ADB:Rosenplüt, Hans
Hans Sachs nicht unähnlich, scheint mit bürgerlichem Namen Schnepperer geheißen zu haben und war jedesfalls Nürnberger Kind. Die Wahl des wohlklingenden Dichternamens entsprach einer Mode der Zeit und empfahl sich um so mehr, als die Bedeutung des Wortes „Schnepperer“ (= „Schwätzer“) zu wohlfeilem Spotte herausforderte. R., der es recht gut verstand, sich selbst zum Besten zu haben, kommt den Scherzen seiner Hörer am Schluß eines Fastnachtsliedes selbst lustig zuvor. Versteck wollte der Dichter so wenig spielen, daß er sich nicht selten mit beiden Namen nannte, und, zumal in der Vaterstadt, war er als „Schnepperer“ berühmter als unter dem Pseudonym. Geboren wurde er in den ersten Jahren des 15. Jahrhunderts. Seines Zeichens war er Rothschmidt, d. h. Gelbgießer. Diese Kunst, die sich damals auch auf Büchsen- und Glockenguß erstreckte, stand zu Nürnberg, wo sie im Besitze sorgfältig gehüteter Geheimnisse gedieh, in ungewöhnlicher Blüthe: sie ist das einzige Handwerk, bei dem R. im Lobspruch auf Nürnberg (1447) liebevoll verweilt. Im Kriege verwandte man Rothschmiede gern als Büchsenmeister; wahrscheinlich in dieser Eigenschaft hat R. zweimal an den Hussitenkriegen Theil genommen; bei der Belagerung von Tachau scheint er seinen technischen Beirath gegeben zu haben; er erlebte und besang die beiden schmachvollen Schlachten bei Mies (1427) und bei Tauß (1431), in denen die Kriegsehre des deutschen Ritterthums ins Grab sank. In der Brust des Nürnberger Handwerkers mischt sich mit dem Schmerz über den Sieg der Ketzer doch etwas wie schadenfrohes Selbstgefühl, als es diese prahlenden Raubritter, die „scharfe Gerte“ [223] der Städte und des Handels vor den czechischen Bauern so feige ausreißen sah; manch’ freien Fußgengel sah er, der sein Leben gern für die Ehre des deutschen Heeres hingegeben hätte, und ein Heer von Bademägden hätte Mies eher genommen als diese Ritter. 1444 wurde R. vom Nürnberger Rath als städtischer Büchsenmeister mit jährlichem Sold von 20 Gulden angestellt: als solcher war er 1449 an der Vertheidigung der Nürnberger Festungswerke gegen Albrecht Achilles thätig und hatte die Freude, mit in der städtischen Wagenburg zu sein, als durch das siegreiche Treffen von Hembach (20. Juni 1450) dem Markgrafenkrieg ein Ende gemacht wurde: wiederum durfte er singen, wie der Reisige vor dem Bürger lief. Die drohende Türkengefahr, die alle Gemüther tief erregte, gab dem Dichter Anlaß, 1456 in einem Fastnachtspiel, 1458 in einem Liede von den Türken die Schwäche des wurmstichigen Reiches vom einseitig reichsstädtischen Standpunkt zu geißeln. Das letzte datirbare Gedicht Rosenplüt’s preist, anknüpfend an die Richtung von Roth, Mitte 1460, Herzog Ludwig den Reichen von Baiern-Landshut: Rosenplüt’s politischer Standpunkt stimmt auch jetzt noch zu dem von Nürnberg; doch war er damals wohl nicht mehr in städtischen Diensten: seine dichterischen Erfolge scheinen ihn ermuthigt zu haben, das Handwerk an den Nagel zu hängen und sich als Wappendichter an fürstlichen Höfen sein Brot zu verdienen: daher die vorsichtige Mäßigung, mit der er jetzt ganz abweichend von der kräftigen Parteilichkeit früherer politischer Dichtungen, nicht nur für seinen Helden Ludwig, sondern auch für dessen Gegner, selbst für den einst verhöhnten Brandenburger Worte des Lobes zu finden weiß. Der Berufswechsel, der ihm vielleicht Beziehungen zu Bamberg gab, brachte schnelle Enttäuschung: der Adel hat, so klagt er, seinen Wappenschild mit dem Wedel der Schande behängt, und die braven Herolde, die die Wahrheit sagen wollen, jagt man von Hofe. So blieb seine Wappendichtung kurze Episode: eine schwach begründete Vermuthung will R. 1468 als Glockengießer in München finden; erwähnenswerther scheint mir die Localtradition, die ihn als Dominicaner zu St. Sebald in Nürnberg enden läßt: das stimmt gut zu der koketten Häufung lateinischer Worte, zu der streng kirchlichen Haltung seiner letzten Dichtungen: nur ist es natürlich Unsinn, wenn jene Tradition ihn gar zum Prior befördert.
