ADB:Starhemberg, Ernst Rüdiger Graf von

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Artikel „Starhemberg, Ernst Rüdiger Graf von“ von Adolf Schinzl in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 35 (1893), S. 468–470, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Starhemberg,_Ernst_R%C3%BCdiger_Graf_von&oldid=- (Version vom 5. November 2024, 01:15 Uhr UTC)
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Starhemberg: Ernst Rüdiger Graf v. St., kaiserlicher Feldmarschall, Hofkriegsrats-Präsident und Ritter des goldenen Vließes, entstammt einem uralten oberösterreichischen Adelsgeschlechte, welches sich urkundlich auf Adalbero, Burggrafen von Enns † 1088) verfolgen läßt. Der Name St. taucht in dieser Familie zuerst im J. 1240 auf. – Die Starhemberge gehörten zu dem ältesten in der Stadt Wien „verburgrechteten“ Adel. Gundaker St. hatte die Zwingherrschaft des Böhmenkönigs Ottokar II. in den österreichischen Landen umstürzen helfen; ein Rüdiger St. war oberster Feldhauptmann Kaiser Friedrich’s IV., ein Hanns St. vertheidigte Oesterreich ob der Enns mit Erfolg gegen die „Renner und Brenner“ Soliman’s, welche Wien 1529 belagerten und bei dessen Belagerung sich ein Erasmus St. hervorthat. – Die Starhemberge traten zur Reformationszeit zur evangelischen Religion, kehrten jedoch bald in den Schooß der katholischen Kirche zurück und wurden von Ferdinand III. in den Reichsgrafenstand erhoben. Konrad Balthasar Graf St., welcher in der Schlacht von Nördlingen 1634 verwundet wurde, vermählte sich 1635 mit der Witwe des Freiherrn v. Zelking, einer geborenen Freiin v. Zinzendorf und aus dieser Ehe stammt Heinrich Ernst Rüdiger, welcher zu Graz am 12. Januar 1638 das Licht der Welt erblickte. Nur spärlich sind die Daten über die erste Lebens- und Dienstzeit des berühmten Vertheidigers von Wien, seine Kindheit und die Jünglingsjahre brachte er im elterlichen Hause zu, seine Studien wurden von Jesuiten geleitet und nach deren Beendigung unternahm er die übliche Belehrungsreise, die sogenannte Cavaliertour. Die erste öffentliche Function übte St. als Kämmerer Kaiser Leopold’s I. auf dem Wahl- und Krönungstage dieses Monarchen zu Frankfurt a./M. (1658) aus, widmete sich dann dem Staatsdienste, wurde Landrath und dann niederösterreichischer Regimentsrath. Im J. 1659 wohnte er der Belagerung von Stettin als Volontair im Regimente seines Vetters, des Feldmarschalllieutenants Grafen Reichard St. (heute das Infanterieregiment Nr. 8) bei, blieb dann noch einige Jahre im Staatsdienste und fungirte 1663 als Obercommissar von Seite der Stände im Mühlviertel zu Leonfelden. Später zog er, durch den Ausbruch des Türkenkrieges veranlaßt, gar bald den Kriegsruhm allen übrigen friedlichen Ehren- und Staatswürden vor und weihte sich mit allem Eifer dem Dienste der Waffen, welchem er auch bis zu seinem Lebensende treu blieb. Bei Beginn der Campagne 1664 unter Montecuccoli gegen die Türken zog St. als Hauptmann an der Spitze einer Compagnie mit ins Feld und machte sich dem Feldherrn durch bewiesene Umsicht und persönliche Tapferkeit sowol bei der Belagerung von Kanisza als in der Schlacht bei St. Gotthard bemerkbar. In letzterer focht er bei dem entscheidenden Angriffe des Feldmarschalllieutenants Grafen Sparre an der Spitze des Fußvolkes wacker mit. Die Beförderung zum Oberstlieutenant war die lohnende Folge der Anerkennung, auch wurde ihm kurz nachher das Militärcommando zu Tokay und zu Szathmar anvertraut. Im J. 1669 zum Obersten ernannt, erhielt er das erledigte Graf Sparre’sche Regiment (heute Infanterieregiment Nr. 54). Zur Zeit der gewöhnlich die „Magnaten-Verschwörung“ genannten Conspiration brachte Franz Rákoczy am 7. April 1670 den Grafen St. sammt dessen Officieren bei einem Mahle durch List in seine Gewalt und ließ sie in Eisen verwahren; erst nach längerer Zeit erhielten er und seine Officiere die Freiheit. 