Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Rothmann, Bernhard“ von Ludwig Keller in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 29 (1889), S. 364–370, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Rothmann,_Bernt&oldid=- (Version vom 3. Dezember 2024, 15:26 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Rothmaler, Johann
Nächster>>>
Rothmann, Christoph
Band 29 (1889), S. 364–370 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Bernd Rothmann in der Wikipedia
Bernd Rothmann in Wikidata
GND-Nummer 104091061
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|29|364|370|Rothmann, Bernhard|Ludwig Keller|ADB:Rothmann, Bernt}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=104091061}}    

Rothmann: Bernhard R. ist als Prediger, Theologe, Reformator Münsters und späterer Führer der sog. Anabaptisten bekannt geworden. R. war zu Stadtlohn im Bisthum Münster als Sohn des Heinrich R., eines Schmiedes, um das Jahr 1495 geboren. Er besuchte zuerst die Schule seiner Vaterstadt, dann die zu Münster. Von hier aus kam er durch Vermittlung von Freunden in den Jahren 1516 und 1517 nach Deventer in die Schule der Fraterherren, aus welcher so manche Führer der Opposition in jener Zeit hervorgegangen sind. Zurückgekehrt übernahm er für kurze Zeit das Rectorat der Schule zu Warendorf, bis der Kanonikus an der St. Martinskirche zu Münster, Joh. Droste, sich seiner annahm und ihm die Möglichkeit verschaffte, die Universität zu besuchen; er ging nach Mainz und erwarb sich hier im J. 1524 die Magisterwürde. Anstatt jetzt in das Lehrfach zurückzutreten, äußerte er den Wunsch, Cleriker zu werden, und eben der genannte Joh. Droste, welcher drei Jahre in Wittenberg studirt hatte, wußte es zu bewirken, daß R. um das Jahr 1529 Caplan am Stift St. Mauritz bei Münster wurde. Die unbedeutende Stellung, in welche er als niederes Glied eines mächtigen Clerus eintrat, schien jede Gefahr für die Rechtgläubigkeit der Umgebung auszuschließen, und man kann annehmen, daß die Stiftsherren, selbst wenn ihnen die Empfehlung durch einen Mann wie Droste Bedenken erweckt haben sollte, die Verwaltung eines so unbedeutenden Beneficiums als ungefährlich betrachteten. Indessen zeigte es sich bald, daß sie sich getäuscht hatten. R., dessen rednerische Begabung von allen Zeitgenossen, die mit ihm in Beziehung getreten sind, anerkannt worden ist, fand bei seinem Auftreten als Prediger so großen Beifall, daß sein Name bald in aller Munde war. Als der junge Geistliche, ermuthigt durch diese Zustimmung, anfing, die Anschauungen seiner Patrone, welche er sich angeeignet hatte, öffentlich vorzutragen, hielten die Stiftsherrn es für angezeigt, den eifrigen Mann seiner Amtsthätigkeit eine Zeit lang zu entziehen; man gab ihm die Mittel, um in Köln weitere Ausbildung [365] zu suchen, indem man die Hoffnung hegen mochte, daß er von dort bekehrt oder gar nicht zurückkommen werde. R. entfernte sich, doch wissen wir nicht, wohin. Nach einem Jahr kehrte er zurück und es zeigte sich, daß er entschlossen war, entschiedener als früher auf die Seite der Opposition zu treten. So wurde die Kirche von St. Mauritz der Mittelpunkt der Bewegung, und es war bald stadtbekannt, daß R. nicht nur unter den Zünften und Zunftmeistern, sondern auch unter den Mitgliedern des Patriciats, sowie unter den Räthen des Bischofs zahlreiche Freunde besaß.