Rosenplüt: Hans R., unter Nürnbergs bedeutenden Dichtern der älteste und in Vielseitigkeit, Fülle der bildlichen Rede und poetischer Laune seinem größeren NachfolgerDas Nürnberg des 15. Jahrhunderts ist ohne Hans Rosenplüt so wenig zu denken wie das Nürnberg der Reformationszeit ohne Dürer, Sachs und Vischer. Tief wurzelt Rosenplüt’s Kunst im Boden der reichen selbstbewußten Vaterstadt; gern stellt er seine Verse in den Dienst des üppigen Wohllebens seiner Mitbürger; es gibt kaum eine in Nürnberg beliebte Dichtgattung, von der gereimten Zote bis zum feierlichen geistlichen Lehrgedicht, an die R. sich nicht auch gewagt hätte. Nur der Meistergesang fehlt seinem Repertoir; der wurde erst in Rosenplüt’s späteren Jahren durch „den durchleuchtigen deutschen Poeten“ Hans Folz aus Worms in Nürnberg modisch; aber R. empfindet es doch schmerzlich, daß er niemals auch nur „eines niedern Meisters ein Schüler“ gewesen ist. Seine poetische Schulung war wirklich sehr gering; sein bester Lehrmeister war Nürnberger Volkswitz und Volksspruch gewesen; aber während ihn das in den leichtfertigen Anfängen seines Schaffens wenig kümmert, sagt er sich später, als er an ernstere Aufgaben heran will, als er „auf der Rhetorica Weiher schiffen und darin nach geblümten Worten angeln“ möchte, mit demüthiger Bescheidenheit, daß er nur ein grober Stamponeier, ein plumper Bauer, ein kunstloser Laie sei. Er ist nicht unbelesen: er weiß von Lorengel und Morolf, von Parzival und vom Priester Johann; den Thierkreis und die Planeten, die Temperamente und die Edelsteine weiß er mit lateinischen Worten leidlich richtig [224] zu benennen; auch lateinische Flexion ist ihm nicht ganz fremd, er wagt ganze und halbe Zeilen aus lateinischen Floskeln, und es gefällt ihm wohl gar, selbst im Fastnachtspiel einmal statt Tiltapp nequam und statt Dreck merdum zu sagen; allerlei medicinisches Halbwissen hat er auferlesen; aber all das ist angeflogener Schaum; er hat zu den 7 Künsten, deren große Meister er bei Namen kennt und in einem Spiele auftreten läßt, doch nur das respectvolle Verhältniß des Ungebildeten. Vielleicht mit einer Ausnahme. Nürnbergs berühmter Organist, der blinde Konrad Baumann, scheint ihm näher gestanden zu haben; ihm dankt er etwa seine Bekanntschaft mit der musikalischen Kunstsprache; jedesfalls war ihm Frau Musica vertrauter und lieber als ihre 6 Schwestern; er kennt wenig höheres Lob als das Bild „süß klingende Saite“, und er liebt’s, den Gesang der Vögel in gelehrten Terminis schulmeisterlich abzuschildern, wie vor ihm und nach ihm manch gelehrter Meister.
Aber R. brachte besseres zum Dichter mit als Bildung; mit hellen Augen, mit offenen Ohren nahm er das Leben in sich auf, das ihn in Nürnberg umwogte, und er weiß es zu gestalten. Ohne Geschmack und ohne Auswahl. Greulicher Unflath, der nicht einmal witzig ist, paart sich mit farbigen, wenn auch oft barock kühnen Bildern, mit ernster Erfahrungsweisheit: aber Leben hat Alles und zwar locales Nürnberger Leben. Mit unbefangener Sinnlichkeit überträgt R. die Dinge, die er vor sich sieht, in die bildliche Darstellung: er spricht nicht gern in traditioneller Art von der Gnaden See – eine See gab’s ja in Nürnberg nicht –, lieber ist ihm der Weiher der Gottheit, der Teich der Sinne, der Röhrbrunnen des Glaubens, der Bach der Gnade, der Tümpel der Ehre. Als er den deutschen Fürsten allerlei ideale Vertreter männlicher Tugenden vorhalten will, da fallen ihm die neuf preux am schönen Brunnen seiner Vaterstadt ein, wie sie der Volksmund erklärte. Seine Verse sind vom Nürnberger Stadtjargon, wie wir ihn z. B. aus den Polizeiverordnungen kennen, vom Nürnberger Stadtwitz so durchtränkt, wie nicht entfernt bei dem eingewanderten Hans Folz. Als Delicatesse rühmt er sich den Pegnitzhecht; der Nürnberger Weinmarkt steht ihm kühnlich neben dem berühmten von Ulm; durch den Besitz der Reichsreliquien, die Kaiser Siegmund 1424 Nürnberg anvertraut hatte, da sie in Prag gefährdet wurden, ist ihm die Vaterstadt in die Reihe der heiligen Stätten getreten; und sein Lobspruch auf Nürnberg, der trotz der trockenen Aufzählung doch den behaglichen Stolz des Reichsstädters, sogar dankbare Zufriedenheit mit dem städtischen Regiment athmet, hat reiche Nachfolge gefunden.
Das Urtheil über Umfang und Charakter der Rosenplüt’schen Poesie wird uns leider erschwert durch die Art der Ueberlieferung. Wir haben eine ganze Anzahl handschriftlicher Lesebücher, die uns zeigen, was man in Nürnberg seiner Zeit gern las und hörte: in buntem gewolltem Wechsel reiht sich da Priamel an Novelle, Fastnachtspiel an Lehrgedicht, der Weingruß an die Hymne. Den Kern bildet freilich Rosenplütsches Gut: aber nicht eine einzige Handschrift beschränkt sich darauf. Bei ernsteren Gedichten, auf die R. selbst Werth legte, nennt er sich in der oder den Schlußzeilen als Autor; der Reim auf -ut (-uot, üet) ist da für ihn so typisch wie der auf -achs für Hans Sachs, und kein ernsthaftes Gedicht, das dieses Siegels entbehrt, darf als sein Eigenthum gelten. Aber im Schwank, im Fastnachtspiel, in der Priamel thut er das selten oder nie; dazu kommt, daß der berühmte Name gelegentlich in die Schlußzeilen hineingefälscht, das andere Namen (Rosner, Smiher) durch ihn verdrängt wurden. Zum Glück ist zu solchen Fälschungen vorzugsweise der Name Schnepperer gemißbraucht worden, den R. selbst nur einmal und da in beabsichtigtem Wortwitz allein gebraucht. So bleibt methodischer Kritik die Hülle und Fülle [225] zu thun: bisher hat sie wenig geleistet. Und doch fehlt es nicht an höchst förderlichen Kennzeichen Rosenplüt’scher Verfasserschaft, an Kennzeichen stilistischer, metrischer, sprachlicher Natur.
