienbild mit gut studirten Trachten; weiter „Der Araber seine Familie vertheidigend“. 1839 „Nach der Schlacht“ und „Kaiser Joseph II. und der Pensionist“, ein verschieltes Genrebild, das aber dem Geiste seiner Zeit so recht entsprach. Die Zeit von 1840–1850 ist fast ausschließlich mit Lithographien und Zeichnungen ausgefüllt. Zuerst vervielfältigte er eigene Compositionen, wie „Der Raubritter“ und „Der Sturm auf die Löwelbastei“. 1839 schon war er bei Hofe zum Stellen lebender Bilder verwendet worden, sodann gab er diese Bilder in einigen Lithographiefolgen heraus. Großen Kunstwerth kann [653] man ihnen nicht zusprechen, höchstens ein Lob wegen ihrer gründlichen Kostümkenntniß. An Zeichnungen aus dieser Zeit wären die jetzt im kunsthistorischen Museum zu Wien befindlichen Arbeiten: „Die Gesandtschaft des Cheruskerfürsten Herrmann bringt Marbod den Kopf des Varus“, sowie „Die Auerochsenjagd“ zu erwähnen.

Wie weit er die Gewissenhaftigkeit in Kostümen trieb, kann man daraus ersehen, daß er zu diesen Bildern genaue Studien an den in Hallstadt ausgegrabenen Rüstungen und Waffen aus Keltengräbern machte. Noch zu erwähnen aus dieser Zeit sind die Tuschzeichnungen „Die gute und die schlechte Presse“, für einen Almanach der Hof- und Staatsdruckerei, „Die Gründung Wiens“ im kunsthistorischen Museum zu Wien, so wie die Bilder (1848) „Kriegslist der Bürger von Dürnstein 1741“, „Sommerlandschaft“ (1863), sein letztes Staffeleibild und das einzige Altarbild „Der heilige Hyazinth“ in der Pfarrkirche zu Zlin bei Hradisch in Mähren.

Hohe Preise hat er für seine Bilder nie erzielt; diese bewegten sich immer in der Höhe zwischen 300–800 fl. Seine Reise mit dem Grafen Bräuner, von der Wurzbach weiß, ist nirgends nachzuweisen, vielmehr verbrachte er seine letzten Jahre kränkelnd und vergrämt in einer Kaltwasserheilanstalt zu Kaltenleutgeben, wo ihn, den 55 jährigen, 1864 der Tod erlöste.

Um das Urtheil kurz zusammenzufassen: es war für die Künste eine traurige Zeit, dieser Vormärz, und er – er war ein echtes Kind seiner Zeit.

Nagler, Allgemeines Künstlerlexikon. – Tschischka, Kunst und Alterthum in Oesterreich. – Kataloge der Jahresausstellungen in der k. k. Akademie der bildenden Künste von 1828, S. 29, 30, 32, 34, 35, 37, 38, 39, 48. – Wurzbach, Biogr. Lexikon, Bd. XXVII.