In demselben Maß wie die Zahl der Gesinnungsgenossen sich mehrte, wuchs freilich auch die seiner Gegner, und es fehlte nicht an Versuchen, seinem Einfluß durch Verdächtigung seines Charakters wie seiner Beweggründe entgegenzuwirken. Kein ernsthafter Historiker wird heute den häßlichen Verläumdungen, die seine Gegner erfunden haben, Glauben schenken; indessen muß in Rücksicht auf die Beweggründe, die ihn leiteten, allerdings zugestanden werden, daß bei ihm die Begeisterung eines von der religiösen Wahrheit tief ergriffenen Gemüths keineswegs in dem Maße zum Ausdruck kommt, wie sie zur Leitung einer großen religiösen Bewegung erforderlich ist. R. predigte eifrig und redegewandt, aber der Inhalt seiner Predigten war nicht durch den Schwung eines tiefbewegten Herzens, sondern durch den Umstand wirksam, daß er die Wünsche und Bedürfnisse seiner Umgebung und der maßgebenden Personen klug erkannte und Muth und Geschick genug besaß, um der Mehrzahl seiner Amtsgenossen überlegen zu sein. – Man wird ungefähr das Richtige treffen, wenn man annimmt, daß R. damals ebenso wie die gebildeten Laien derjenigen Städte, welche vom Niederrhein her beeinflußt zu werden pflegten, den Standpunkt eingenommen hat, den man ziemlich unzutreffend als den erasmischen bezeichnet.

Sobald in Rothmann’s Umgebung der Plan reifte, dem Beispiel anderer Gemeinwesen zu folgen und zur Trennung von der alten Kirche zu schreiten, war der Anschluß an die Wittenberger oder die Schweizer Reformatoren, deren Führung sich je länger je mehr die Nachbargebiete ergaben, durch die Umstände nahe gelegt, und darauf beruht es, daß sich R. im Frühjahr 1531 persönlich nach Wittenberg, sowie nach Straßburg und vielleicht auch nach Speier und Marburg begab. In Wittenberg erwarb er sich die Freundschaft Melanchthon’s und Bugenhagen’s und die Achtung Luther’s, welche in späteren Briefen zum Ausdruck kam; aber wenn man nach dem Glaubensbekenntniß, welches er am 23. Januar 1532 veröffentlichte, schließen darf – dasselbe enthält weniger die bestimmten Züge der Wittenberger Schule, als die allgemeinen Grundzüge der Reformation überhaupt –, so haben die Wittenberger Gelehrten Rothmann’s Richtung nicht in maßgebender Weise bestimmt; jedenfalls zeigte es sich später, daß der Straßburger Aufenthalt tiefer auf ihn eingewirkt hatte, als der Wittenberger. Hier zu Straßburg hatte er im Hause Wolfg. Capito’s, dessen persönliche Freundschaft mit Männern wie M. Cellarius und Joh. Denck ja bekannt ist, außer Caspar v. Schwenkfeld den vormaligen Carmeliter zu Haarlem, Heinr. Roll, kennen gelernt und damit eine Beziehung angeknüpft, welche sein Leben und seine religiöse Stellungnahme dauernd beeinflußt hat. Angeregt durch die Auffassungen, wie er sie in den Mittelpunkten der Reformation, zumal in der „Krone aller christlichen Städte“, in Straßburg, kennen gelernt hatte, kehrte er im Juli 1531 nach Münster zurück, und mit gesteigerter Zuversicht begann er jetzt den Kampf für die Ziele, die ihm vorschwebten. Natürlich trat nunmehr auch die Gegenpartei, welche doch noch immer im thatsächlichen Besitz der obersten Autorität und Macht war, wider den jungen Caplan in die Schranken, und am 29. August 1531 erfolgte ein Inhibitionsbefehl des Bischofs und am 7. Januar 1532 ein Mandat des Kaisers, in welchem R. des Landes verwiesen wurde. [366] Der Erfolg war, daß R. seine Stelle niederlegte und S. Mauritz verließ; aber anstatt das Land zu räumen, begab er sich in die Stadt Münster, wo seine Freunde ihn mit offenen Armen aufnahmen. In Münster waren seit der Zeit, wo der niederdeutsche Humanismus hier einen seiner Vororte besessen und die Fraterherren ihre Schule begründet hatten, die Ideen der deutschen Mystik in weite Volkskreise eingedrungen. Namentlich war das Haus des Stadtrichters Arnd Belholt, welchem