R. schreibt sich ungenirt selbst aus: noch im Spruch auf Herzog Ludwig 1460 kehren wörtlich 2 Reimpaare wieder, die er 30 Jahre früher in dem Gedicht auf die Taußer Schlacht angebracht hatte: einige seiner Fastnachtspiele, (z. B. „Die Ehefrau“, „Die Frauenschänder“) sind bloßes Flickwerk aus andern. Aber eins ist bei der kritischen Verwerthung dieser Thatsache zu erwägen: ungenirt eignete sich R. an, was er auf der Gasse, im Wirthshaus fand; in den volksmäßigen Gattungen der Priamel und des Fastnachtspiels wurde der geistige Besitz von Niemandem ängstlich gewahrt und geachtet; in Witzen und Zoten ist R. gewiß oft genug mit andern Nürnbergern zusammengetroffen, von andern geplündert worden. – Er liebt es, vorzugsweise aber nicht nur im Fastnachtspiel, mit einem Tacete! zu beginnen. Seine Manier, Bilder aus dem Alltags- und Handwerksleben kurz und gehäuft zur Darstellung des Abstracten, auch im gehobensten Stil zu brauchen, hebt sich charakteristisch hervor. Der Vorliebe für lateinische Worte gedachte ich. Priameln und priamelartige, gern anaphorische Satzreihen verwerthet er überall, besonders als Schlußeffect. Er gebraucht sinnvolle Namen: die Welt heißt ihm Spotthild, ein mißgünstiger Ritter Neidhart. Er hetzt das Adj. „hellisch“ in den wunderlichsten Verbindungen ab: Luzifer und die Seinen sind ihm höllische Zwerge, Riesen, Hechte, Aebte, Ochsen, Luchse, Alpe, Falken, Sperber, Katzen, Bäcker u. s. w. Gern bildet er von Verben nomina actionis wie „Wahrheitsager, Abwischer, Lichttrager, Friedgeber“ und setzt sie gern nachdrucksvoll in den Reim. Im klingenden Reime liebt er Worte mit tieftoniger zweiter Silbe, zumal Diminutiva auf -lein, in denen er zuweilen unersättlich ist, dann Collectiva auf -lich (steinlich, blumlich, strolich. Abstracta auf -ung, auf -heit: kühne Reime dieser Art, wie bescheidenheit: weidnet, krankheit: schrancket, guttet (Gutthat): mutet, procurator: vater, oder gar mit dir: ritter, tut ir: pruder machen ihm Spaß. Ueberhaupt baut er seine Verse und Reime nicht gedankenlos: die beharrlich nachgesprochene Sage von Rosenplüt’s wildem Versbau, seinen unerhörten Reimen ist ein ziemlich unbegründetes Gerede: man darf ihn natürlich nicht an Hartmann v. Aue messen. R. reimt â unbedenklich auf ô, niemals auf au (das scheidet ihn scharf vom Smiher); die Silbenzahl seiner vierhebigen Verse schwankt nicht über 12–13 Silben heraus, und auch solche Länge ist selten; diese silbenreichern Zeilen stehen gern vor Absätzen; niemals außer in den beiden Liedern – auch unter seinen Priameln finden sich schwerlich Ausnahmen – hat er dreihebig klingende oder gar kürzere Verspaare (das scheidet ihn von Rosner); gekreuzten Reim verwendet er nur in dem Spruch auf das Hembacher Treffen; Reimbrechung ist ihm als Kunstmittel noch ganz fremd.
Die Dichtungen Rosenplüt’s sondern sich ungezwungen in zwei Hauptgruppen. Auf der einen Seite steht seine derb volksthümliche Gelegenheits-, Kneipen- und Zotenpoesie: Fastnachtspiel, Priamel, Grüße, Segen und kleinere Gedichte; auf der andern die litterarisch anspruchsvolleren Gattungen: die komische und ernste Erzählung, das politische Gedicht, die Wappen- und Lobrede, der moralische und geistliche Lehrspruch. R. selbst legt diese Eintheilung nahe: dort nennt er sich fast nie, hier fast immer. Jene Werkchen werden mehr dem jungen Handwerker, diese dem älteren und bewußteren Dichter angehören: doch kreuzen sich die Arten: wir haben ein Fastnachtspiel von 1456, ein politisches Gedicht von 1427; die geistlichen Priameln stammen gewiß nicht aus der Jugend des Dichters. Und einen innern Widerspruch fand der Dichter in der Pflege so [226] grundverschiedener Gattungen ebensowenig wie in dem bunten Leben, das ihn umgab: heute Fastnacht, morgen Fasten! und beides je gründlicher je besser.