1672 kämpfte er im holländischen Allianzkriege, stand 1673 unter Montecuccoli am Main gegen Turenne, bestand unter so manchen anderen Gefechten jenes von Maxpareit glänzend, machte die Belagerung von Bonn, wo er einen harten Kampf zu bestehen hatte, mit, zeichnete sich am 11. August 1674 bei Seneffe durch Umsicht und Tapferkeit aus und wurde 1675 zum General-Feldwachmeister befördert. Bei der Erstürmung von Wilstedt, am 31. Juli, [469] drang St. über die Bresche in den Ort und that sich am darauffolgenden Tage in der Schlacht bei Altenheim (auch Goldschauer) durch umsichtige Dispositionen über seine Truppen wie auch durch persönliche Bravour hervor, war aber schwer verwundet worden. Kurz nachher erhielt er in Anerkennung seiner vorzüglichen Leistungen bei Wilstedt und Goldschauer die verdiente Beförderung zum Feldmarschalllieutenant. Den Winter 1675–1676 brachte St. abwechselnd in Linz und Wien zu und wurde zu den Berathungen über den Feldzugsplan 1676 zu Rathe gezogen, nahm am 16. Mai desselben Jahres bei Philippsburg zwei kleine vorgelegte Erdwerke, war überhaupt, wie immer, umsichtig und thätig und wurde am 25. Juli am Arme neuerdings schwer verwundet. In den Jahren 1677 und 1678 focht er unter dem Herzoge von Lothringen, erlitt am 6. Juli 1678 bei dem feindlichen Ueberfalle von Rheinfelden und der Wegnahme des Brückenkopfes zwar empfindliche Verluste, zog sich aber in guter Ordnung vor der Uebermacht zurück, ließ hinter sich die Brücke abbrechen und verhinderte dadurch den Uebergang der Franzosen. Das Jahr 1680 brachte ihm die Ernennung zum Commandanten der Stadt Wien und zum Obersten der Wiener „Stadtguardia“; als solcher widmete er seine volle Aufmerksamkeit und Thätigkeit insbesondere der Befestigung der Residenzstadt, leider scheiterten viele seiner zweckmäßigsten Entwürfe am Geldmangel. 1683 befehligte St., nachdem er 1682 zum Feldzeugmeister befördert worden war, in der sich bei Kittsee unter dem Herzoge Karl von Lothringen sammelnden kaiserlichen Armee die Infanterie, und es war ihm bereits das Commando der Festung Raab zugedacht, als die veränderten Verhältnisse den Kaiser Leopold I. bestimmten, ihn wieder zum Commandanten der bedrohten Stadt Wien zu ernennen. Die harte Belagerung und die tapfere Vertheidigung der Kaiserstadt an der Donau sind ein weltgeschichtliches Ereigniß; die Umsicht und Energie der Behörden, das tapfere Verhalten der Soldaten spornte die Bürger zur Nachahmung, während das erhebende Beispiel des unermüdlichen Stadtcommandanten, dessen Heldengestalt überall zu sehen war, wo Gefahr drohte, eine Begeisterung wachrief, welcher einzig und allein die bewunderungswürdigen Thaten zu verdanken sind, welche den Ruhm der Vertheidiger Wiens in alle civilisirten Länder trug. St. besichtigte dreimal des Tages und einmal in der Nacht die Stadt, die Wälle und Minen, überall rathend, helfend und ermunternd. Am 25. Juli durch einen Bombensplitter am Arme neuerdings verwundet, ließ sich der rastlose St. in einer Sänfte umhertragen, und als er im August von der Ruhr ergriffen wurde, besiegte seine moralische Kraft bald die tückische Krankheit und er war wieder, Allen zum Troste, auf den Wällen zu sehen. Die Zeit, welche er von den unmittelbaren, dringenden Geschäften erübrigte, brachte St. auf dem Stephansthurme zu, um das feindliche Heer zu beobachten. Man zeigt noch heute daselbst den Ort, wo er sich oft aufgehalten haben soll. Streng gegen sich selbst, war St. auch streng gegen seine Untergebenen; freigebig im Lobe, unerbittlich gegen Säumige, wußte er musterhafte Mannszucht zu halten. Unsterblich sind die Verdienste Starhemberg’s, seiner tapferen Krieger und der entschlossenen Bürgerschaft Wiens. Vom 14. Juli bis 12. September, durch volle 61 Tage hatte die Belagerung gewährt. Die ruhmvolle Vertheidigung der Stadt bildet den Glanzpunkt der militärischen Laufbahn Starhemberg’s und brachte ihm viele Ehren, Würden und werthvolle Geschenke. Der dankbare Kaiser ernannte ihn schon am 15. September 1683 zum Feldmarschall, Geheimen und Conferenz-Rath, beschenkte ihn mit 120 000 Reichsthalern und einem kostbaren Ring, und gab ihm später die Erlaubniß, den Stephansthurm in sein Wappen aufzunehmen. Schon am 25. September desselben