Carlstadt schon im J. 1522 eine seiner Schriften gewidmet hatte, sowie die Amtshäuser der Gilden, zumal der Kramer- oder Gewandschneiderzunft, die Stützpunkte einer weitherzigeren Auffassung des Christenthums; aber auch viele Männer aus anderen Lebenskreisen, z. B. Christ. Kerkering, Herm. Tilbeck, Herm. Bisping und Andere, standen den Ideen der Reformation sehr nahe und wünschten zugleich eine Befreiung von dem Druck, unter welchem das Land in Folge des Uebergewichts der Hierarchie seufzte. Gleichwohl würde es R. schwerlich so bald gelungen sein, dauernde Erfolge über den zahlreichen und mächtigen Clerus zu gewinnen, wenn nicht infolge eines Wechsels in der Landesregierung – Bischof Erich von Münster starb am 14. Mai 1532 und es trat zunächst eine Zwischenregierung ein – und sonstiger Umstände die Partei, die ihn zu ihrem Führer gemacht hatte, die Herrschaft in der Stadt gewonnen hätte. Am 1. Juli 1532 ward ein Ausschuß von 36 Männern ernannt, welcher die Forderungen der Evangelischen durchzusetzen beauftragt war. Der Rath, durch die Aufregung, die sich der Bevölkerung bemächtigt hatte, eingeschüchtert und zum Theil selbst evangelisch gesinnt, bewilligte am 15. Juli alle Forderungen und am 10. August wurden die sämmtlichen Kirchen in der Stadt (mit Ausnahme des Doms) den Evangelischen übergeben – ein großer Erfolg, der aber doch noch keinen endgültigen Sieg bedeutete, da der inzwischen gewählte Bischof Franz von Waldeck die Uebergabe für widerrechtlich erklärte und die Stadt mit Landsknechten einschloß. Erst der Handstreich, durch welchen die Stadt Münster am 26. December 1532 eine große Zahl von Adligen, Geistlichen und Erbmännern mittelst des Ueberfalls von Telgte in ihre Hand brachte, hatte die Folge, daß es den Bemühungen des Landgrafen Philipp gelang, einen Vertrag zu Stande zu bringen – er ward am 14. Februar 1533 unterzeichnet –, durch welchen R. und seine Anhänger in aller Form Rechtens die Gewährleistung der evangelischen Religionsübung in den sechs Pfarrkirchen zugestanden erhielten. R. wurde Superintendent und es schien, als ob von jetzt ab die Entwickelung der Verhältnisse sich in ruhiger und sicherer Weise vollziehen werde.

Jetzt trat aber die Thatsache an das Licht, daß die Männer, welche bisher die Bewegung getragen hatten, doch eben weder von streng lutherischer noch von eifrig zwinglischer Gesinnung durchdrungen waren. Allerdings hatte R. sich bisher im Ganzen äußerlich lutherisch gehalten, und der Landgraf hatte die Einführung einer lutherischen Kirchenordnung durchgesetzt. Auch ist wohl gewiß, daß R. im damaligen Zeitpunkt der Partei, welche im engeren Sinn den Namen „Wiedertäufer“ trug, d. h. dem schweizerischen „Katabaptismus“ strenger Observanz äußerlich fern stand. Indessen hatten doch die Wittenberger Reformatoren schon frühzeitig davon Kenntniß, daß Rothmann’s Neigungen sich nicht in der Richtung bewegten, welche sie selbst vertraten. Mitglieder der Partei, welche von den Gegnern Täufer oder Wiedertäufer genannt zu werden pflegten – sie selbst nannten sich nur die Gemeinden Christi und ihre Gemeinschaft eine Brüderschaft und lehnten den Namen Anabaptisten grundsätzlich ab – sind sicherlich schon frühzeitig in Münster vorhanden gewesen. Wann die „Brüder“ zuerst dort Fuß gefaßt haben und welcher Richtung des Täuferthums – es gab nach Bullinger drei Hauptgruppen, nämlich die apostolischen Täufer, die gemeinen Täufer und die freien Täufer – dieselben angehörten, wird sich schwerlich feststellen lassen. [367] Jedenfalls aber zeigen sich frühzeitig Verbindungen mit den „Anabaptisten“, welche am Rhein, zumal im Jülich’schen Amt Wassenberg, vorhanden waren, und es war kein Zufall, daß bereits im Sommer 1532 die Geistlichen, welche von der clevischen Regierung vertrieben waren, sich gerade nach Münster wandten.