In den Fastnachtspielen, deren wir 25–30 und mehr von R. haben, wälzt er sich mit gewohnheitsmäßigem Behagen und erschrecklich wenig Witz im Schmutz herum: die Zote und der Dreck herrscht, und der Dichter ist nicht einmal darin erfinderisch: immer wieder dieselben widerlichen Scherze! Und wenn sich einmal ein erträglicher Einfall findet, wer mag ihn aus dem Misthaufen ausgraben? Auch die Kunst dramatischen Aufbaus liegt in den Windeln: der Präcursor gebietet Ruhe und stellt die Spieler vor; dann beten die Einzelnen ihre gern gleichlangen Sprüchlein her; der Herold, der nicht erst von R. eingeführt wurde, bittet um Verzeihung für die Fastnachtsfreiheit, „ob jemand hätt zu grob gespunnen, damit wir eur Ungunst hätten gewunnen“ und verhängt etwa den päpstlichen Bann über Jeden, der zur Fastnacht trauern wolle: dann geht’s in die nächste Herberge. Oft sind’s Maskenaufzüge ohne jede Handlung: blau gekleidete Paare, Männer im Harnisch erklären ihr Costüm; Büßer, die sich allerlei merkwürdige Frevel vorwerfen, z. B. daß sie Muscateller lieber tränken als sauer Bier, daß sie verliebte Frauen bis auf morgen vertröstet haben, geben Reue kund; Bauern mit komischen Namen schildern Liebesabenteuer. In der unanstößigen, aber besonders nichtssagenden Hochzeit des Königs von England, dem einzigen Fastnachtspiel, dem R. seinen Namen beigefügt hat, melden Herolde die Preise, die auf dem Feste den besten Turnierern werden sollen. Ritter treten auf, die berichten, durch welche Verdienste sie die Ritterwürde errungen haben; leider sind sie gerade verhindert Proben zu geben. Ein Kaiser führt seine getreuen Helden vor, die es vorziehen, ihm in Gefahren den Vortritt zu lassen. Die Meister der 7 freien Künste belehren einen Jüngling, daß der um Frauengunst Werbende der Künste bedarf, z. B. „Rhetorica die lehrt einen Mann, daß er mit Frauen wol reden kann: nicht viel Geschreis und wenig Wollen, als oft thun die Narren und Vollen“. Ein Trupp Verliebter gibt seiner Sehnsucht nach der allerliebsten Frau Ausdruck: sie schafft mir so viel Glück als ich Haare auf der Zunge habe; sie ist mir lieber als in der Pegnitz einfrieren, lieber als Haarausreißen und Disteljäten; so geht’s ironisch weiter: der Minnedienst ist für R. eitel Unsinn: „kein großer Narr mag nit werden, wann wer Frauen dient auf Erden“; er hat für das Verhältniß von Frau und Mann nur den einzigen unerfreulichen Gesichtspunkt des „Nachthungers“, von dem er nicht loskommt: weiß er doch auch für Ehe und eheliche Treue kaum ein warmes Wort zu finden: am schönsten im Spiel von dem Zaubermantel der Lunete, der das junge Weib des greisen Königs von Spanien als das einzige tugendhafte Weib am Artushof erweist: leider ist es nicht ganz sicher, ob das Spiel von R. stammt. – Etwas belebter als diese einförmigen Monologreihen ist eine dialogische Marktscene „von Kuchenspeis“, Gespräche zwischen einer maulgewandten Hökerin und ihren Kunden. Das sonst so beliebte Motiv der Bauernhochzeit, der Bauern beim Arzte, fehlt bei R. ganz oder fast ganz; am Spott auf Bauern und Pfaffen findet er wenig Geschmack. Wo er nach einer gewissen dramatischen Entwicklung strebt, da wählt er die Proceßform: ausnahmslos handelt es sich um Ehesachen: doch fehlen die sonst häufigen Klagen auf Eheversprechen; die Frauen bezichtigen ihre Männer der Untreue und umgekehrt; eine Wittwe und ihre Tochter zanken, wer zuerst heirathen soll; Männer, die im Kreise froher Gesellen den Ruf der Frauen geschändet haben, werden vorgeladen; der Richter trägt die Rechtsfrage vor, die Doctoren oder Schöffen geben ihre Meinung ab, ersinnen möglichst gräßliche phantastische Strafen für die Schuldigen; schließlich versöhnen und bedanken sich die Parteien, oder der definitive Spruch wird übers Jahr vertagt. Diesen Ausgang nimmt auch ein ernsthafteres [227] Spiel „vom Babst, Cardinal und von Bischoffen“. Da werden geistliche und weltliche Fürsten vor den höchsten Instanzen, Papst und Kaiser, verklagt, daß sie die Armen drücken: die Vertreter des Adels sprechen den nackten Grundsatz aus, man dürfe Bauern und Bürger nicht aufkommen lassen; der Dichter flüchtet seine eigene Meinung in den „Narrenrath“: es ist das einzige Mal, daß bei R. der Narr auftritt, und dies ist ein Narr von Shakespearischer Bitterkeit. Und drohender noch tritt die sociale Schwüle, die sich bald in dem Gewitter der Bauernkriege entlud, hervor in der Haupt- und Staatsaction „Des Türken Vasnachtspil“: der Großtürke kommt unter Nürnbergischem Geleit in das Reich um den verkommenden Christen eine rechte reformatzen, Friede und Recht, wiederzubringen: die drohenden Boten der christlichen Machthaber werden von den Räthen des Sultans mit überlegenem Hohne zurückgewiesen, am schärfsten der Sendling der Kurfürsten: „ihre Küchen sind viel zu feist, für die der Arbeiter schwitzt und schweißt“; sie erhöhen jährlich den Zoll, schlagen den Klagenden nieder wie ein Rind, lassen ihm Weib und Kind an Hunger sterben. Schade, daß auch dies im Grunde recht ernsthafte Stück durch ekelhaften Schmutz entstellt wird. – Bis zum wirklichen Lustspiel mit fortschreitender Handlung und Spannung, wie bei Hans Sachs, hat R. es nur zweimal gebracht: in dem Spiel „von zwein Ehleuten“, die sich nach einer Zeit des Mißtrauens trotz der Anschläge einer alten Kupplerin wieder finden, und namentlich in dem lebhaft bewegten und ohne Caricatur glücklich gezeichneten Schwank von dem Bauer mit dem Bock: eine Frau wettet mit dem Junker von Turnau, daß sie einen wahrheitsliebenden Bauern zur Lüge verführen werde; ihre Intrigue spielt hinter der Scene; der Bauer bleibt bei seiner angeborenen Ehrlichkeit. Wie vor unsern Augen entwächst hier das Drama aus dem Maskenaufzug: die Handlung spielt sich in zwei kurzen fesselnden Acten ab: dazwischen aber liegt ein Zwischenact von der alten Art, in dem allerlei weise Leute, eine Art Chor, in 8zeiligen Reden ihre Betrachtungen über die Macht der Weiberlist zum Besten geben.
