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Artikel „Tschischka, Franz“ von Karl Weiß in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 38 (1894), S. 726–728, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Tschischka,_Franz&oldid=- (Version vom 25. November 2024, 06:15 Uhr UTC)
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Tschischka: Franz T., Geschichts- und Kunstforscher (geboren zu Wien am 18. November 1786; † daselbst am 15. November 1855). Nach zurückgelegten Gymnasial- und philosophischen Studien trat T. am 12. Mai 1804 in den Kanzleidienst des Wiener Magistrats und erprobte seine Tüchtigkeit und Geschäftsgewandtheit schon in den beiden französischen Invasionen der Jahre 1805 und 1809 in solchem Maße, daß ihm für seine Verdienste das Bürgerrecht verliehen [727] wurde. Infolge seiner Vorliebe für die Geschichte der Stadt Wien schon frühzeitig mit dem Archive und der Registratur des Magistrats vertraut geworden, widmete er sich fortan diesen Geschäften und übernahm es, den Urkunden- und Actenbestand des Archives neu zu ordnen und mit Sachrepertorien zu versehen. In Würdigung seiner Verdienste wurde T. am 19. April 1828 zum Director des Archivs und der Registratur ernannt. Der von ihm gemachte Vorschlag an die Stelle der im J. 1780 an die k. k. Hofbibliothek verkauften alten Stadtbibliothek im Interesse der Pflege der Geschichte eine neue anzulegen, kam damals nicht zur Ausführung. Am 28. August 1847 wurde T. über sein Ansuchen in den Ruhestand versetzt. – Schon in jungen Jahren bekundete T. eine besondere Neigung zu Sprachstudien. Nachdem er sich zuerst Kenntnisse in den meisten europäischen Sprachen erworben hatte, betrieb er, angeregt durch die Gebrüder Grimm, von der Hagen und Büsching, germanische Sprachstudien und wandte sich hierauf, den durch Freiherrn v. Hormayr angeregten historischen Forschungen folgend, der Geschichte Wiens zu. Nebstbei war T. neben Primisser der erste, welcher durch einzelne kleinere Arbeiten die Aufmerksamkeit auf die Bedeutung der bisher vernachlässigten mittelalterlichen Kunstdenkmäler gelenkt und der später auf diesem Gebiete so rege gewordenen Forschung die Bahn gebrochen hatte. Seine vielseitige litterarische Thätigkeit prägt sich auch in seinen Arbeiten aus. Zuerst unterstützte T. seinen Freund Freiherrn v. Hormayr in der Beschaffung des urkundlichen Theiles zu dessen „Geschichte Wiens“. Im Vereine mit Max Schottky gab er „Oesterreichische Volkslieder mit ihren Singweisen“ (Pesth, 1819, Hartleben) heraus, welche 1844 in einer vermehrten Ausgabe erschienen. Im J. 1822 veröffentlichte T. „Oesterreichische Volksmärchen“, welche er, wie seine Volkslieder, auf seinen Wanderungen in den niederösterreichischen Bauernhöfen gefunden und gesammelt hatte. Diese Werke bilden noch heute wichtige culturgeschichtliche Quellen. Sehr eingehend beschäftigte sich T. mit Studien über die österreichische Volksmundart, welche ihn bis an sein Lebensende beschäftigten. Einzelne Beiträge erschienen in verschiedenen österr. Zeitschriften, die ausführlichsten in den von ihm redigirten „Beiträgen zur Landeskunde von Oesterreich unter der Enns“. Die von ihm beabsichtigte Herausgabe eines kritischen Idioticons unterblieb und die Handschrift kam in den Besitz seiner Erben. Das erste Ergebniß seiner mittelalterlichen Kunststudien war die Monographie über den Sct. Stephansdom mit Abbildungen (Wien 1822), welche 1843 in 2. Auflage mit sechs Hormayr’s Geschichte entnommenen Kupfertafeln erschien: Im J. 1832 folgte von T. ein großes Werk über den Sct. Stephansdom mit 44 von Ch. Wilder in Nürnberg gezeichneten Tafeln (Kupferstiche v. Hyrtl), worin er seine langjährigen Forschungen über dieses hervorragende Kunstdenkmal veröffentlichte und das noch immer die umfassendste kunstarchäologische Publication über den Dom bildet. Ohne die großen Verdienste Tschischka’s zu unterschätzen, knüpfte J. Feil an Tschischka’s Werk in den „Oesterr. Blättern f. Litt. u. Kunst“ im J. 1844 eine eingehende kritische Würdigung der Baugeschichte. Im J. 1836 erschien sein außerordentlich fleißig gearbeitetes Werk: „Kunst und Alterthum in dem österreichischen Kaiserstaate“. Sein letztes bedeutendes Werk war die „Geschichte der Stadt Wien“ mit Illustrationen von Schnorr, Geiger und anderen Künstlern (Stuttgart 1847 bei Krabbe), eine durchaus selbständige auf eingehenden urkundlichen Forschungen beruhende Arbeit, welche in eine zu ungünstige Zeit fiel, um gerecht gewürdigt zu werden. Von T. rühren auch die nach dem Tode Pezzl’s (1823) erschienenen Auflagen seiner „Beschreibung von Wien“ und dessen im Manuscript hinterlassene „Chronik von Wien“, vielfach vermehrt und verbessert, her. Einzelne Aufsätze von ihm erschienen in den „Jahrbüchern der Litteratur“, Hormayr’s „Archiv für österreichische Geschichte“, Büsching’s „Wöchentlichen Mittheilungen“ [728] und in L. A. Frankl’s „Sonntagsblättern“. Manche Einzelheiten seiner Werke wurden überholt durch neuere wissenschaftliche Arbeiten; aber unbestritten bleiben demungeachtet seine großen Verdienste, die er sich in einer Zeit, in welcher auf Wien ein schwerer geistiger Druck lastete, durch sein ernstes Streben, seine ausgebreiteten Kenntnisse und sein unermüdetes bahnbrechendes Forschen und Sammeln auf dem Gebiete der Geschichte, des deutschen Kunst- und Litteraturlebens erworben hat.

J. Feil, Franz Tschischka, in den Berichten des W. Alterthums-Vereins. I. J. S. 311.