Unter den Letzteren nun befand sich auch Heinr. Roll, Rothmann’s Freund von Straßburg her, der damals und wohl auch schon früher entschieden auf der Seite der „gemeinen Täufer“ stand, und der, nachdem er am 10. Aug. 1532 Pastor an S. Aegidii zu Münster geworden war, das treibende Element in der Entwickelung der nächsten Zeit wurde. Und hier zeigte sich nun wiederum die oben erwähnte Thatsache, daß R. bei aller seiner Begabung und seinem Eifer doch der Berechnung und Rücksichtnahme auf äußere Verhältnisse einen Platz einräumte, welcher entschlosseneren Männern, die sich in seiner Umgebung befanden, ein großes Uebergewicht sicherte – kurz, schon in der zweiten Hälfte des Jahres 1532 erscheint R. nicht mehr als der Führer, sondern als der Geführte, und dies Verhältniß wiederholt sich, als später nach Roll’s Weggang erst Johann Matthys (s. A. D. B. XX, 600) und dann Joh. v. Leiden (s. A. D. B. III, 91) nach Münster kamen.

Nachdem R. unter Roll’s Einfluß sich in der Auffassung des Altar-Sacraments der täuferischen Anschauung angeschlossen und sodann auch in der Lehre von der Autonomie der christlichen Gemeinde gegenüber dem Staat und anderen Punkten das System der „Brüder“ sich zu eigen gemacht hatte, trat er endlich im Mai 1533 offen als Gegner der Kindertaufe auf, ohne indessen vorläufig die öffentliche Einführung der Spättaufe vorzuschlagen. Die Kunde von dieser Wendung erregte bald weit und breit Aufsehen, und es lag auf der Hand, daß der Schritt, den Roll und R. thaten, sowohl die Katholiken, wie die Lutheraner und Zwinglianer wider sie in die Schranken rufen mußte. Waren sie dem Ansturm aller dieser Gegner gewachsen?

R. war offenbar von schweren Besorgnissen und bangen Ahnungen erfüllt – Besorgnissen, die in seiner unsicheren, zögernden Haltung zum Ausdruck kommen. Und die Seelenkämpfe sind ja in der That sehr erklärlich: im Februar 1533 stand er als Haupt einer siegreichen Partei und als anerkannter Führer in dem lutherischen Münster am Ziele heißer Kämpfe; sobald er sich dabei beruhigte, war ihm eine gesicherte Zukunft fast gewiß; indem er sich aber einer damals geächteten Secte anschloß, mußte er das unsichere Glück des Kampfes von neuem versuchen, eines Kampfes, der deshalb so außerordentlich schwierig war, weil er zunächst gegen einen Theil Derjenigen geführt werden mußte, die ihn bisher getragen hatten. Gleich der erste Zusammenstoß, in welchen R. und Roll, Klopriß, Stralen, Vinne und Staprade – dies waren die Prediger, welche auf Seite der Täufer standen – mit dem lutherisch gesinnten Rath geriethen, endigte mit einer Niederlage der Täufer. Die Letzteren verstanden sich dazu, die genannten fünf Prediger, die von auswärts stammten, preiszugeben. Sie verließen zu Anfang November die Stadt, und der Rath hegte offenbar die Hoffnung, daß R. getrennt von Roll zur Besinnung kommen werde. Das war aber keineswegs der Fall. R. beharrte bei den Anschauungen und Glaubenssätzen, wie sie am 22. October 1533 von ihm und den oben genannten Geistlichen zusammengefaßt und unter dem Titel „Bekenntniß von beiden Sacramenten“ veröffentlicht worden waren. Dieses Bekenntniß macht, sagt Bouterwek, „durchweg den Eindruck, daß es seinen Verfassern um die evangelische Wahrheit, die sie in sich aufgenommen hatten, aufrichtig zu thun war.“ Der Magistrat war indessen mit dem ersten Erfolge nicht zufrieden: seine ausgesprochene Absicht ging dahin, die Täufer überhaupt zu unterdrücken, und er ließ daher zunächst dem R. das Predigen untersagen, dann nahm er ihm am 27. November seine Buchdruckerpresse und verbot ihm die Verbreitung von Schriften, um ihn schließlich [368] am 11. December der Stadt zu verweisen und ihm den Schutz der Obrigkeit aufzukündigen. So war der ehedem gefeierte Mann, der unter Einsetzung von Freiheit und Leben für die evangelische Lehre gekämpft hatte, jetzt für vogelfrei erklärt und in die Fremde hinausgestoßen. Es