Will R. ein Fastnachtspiel recht wirkungsvoll schließen, so läßt ers in eine Priamel auslaufen. Und er thut Recht daran. Das ist der dichterische Boden, auf dem er ganz zu Hause, auf dem er seiner Wirkung sicher ist. Er hat die Priamel nicht erfunden, aber er ward ihr Classiker. Hier konnte er die ganze bunte Lebensfülle, die sein scharf schauendes Auge um sich sah, in schnell wechselnden Bildern ausgießen; Reichthum des Erfahrenen war ja der größte Vorzug der Priamel. Sie wird in seiner Hand das Epigramm des 15. Jahrhunderts. Bei aller Unsicherheit der Ueberlieferung können wir ein reichliches Hundert dieser kleinen Dichtungen, die sich bei ihm auf 8–14 Verse beschränken, für ihn in Anspruch nehmen. Es ist erstaunlich, welch wechselnden Inhalt er der nicht eben bequemen Form einzufügen weiß. Die bloße Aufzählung gleichartiger und ungleichartiger Dinge, die nur durch überraschende Verbindung wirkt, befriedigt ihn selten: doch malt er sich gern einen Pechvogel aus, den Gott in den Himmel läßt und St. Peter wieder herauswirft; wo er lustig verkehrte Welt schildert, steckt wohl auch ein bitteres satirisches Keimchen darin: hatte ers doch mit eigenen Augen gesehen, wie „der Baur streit und der Ritter fleucht“. Unflätereien sind hier seltener; nur in der Schilderung einiger Capitalfaulpelze verfällt er in den Ton der Fastnachtspiele; derselbe Mann, der sich dort nicht genug thun kann im Kothe, entrüstet sich in der Priamel über den Mann, der „sich nimmer keiner Zucht bestrebt und vor Jungfraun schamlos redt“. Die Zuspitzung der Schlußpointe ist nicht gerade Rosenplüt’s Stärke, ist ihm auch nie Selbstzweck: doch ist ihm manches hübsch gelungen. Von den Knaben in den hohen Hüten, die sich beim Tanz in Schweiß toben und wüthen von denen sagt er z. B.: ihnen wird die Hölle schwerer als dem Karthäuser der [228] Himmel. Sein Lieblingsthema sind die einzelnen Stände und Berufe. In einem Cyclus malt er sich launig aus, wie goldnen Boden die Handwerke haben könnten, wenn’s nur eben anders in dieser Welt wäre, wenn der Schuster Leder aus Papier machen, der Töpfer Krüge fabriciren könnte, die selbst zum Brunnen liefen u. s. w. Der gute und böse Priester, Richter, Ehemann werden in parallelen Gedichtchen contrastirt. Als R. das Idealbild einer glücklichen Stadt aufbaut, wird er an die eigne Heimath gedacht haben, die er sehr sanguinisch beurtheilt. Mehr als ein halbes Dutzend von Priameln schildert, wie das Alter alle Dinge zurichtet. Daneben stehen höchst praktische Gedichtchen über Tageseintheilung, Aderlaß und andere sanitäre Fragen, Wirthschaftsregeln u. s. w.; verschiedene Arten des Aberglaubens werden aufgezählt, um vor ihnen zu warnen. Kunst, Weisheit, Lieb und Treu, Zucht und Ehre klopfen umsonst ans Haus: „kommt aber der Pfennig gegangen und geloffen, so findet er Thür und Thor hint und vorn offen“. Und R. bereichert die Gattung durch die rein geistliche Priamel, die sich jeder launigen Wendung bewußt enthält und sich von der weltlichen Priamel höchstens eine Richtung auf das praktische bewahrt: Vorschriften über Beichte, Abendmahl, geistliche Wocheneintheilungen, Seligpreisungen, die sich bis zum Superlativ der ewigen Seligkeit steigern. R. hat darin keine Nachfolge gefunden: das ist begreiflich; er selbst aber gewinnt auch diesem spröden Stoff merkwürdig sicher die Seite ab, die sich zur priambolischen Behandlung eignet: nicht Fasten, Almosen, Beten, nicht Messen und Wallfahrten, selbst nicht der Märtyrer Blut hilft von der Sünde ohne Reue und Beichte; gäb es keine Hölle, keinen Teufel, kein Fegefeuer, keinen Himmel, wäre Sünde keine Sünde und Schande, dennoch sollte man die Sünde lassen.
Parodirt die religiöse Priamel eine ungeistliche Gattung, so wagt R. umgekehrt die bekannten Mariengrüße ins sehr Weltliche umzuwenden: er schafft Weingrüße und Weinsegen, die abwechselnd beginnen „nun grüß dich Gott“ oder „nun gesegen dich Gott“; der Zusammenhang mit geistlicher Poesie verräth sich z. B. auch in der Uebernahme der Seligpreisungen; der Wein wird gar „du lieber Heiland“ titulirt, seine Beziehungen zur Bibel und den Heiligen, zu Noah (Seuffert’s Vierteljahrschrift I, 83), zur Hochzeit von Cana, zu St. Urban sorgfältig aufgesucht. Das Streben nach parodischem Pathos, dem der Dichter nicht gewachsen ist, macht diese Weingrüße, denen vielleicht auch Bier- und Methgrüße anzureihen sind, schwerfällig und langweilig. Man vergleiche sie nur mit dem lebendigen Reichthum Rosenplüt’scher Priameln, man messe sie nur an seinem lieblichen Neujahrsgruß: „Klopf an, klopf an, der Himmel hat sich aufgethan“. R. ist hier, im Anschluß an volksthümliche Neujahrsverse, die in ihren Formeln bis zu den alten Liebesgrüßen zurückweisen, sein zartestes, reinstes Gedichtchen gelungen: es blieb Folz vorbehalten, auch diese Gattung in den Schmutz zu ziehen: uns darf Rosenplüt’s Klopfan lehren, daß auch der bergehohe Schmutz seiner Fastnachtspiele mehr aus der Macht der Gewohnheit als aus selbsteigner Freude am Unflath stammt.