Jahres verließ St. Wien und übernahm wieder das Commando über die kaiserliche Infanterie, kämpfte am 9. October bereits bei Párkány, betheiligte [470] sich an der Belagerung von Gran und 1684 an jener von Ofen. Im Kriegsrathe ein Gegner der Anschauungen über die Nothwendigkeit der Belagerung Ofens, wirkte er, als es dennoch dazu kam, in selbstlosester Weise mit, ja hatte dieselbe zu leiten. So unternahm er am 19. Juli mit 6000 Mann einen Angriff, drang durch die Breschen in die untere Stadt und nahm dieselbe mit stürmender Hand; zehn Feldstücke wurden erobert, mehr als 1000 Türken waren gefallen. Noch nahm er an mehreren Stürmen und Angriffen auf die Festung Theil, mußte sich aber, da er seit längerer Zeit sehr an Podagra litt, in einem Tragsessel in die Approchen tragen lassen. Diese Krankheit sowie auch die Intriguen, welche wegen seiner Gegnerschaft gegen die Belagerung Ofens sich geltend machten, bestimmten ihn, den Kaiser um die Erlaubniß zu bitten, sich aus dem Lager entfernen zu dürfen. Anfangs October erhielt er die Zustimmung und wurde wieder Stadtcommandant von Wien. 1686 erhielt St. neuerdings den Oberbefehl über die beim Heere des Herzogs von Lothringen stehende Infanterie, nahm an der zweiten Belagerung Ofens Theil, wurde während einer am 31. Juli ausgeführten Recognoscirung schwer verwundet, so daß ihm ein Finger der linken Hand abgenommen werden mußte. Seit dieser Zeit erschien St. nicht mehr im Felde, wurde aber noch im October zum Vicepräsidenten, am 2. October 1691 zum Präsidenten des Hofkriegsraths ernannt. Sein Präsidium, welches er bis an sein Lebensende bekleidete, fiel in eine für dieses Amt schwierige Periode. Ebenso bewährt im Cabinet als an der Spitze eines Heeres und im Feldlager zeichnete sich St. in seiner neuen Stellung durch offenen, ehrlichen Sinn, strengste Wahrheitsliebe und in seiner Beurtheilung der verschiedenen Persönlichkeiten durch unübertroffene Objectivität aus. Zu den Hauptmomenten seines Wirkens als Präsident des Hofkriegsrathes gehört jedenfalls die Feststellung eines bestimmten Stärkeverhältnisses der Truppen des sogenannten „stehenden Kriegsfußes“, sein unmittelbarer Einfluß auf die Wahl des Prinzen Eugen von Savoyen zum Obercommandanten der Armee, die Eintheilung der Infanterieregimenter in drei Bataillons, die Ausarbeitung eines neuen Verpflegsreglements und seine Verfügungen über die Verwendung der Massen-Artillerie im Gefechte. – St., welcher 1659 eine nahe Verwandte, die Gräfin St. geheirathet, vermählte sich nach ihrem 1688 erfolgten Tode mit der Gräfin Marie Jörger, hinterließ jedoch keine männlichen Erben, da seine beiden Söhne erster Ehe den Heldentod in dem Türkenkriege starben. Die unbeugsame Strenge, das heftige Temperament, welches ihn oft zu harten, verletzenden Worten hinreißen ließ und die oft schroffe Weise, mit der er seiner Ueberzeugung Ausdruck gab, haben ihm viele Widersacher zugezogen. In seinem Privatleben von untadelhaften Sitten, von jener Festigkeit, Treue, Menschenliebe und jenem Pflichtgefühl, welches den Charakter stählt und läutert, besaß der berühmte Feldmarschall nebst allen Fachkenntnissen eines ausgezeichneten Officiers hohe Bildung, redete und schrieb gewandt mehrere Sprachen, war ein vorzüglicher Reiter, hielt sich einen auserlesenen Marstall und liebte leidenschaftlich die Jagd. Er starb am 4. Juni 1701 an der Wassersucht auf seiner Besitzung Wesendorf (Freigut auf der Wieden) und wurde in der Schottenkirche bestattet, wo auch sein Monument steht. Der Gemeinderath der Stadt Wien stellte sein Standbild auf der Elisabethbrücke auf.

Wurzbach, Biogr. Lex. d. Kaiserth. Oesterr. 37. Thl. Wien 1878. – Hormayr, Wiens Geschichte etc. Wien 1825; – Derselbe, Oesterreich. Plutarch 14. Bd. – Kepner, Thaten etc. berühmter österr. Feldh. Wien 1808. – Schwerdling, Gesch. des etc. Hauses Starhemberg. Linz 1830. – Schweigerd, Oesterreichs Helden u. Heerführer II. Wien 1853. – Das Kriegsjahr 1683. Wien 1883. – Thürheim, Feldm. Ernst Rüdiger Graf Starhemberg. Wien 1882. – Renner, Wien im Jahre 1683. Wien 1883.