entstand die Frage, ob R. dies Alles ruhig ertragen werde, und wenn so, ob seine Partei das Gleiche zu thun entschlossen sei. R. hielt sich in der That zunächst still; aber einer seiner Anhänger, Joh. Schröder, ein Mitglied der Schmiedezunft, trat öffentlich für ihn auf, und als der Magistrat den Schröder daraufhin verhaften ließ, erfolgte am 16. December 1533 ein Auflauf der Bürger, deren drohende Haltung den Rath zwang, die letzte Maßregel rückgängig zu machen. Der Bogen war überspannt worden und die Sehne war gerissen: zu Ende December kehrten die vertriebenen Prediger, an ihrer Spitze Heinr. Roll, gerufen von den Ihrigen, in die Stadt zurück, und als am 23. Februar 1534 nach alter Gewohnheit die Rathswahlen stattfanden, war das Ergebniß, daß Rothmann’s Gesinnungsgenossen aus der Urne hervorgingen, und daß Bernd Knipperdollinck in aller Form Rechtens Bürgermeister von Münster wurde. Die Führer der Täufer waren mithin auf gesetzlichem Wege zur höchsten Gewalt emporgestiegen und R. war zum zweiten Mal an der Spitze der siegreichen Partei Herr in der Stadt. Wenige Wochen zuvor hatte man bereits mit der öffentlichen Ertheilung der Spättaufe begonnen und binnen kurzem hatten sich 1400 Personen freiwillig taufen lassen.

R. scheint sich der Verantwortung, welche jetzt von neuem auf seinen Schultern lag, in vollem Umfange bewußt gewesen zu sein. Wenigstens berichten die Quellen, daß der ehedem lebensfrohe Mann ernst und bleich einhergegangen sei, aller Geselligkeit entsagt und in schwerer geistiger Anstrengung die Tage verbracht habe. Ueberhaupt verdient es doch erwähnt zu werden, daß verschiedene Zeitgenossen, welche das „Königreich“ Johann’s von Leiden und die Ausschreitungen der „fanatischen und enthusiastischen Wiedertäufer“ wie sie späterhin aufkamen, scharf verurtheilen, übereinstimmend bestätigen, daß die Bewegung in ihren Anfängen streng religiöser Natur war. „Es haben sich“, sagt Heinr. Bullinger, „mehrtheils alle Täufer, und die zu Münster anfangs selbst, gedemüthigt, sind nicht herrschlich oder herrlich, sondern niederträchtig und schlechter Dinge gewesen“, und er stellt den gemäßigten Täufern damit ein Zeugniß aus, welches um so schwerer wiegt, als Joh. Gastius, der Bullinger’s Standpunkt theilte, dasselbe in vollem Umfang bestätigt. Die Maßregeln des lutherischen Magistrats der Stadt Münster wider die Täufer waren nicht wegen Aufruhrs, sondern auf Grund der Lehre von der Zwangsgewalt in Glaubenssachen, wie die römische Kirche sie ausgebildet und die lutherische sie seit 1525 übernommen hatte, gegen die angeblichen Ketzer erfolgt. Daher galt der Kampf der Täufer auf dieser ersten Stufe der Entwickelung nicht der zwangsweisen Durchführung irgend welcher socialen oder gar socialistischen Forderungen, sondern lediglich der religiösen oder kirchlichen Gleichberechtigung oder der Freiheit des Glaubens und Gewissens, wie sie dieselbe von jeher grundsätzlich vertreten hatten. Derselbe Widerwille gegen Gewaltübung, wie wir ihn seit dem ersten Wiederauftreten der Gemeinden d. h. seit 1524, beobachten, tritt auch im Anfang in Münster zu Tage, und obwohl die Täufer schon um die Jahreswende 1533 auf 1534 ein solches Uebergewicht besaßen, daß sie ihre Gegner hätten erdrücken können, so ist der Besitz der Autorität doch nicht auf gewaltsamem, sondern auf gesetzlichem Wege in ihre Hände gelangt. Nachdem R. und die Seinen seit der in den ersten Tagen des Januar beginnenden Erwachsenen-Taufe die thatsächlichen Herren des Gemeinwesens waren, lag die Versuchung nahe, daß man das Recht des Stärkeren jetzt gegen Diejenigen kehrte, welche die Bedrohung der Täufer mit den Ketzerstrafen fortsetzten. Aber zunächst [369] hört man nicht das geringste von derartigen Grundsätzen und Versuchen, ja die Gemäßigten hielten fortdauernd an der Ueberzeugung fest, daß die Lehre Christi verbiete, „das Evangelium mit Büchsen und Spießen zu erhalten“.