Auch das Volkslied glückt ihm. Er bewegt sich in der strophischen Form mit einer Frische, einer muntern Schlagfertigkeit, die fortreißt. Leider haben wir nur wenig: ein sehr kräftiges Fastnachtlied, das die Freuden der Jahreszeit an der Hand des Nürnberger Kalenders mustert, und ein anderes, das uns singt, wie dem Bauer Schafgeschrei und „Gakgak ein Ei“ lieber ist als Lerchensang und Saitenklang: beide im Hildebrandston. Ein ernsthaft satirisches und politisches Lied von den Türken (1458) erreicht durch weitgehende Bildlichkeit drastische Wirkungen: die Türken sind ausgeflogen und bedrohen das Reich des Adlers: vom Kaiser, dem Adler, bis herab zu den Reichsstädten, den Staaren, zu Bürger und Bauer, dem Zeislein und Meislein, ist das ganze römische Reich [229] in mehr oder minder durchsichtige Vogelmasken gesteckt; Herr Adler wird gern am Beginn der Strophen angeredet; am Schluß jeder Strophe pflegt dann noch ein Sprüchwort aus dem Thierleben zu stehen; es ist unleugbar, daß Rosenplüt’s bildlicher Reichthum die Deutlichkeit schädigt.
Der Grundgedanke des Türkenliedes ist derselbe, der auch die politischen Reimpaargedichte Rosenplüt’s durchzieht: Deutschlands Heil ruht nicht auf dem verkommenen Raubadel, sondern auf Bauer und Bürger. An dichterischem Werth stehn sie hinter dem Liede weit zurück: eher haben sie historische Bedeutung, da ein Augenzeuge redet. In den Hussitensprüchen wird der Versuch gemacht, die uneinigen Fürsten in ihrer Berathung durch charakteristische Reden zu schildern: Sachsens junger Markgraf, der schneidig kampflustige Friedrich der Sanftmüthige, der nicht will, daß die Reiter auf der Flucht die Armen zu Fuß im Stich lassen, der im Hussitenblute baden möchte, ist des Dichters Liebling. Die Nürnberger Wagenburg bei Hembach ist ihm ein gewaltig Thier mit Rüssel, Bauch und Zagel, und er hält das Bild leidlich fest. Die Kampfschilderungen selbst sind dürftig und unanschaulich. Die trocken aufzählende Beschreibung Nürnbergs in dem Lobspruch von 1447, der manche Gedanken einem ältern Gedicht (Keller, Fastn. 1168) entnommen haben mag, verdient technisch kein größeres Lob; man hat ihn modernen Reisehandbüchern verglichen. Den angeblich von R. verfaßten Lobspruch auf Bamberg kenne ich nicht.
Der Wappendichter R. darf seinen adelsfeindlichen Neigungen natürlich nicht freien Lauf lassen: so tritt im Lobspruch auf Ludwig den Reichen jene demokratische Tendenz wenig hervor. Aber es ist doch charakteristisch, daß er nichts höher an Ludwig zu rühmen weiß als die Menschlichkeit seiner Kriegführung, die selbst den Bauer verschont: auch Ulrich Fütrer bezeugt, daß dies Lob ein wohlverdientes war. Das Heroldsgewand ist dem Dichter nicht bequem: so schnell wie möglich macht er die Wappenbeschreibung ab, bei der ein berufsmäßiger Wappendichter, wie Suchenwirt, behaglich verweilt. Der Spruch auf Ludwig bleibt denn auch die einzige weltliche Wappenrede des Dichters, die wir kennen. Aber auch hier wieder hat er die weltliche Dichtart ins Geistliche zu wenden gesucht. Er selbst nennt zwei geistlich-moralische Gedichte „Wappenrede“: in dem einen, unsrer Frauen Wappenrede, ist keine Spur von Heroldsdichtung zu finden; im andern, dem Spruch vom Einsiedel, wird Jesus, dem ersten Ritter, ein Wappen entworfen und das jüngste Gericht als eine Art Wappenprobe dargestellt. Das ist Alles, was von Rosenplüt’s dilettantischen Blasonierversuchen nicht verweht ist. Ein sehr abhängiger Nachahmer hat späterhin in einem halb lateinischen Gedicht (der Dresdener Hs.) dieselbe Methode eines Idealwappens auch auf die heilige Jungfrau übertragen.
Für die Erzählung hat R. weder Begabung noch Neigung: seinem unruhigen Sinn, den, wo er sich gehen läßt, alle Augenblicke ein neues Bild fesselt, behagt der ruhige Fluß der epischen Rede nicht, und noch weniger besitzt er epische Phantasie. Aber das Publicum verlangte Novellen und Schwänke. Dafür war es ihm freilich gleichgültig, ob ihm Neues oder Altes in neuer Form vorgesetzt wurde. Die poetische Erzählungslitteratur des 15. Jahrhunderts besteht zum sehr großen Theil aus plump vergröbertem und verrohtem Gut des 13. und 14.; nicht selten schälen sich die alten Dichtungen dem geschulten Blick mühelos aus der groben Maske; und sicher ist dieses Verhältniß in weit größerem Maßstabe anzuerkennen als bisher festgestellt. Auch R. hat sich dem litterarischen Mißbrauch nicht entzogen. Sein „König im Bade“ ist eine die Verse verlängernde, den Inhalt stark kürzende Bearbeitung einer Novelle des Strickers, der er im Anfang fast wörtlich folgt. Seine „Kaiserin von Rom“ behandelt den Crescentiastoff ungefähr in der Variation der gesta Romanorum, nur etwas [230] vereinfacht: hat auch hier R. eine poetische Vorlage gehabt, so hat er sie jedesfalls mit größerer Freiheit behandelt als das Gedicht Stricker’s; seine Eigenart ist in dieser Crescentialegende ebenso unverkennbar, wie in der lehrhaften Erzählung von dem klugen Narren, der seinen eigenen Bischof geistlich belehrt. Anders steht es mit einer Gruppe komischer Erzählungen: vom Knecht im Garten (Decam. 7, 7), vom fahrenden Schüler, der den Teufel bannt, von der Wolfsgrube, von der Tinte, vom Hasengeier: meist oft behandelte Stoffe, mit Ausnahme des ersten schmutzige Schwänke von buhlerischen Pfaffen, ein Thema, das R. sonst nicht eben liebt: sie sind alle so arm an frappant Rosenplüt’schen Zügen, daß, wenn sie wirklich alle sein Werk sind, auch bei ihnen der Gedanke an ältere Vorbilder nahe liegt. Noch glaublicher ist das bei dem „Maler von Würzburg“, ebenfalls einer Pfaffengeschichte, die zwar anonym ist, aber in einen bei R. sonst nachweisbaren Schluß ausläuft: Anklänge an eine andere Fassung desselben Stoffes, die nicht selbst Quelle sein kann, macht eine gemeinsame, doch wohl poetische Vorlage wahrscheinlich. Schwänke, die den Namen „Schnepperer“ im Schlußreim tragen, haben nachweislich keine Gewähr der Echtheit; auch die ekelhafte Zote „vom Barbirer“ darf, trotzdem Rosenplüt’s Name in den Schlußreim geflickt ist, ihm abgenommen werden. Nicht darum weil sie Zote ist: es läßt sich leider nicht leugnen, daß R. auch der schmutzigsten aller schmutzigen Schwankgattungen, den Geschichten von den drei Maiden, Nonnen etc. (Keller’s Erzähl. 480 ff.) nicht ganz fern geblieben ist.
Ein verhältnißmäßig harmloser Ausläufer dieser Art erzählt, wie der Dichter im Maien an einem Brünnlein drei Ehefrauen belauscht, die über ihre saufenden, spielenden, buhlenden Männer schelten. Die Farben der Darstellung sind grell und kräftig; sie klingt von fern an das Fastnachtspiel an; die Tendenz ist ernsthafter. In dieser Mischung berührt sich das Gedicht mit zwei anderen vielseitigeren Strafsprüchen: die „meisterliche Predigt“ zieht kapuzinermäßig gegen Nachtraben, Weinschläuche u. s. w. zu Felde und schließt mit der Bitte um ein „Jungfrauzüglein“ Wein, daß die Augen überlaufen; die 15 Klagen erinnern an die älteren Rügebücher über alle Stände: nicht nur Ehemann und Ehefrau, auch Arbeiter und Bauer, Handwerker und Herold kommen zu Worte, und am Schluß verklagt der Dichter selbst sein Publicum: „was ich guts getichtet hab mein Tag, so hört man das Böse gleich als gern; hub ich ein grobes Werg an zu spinnen, so würd ich mehr Zuhörer gewinnen. Drum muß ich der Welt nach leben und muß böse Kupfermünz ausgeben“. Ein Bekenntniß, das nicht übersehen sei.
Bei der ernsten Dichtung also ist das Herz, der Stolz des Dichters. Sie ist nicht nur geistlich. Einem Einsiedler klagt er, wieder in die Ständerüge verfallend, die verkommene Welt: der Adel und die hohe Geistlichkeit kommt schlecht fort, viel glimpflicher der Bürger; die Religion wohnt nur noch beim niedern Clerus, der die kleinsten Pfründen hat. Im Spruch vom Müßiggänger singt der Handwerker das hohe Lied der Arbeit: der Schweißtropfen löscht das Höllenfeuer, läutert die Seele und harft und geigt im Himmel um Gottes Gunst. Er, der vom Minnedienst Nichts wissen will, preist doch „ein fruchtbar ehlich Weib vor aller Frucht im Paradiß“ und wagt nicht zu entscheiden, wer bei Gott den Vortritt habe, der Priester oder die brave Frau. Der Welt wird in übermäßig bildlicher Apostrophe pathetisch abgesagt. Der Jungfrau Maria, der Turteltaube, sind zwei umfängliche Lobeskränze von geschmacklos üppiger Bilderpracht gewunden. Die eigenthümlich praktische Richtung der geistlichen Poesie Rosenplüt’s wird deutlich in der „Beichte“, einer Anweisung über die erfolgreichste Art zu beichten, in den „sieben Tagen“, einer Eintheilung der Woche für religiöse Zwecke, namentlich in den „sechs Aerzten“, wo neben dem Prediger, Beichtvater [231] und Jesus selbst auch der Koch, der Weinschenk und der Bader als nöthig zum glücklichen Leben erscheinen.