In den religiösen Kämpfen, die seit 1525 wider die sog. Anabaptisten geführt worden waren, hatte sich für diese an mehreren Orten, z. B. in Straßburg, Worms, Augsburg und St. Gallen, die Möglichkeit ergeben, der Anwendung der Ketzergesetze mit Gewalt zu begegnen. Indessen hatten die Führer es in allen den genannten Fällen durchgesetzt, daß die „Brüder“ sich still verhielten, den Staub von ihren Füßen schüttelten und weiter zogen. Es wäre ein großes Glück für die Partei, wie für die Stadt Münster und das ganze Reich gewesen, wenn derselbe Grundsatz jetzt zur Anwendung hätte kommen können. Ich lasse es dahin gestellt sein, ob ein Vorschlag der Auswanderung nach dem Einzug des Joh. Matthys und der Gewinnung eines so werthvollen Stützpunktes, wie Münster es war, noch Erfolg gehabt haben würde. Indessen selbst wenn der Wille bei Vielen vorhanden gewesen sein sollte, so war doch bereits seit dem Anfang Januar die Möglichkeit der Ausführung eines solchen Planes abgeschnitten. Denn bereits am 9. Januar 1534 hatte Bischof Franz bekannt gemacht, daß er zur Durchführung des kaiserlichen Mandats vom Jahre 1529 entschlossen sei und sofort auch begonnen, alle diejenigen Täufer zu verbrennen oder hinzurichten, die in seine Hände fielen. Gleichzeitig wurden von ihm die Vorbereitungen zur Einschließung der Stadt, und, nachdem am 23. Januar die Verhaftung und Auslieferung Rothmann’s und aller Getauften befohlen worden war, alsbald auch die Eröffnung des förmlichen Kriegszustandes begonnen. Damit war den Täufern der Weg verlegt und ihnen nur die Wahl zwischen sicherem Untergang oder entschlossener Gegenwehr gelassen. Nun gewann (ähnlich wie früher in den Kämpfen der Taboriten und im J. 1488 bei dem Kreuzzug gegen die Waldenser) unter den Münster’schen Täufern diejenige Partei die Oberhand, welche die Gegenwehr für erlaubt hielt. Nach den Rathswahlen vom 23. Februar ward die Stadt in Vertheidigungszustand gesetzt und zunächst wurden alle Diejenigen, welche auf der Seite der Gegenpartei zu stehen erklärten, gezwungen, die Stadt zu räumen.

Die Kunde, daß die „Brüder“ zu Münster sich im Besitz einer großen Stadt befänden, daß sich die Gemeinde daselbst aber zugleich in großer Bedrängniß und Gefahr befinde, verbreitete sich wie ein Lauffeuer unter den „heimlichen Gemeinden“ in Westfalen, am Rhein, in den Niederlanden und im ganzen Reiche. Da von diesen überall geächteten und verfolgten Leuten Tausende sich stets auf der Wanderschaft befanden, so war jetzt für all’ dies fahrende Volk ein Zielpunkt gefunden, und in hellen Haufen strömten sie schon seit den ersten Tagen des Januar 1534 nach Münster. Unter diesen Fremdlingen machten sich vom ersten Augenblick an Johann Matthys und Jan Bokelson von Leiden besonders bemerklich. Wenn man die Entwickelung der Dinge, die jetzt folgten, recht verstehen will, muß man sich gegenwärtig halten, daß die Mehrzahl der Betheiligten sich der ungeheueren Gefahr, in der sie sich befanden, klar bewußt war. „Ich vernehme es täglich,“ schreibt R. in einer seiner Schriften, „aus der Jäger Jagdruf und der Hunde Bellen, welch groß Verlangen und grimmig Jähnen die tyrannischen Löwen nach mir armen, elenden Wilde haben, daß sie ihre haßerfüllten, reißenden Zähne mit meinem Blute möchten kühlen“, und er gab damit einer Empfindung Ausdruck, welche unter den schwer verfolgten Leuten immer allgemeiner geworden war. Zu Anfang des Jahres 1534, als sich der Zudrang der auswärtigen Elemente fortwährend steigerte und mit den Fremden zugleich neue und fremde Ideen und Glaubenssätze ihren Einzug in die Stadt [370] hielten, hat R. von neuem schwere innere Kämpfe durchgekämpft. Er war zweifelhaft, ob er den Aposteln des neuen Evangeliums, welches aus Holland kam, folgen dürfe; er stand damals noch mit dem Landgrafen Philipp in Unterhandlung und fühlte wohl, daß seine Zukunft vor der Entscheidung stand. Vielleicht hegte er die Hoffnung, daß er auch auf dieser Stufe der Ereignisse die Führung in der Hand behalten werde. Aber es zeigte sich, daß er sich getäuscht hatte. Die Menge, die in ihrer Aufregung und Noth das Wunderbarste am ehesten zu glauben geneigt war, horchte jetzt mehr den Worten der prophetischen Männer, die im Namen Gottes Befehle ertheilten und die Zukunft vorhersagten, als ihrem ehemaligen Prediger und Superintendenten, und seit der zweiten Hälfte des Jahres 1534 ging das Regiment in der Stadt völlig an Joh. v. Leiden über. Die schwere Belagerung, welche die Stadt auszuhalten hatte, erforderte eine einheitliche und straffe Leitung, und mit den Aenderungen des politischen Zustandes änderten sich auch die religiösen Doctrinen, so daß die „wahren Israeliten“ oder die „Bundesgenossen Christi“, wie sie sich von jetzt an nannten, im Grunde mit den älteren „Gemeinden Christi“ außer der Spättaufe nicht viel Gemeinsames mehr besaßen. R. ward unter dem neuen „Könige“ Johann v. Leiden Kanzler und hat als solcher mehrere Schriften verfaßt, zunächst die „Restitution rechter und gesunder christlicher Lehre“ (October 1534), sodann die Schrift „Von der Rache“ (Dec. 1534), ferner die „Von Verborgenheit der Schrift des Reiches Christi und von dem Tag des Herrn“ (Febr. 1535) und endlich den unvollendeten und nicht gedruckten Tractat: „Von irdischer und zeitlicher Gewalt“ (etwa im Mai 1535). Klarer als andere seiner Mitstreiter übersah R. die verzweifelte Lage, in welcher sich die Stadt befand. Als dieselbe am Johannistage 1535 fiel, suchte und fand R. kämpfend den Tod. Seine Leiche ist niemals aufgefunden worden.

Die beste Uebersicht über die Quellen, soweit sie bis zum Jahre 1853 bekannt waren, findet sich in den Geschichtsquellen des Bisthums Münster Bd. II, hrsg. v. C. A. Cornelius, S. IX ff. Dort auch ein Verzeichniß von Rothmann’s Schriften. Als Ergänzung s. die Angaben bei C. A. Cornelius, Geschichte des Münster’schen Aufruhrs, Lpz. 1855–1860, und K. Hase, Das Reich der Wiedertäufer. 2. Aufl. Lpz. 1863, S. 147 ff. – Ferner K. W. Bouterwek, Zur Lit. u. Gesch. der Wiedertäufer, Bonn 1864. – Chr. Sepp, De veelgenoemde en weinig bekende geschriften van den wederdooper B. Rothmann in Geschiedkundige Nasporingen Bd. I, Leiden 1872. – L. Keller, Gesch. der Wiedertäufer u. ihres Reichs zu Münster, Münster 1880. – Neuere Ausgaben einzelner Schriften Rothmann’s haben besorgt E. W. H. Hochhuth (Gotha 1857), Bouterwek (a. a. O. Bonn 1864) und A. Knaake (Flugschriften aus d. Ref. VII, Halle 1888). – Briefe Rothmann’s finden sich bei Gerdes, Scrin. Ant. III, 1; Corp. Ref. II, 619, X, 132; De Wette, Luthers Briefe IV, 426.