Der Gedankenkreis dieser Sprüche liegt trotz höchst origineller Züge nicht allzuweit ab von oft betretenen Bahnen. Aber R. hat mit Bewußtsein all seine Kräfte angespannt, um sie zu schmücken, um sie zu heben: sie sind ihm das Probestück seines Könnens. Und eines ist ihm gelungen: sie sind geschmacklos, aber nicht alltäglich, sind forcirt, aber nicht langweilig. Vorbild war ihm der Teichner, der in Nürnberg damals viel gelesen wurde: sein realistisches Bajuwarenthum berührt Rosenplüt’s eigene Begabung sympathisch, aber R. überbietet ihn weit. Gern beginnt er mit breitem Natureingang: eines Tages spaziert ich aus auf eine wonnige Aue: die thauigen, vom Bienlein umflatterten Blümlein und Knösplein werden farbenprächtig beschrieben und funkelnden Edelsteinen gründlich verglichen; die Vöglein schmettern in den Bäumen nach allen Regeln der Kunst, und diese Regeln mit allen terminis technicis werden uns nicht erspart. Das Latein spielt überhaupt eine lästige Rolle: gerade dem ungebildeten Dichter galt es nun einmal als vornehm. Hyperbeln, die R. einst in der Priamel und im Fastnachtspiel gebraucht hatte, genügen ihm nicht mehr für den feierlich gesteigerten Ton dieser Sprüche: hatte er dort, um ein Unmögliches zu kennzeichnen, gesagt: das hieße Stahl mit Blei bohren, so wird jetzt aus dem Stahl eine Diamantenmauer, dick von Orient bis Occident, und aus dem bohrenden Blei ein dünnes Härchen. Ließ einst Walther aus den Wangen der Geliebten Rosen und Lilien scheinen, so sind bei R. Maria’s Wangen ein Rubinenfeld in frischgefallenem Schnee, und, um ihren Hals zu schildern, entwirft er ein ganzes Landschaftsgemälde. Und was ihm an Feierlichkeit der poetischen Rede abgeht – er ist sich des Mangels nicht unbewußt – das sucht er zu ersetzen durch den strömenden Reichthum sich überstürzender Bilder, die nicht immer würdig, nicht immer stilvoll, aber meist recht anschaulich und naiv realistisch sind. So vermag der Flegel seiner Zunge nicht das Lob der himmlischen Adlerin auszudreschen, ja der Stummel seiner Zunge ist so kurz, daß er im Tümpel ihrer Ehre kaum naß wird. Im Topfe des Herzens soll man christliche Feste kochen, im Troge des Herzens die sieben Künste kneten. Das Herz wallt auf vor Freude, wie der Hafen am Feuer. Die Reue ist ein Schöpfkübel, der das Höllenloch ausschöpft; der Reuige soll seine Seele in die Schwemme reiten. Das Häslein der Sinne weidet in dem Samen der Rhetorik. Gottes Gnadensichel mäht alle Sünde. Das Mehl der Ehre wird im Sieb des Lasterhaften zu Kleie. Maria ist ein Zaun, der uns von der Hölle scheidet. Der Mensch mausere sich von den Sünden wie die Thiere vom Balg. Ja, ein schlimmer Mann träuft von Sünde wie eine beregnete Maus. Gewiß, man muß R. zugestehen, daß er nicht nur in dem Jahn (der Reihe) der alten Dichter geerntet und gestoppelt hat.
R. ist der begabteste und vielseitigste Vertreter der ungelehrten Handwerkerpoesie vor Hans Sachs. Er hat den demokratischen Stolz der Arbeit und des Bürgers, im Gegensatz zum Adel und auch zum Gelehrten; er hat das Leben in seinen niederen Schichten mit empfänglichem Auge in sich aufgenommen; seine Poesie riecht nach der Werkstatt, auch als er sich höhere Ziele steckt. Und der litterarische Ehrgeiz, der ihn zumal in späteren Jahren packt, das Streben, sich auch in ernsterer Dichtung einen Namen zu machen, hat den Erfolg gehabt, daß auch die volksthümlichen Gedichte des vielgenannten Mannes in die litterarische Sphäre emportauchen: Fastnachtspiel und Priamel wird zumeist durch ihn litterarisch salonfähig; ohne Hans Rosenplüt nimmermehr ein Hans Sachs.
- Die beiden wichtigsten Handschriften Rosenplüt’scher Dichtungen sind die Dresdner Hs. M 50 und die des german. Museums zu Nürnberg 5339a; [232] beide enthalten viel Ungedrucktes; jene ist authentischer, diese, eine kunstvoll geordnete Sammelhandschrift, reichhaltiger. Gedruckt sind seine Fastnachtspiele in Keller’s Fastnachtspielen aus dem 15. Jahrhundert (Bibl. d. literar. Vereins in Stuttgart, Bd. 28 und 29), Nr. 19, 39–42, 45, 46, 49, 74, 78, 81, 86–88, 92–100, 102, 108, 109; die Echtheit dieser Stücke scheint mir sehr wahrscheinlich oder sicher; in 81 muß jedoch 673, 29–675, 81 als interpolirt ausgeschieden werden; ich schwanke bei 85 und bei der jedesfalls von einem Verfasser stammenden Gruppe 17, 47, 75, 79. – Priameln in Eschenburg’s Denkmälern altdeutscher Dichtkunst 400 ff.; Jahresbericht an die deutsche Gesellschaft in Leipzig, 1837, 17 ff.; 1840, 38 ff.; Keller, Alte gute Schwänke, Leipzig 1847; Euling, Hundert noch ungedruckte Priameln des 15. Jahrhunderts, Paderb. 1887; – Weingrüße in den Altdeutschen Blättern von Haupt und Hoffmann I, 401 ff. – Klopfan im Weimarischen Jahrbuch II, 92. – Die Fastnachtlieder in Kellers Fastnachtspielen III, 1103, 1113. – Erzählungen in Keller’s Fastnachtspielen III, 1139, 1172, 1180, 1186; Zeitschrift d. histor. Vereins f. Niedersachsen, 1852, S. 359; Wagner’s Archiv f. d. Geschichte deutscher Sprache I, 213; Liederb. der Hätzlerin, hsg. v. Haltaus II, 76; Keller’s Erzählungen aus altd. Hss. (Bibl. d. Stuttg. lit. Vereins XXXV), S. 365. – Politische Gedichte in Liliencron’s histor. Volksliedern I, Nr. 61, 68, 93, 109, 110; vgl. Kluckhohn, Ludwig der Reiche, S. 151. – Spruch von Nürnberg, hsg. v. Lochner, Progr. v. Nürnberg, 1854. – Weltliche und geistliche Sprüche in Keller’s Fastnachtssp. III, 1083, 1098, 1111, 1124, 1152, 1158, 1190; Gengenbach, hsg. v. Goedeke, S. 403; Zeitschrift f. deutsches Alterthum XXXII, 436. – Die Grundlage aller Forschung bildet das im dritten Bande der Keller’schen Fastnachtspiele gesammelte Material; dazu die gelehrten und fördernden, aber etwas unkritischen „Studien über R.“ von Wendeler, Wagner’s Archiv I, 97, 385.